August 2002

Für eine Sicherheitspolitik aus einem Guß
Eckpunkte für eine europäische Modernisierung der Bundeswehr

von Otfried Nassauer

 

Anhang:
Empfehlungen zum Weiterdenken

Wir haben angesichts der absehbaren, künftigen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen alternativlos für eine integrierte, auf das künftige Europa ausgerichtete "Sicherheitspolitik aus einem Guß" plädiert. Zu dieser müssen in den kommenden Jahren alle Gestaltungsmittel der Außen- und Sicherheitspolitik, von humanitärer Hilfe und Sanktionen über Entwicklungspolitik, Außenwirtschaftspolitik, internationale Finanzpolitik, Rüstungsexporte, Diplomatie, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung bis hin zu den Mitteln des zivilen und militärischen Krisenmanagements verzahnt und integriert werden. Aufgabenstellung für dieses Papier war es, Rahmenbedingungen und Eckpunkte für eine Modernisierung der Bundeswehr und die Weiterentwicklung der Reform der Bundeswehr zu beschreiben. Für alle anderen sicherheitspolitisch wirkenden Instrumente und Politikfelder steht ebenfalls die Aufgabe, sie durch einen kontinuierlichen Veränderungsprozeß an die neuen, aktuellen Rahmenbedingungen, Risiken und Aufgaben anzupassen. Wenn der Anspruch einer "Sicherheitspolitik aus einem Guß" inhaltlich ausgefüllt werden soll, dann muß diese Aufgabe umfassend angegangen werden. Erste Anregungen, Empfehlungen, Ideen und einige weiterführende Fragen enthält dieser Anhang.

 

1. Strukturen der Entscheidungsvorbereitung, Entscheidungsfindung und koordinierten Umsetzung von Entscheidungen
Für eine Sicherheitspolitik aus einem Guß müssen Entscheidungen entsprechend abgestimmt getroffen werden. Dies bedeutet, daß sie ressortübergreifend vorbereitet und implementiert werden müssen. Weder national noch auf europäischer Ebene können die heute vorhandenen Entscheidungs- und Beratungsstrukturen im Blick auf die Herausforderungen und Risiken der Zukunft überzeugen. Sie sind nicht hinreichend geeignet, die Instrumente einer solchen Sicherheitspolitik zu verzahnen oder gar zu integrieren.

Im Blick auf die Bundesrepublik hat dies zur Folge, daß wir eine Reform der sicherheitspolitischen Entscheidungsstrukturen anregen. Der Bundessicherheitsrat sollte so umgestaltet werden, daß alle Ressorts mit sicherheitspolitisch relevanten Instrumenten in diesem vertreten sind. Der BSR wird als Kabinettsausschuß zentrales koordinierendes Instrument der Entscheidungsvorbereitung, Entscheidungsfindung und Entscheidungsumsetzung. Er ist im Zweifelsfall gegenüber einzelnen Ministerien auch weisungsbefugt. [Die Länder wirken mit beratender Stimme im BSR mit, wenn ihre konstitutionellen Belange berührt sind; ein Schutz kleinerer Partner in Koalitionsregierungen vor der Gefahr des parteipolitisch motivierten Überstimmt-Werdens wäre einzurichten.] Unbeschadet der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers wird der BSR zu einem eigenständigen Instrument der Sicherheitspolitik umgestaltet, das über einen substantiellen personellen Unterbau, rekrutiert aus Ministerien, Behörden und Ämtern sowie – auf Zeit - Fachleuten aus der Zivilgesellschaft besteht, die beratend und kompetent im Blick auf alle Aspekte der Sicherheitspolitik zur Lageanalyse, Vorbereitung von Entscheidungsalternativen und Entscheidungsfindung im BSR beitragen. Damit leistet der BSR in seiner neuen Gestalt auch einen Beitrag zu einer einheitlicheren deutschen Position in der Europäischen Union. Der Anteil der aus der Zivilgesellschaft auf Zeit rekrutierten Fachleute sollte auf allen Ebenen des strukturellen Unterbaus 50% betragen und somit wesentlich dazu beitragen, daß ein kontinuierlicher, intensiverer Austausch zwischen ziviler und behördlicher Fachkompetenz stattfindet und Ressortegoismen an Einflußmöglichkeiten verlieren. Zivilgesellschaftliche Mitarbeiter des BSR unterliegen den gleichen Dienstpflichten wie Mitarbeiter aus Behörden und Ämtern. Sie werden für fünf Jahre beschäftigt und können ihren Dienst in ununterbrochener Folge maximal 10 Jahre ausüben. Ihre Wiedereintrittsmöglichkeit in zivilgesellschaftliche Beschäftigung wird abgesichert. Ein solchermaßen gestärkter BSR muß dem Parlament gegenüber informations- und rechenschaftspflichtig sein. Für seinen Haushalt gelten die gleichen Regeln wie für den Bundeshaushalt.

Auch die europäischen Strukturen der Entscheidungsvorbereitung, Entscheidungsfindung und Entscheidungsumsetzung bedürfen einer Reform, um eine bessere Verzahnung und Integration der sicherheitspolitischen Instrumente zu erreichen. Auf europäischer Ebene müssen einerseits die sicherheitspolitischen Instrumente der Kommission verzahnt und integriert werden. Andererseits bedarf es einer Verzahnung und schließlich Integration der Instrumente der Kommission mit jenen, die beim Europäischen Rat angesiedelt sind. Ziel muß – trotz substantieller Widerstände - mittel- und längerfristig eine Vergemeinschaftung aller sicherheitspolitischen Instrumente sein, da nur so größtmögliche Effizienz und ein flexibles ressortübergreifendes an den sich wandelnden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen orientiertes politisches Gestalten möglich ist. Der gegenwärtig stattfindende Auf- und Ausbau sicherheitspolitischer Strukturen bei Rat und Kommission muß so gestaltet werden, daß er eine spätere Verzahnung und Integration erleichtert.

 

2. Das Verhältnis von Exekutive und Legislative
Die veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen, die daraus resultierenden neuen Aufgaben für Streitkräfte und das Erfordernis unterschiedliche Modelle des Verhältnisses von Exekutiven und Legislativen in Europa mittel- und längerfristig mit europäischer Perspektive zu harmonisieren, wird in allen EU-Ländern zu der Notwendigkeit führen, das Verhältnis zwischen exekutiver Entscheidungsbefugnis und parlamentarischer Kontrolle erneut zu diskutieren. Zur Zeit ist es zu früh, um bereits mit geeigneten und praktikablen Antworten aufzuwarten. Zugleich ist es an der Zeit mit der Suche nach geeigneten Lösungen zu beginnen. Wir sehen auf nationaler wie europäischer Ebene die Notwendigkeit, die parlamentarischen und demokratischen Rechte zu stärken und zugleich nicht in unzulässiger Weise in die notwendige Flexibilität und Verantwortung der Exekutive, Entscheidungen zu treffen, einzugreifen.

Gegen eine Stärkung des parlamentarischen Informations- und Kontrollrechtes auf nationaler Ebene spricht nichts. Bundeswehreinsätze zur Bündnisverteidigung und solche zu anderen Zwecken müssen grundsätzlich an einheitliche, gleiche Voraussetzungen gebunden sein. Die Bundeswehr muß eine Parlamentsarmee bleiben, deren Einsatz nur mit Zweidrittelmehrheit des Parlamentes beschlossen werden können sollte. Der Vorbehalt nationaler parlamentarischer Billigung bleibt aufgrund der Verfassung auch für Einsätze militärischer Kräfte im Rahmen der EU zwingend geboten, bis eine Europäische Verteidigungspolitik unter Festlegung europäischer parlamentarischer Rechte beschlossen worden und in Kraft getreten ist.

Wir halten es zugleich schon heute für möglich und geboten, dem Europäischen Parlament wesentliche Informationsrechte im Blick auf die ESVP des Rates in allen ihren Aspekten zu gewähren. Die Kontrollrechte des Europäischen Parlamentes im Blick auf die sicherheitspolitischen Instrumente der Kommission können schon jetzt weiter gestärkt werden. Künftig werden die parlamentarischen Strukturen der EU ein möglichst umfassendes Informations-, Kontroll- und Zustimmungsrecht im Blick auf alle sicherheitspolitischen Instrumente der EU benötigen, um ihrer Funktion demokratischer Kontrolle hinreichend und für die Bürger Europas nachvollziehbar gerecht werden zu können. Dies gilt es schon heute vorzubereiten.

