FriedensJournal
Nr. 8


Die Atomkrieger des 21. Jahrhunderts

  Otfried Nassauer

Die USA arbeiten an neuen atomaren Waffen, haben eine neue Nuklearstrategie und pfeifen auf die nukleare Rüstungskontrolle. Ein guter Grund, sich die Nuklearwaffenpolitik der Regierung Bush einmal genauer anzuschauen.

 

1.Neue Atomwaffen

Seit Jahren hat ein kleiner Kreis konservativer Republikaner und Nuklearwaffenlobbyisten beklagt, Washington betreibe nukleare Selbstbeschränkung, habe keine geeigneten Nuklearwaffen, um den militärischen Anforderungen der Zukunft gerecht und mit den Gegnern der Zukunft fertig zu werden. Die Nuklearwaffeninfrastruktur - von den Atomwaffenlaboren über die Fertigungsstätten bis hin zu den Testanlagen - veralte und vergammele. Der wissenschaftliche Nachwuchs werde vernachlässigt. All das gelte es schnellstens zu ändern.

Nach dem Machtantritt von George W. Bush begann diese Lobby, ihre gegen Ende des Kalten Krieges entwickelten Konzepte und Ideen wieder auszupacken und in die Tat umzusetzen. Der Einsatz von Nuklearwaffen, so die Vorstellung dieser Apologeten, muss glaubwürdig angedroht werden können, damit mit der Drohung eine echte Abschreckungs- und Erpressungswirkung verbunden ist. Die Waffen müssen glaubwürdig in der Lage sein, die vorgesehenen gegnerische Ziele auch zerstören zu können. Die Ziele und Gegner aber haben sich seit dem Ende des Kalten Krieges deutlich gewandelt, und für jene Ziele, um die es jetzt gehe, seien bislang nicht die richtigen Waffen vorhanden.

Angeregt wird deshalb die Entwicklung einer ganzen Reihe neuer Nuklearwaffen. Da sind zum einen die atomaren Bunkerknacker. Begonnen werden soll mit der Entwicklung eines "Robust Nuclear Earth Penetrators", RNEP, einer Atomwaffe, deren Mantel aus abgereichertem Uran (Depleted Uranium) bestehen und die mit zusätzlichen Eindringhilfen ausgestattet sein könnte, um deutlich tiefer in den Untergrund vordringen.

Doch selbst wenn die Waffe deutlich mehr Bunkeranlagen ausschalten könnte als bisherige Waffen - halten, was die Lobbyisten versprechen, wird auch diese Waffe nicht: Es wird Bunker geben, die sie nicht zerstören kann. Auch eine Atomexplosion fast ohne Fallout wird es nicht geben. Mit dieser Waffe kann weder die Zerstörung besonders gut verbunkerter Ziele noch die von Zielen glaubwürdig angedroht werden, bei denen es darauf ankäme, den fallout-bedingten Kollateralschaden gering zu halten

Das Problem schwer vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigender Kollateralschäden soll deshalb mit einer anderen atomaren Neuentwicklung angegangen werden - der Entwicklung kleiner und kleinster Atomsprengköpfe. Diese Mini-Nukes könnten, wenn sie so zielgenau gemacht werden wie moderne konventionelle Waffen, sogar als Bunkerknacker gegen nicht ganz so gut geschützte Ziele z.B. auch in besiedelten Gebieten genutzt werden. Kritiker bezweifeln das: Eine Waffe, die kaum noch radioaktiven Fallout produziert, könne nicht tief genug in die Erde eindringen, um die angepeilten Ziele sicher zu zerstören. Denn je tiefer ein Ziel unter der Erde liegt, desto größer müsse der atomare Sprengsatz sein, der es wirklich zerstören würde und desto wahrscheinlicher werde, dass viel radioaktiver Fallout entsteht und freigesetzt wird. Die Einführung solcher Waffen kann zu der Illusion führen, man sei im Besitz einer "sauberen" Atomwaffe, die man besser einsetzen könne. Da die Grenzen zwischen der Wirkung der größten konventionellen Waffen und der kleinsten nuklearen verschwimme, werde ein Atomwaffeneinsatz wahrscheinlicher.

Als weiterer Grund für den Bau neuer Atomwaffen wird die Notwendigkeit der gesicherten Zerstörung chemischer und biologischer Kampfstoffe genannt. Um diese mit hundertprozentiger Sicherheit rückstandslos verbrennen zu können, sei eine Nuklearexplosion mit ihren extrem hohen Temperaturen der sicherste Weg. Auch das stimmt nach Auffassung von Kritikern so nicht: Zum einen sind auch wirksame konventionelle Waffen zur Zerstörung denkbar bzw. schon vorhanden. Zum anderen könne die enorme Gewalt einer Nuklearexplosion sogar dazu führen, dass Kampfstoffe unabsichtlich freigesetzt werden.

