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Pax Christi
3/02 |
Auf dem Weg in eine neue Weltunordnung?
Otfried Nassauer
"Seit den Anschlägen des 11.9. ist nichts mehr wie bisher."
Diese Aussage ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass die Terroranschläge die
Bedrohungswahrnehmung, vor allem in den USA, deutlich verändert haben. Der Traum von der
Unverwundbarkeit Amerikas ist ausgeträumt. Falsch dagegen wäre es, anzunehmen, dass sich
seit den Terrorangriffen die strategische Ausrichtung der US-Politik grundlegend
verändert hätte. Deren neue Zielsetzungen wurden lange vor dem 11.9. festgelegt. In
Dutzenden strategischer Studien entstand das Konzept einer Neuausrichtung der US-Politik
vom Kopf bis zu den Gliedern. "Vom Kopf", das meinte von einer Neudefinition der
US-Interessen und einer Neuausrichtung der US-Militärstrategie auf Dominanz auf allen
Ebenen, "bis zu den Gliedern", das meinte bis zu den einzelnen Instrumenten der
Außen- und Sicherheitspolitik, der Bündnis- und Regionalpolitik, den
Streitkräftestrukturen und der Bewaffnung. Die Terrorangriffe fanden vor allem Eingang in
die Begründungsmuster für den radikalen Politikwechsel, den die Administration unter
Präsident George W. Bush vollzieht. Er soll im Herbst in eine neue Nationale
Sicherheitsstrategie münden.
Grenzen der Souveränität
Die Bekämpfung von Terrorismus und Proliferation rechtfertigt militärische
Interventionen. Zwei neue Rechtfertigungsfiguren treten neben die schon praktizierte
"humanitäre Intervention", die wie diese im schriftlich fixierten Völkerrecht
keine Legitimation finden. Für militärisches Eingreifen, für das mit einem UN-Mandat
nicht gerechnet werden kann, werden Präzedenzfälle geschaffen, auf die man sich künftig
berufen kann. Für die Bekämpfung des Terrorismus ist es Afghanistan; für die
Bekämpfung der Proliferation soll der Irak zum Präzedenzfall werden. Da die UN-Charta
die Souveränität des Nationalstaates hoch gewichtet und die UNO deshalb in vielen
Fällen kein Mandat erteilen kann, läßt die US-Regierung die Entscheidung über Krieg
und Frieden in einer wachsenden Zahl von Fällen von New York, dem Sitz der UNO, nach
Washington umziehen.
Mit dem Argument, das Recht auf Selbstverteidigung schließe auch das
Recht zur präemptiven Bekämpfung erkannter Angriffsabsichten ein, spricht Washington
sich selbst das Recht zu "defensiven Interventionen" zu d.h. das Recht zu
präventivem militärischem Eingreifen, bevor die USA angegriffen werden können. Dies
soll weit ausgelegt werden und die Möglichkeit zum Einsatz nuklearer Waffen
einschließen. Keine Rolle spielt, ob der erkannte oder vermutete Angreifer ein Staat oder
ein nichtstaatlicher Akteur ist. Geprüft wird, ob eine Doktrin der Grenzen nationaler
Souveränität erarbeitet werden soll, d.h. ein Verhaltenskodex für jene Regierungen, die
sich vor Interventionen sicher wähnen wollen.
Parallel dazu kann beobachtet werden, dass die neue US-Administration
mehr oder minder offen Regierungswechsel in einer ganzen Reihe von Staaten betreibt
Venezuela, die Philippinen, Afghanistan, Nepal, der Irak und demnächst Myanmar könnten
Beispiele sein. Die US-Politik wartet nicht, bis sich Veränderungen ergeben, sondern
betreibt diese aktiv.
Multilateralismus a la carte Rüstungskontrolle
Rüstungskontrolle so die Sicht der Bush-Administration - bindet den Stärkeren,
stärkt den Schwächeren und schwächt so den Stärkeren. Sie ist deshalb kein vorrangiges
Instrument der US-Sicherheitspolitik mehr. Bestehende Verträge werden überprüft, ob sie
den US-Interessen dienlich sind oder ob sie die Handlungsfreiheit der USA einschränken.