 

3. Innere und äußere Sicherheit – Neue Notwendigkeiten
Auch die innere Sicherheit wird zukünftig nicht mehr allein national zu gewährleisten sein. Allerdings ist die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ein zu wichtiger zivilisatorischer Schritt, weil sie auch zur Trennung von Gewalt und Erwerbsleben beiträgt, als daß sie wegen des Phänomens der "kleinen Kriege" oder asymmetrischer, z.B. terroristischer Risiken aufgegeben werden sollte. Darüber hinaus zielen Forderungen, das Militär zur inneren Sicherheit, insbesondere Wehrpflichtige zum Objektschutz einzusetzen, eher auf den Erhalt der Wehrpflicht aus ideologischen Gründen als darauf, adäquate Antworten auf neue Risiken und Gefährdungen zu finden. Viel wichtiger ist es, die aus dem Kalten Krieges stammenden Absprachen und die Koordination zwischen den Instrumenten innerer und äußerer Sicherheit der neuen Situation anzupassen. Dabei müssen auch die neuen Aspekte der Bekämpfung des Terrorismus, der internationalen Kriminalität und ihrer Verbindung zu den neuen nicht-staatlichen Akteuren des Krieges Berücksichtigung finden.

Auf europäischer Ebene gilt es nicht nur, zu einer Verzahnung der Instrumente innerer und äußerer Sicherheit zu kommen. Hier stellt sich zusätzlich die Aufgabe, verschiedene nationale Traditionen und Strukturen behutsam und wirksam zu integrieren, sondern auch bereits vergemeinschaftete und noch nicht vergemeinschaftete Instrumente. Wie dies wirksam geschehen kann, muß bereits heute vorgedacht werden. Da eine Rücküberführung relevanter, bereits vergemeinschafteter Instrumente in die Verantwortung der intergouvernementalen Zusammenarbeit einer partiellen Renationalisierung gleichkäme, kann diese Lösung – weil zielwidrig – kaum zur Debatte stehen. Vielmehr muß – wie auch auf dem Weg von der ESVP zu einer Europäischen Verteidigungspolitik das Ziel den Weg vorgeben. Es bedarf deshalb einer konsequenten, schrittweisen Fortführung der Europäischen Integration, die auch vor den Instrumenten zur Wahrung der Inneren Sicherheit nicht halt machen darf. Auch hier gilt es, im Vorgriff auf das Ziel und während der weiteren Integration die Informations-, Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse des Europäischen Parlamentes auszubauen.

 

4. Ziviles Krisenmanagement und seine Instrumente
Wenn der Verhinderung (gewaltförmiger) Konflikte Vorrang vor deren militärischer Eindämmung zukommt und wenn es richtig ist, daß viele Sicherheitsrisiken der Zukunft gar nicht vorrangig mit militärischen Mitteln bekämpft bzw. ausgeschaltet werden können, dann muß dies auch seinen Niederschlag beim Ausbau verfügbarer Fähigkeiten sowie bei der Verteilung von Ressourcen finden. Auf nationaler wie europäischer Ebene müssen neue Prioritäten gesetzt werden.

    • Dem Aufbau von Fähigkeiten zur Früherkennung von Krisen, die zu gewaltsamen Konflikten werden können, muß ebenso wie dem Aufbau einer flexiblen Kapazität zu schneller, früh- und rechtzeitiger Intervention mit zivilen Mitteln der Bekämpfung von Konfliktursachen deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
    • Die zivilen, nichtmilitärischen Fähigkeiten zur Krisenintervention der Europäischen Union, einschließlich der polizeilichen Komponente müssen rasch weiter ausgebaut und konsequent aufgestockt werden. Dabei sollte geprüft werden, ob die Idee einer gemeinsamen europäischen Grenzpolizei (und eines gemeinsamen Zolls) nicht in erweiterter Form umgesetzt werden kann. Europa benötigt für ein effizientes, präventiv aktionsfähiges Krisenmanagement ständig verfügbare europäische (Bereitschafts-) Polizeieinheiten. So ließe sich nicht nur deren Verfügbarkeit und Reaktionsfähigkeit verbessern, sondern auch deren Ausbildung und Einsatzvorbereitung. Zugleich wäre dies ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu vergemeinschafteten Fähigkeiten im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik aus einem Guß. Im Blick auf den deutschen Beitrag sollte geprüft werden, ob der notwendige Personalab- und –umbau bei der Bundeswehr und der verstärkte Bedarf an zivilen Krisenmanagementstrukturen ressortübergreifend kostengünstig angegangen werden können. Durch ein solches Vorgehen würde sich manch zu erwartender Widerstand gegen die notwendigen Veränderungen vermeiden lassen.
    • Im zivilen und im militärischen Bereich muß die Fähigkeit zur zivil-militärischen Zusammenarbeit (bei gegenseitiger Wahrung der Autonomie) ausgebaut werden. Ob staatliche oder nicht-staatliche Instrumente – effiziente Kooperation und intensiver Informationsaustausch sind wichtige Elemente eines wirksamen verzahnten Einsatzes verfügbarer Mittel.