Mit dem Verteidigungshaushaltsgesetz 2004 hat der US-Kongreß Ende 2003 den Einstieg in die Entwicklung neuer Atomwaffen, seien diese aus vorhandenen abgeleitet oder komplette Neukonstruktionen, freigemacht.

 

2. Eine neue Strategie

Nach ihrem Amtsantritt begann die Bush-Administration zugleich, auf Veränderungen in der Nuklearstrategie hinzuarbeiten. Mit dem "Nuclear Posture Review", einer geheimen Überprüfung der Nuklearstrategie und des Nuklearwaffenpotenzials der USA, der im Januar 2002 an den Kongress übergeben wurde, läutete sie gravierende Veränderungen ein, die in der Folgezeit implementiert wurden.

Die Nuklearwaffen Washingtons unterstehen künftig nicht mehr einem gesonderten Nuklearwaffen-Oberkommando, sondern einem neuen, veränderten "Strategischen Kommando", das für alle, auch die konventionellen, strategischen Angriffsoptionen der US-Streitkräfte zuständig ist. Die Planer dieses Oberkommandos sollen der Politik sowohl konventionelle als auch nukleare oder gemischte Optionen zum Erreichen spezifischer Ziele präsentieren. Die wachsenden Fähigkeiten konventioneller Waffen und die Aussicht auf reduzierte Kollateralschäden beim Einsatz neuer, kleiner Atomwaffen könnte über die Jahre dazu beitragen, dass der atomare Krieg wieder führbar erscheint.

Dafür sprechen auch andere Änderungen der Nuklearstrategie Washingtons. Mit der National Security Presidential Directive (NSDP) 17 erklärte die Bush-Administration am 14. 9. 2002 ganz offen: "Die Vereinigten Staaten werden weiterhin klar machen, dass sie sich das Recht vorbehalten, auf den Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen die USA, unsere Streitkräfte im Ausland und unsere Freunde und Verbündeten mit überwältigender Macht zu Antworten - einschließlich möglicherweise mit dem Einsatz von Nuklearwaffen."

Das bedeutet eine gravierende Veränderung: Zwar hat Washington den Einsatz nuklearer Waffen zur Vergeltung in der Vergangenheit nie explizit ausgeschlossen. Wohl aber war es - wie auch alle anderen klassischen Atommächte - politisch verbindliche "Negative Sicherheitsgarantien" gegenüber den nicht-nuklearen Mitgliedern des Atomwaffensperrvertrages (NPT) eingegangen und hatte deren Gültigkeit - zuletzt 1995 anlässlich der Überprüfungskonferenz für diesen Vertrag - erneut bestätigt. Diese besagen, dass Washington auf den Einsatz von Nuklearwaffen verzichten wird, wenn kein Angriff einer anderen Nuklearmacht oder von mit einer Nuklearmacht verbündeten Staaten auf die USA, deren Streitkräfte und deren Verbündete vorliegt.

Der Unterschied wird offensichtlich: Galt die potenzielle nukleare Drohung Washingtons im Rahmen der Negativen Sicherheitsgarantien bislang nuklear bewaffneten Staaten und deren Verbündeten, so gilt sie nun den Besitzern aller Arten von Massenvernichtungswaffen, also auch jenen, die "nur" über biologische und chemische Kampfstoffe bzw. über geeignete Trägermittel verfügen.

Doch damit nicht genug: In einer neuen "Nationalen Sicherheitsstrategie" und in der "Nationalen Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen" aus dem Dezember 2002 macht die Bush-Administration deutlich, dass sie zu präemptiven und präventiven militärischen Schlägen gegen Gefahren bereit ist, die von Massenvernichtungswaffen ausgehen. Mit einem konventionellen oder nuklearen Angriff der USA wird nicht länger nur als Vergeltungsmaßnahme gegen einen gegnerischen Angriff gedroht, sondern auch zur Verhinderung eines Angriffs, der erst bevorstehen könnte und sogar -präventiv - für den Fall, dass von einem Gegner angenommen wird, dass er sich in Zukunft die Fähigkeit schaffen könnte, mit Massenvernichtungswaffen anzugreifen.

Nordkorea, Irak, Iran, Syrien und Libyen waren die Staaten, die die Bush-Administration damals explizit nannte. Jayantha Dhanapala, damals der stellvertretende UN-Generalsekretär für Abrüstung, warnte deshalb letztes Jahr in der ARD-Sendung Monitor, es könnten "auf diese Weise weitere Staaten ermutigt werden, sich auf geheimen Wegen (...) Atomwaffen zu beschaffen." Dhanapala verwies auf die Gefahr, dass das seit Nagasaki geltende Tabu hinsichtlich des Einsatzes von Nuklearwaffen gebrochen werden könnte.

Die Väter dieser Veränderungen sind alte Bekannte aus der Zeit Ronald Reagans – Keith B.Payne und Colin S. Gray. Sie haben nun begonnen, über die nächsten nuklearstrategischen Schritte nachzudenken. Colin S. Gray in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Comparative Strategy:

"Es bleibt bei der Tatsache, dass Abschreckung nur ein Element unserer Strategie sein kann. Aus alleroffensichtlichsten Gründen implizierte das Paradigma der Abschreckung im Kalten Krieg die krasse Alternative zwischen Abschreckung und grenzenloser Katastrophe. Diese sind nicht mehr die Alternativen. Jetzt, da das Paradigma der Abschreckung aus dem Kalten Krieg einer heftigen grundsätzlichen Kritik ausgesetzt wird, ist es notwendig zu überlegen wie die Reformbemühungen vorangetrieben werden sollten. Zwei Handlungsnotwendigkeiten drängen sich diesem Kommentator auf. Einerseits besteht Bedarf an jenem Lokal- und Regionalwissen, das von der allgemeinen Theorie als irrelevant eingestuft wird. Andererseits muß die U.S-Verteidigungscommunity die Beziehung zwischen Abschreckung und Verteidigung (hier verstanden als offensive und defensive Gegenmaßnahmen [counterforce]) neu überdenken. Eine starke und überzeugende militärische Prävention oder "Prä-emption" könnte strategisch klug und sollte in einigen Fällen auch militärisch umsetzbar sein. Allerdings werden die politischen Komplikationen höchstwahrscheinlich entmutigend sein. Eine Politik des "Schießens bei starkem Verdacht" (d.h. als präventive Maßnahme) kann vernünftig sein in einer Welt mit "Katastrophenterroristen" und Massenvernichtungswaffen. Aber sie ist als allgemeine Richtlinie für den Weltpolizisten nicht wirklich nachhaltig durchhaltbar – weder international noch innenpolitisch. Diese zentrale Angelegenheit bedarf der sorgfältigsten Überlegungen was Mittel, Methoden und Ziele angeht."

 

3. Von der Intensivstation in die Leichenhalle?

Die neue Nuklearpolitik der Bush-Administration legt die Axt an die Wurzel der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung. Die Aussicht, dass für neue Atomwaffen auch neue Nuklearwaffentests erforderlich sein könnten, die Verkürzung der notwendigen Vorbereitungszeit für solche Tests, die Aufkündigung des ABM-Vertrages und die direkte Missachtung der Negativen Sicherheitsgarantien Washingtons durch die nukleare Drohung gegen die Besitzer biologischer und chemischer Waffen in der Präsidenten-Direktive NSDP 17 - all das sind schwere Schläge für Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Schon allein die Absicht des Einstiegs in die Entwicklung einer neuen Generation nuklearer Waffen signalisiert vielen nicht-nuklearen Mitgliedern des NPT, dass unter dieser Administration nicht mit substanziellen Fortschritten in der atomaren Rüstungskontrolle zu rechnen ist, dass die Verpflichtung auf das Ziel der Abschaffung aller Atomwaffen, die im Artikel VI des Vertrages verankert ist, zu Lebzeiten dieser Administration keine Chance hat.

Besorgt sehen deshalb viele andere Staaten, dass die Politik der Bush-Administration befördern könnte, was sie zu verhindern vorgibt - die Weiterverbreitung nuklearer Waffen. So hat z.B. Saudi Arabien nach dem Irak-Krieg angekündigt, seine nuklearen Optionen prüfen zu wollen. Noch mehr besorgt viele, dass dies in ihrer Nachbarschaft geschehen könnte. "Die nukleare Rüstungskontrolle liegt bereits auf der Intensivstation", meinte Daniel T. Plesch, vom Royal United Services Institute in London bereits im vergangenen Jahr. "Die Entwicklung neuer Atomwaffen und erneute Atomtests würden die atomare Abrüstung in die Leichenhalle verlegen."

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).