Entsprechend wird gehandelt: Der ABM-Vertrag wurde gekündigt, und mit ihm entfallen auch
viele Begrenzungen für eine künftige Militarisierung des Weltraums. Die Unterschrift
unter die Konvention des internationalen Strafgerichtshofs ist zurückgezogen. Aufgegeben
wurde der Plan, ein Verifikationsprotokoll für das B-Waffen-Verbotsabkommen zu schaffen.
Zurückgezogen wurde die Zusage, bis 2006 auf Antipersonenminen zu verzichten und dem
Ottawa-Vertrag beizutreten. Die nächsten Schritte sind absehbar: Auf Wunsch des Pentagons
wird geprüft, ob die USA ihre Unterschrift unter den nuklearen Teststopp-Vertrag
zurückziehen. Der Weltraumvertrag wird in Frage gestellt, weil er die
Weltraumrüstungspläne behindert.
Multilateralismus a la carte Bündnispolitik
Traditionelle Allianzen wie die NATO verlieren an Bedeutung; nicht zuletzt, weil sie vor
allem in Regionen existieren, die relativ stabil sind bzw. weil die dort existenten
Konflikte für die USA selten von strategischem Interesse sind. Dort aber, wo die aus
Sicht der USA wesentlichen Veränderungen anstehen im Nahen und Mittleren Osten, in
Zentralasien sowie in Süd- und Südostasien, existieren keine gewachsenen
Bündnisstrukturen. Für Interventionen in diesen Regionen sind die Bündnispartner in
Europa schlecht gerüstet und oft politisch unvorbereitet. Über Jahrzehnte haben sie
gelernt, auf geopolitische Ambitionen zu verzichten nun soll plötzlich alles ganz
anders sein: Washington macht ihr aktives globales militärisches Engagement zur
Voraussetzung für strategische Mitsprache darüber wie mit Interventionen umgegangen
wird. Zugleich signalisiert die US-Regierung: Wir können es auch alleine. Wechselnde,
nicht feste Allianzen liegen im US-Interesse, vergrößern die Handlungsfreiheit und
Flexibilität. Der jüngste "Unified Command Plan", in dem die Aufgaben und
Zuständigkeiten der militärischen Oberkommandos der USA neu festgelegt werden, spiegelt
beides: Den Wunsch nach größerer Flexibilität und Handlungsfreiheit sowie nach
geringeren Bindungswirkungen in traditionellen Bündnissen. Bessere Möglichkeiten zu
autarkem Handeln werden angestrebt.
Zwischenbilanz nach zwei Jahren
Unilateralismus ist es nicht, was die US-Administration umtreibt. Die Regierung Bush hält
es schlicht im nationalen Interesse für unverzichtbar, bestehende Beschränkungen der
amerikanischen militärischen Handlungsfreiheit abzubauen, um flexibler vorgehen und die
eigene Dominanz besser ausspielen zu können. Völkerrechtliche Regeln, die wie die
UN-Charta kaum oder keinen Spielraum für militärische Interventionen gegen Terrorismus
und Proliferation lassen, müssen geändert oder durch die eigene Praxis außer Kraft
gesetzt werden. Rüstungskontrollverträge, die das Ausspielen eigener militärischer
Stärken behindern, werden aufgegeben oder nicht abgeschlossen. In Allianzen, die anderen
Mitspracherechte über die Politik Washingtons garantieren, muss klargestellt werden, dass
sie amerikanisches Handeln nicht blockieren dürfen und mitmachen sollten, wenn sie nicht
ins Abseits gestellt werden wollen.
Als "Multilateralismus a la carte" hat Richard N. Haas diese
Herangehensweise bezeichnet. Sicherheitspolitik ist in diesem Verständnis eine
militärische Gestaltungsaufgabe, mithin nicht primär an Stabilität, sondern an
Veränderung interessiert. Dabei dient - und dies wäre der Kern einer gerechtfertigten
Kritik - die von der Bush-Administration praktizierte Deregulierung der internationalen
Beziehungen vor allem einem - dem Stärkeren.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit (BITS).
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