Die "Zivilmacht Europa" bietet aus ihrer Geschichte und mit ihren vielfältigen, erprobten Instrumenten und Erfahrungen nicht-militärischen Handelns in potentiellen Krisengebieten gute, wenn nicht exzellente Voraussetzungen für eine strategisch orientierte Sicherheitspolitik. Erinnert sei nur an die vielfältigen Erfahrungen kleinerer EU-Staaten in der Vermittlerrolle und bei friedenswahrenden Einsätzen. Die EU hat es viel leichter als NATO, eine solche integrierte Politik wirksam zu implementieren. Zivile Fähigkeiten der EU können auch die Handlungsfähigkeit der NATO verbessern und zum Gewicht Europas im Bündnis beitragen.

 

5. Intelligente Vorsorge und Krisenprävention

Die Verhinderung (gewaltförmiger) Konflikte durch präventive Maßnahmen liegt im sicherheitspolitischen Interesse der Europäischen Union und der Staaten Europas. Dies gilt auch und gerade für jene potentiellen Krisenregionen, von denen Europa abhängig ist. Eine gesicherte Zufuhr und Verteilung von Energieressourcen nach Europa ist lebenswichtig. Erdöl und Gas kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Gas und Öl aber werden in großen Mengen aus potentiellen Krisenregionen importiert, weil dort die natürlichen Vorkommen konzentriert sind. Unkalkulierbare Preisentwicklungen und Unterbrechungen des Nachschubs können als Folge örtlicher oder regionaler Krisen und Kriege schnell eintreten; sie können bei geopolitischen Interessensunterschieden als Druckmittel eingesetzt werden. Lange Transportwege und Transportsysteme, die gute Ziele für asymmetrische Drohungen (Piraterie, Tanker-Terrorismus etc) darstellen, verschärfen die Problematik. Mit dem wachsenden Energiebedarf z.B. der sich entwickelnden Ökonomien Asiens wird die Nachfrage nach den endlichen Ressourcen Öl und Gas steigen. Damit verschärft sich die Konkurrenz um eine gesicherte Versorgung. Auch dies impliziert neue Konfliktpotentiale.

In den europäischen Staaten und in der Europäischen Union sollten deshalb größte Anstrengungen unternommen werden, um die Abhängigkeit von Erdöl und Gas schnell zu reduzieren und zugleich die Versorgungssicherheit mit Energie zu vergrößern. Neben Energiesparmaßnahmen können folgende Schritte dazu entscheidend beitragen

  • Ein verstärkter Einsatz erneuerbarer Energien (Sonne, Wind, Bio)
  • Ein deutlich verstärktes Bemühen um die rasche Einführung neuer Energietechnologien in energieintensiven Bereichen wie z.B. Gebäudeversorgung und Transportwesen (z.B. Brennstoffzelle, Wasserstofftechnologie)
  • Sowie eine Dezentralisierung der Energieversorgungssysteme und vor allem der Endenergieerzeugung.

Viele der erforderlichen technologische Voraussetzungen sind gegeben oder werden in den nächsten Jahren geschaffen. Das größte vorhersehbare Hindernis gegen ihre Einführung besteht oft darin, daß bei hohen Einstiegsinvestitionen zunächst nur wenige Nutzer existieren werden und deshalb mit höheren Energiepreisen als bei der herkömmlichen Energieversorgung zu rechnen wäre. Dies würde ein Umsteuern verlangsamen. Eine zeitlich begrenzte, degressiv gestaltete, europaweite staatliche Unterstützung könnte dieses Hindernis effektiv aus dem Weg räumen. Für eine solche Unterstützung sprechen viele – gerade auch sicherheitspolitische – Begründungen:

  • Die Energieversorgungssicherheit wächst mit der Reduzierung der Abhängigkeit von Rohstoffen aus Krisenregionen, da geringere Rohstoffmengen benötigt werden und von Transportgefährdungen (z.B. Piraterie / Terrorismus) ein geringer werdendes Risiko ausgeht.
  • Die Energieversorgungssicherheit steigt, weil eine dezentralisierte Endenergieerzeugung ein geringeres Risiko und weniger lohnende Ziele für asymmetrische wie klassische Risiken darstellt. Die "kritische Infrastruktur" zur Energieversorgung wird sicherer.
  • Die Verfügbarkeit von Erdöl und Gas zu vertretbaren Preisen für schnell wachsende Ökonomien in weniger reichen Teilen der Erde verbessert sich, da der Bedarf in wichtigen Industriestaaten sinkt. Dies ist entwicklungspolitisch und sicherheitspolitisch bedeutsam, da mit einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung auch Krisen effizient vorgebeugt werden kann und sich die Konkurrenz um die verbleiben fossilen Energieressourcen reduziert.

Hinzu kommen positive Umweltfolgen durch verringerten Schadstoffausstoß sowie die Tatsache, daß ein technologischer Innovationsschub ausgelöst wird. Mit anderen Worten: Verringert Europa seine Abhängigkeit von Öl und Gas durch eine gezielte Förderung regenerativer Energien und dezentraler Energieversorgungssysteme, so handelt es sich um eine äußerst bedeutsame Investition in die Sicherheit der europäischen Staaten und ihrer Gesellschaften.

 

6. Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung
Die Politikbereiche der Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitung stehen vor einem substantiellen Umbruch. Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung wurden als Instrumente zwischenstaatlicher, rechtlicher Verregelung geschaffen. Dies schränkt ihre Wirkmöglichkeit gegenüber nicht-staatlichen Akteuren ein, denen aber ihrerseits eine wachsende Bedeutung in der Sicherheitspolitik zukommt. Beide Instrumente werden gegenwärtig von wichtigen Akteuren in der internationalen Politik nicht wertgeschätzt.

Für die Staaten der Europäischen Union sind Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung dagegen wichtige Instrumente auch des Multilateralismus und der konstruktiven Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Es muß deshalb im Interesse der Staaten Europas wie der EU liegen, die Wirksamkeit von Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung zu verbessern und beide Instrumente an die neuen Herausforderungen anzupassen.

Etliche Ideen und Vorschläge, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung zu stärken, existieren. Fertige Antworten für ein effizientes Einwirken auf nicht-staatliche Akteure mittels Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung gibt es dagegen nicht. Sie müssen gesucht und entwickelt werden. Wir regen an, diese Aufgabe mittels eines Forschungsprogramms anzugehen, in dessen Vordergrund die Erarbeitung neuer Vorschläge für rüstungskontrollpolitische und gegen die Weiterverbreitung von militärisch relevanten Technologien gerichteter Instrumentarien steht, die

  • effizient auf das Rüstungs- und Weiterverbreitungsverhalten von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren einwirken können;
  • wirksam die schwierige Aufgabe der rüstungskontrollpolitischen Einhegung der wichtigsten Bewaffnungen der Akteure in sogenannten "kleinen Kriegen" und "asymmetrischen" Risikoszenarien angehen (z.B. Kleinwaffen, Minen, Munition, tragbare Raketen oder Mittel der Informationskriegsführung);
  • dazu beitragen können, zukünftig rüstungsrelevante Technologien präventiv rüstungskontrollpolitisch einzuhegen und eine Technologiefolgenabschätzung vorzunehmen; sowie
  • zu einer effizienteren Verzahnung von Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Exportkontrolle insbesondere im Hinblick auf Massenvernichtungswaffen und die dafür erforderlichen Technologien führen.

Hier kann Deutschland auch im Kontext der Europäischen Union mit gutem Beispiel vorangehen. Gute Initiativen, die zunächst national ergriffen werden, können in Zusammenarbeit mit den Partnern in der Europäischen Union multilateralisiert werden; "Coalitions of the Willing" können zur Globalisierung entsprechender Ideen genutzt werden. Der Ottawa-Prozeß in Sachen Anti-Personenminen bietet ein Beispiel. Ähnliche Vorgehensweisen können helfen, die Europäische Union zu einem deutlich effizienteren und aktiveren Akteur in der Nichtverbreitung zu machen.

 

7. Rüstungsexport und Außenwirtschaft als Instrumente der Sicherheitspolitik
Rüstungsexport und Außenwirtschaft sind oft unterschätzte Instrumente der Sicherheitspolitik. Ihre Bedeutung ergibt sich zum einen aus ihrer Funktion im Blick auf Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, zum anderen aus der häufig gemachten Annahme, daß sie genutzt werden können, um das Verhalten eines potentiellen Importeurs zu beeinflussen und zum dritten aus den Auswirkungen der Lieferung bzw. Nichtlieferung im Empfängerland.

In der Bundesrepublik sind Exporte von Kriegswaffen, sonstigen Rüstungsgütern und oft auch von doppelt verwendbaren Waren mit den neuen Rüstungsexportrichtlinien an drei politische Kriterien gebunden worden: An die Achtung der Menschenrechte, die Gewaltprävention und die nachhaltige Entwicklung. Alle drei Kriterien bedürfen einer deutlich wirksameren Umsetzung in den gesetzlichen und verwaltungsrechtlichen Verfahren. Während die Achtung der Menschenrechte in den vergangenen Jahren gelegentlich eine mitentscheidende Rolle spielte, sich aber auch als oft noch schwaches Instrument im verwaltungsrechtlichen Kontext erwies, wurde das Kriterium der Gewaltprävention, obgleich das voraussichtlich wirksamste, bislang kaum eingesetzt. Wir halten eine äußerst restriktive Rüstungsexportpolitik, gerade auch im Blick auf "kleine Kriege", asymmetrische Risiken und die Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen weiterhin für das Gebot der Stunde. Die Implementierung einer solchen Politik muß rechtlich besser abgesichert werden, wenn dieses Instrument im Rahmen einer strategisch ausgerichteten Sicherheitspolitik wirksam eingesetzt werden soll. Politische Entscheidungen in diesem Bereich bedürfen größtmöglicher Transparenz. Geheimhaltung unterminiert die Glaubwürdigkeit politischen Handels.

Im Rahmen der europäische Integration müssen sehr unterschiedliche nationale Exportgesetzgebungen harmonisiert und integriert werden. Die Gefahr, daß dies auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners, der Laxheit, geschieht, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Bisherige Bemühungen, eine Harmonisierung über einen Verhaltenskodex anzuregen, haben noch keine rechtliche Bindungswirkung. Das Potential von Rüstungsexportpolitik und Außenwirtschaftspolitik gerade in Hinsicht auf Krisen- und Gewaltprävention, aber auch im Blick auf wirksame Nichtverbreitungspolitik wird – aufgrund nationaler wirtschaftlicher Interessen – weiter unterschätzt und kaum genutzt. Wir regen an, diese Zusammenhänge schnell gründlich zu untersuchen um geeignete Wege zu Harmonisierungsmöglichkeiten zu eruieren, mit denen dieses Potential genutzt werden kann.

 

8. Die Ressourcen für eine Sicherheitspolitik aus einem Guß
Sicherheitspolitik erfordert ressortübergreifendes Denken und Handeln. Die Zahl alter Zöpfe, die abgeschnitten und eingespielter Gewohnheiten, die aufgegeben werden müssen, ist groß. National wie in der Europäischen Union bedarf es einer Neuverteilung der Ressourcen, gerade auch der finanziellen Ressourcen, die unsere Gesellschaften für ihre Sicherheit und die Instrumente, die diese gewährleisten sollen, aufwenden. Bei der Neuverteilung müssen neue Prioritäten gesetzt werden. Es kann nicht ohne Konsequenz bleiben, daß viele Risiken der Zukunft nicht mit militärischen Mitteln bekämpft oder ausgeschaltet werden können. Der Schutz kritischer Infrastrukturen und der Bevölkerungen erfordert ebenso wie der Aufbau effizienter ziviler Mittel der Krisenvorbeugung und des zivilen Krisenmanagements erhebliche Ressourcen. Dies gilt auch für die wirksame Verzahnung und Integration der verschiedenen Instrumente der Sicherheitspolitik. Deshalb verbietet sich eine weitere Ausweitung der Aufwendungen für die militärische Sicherheit, die schon heute die Aufwendungen für die Sicherheitsvorsorge dominieren. Auch deshalb ist es dringend geboten, die Modernisierung europäischer Streitkräfte aus Rationalisierungsgewinnen zu planen und zu realisieren. Für die Streitkräfte steht künftig eher weniger, denn mehr Geld zur Verfügung.

 

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ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).