Frankfurter Rundschau
03. August 2005


Kurze Atempause für die Diplomatie

von Otfried Nassauer

Teheran heizt den Streit über sein Atomprogramm an. Die Europäische Union muss sich beeilen, um ihn noch entschärfen zu können, bevor George W. Bush sich zum Handeln gezwungen sieht.

Fristen, Ultimaten, Drohungen neue Fristen: Beim Streit über das iranische Nuklearprogramm geht es wieder einmal hoch her. Rechtzeitig zum Amtsantritt des neuen, konservativen iranischen Präsidenten am Mittwoch wird mit hohen Einsätzen gepokert: Die EU wird per Ultimatum aus Teheran aufgefordert, ihre neuen Vorschläge für die Atom-Verhandlungen mit Iran bis vorgestern vorzulegen. Diese lehnt das ab und will ihre Ideen erst am Wochenende präsentieren. Iran dagegen droht, die von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) versiegelte Atomanlage in Isfahan, in der Uran in Uranhexafluorid, ein Vorprodukt für die Urananreicherung, umgewandelt wird, sofort wieder in Betrieb zu nehmen.

Stehen die Bemühungen, das iranische Atomprogramm auf dem Verhandlungsweg zu beenden, kurz vor dem Aus? Oder will der neue iranische Präsident sich durch Härte Respekt verschaffen? Manches spricht für die zweite Interpretation. Denn zeitgleich mit seinen Drohungen äußerte Iran die Hoffnung, der europäische Verhandlungsvorschlag werde den aus iranischer Sicht zentralen Vorschlag einer Sicherheitsgarantie für Teheran enthalten. Unter größtem Zeitdruck aber - und das weiß auch Teheran - kann ein solcher Vorschlag seitens der EU kaum seriös vorbereitet werden. Eine Garantie, dass Iran im Gegenzug zu einem Verzicht auf atomare Aktivitäten militärisch nicht angegriffen wird, ist aus Teheraner Sicht nur glaubwürdig, wenn sie von den USA und Israel mitgetragen wird. Um dies zu erreichen, brauchen die EU-Unterhändler Zeit.

Auch ein anderes Signal deutet darauf hin, dass Iran weiter auf den Verhandlungsweg setzt. Teheran informierte die IAEO pflichtgemäß von seiner Absicht, die Anlage wieder anzufahren, um der Behörde die Überwachung zu ermöglichen. Als die IAEO mitteilte, so schnell könne sie dies nicht, versprach Iran, die Wiederinbetriebnahme um einige Tage zu verschieben.

Und Washington? Die USA beobachten die europäisch-iranischen Verhandlungen distanziert. Jede Einladung, sich direkt einzuschalten, wurde abgelehnt. Seit der Europa-Reise George Bushs im Frühjahr dieses Jahres aber gilt: Es ist (noch) Zeit für die Diplomatie. Die Behauptung, Washington bereite einen Angriff auf Iran vor, "sei einfach lächerlich", so Bush, der aber fortfuhr: "Nachdem ich das gesagt habe - alle Optionen bleiben auf dem Tisch." Also auch die militärische.

Geht die Atempause für die Diplomatie, über die sich die Europäer freuten, schon wieder dem Ende entgegen? Möglich ist das. Washington kennt jetzt das Ergebnis der iranischen Präsidentschaftswahl. Washington sieht, dass sich Irak unter schiitischer Führung Iran annähert. Israel ist nicht bereit, ein iranisches auch ziviles Atomprogramm zu akzeptieren und droht mit der Möglichkeit eines militärischen Alleingangs. Die Vorbereitungen Washingtons auf einen Militärschlag, zum Beispiel im Bereich der Zielaufklärung und -planung, sind weiter fortgeschritten. Immer wieder tauchen Berichte darüber auf. So enthüllte jüngst ein Ex- CIA-Mitarbeiter, dass auf Befehl von Vizepräsident Dick Cheney beim Strategischen Oberkommmando der US-Streitkräfte an einem Plan für einen konventionell-nuklearen Luftangriff auf Iran gearbeitet werde. Doch auch hier gilt: Pläne ersetzen keine politischen Entscheidungen.

Und: Es gibt auch andere Signale. Der jüngste Bericht der US-Geheimdienste über Iran geht davon aus, dass Teheran nicht fünf, sondern noch zehn Jahre braucht, bis es sein Atomprogramm für den Bau von Atomwaffen nutzen kann. Relativ sicher ist dagegen nur eines: George Bush kann nur in diesem Herbst und im Frühjahr 2006 militärisch gegen Iran vorgehen, ohne in einen zeitlichen Konflikt mit US-Wahlen zu kommen. Dies wird er bedenken, ein Militärschlag muss innenpolitisch mehrheitsfähig sein. Dazu bedarf er nicht nur der Zustimmung der kleinen Gruppe der Neokonservativen. Er braucht die Unterstützung der großen Gruppe der religiösen Rechten. Weil es um Israels Sicherheit geht, wäre das möglich. Kann Bush diese schnell gewinnen, können der Herbst 2005 und das Frühjahr 2006 die Zeitpunkte seiner Wahl sein.

Aus Berliner Sicht eine beunruhigende Perspektive: Führen Gespräche mit Iran nicht rasch zum Erfolg, so könnten sie ganz scheitern. Die Bundesregierung müsste erneut Position zu einer unbeliebten Kriegsentscheidung Washingtons beziehen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS