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Publik-Forum
28. September 2001 |
Nur das Recht des Stärkeren?
Interview mit Otfried Nassauer
Die Welt schautgebannt auf einen heraufziehenden Krieg. Welche
Friedensperspektiven gibt es überhaupt noch?
Zuallererst liegen die im Zwang zur Selbstbeschränkung amerikanischer
Politik: Die innenpolitische Stabilität vieler so genannter moderater Staaten könnte
durch überzogene Militäraktionen gefährdet werden. Länder wie Ägypten sind
innenpolitisch hoch verletzbar. Sie haben selber radikal-islamische Oppositions- und
Terrorgruppen. Konservativ autoritär regierte Länder wie Saudi-Arabien, die arabischen
Emirate, können schnell vor einer Zerreißprobe stehen.
Wann könnte es zu einem Militärschlag kommen?
Das ist schwer vorauszusehen. Für den Einsatz von Bodentruppen gibt es
eine zeitliche Begrenzung durch den frühen Winter. Der beginnt in Afghanistan oft schon
im Oktober mit Schneefall und würde die militärischen Möglichkeiten signifikant
einschränken.
Was könnte denn überhaupt die Bundeswehr in einem Krieg beitragen?
Hinsichtlich Afghanistan nicht viel. Hinzu kommt, dass sie die
notwendige Modernisierung für eine nach dem Ende des Kalten Krieges veränderte Weltlage
verschlafen hat.
Es sieht ja zunächst so aus, dass die Bundesrepublik grenzenlose
Bündnistreue signalisiert. Dabei ist vom Bündnisfall die Rede. Was verbirgt sich
tastsächlich dahinter?
Der Bündnisfall taucht im Aktikel 5 des NATO-Vertrages auf und besagt,
dass alle Partner sich gemeinsam zur Reaktion verpflichtet sehen, wenn das Territorium
eines Staates einem Angriff ausgesetzt ist. Jeder einzelne Staat kann entscheiden,
inwiefern er auf politischer, militärischer oder einer anderen Ebene reagiert. Der
Bündnisfall bedeutet darum nicht zwangsweise den Kriegsfall. Er ist nur der stärkste
Ausdruck der Selbstverpflichtung für gemeinsames Handeln. Und er ist ja im übrigen noch
nicht ausgerufen worden. Bisher gibt es nur einen NATO-Beschluss, der besagt, dass der
Bündnisfall eintritt, wenn Amerika Beweise für einen Angriff von außen vorlegt. Wenn
das festgestellt wird, müsste die Bundesregierung entscheiden, ob sie das durch weitere
Schritte abdeckt, z.B. durch die Feststellung des Spannungsfalls oder des
Verteidigungsfalls.
Was heißt das für den Ernstfall?
Wenn man hinter die Kulissen sieht, wird deutlich, dass eine
unbegrenzte militärische Beteiligung gar nicht das ist, was bundesdeutsche Politiker für
sinnvoll halten. Aber die Vereinigten Staaten tendieren dazu, militärische Beschlüsse
auf nationale Füße zu stellen, und internationale politische Beschlüsse so zu
gestalten, dass diese ihre Handlungsfreiheit nicht einschränken.
Mit welchen politischen Folgen?
Dass hier eine substanzielle Aushöhlung des Völkerrechts passiert.
Artikel 51 im UNO-Vertrag und Artikel fünf im NATO-Vertrag gehen von zwischenstaatlichen
Kriegen aus. Nur, Terroristen haben kein Territorium. Und wenn man auf sie die Kategorien
des Völkerrechts anwendet, verletzt man es, weil die Staaten, auf denen Terroristen
operieren, angegriffen werden müssten.
Welche Tendenz sehen Sie in der amerikanischen Politik?
Die gesamte Politik von Bush ist darauf ausgerichtet, internationale
Einbindungen mit dem Ziel zu lockern, unilateral die Handlungsmöglichkeiten der USA zu
stärken. Denken Sie an Rüstungskontrolle, Atomtestverzicht oder das Klima-Protokoll. Das
politische Credo des republikanischen Amerika ist, rechtlich nur so viel zu regeln wie
unbedingt notwendig und alles andere dem Recht des Stärkeren zu überlassen.
