Disput
Mai 2003


Neue Initiativen für eine Neue Weltordnung
Ein Aufruf zur konstruktiven Energieverschwendung

von Otfried Nassauer


Als George W. Bush die Notwendigkeit begründete, ohne UNO-Mandat Krieg gegen den Irak zu führen, machte er klar, dass es ihm nicht vorrangig um die Abrüstung irakischer Massenvernichtungswaffen ging, sondern vor allem um einen Regierungswechsel. Davon erhoffen sich Washingtons neokonservative Falken auch ein verändertes Kräfteverhältnis im israelisch-palästinensischen Konflikt, in der arabischen Welt und unter den Ölproduzenten. Weit gesteckte Ziele also, Ziele, die zumindest auf die Absicht einer regionalen, wenn nicht einer globalen Neuordnung hinweisen.

Mittlerweile ist überdeutlich, dass der politische Preis immens ist. Washington hat in weniger als zwei Jahren Präzedenzfälle für militärische Interventionen zur Bekämpfung des Terrorismus, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und zur Auswechslung missliebiger Regime geschaffen. Fälle, auf die sich die präzedenzfallorientierte angelsächsische Rechtstradition künftig gerne berufen wird.

Nicht zuletzt deshalb warnte Bundesaußenminister Joschka Fischer vor einer "Serie von Abrüstungskriegen". Dahinter steckt die bange Frage, ob sich der nächste Schlag gegen Nordkorea, den Iran, Syrien oder wen auch immer sonst richten wird. Und die Frage, ob diese Kriege nicht letztlich auf eine andere Weltordnung zielen. Eine Weltordnung, in der nicht die Stärkung des Rechts die dominierende Tendenz darstellt, sondern die Stärkung des Rechts des Stärkeren.

Washington, so die Befürchtung, setzt bewusst auf eine Deregulierung der internationalen Beziehungen und auf eine Reduzierung des Gewichtes internationaler Institutionen, weil eine Welt, in der das Recht des Stärkeren herrscht, in der alle gegen alle kämpfen, die Dominanz der USA auf mittlere und lange Sicht am besten absichert.

Dazu passt es, wenn führende Mitglieder der Regierung Bush davon reden, dass man einen "Multilateralismus à la carté" pflege und "Koalitionen der Willigen" zur Durchsetzung seiner Ziele bevorzuge. Dieses Vorgehen belässt die politische Initiative in Washington, und allen anderen nur die Wahl, US-Entscheidungen mitzutragen - oder ignoriert zu werden. An jenen multilateralen Institutionen, die bislang Entscheidungsgremien waren, wird ein Exempel statuiert. Die NATO und die UNO wurden zu Konsultationsgremien herabgestuft, als es darum ging, über Krieg. oder Nicht-Krieg zu entscheiden. Sie hatten nur die Wahl, als Erfüllungsgehilfen zu agieren oder beiseite geschoben zu werden.

Dieser Tage folgt der zweite Streich: Die UNO soll mit einer neuen Resolution die US-gestützte Interimsregierung und den Wiederaufbau des Irak unterstützen und die wegen der irakischen Massenvernichtungswaffen verhängten Sanktionen gegen den Irak aufheben, auch wenn die UNO-Inspekteure ihre Arbeit noch nicht für beendet erklärt haben. Washington wünscht darüber hinaus ein Ende des Programms „Lebensmittel für Öl". Dies wäre die Voraussetzung dafür, daß substantielle Verträge für Wiederaufbauleistungen, Ölexporte und die irakische Ölindustrie mit ausländischen Partnern abgeschlossen werden können. Verträge, die im Namen und auf Kosten des Iraks und irakischer Firmen geschlossen werden. Die Resolution soll der UNO aus Sicht Washingtons eine humanitäre Rolle zuweisen, nicht aber politische oder wirtschaftliche Entscheidungsgewalt im Blick auf die Zukunft des Iraks. Sie soll somit ihre im Hinblick auf den Irak verbliebenen Machtmittel aufgeben und an die US-gestützte Interimsregierung abtreten.

Wenn es aber - und darauf verweist die konsequente Ablehnung des Irak-Krieges durch Frankreich, Russland und Deutschland - um Weltordnungsfragen geht, dann, stellen sich diese Problematik jetzt erneut: Wird die UNO nach ihrer Mißachtung während der Kriegsentscheidung nun wieder in ihre Zuständigkeit und Rechte eingesetzt? Washington will dies offensichtlich nicht. Eine humanitäre Rolle der UNO zur Unterstützung des US-geführten Wiederaufbaus reicht aus der Sicht Washingtons. Damit aber würde die UNO weiter geschwächt. Zu dieser Frage müssen sich Frankreich, Rußland und Deutschland verhalten. Tragen sie eine erneute Schwächung der UNO mit oder binden sie die Aufhebung der Sanktionen an eine Stärkung der UNO, an deren Wiedereinsetzung in ihre Rechte?

Wenn Weltordnungsfragen zur Debatte stehen, kann aber auch ein schlichtes "Nein" auf Dauer der Aufgabe nicht gerecht werden. Es bedarf einer positiven Perspektive und Alternative. Aufgabe von Politik, Wissenschaft und sozialen Bewegungen muss es sein, gemeinsam und in konstruktiver Konkurrenz Alternativen zu entwickeln, die über das "Nein" hinauswachsen.

Ich sehe drei Ansatzpunkte: Erstens bedarf es politischer Initiativen zur Stärkung der multilateralen Institutionen und des internationalen Rechts. Die UNO muss ihr Monopol, allein legitimerweise über Krieg und Frieden zu entscheiden, zurückerhalten und politische sowie wirtschaftliche Entscheidungsgewalt in Sachen Irak erhalten. Zweitens bedarf es einer europäischen Initiative zur Lösung des Nahost-Konfliktes. Diese muss Israelis und Palästinensern eine Zukunftsperspektive aufzeigen. Und schließlich: Wann endlich starten wir - aus sicherheitspolitischen Gründen - eine konzertierte Aktion für eine größere Unabhängigkeit von den fossilen Energieträgern Öl und Gas?

Ein staatlich geförderter "Schnellstart" in neue Energieträger wie Wasserstofftechnologie bzw. Brennstoffzelle und ein intensiver Ausbau der Nutzung regenerativer Energien stellt eine hocheffiziente sicherheitspolitische Investition dar. Positive Nebenwirkungen inbegriffen - für den Technologiestandort Deutschland, für die Umwelt und vor allem in Sachen Krisenprävention. Denn nicht zuletzt aus der Abhängigkeit von Öl und Gas und der Konkurrenz um den Zugang zu diesen Rohstoffen resultieren viele Kriegsursachen.

Der Aufgabe, am Wettbewerb um solche positiven Perspektiven der Transformation mitzuwirken, müssen sich alle gesellschaftlichen Kräfte stellen. So weit mein Appell zu einer konstruktiven Energieverschwendung.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)