Neues Deutschland
09. April 2005


Viel Geld für wenig Arbeit

von Otfried Nassauer

Was haben 5 Millionen Arbeitslose mit dem Raketenabwehrsystem MEADS zu tun? Diese Frage werden die Haushälter des Deutschen Bundestages mit zu bedenken haben, wenn sie in diesem April über das Raketenabwehrsystem befinden wollen. Sie wollen entscheiden, ob in den kommenden neun Jahren rund eine Milliarde Euro aufgebracht werden sollen, um ein System zu entwickeln, mit dem sich die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen vor Angriffen aller Art aus der Luft zu schützen gedenkt. Soll dieses Vorhaben angesichts knapper Kassen Vorrang haben?

MEADS sichert Arbeitsplätze, argumentieren die Befürworter. Zukunftssichere Hochtechnologie-Arbeitsplätze kann Deutschland natürlich immer gebrauchen. Doch schauen wir etwas näher hin: Das Vorhaben soll 450 Arbeitsplätze sichern, verspricht die Industrie. Sie verrät nicht, ob diese Zahl sich allein auf die Entwicklung des Grundsystems oder auch auf die Anpassung eines zweiten Flugkörpers bezieht. Rechnen wir mit beiden Möglichkeiten. Der Entwicklungsvertrag hat eine Laufzeit von 110 Monaten. Nach Adam Riese werden somit maximal 49500 Mann-Monate Arbeit geschaffen, wenn man zu Gunsten der Industrie annimmt, dass jeder Arbeitsplatz über die volle Laufzeit des Vertrages existiert. Teilt man die Kosten des Vorhabens, also entweder 886 Millionen Euro ohne, oder 1,026 Milliarden Euro mit Anpassung der zweiten Rakete, durch die Zahl der Mann-Monate, so erfährt man, was ein Mann-Monat den Steuerzahler theoretisch kostet: 17899 Euro oder 20727 Euro. Summen, die bei so manchem Arbeitsplatz in Deutschland fast für ein ganzes Jahresgehalt reichen müssen.

Zugegeben: jede Kostenrechnung dieser Art hat ihre Tücken. Natürlich bekommen die Ingenieure, die an MEADS forschen, nicht durchschnittlich 18000 oder 20000 Euro im Monat. Ein solches Projekt verursacht hohe Sachkosten. Zum Beispiel für Experimentaleinrichtungen oder Komponenten. Die Kooperationspartner sitzen in den USA und Italien, also gibt es hohe Reisekosten. Anzeigen und Lobbykosten fallen an, wenn später für den Kauf des fertigen Waffensystems weitere Steuergelder eingeworben werden sollen. Dennoch: Staatlich gefördert wird jeder der 450 Industriearbeitsplätze neun Jahre lang monatlich mit einem kleinen Jahresgehalt.

Deutschland muss sich von einer Industriegesellschaft zu einer Wissensgesellschaft weiterentwickeln. Darüber herrscht weitgehend Übereinstimmung. Schlägt sich diese Erkenntnis auch in der strategischen Ausrichtung der Arbeitsmarkt- und der staatlichen Investitionspolitik nieder? Kaum, denn sonst würde diskutiert, ob es sinnvoll ist, mit einer Milliarde Euro bei MEADS lediglich 450 Arbeitsplätze zu sichern. Der gleiche Betrag wäre mehr als ausreichend, um über 1800 nach BAT-II a vergütete Wissenschaftler neun Jahre zu bezahlen oder mehr als 40000 Studenten ein vierjähriges Studium mit dem BAföG-Höchstsatz zu fördern. Überspitzt und etwas bösartig: Arbeitsmarktpolitisch erinnert die Förderung von MEADS an die Subventionierung der Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie.

Mit den Geldern für MEADS werden Hochtechnologiearbeitsplätze finanziert, die Wissen generieren, sagen dessen Befürworter. Aber es handelt sich weitgehend um spezialisiertes militärisch-technisches Wissen zum Beispiel in der Radartechnik, das kaum arbeitsplatzschaffend in den zivilen Bereich exportiert werden kann. Nach Abschluss der Entwicklung dient es vor allem der Produktion und Weiterentwicklung von MEADS. Die aber wäre ebenfalls aus Steuergeldern zu finanzieren. Das kostet mindestens 2,85 Milliarden Euro, so das Verteidigungsministerium – oder auch mehr als 6 Milliarden Euro, so der Bundesrechnungshof. Geld, das dringend für eine nachhaltige Transformation Deutschlands zu einer arbeitsplatzintensiven Wissensgesellschaft benötigt wird, da das Land sich bekanntlich »nicht mehr alles leisten kann«.

Mit MEADS würden nicht nur falsche sicherheitspolitische, sondern auch falsche arbeitsmarktpolitische Prioritäten gesetzt.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS