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Koelner Stadtanzeiger
Oktober 2002 |
Der Krieg hat schon begonnen
Ottfried Nassauer ist Direktor des Berliner Instituts für transatlantische Sicherheit
(BITS). Mit ihm sprach Andreas Zumach.
Wann ist mit einem Irak-Krieg zu rechnen?
NASSAUER: Wenn die SA in größerem Umfang Bodentruppen einsetzen wollen - was in
Washington ja noch nicht entschieden ist - brauchen sie noch einige Monate zur
Vorbereitung und sind zudem auf die klimatisch günstigste Jahreszeit angewiesen. Das
wäre Anfang/Mitte Januar bis Ende Februar: die Zeit, in der auch der Golfkrieg von 1991
geführt wurde.
Das heißt, selbst wenn die Bush-Administration die von ihr
angestrebte neue Resolution im UN-Sicherheitsrat in den nächsten Wochen durchsetzen
würden und Irak sich nicht an die in dieser Resolution gemachten Fristen und Auflagen
hielte, hätte das zunächst keine Konsequenzen?
NASSAUER: Doch. Denn die USA und Großbritannien könnten ihre Luftangriffe gegen
irakische Bodenziele noch weiter eskalieren. Bereits seit Anfang August ist eine
Eskalation zu beobachten - sowohl hinsichtlich der Häufigkeit der Angriffe wie auch der
Ziele. Immer öfter werden Ziele in der irakischen Zentralregion um Bagdad bombardiert,
also außerhalb der beiden Flugverbotszonen im Norden und Süden. Und es mehren sich die
Angriffe auf zivile Einrichtungen, wie in den letzten Tagen auf den Zivilflughafen in
Basra.
Im Grunde hat der Krieg also längst begonnen?
NASSAUER: Im Englischen würde man sagen, es gibt eine "slippery
slope", also ein Schlittern in den Krieg hinein. Neben den eskalierenden
Luftangriffen befinden sich spätestens seit August ja auch rund 1800 Soldaten
amerikanischer Spezialeinheiten im Nordirak. Zusammen mit bis zu 5000 türkischen
Soldaten, die sich nach Operationen im Irak zumeist wieder über die Grenze in die Türkei
zurückziehen. zerstören sie irakische Militär- und Infrastrukturanlagen, errichten
eigene feste Basen und trainieren Kurden und irakische Oppositionelle für einen
künftigen Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein. Israelische Spezialkommandos
zerstören mobile Abschussanlagen für irakische Scud-Raketen. Und nach jüngsten
Berichten, die ich allerdings noch nicht verifizieren konnte, trainieren im Süden des
Irak Israelis und Russen schiitische Kämpfer gegen das Regime.
Bagdad hat entschlossenen militärischen Widerstand gegen
einen Angriff angekündigt und verbreitet Siegesparolen.
NASSAUER: Das ist Blödsinn und ein gefährlicher Selbstbetrug. Zum einen sind
die militärischen Fähigkeiten des Irak, die schon vor dem Golfkrieg von 1991 auch in
westlichen Medien maßlos übertrieben wurden, heute weit geringer als damals: Nur ein
sehr geringer Teil der im Golfkrieg zerstörten militärischen Kapazitäten konnte
wiederaufgebaut werden. Das ist weitgehend ein Erfolg des Embargos. Infolge der damaligen
Niederlage ist die Moral und Kampfbereitschaftschaft der irakischen Truppen heute sehr
viel geringer. Einen Großteil der Waffen, die nicht bereits im Krieg vernichtet wurden,
haben die UN-Inspekteure in den Jahren 1991 bis 1998 zerstört - zum Beispiel 780 von
ehemals 800 Raketen mit Reichweiten von 300 bis 650 Kilometern. Auf der anderen Seite
haben die USA ihre militärischen und technologischen Fähigkeiten seit dem Golfkrieg
erheblich steigern können. Das wurde bereits im Jugoslawienkrieg und im Krieg gegen Ziele
in Afghanistan deutlich.
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