Eine völlig neue Politik also?
Nein, auch die Clinton-Administration hat unter dem Druck der
republikanischen Opposition bereits kräftig an dieser Auflockerung des
Völkerrechts gearbeitet. Denken sie nur an die Frage eines internationalen Gerichtshofs,
den die Vereinigten Staaten ablehnen. Und so weit ich mich erinnere, haben die Amerikaner
noch keine einzige Anti-Terror-Vereinbarung der Vereinten Nationen ratifiziert. Sie
gehören auch zu den Gegnern der von den neutralen und nicht-allierten Ländern
vorgeschlagenen Anti-Terror-Konferenz. Zudem sind die Möglichkeiten der UNO,
friedenserhaltend einzugreifen, politisch zurückgeschraubt worden. Und zwar seit Anfang
der 90er Jahre, als man die Hoffnung hatte, dass die UNO nun am Ende des kalten Krieges
eine größere Rolle spielen könnte. Unter Clinton ist das klar ins Gegenteil verkehrt
worden. Es wurde demonstriert, dass UNO-Missionen fehlschlugen, um militärisches
Eingreifen anderer zu legitimieren. Inzwischen ist die NATO zu einem Hauptverantwortlichen
für das militärische Krisenmanagement gemacht worden. Und zwar ohne UNO-Mandate, die -
siehe Kosovo-Krieg - nicht mehr nötig zu sein scheinen.
Sehen Sie dennoch die Möglichkeit, Friedensperspektiven zu
entwickeln?
Die EU entwickelt ja gerade eine gemeinsame Sicherheits- und
Verteidigungspolitik. Es könnte ein Ansatz sein, sie auf Kriseninterventionen, auf
Krisenfrühwarnung und das Reduzieren von Gewaltniveaus auszurichten. Das ist eine Frage
die jetzt besonders aktuell wird. Denn eine Zerstörung von Terrorismus ist ja durch Krieg
praktisch nicht zu erreichen.
Welche Chance hat Europa gegenüber Amerika wirklich?
Die EU ist die stärkste Wirtschaftsmacht auf dem Globus, sie ist der
größte Geber von Entwicklungshilfe, sie hat erste Strukturen der Konfliktfrühwarnung
geschaffen. Zum Problem wird, dass sich alle Prozesse so langsam vollziehen. Die
Vereinbarungen von Nizza sind noch nicht ratifiziert. Die Verrechtlichung internationaler
Beziehungen ist die Basis der europäischen Integration, braucht aber Zeit und gerät
durch die unilaterale Politik der USA unter enormen Druck. Ihr könnte sogar die Grundlage
entzogen werden. Ich weiß nicht, ob die europäischen Staaten das begriffen haben.
Europa, Deutschland zumal, ist im Blick auf Rüstungsexporte nicht
weniger aktiv. Inwiefern haben die Terroristen aufgerüstet?
Etliche der wichtigsten terroristischen Organisationen sind radikale
Absplitterungen ehemaliger Befreiungsbewegungen, die mit staatlicher Unterstützung
operiert haben. Die Taliban- bzw. bin Laden Strukturen in Afghanistan stammen aus
Strukturen, die die sowjetischen Invasionen in Afghanistan bekämpft haben. Als solche
wurden sie von Saudi-Arabien, England und den USA mit ausgebildet, finanziert und
bewaffnet.
Wie groß ist die Zustimmung zu dem Krieg in Amerika und welche
Einflussmöglichkeiten hat die Friedensbewegung dort?
Ein Problem ist, dass sich die Friedensbewegung im Moment nur sehr
begrenzt artikulieren kann. Patriotismus ist angesagt. In den Medien gibt es eine Art
freiwilliger Selbstzensur. Erschwerend kommt für die Opposition hinzu: Wenn für eine
bestimmte Politik so massiv und schnell mobilisiert wird, dass keine Diskussionsräume
bleiben, verliert sie, die auf Partizipation setzt, Handlungsfähigkeit, weil Demokratie
Zeit zur Meinungsbildung braucht. Es ist im Moment schwer, an der patriotischen Stimmung,
vorbeizukommen.
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