Pakistans Nukleararsenal:
Umfang und Sicherheitsprobleme Gerhard Piper Am 7. Oktober begannen die USA mit ihren Luftangriffen auf die Stellungen der Taliban in Afghanistan. Auch Pakistan gehört zum Aufmarschgebiet der US-Streitkräfte. Weil sich die Taliban ethnisch vor allem aus den Paschtunen rekrutieren und die Siedlungsgebiete dieser Bevölkerungsgruppe ebenfalls den Westteil Pakistans umfassen, haben die Taliban in Pakistan zahlreiche Sympathisanten, die zu einem "heiligen Krieg" (Dschihad) bereit sind. Da sie mit 8 Millionen Menschen unter den 140 Millionen Pakistanis nur eine Minderheit darstellen, stellen sie keine aktuelle Bedrohung für die herrschende Militärdiktatur dar. Dies könnte sich ändern, wenn der Konflikt lange andauert und zu den 2 Millionen Flüchtlingen aus Afghanistan weitere hunderttausend hinzukommen, so daß sich die ohnehin angespannte Wirtschaftslage weiter verschlechtert. (2) Sollte die Einheit des Staates gefährdet sein, könnte sich ein Teil der Streitkräfte zu einem Putsch gegen die seit 1999 herrschende Militärjunta von General Pervez Musharraf entschließen. (3) In diesem Fall stünde die Verfügungsgewalt über die nationalen Nuklearwaffen im Mittelpunkt des Machtkonfliktes. Im Fall von inneren Unruhen, wird auch der Diebstahl einer Atomwaffe durch eine fremde Macht nicht ausgeschlossen. (4) Das pakistanische Atomwaffenarsenal wird gegenwärtig auf 20-30 Raketengefechtsköpfe geschätzt, mit einer Sprengkraft von jeweils maximal 35 Kilotonnen. Die Nuklearsprengköpfe haben kein elektronisches Kodesicherungssystem zur Schärfung der Gefechtsköpfe, wie man es von amerikanischen Permissive Action Links (PAL) her kennt. Daher kann im Prinzip jeder, der die Atomwaffen besitzt, diese ungehindert einsetzen. Ein gewisser Minimalschutz ist nur dadurch gegeben, daß die Kernladungen aus hochangereichertem Uran-235 in Friedenszeiten nicht in den Sprengköpfen montiert sind, sondern Bombengehäuse und Kernladung an zwei voneinander getrennten Orten aufbewahrt werden. (5) In der letzten Septemberwoche reiste eine amerikanische Militärdelegation unter Leitung von Brigadegeneral Kevin Chilton nach Islamabad, um mit den pakistanischen Militärs über notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit der nationalen Atomwaffen zu beraten. Besprochen wurde eine verschärfte Überwachung des Sicherungspersonals, sowie eine Verbesserung des Schutzes bei der Lagerung oder dem Transport von Atomsprengköpfen. (6) Längerfristig werden die USA den pakistanischen Streitkräften verstärkt Ausbildungshilfe im Rahmen des IMET-Programms (International Military Education and Training) leisten, um so die pakistanische Armee besser infiltrieren zu können. (7) Für den Fall, daß Teile der Armee mit Unterstützung des Geheimdienstes Inter-Services Intelligence (ISI) gegen die Regierung von General Pervez Musharraf putschen sollten, plant die US-Regierung einen Diebstahl der pakistanischen Atomwaffen. Für diesen Zweck trainieren z. Zt. das amerikanische Special Operational Detachment Delta und die israelische Sondereinheit Sayeret Matkal in den USA. Problematisch ist, daß die US-Streitkräfte nicht genau wissen, wieviele Atomwaffen die Pakistanis tatsächlich besitzen, wo diese versteckt sind und ob auch radioaktive Attrappen zur Ablenkung in den Depots gelagert werden. Außerdem wäre eine solche Operation immer ein politisch heikles Unterfangen, dennoch will die US-Regierung mit allen Mitteln verhindern, daß Atomwaffen durch moslemische Extremisten innerhalb der pakistanischen Sicherheitsorgane der Al Qaida oder dem Irak in die Hände gespielt werden. (8) Schon bei früheren Übungen hat die Delta Force wiederholt die Eroberung eines Atomwaffenlagers trainiert. (9) Die amerikanisch-pakistanischen Gespräche markierten einen rapiden Wandel in den bilateralen Beziehungen: In der ersten Septemberwoche hatte die US-Regierung den Pakistanis noch gedroht, internationale Finanzhilfen zu blockieren, wenn die Regierung in Islamabad an ihrer Atomrüstung festhalten sollte. (10) Am Ende der zweiten Septemberwoche drohte die US-Regierung der pakistanischen Regierung wegen deren "Unterstützung von Terroristen" noch mit einem militärischen Angriff; und am Ende der vierten Septemberwoche sorgen sich die US-Militärs um die Sicherheit des pakistanischen Atomarsenals! Zweites Sicherheitsproblem Kaschmir Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, daß es erneut zu einem pakistanisch-indischen Territorialkonflikt um die geostrategisch wichtige Kaschmir-Region kommt. Der Konflikt begann bereits im Jahre 1947, als das britische Kolonialgebiet in einen moslemisch-pakistanischen und einen hinduistisch-indischen Teil aufgegliedert wurde. Dies führte zu einem Bürgerkrieg, in dem eine Million Menschen starben und zwölf Millionen vertrieben wurden. Ungeklärt blieb damals die Zugehörigkeit der Grenzregion Kaschmir, die zu zwei Dritteln von Moslems und einem Drittel Hindus bewohnt wurde. Eine von der UNO geforderte Volksabstimmung ist bis heute nicht zustande gekommen, vielmehr haben die überlegenen indischen Truppen 1948 zwei Drittel des Gebietes okupiert. Später folgten noch zwei weitere Kriege um die Vorherrschaft in der Region (1965 und 1971). (11) Der Konflikt eskalierte erneut, als am 1. Oktober 2001 ein Attentäter der islamistischen Jaish-e-Mohammad-Gruppe (JeM) einen Selbstmordanschlag vor dem Parlamentsgebäude in Srinargar, der Hauptstadt des indisch-besetzten Teils von Kaschmir, verübte, bei dem es 38 Tote gab. Nach indischen Angaben erhält die JeM finanzielle Unterstützung von der Al Qaida von Osama Bin Laden. (12) Am 15. Oktober kam es zu zweitägigen Grenzgefechten, bei denen die indischen Streitkräfte nach eigenen Angaben dreißig pakistanische Militärposten zerstörten. Bei den Auseinandersetzungen starben über 50 Menschen. Daraufhin erklärte Indiens Verteidigungsminister George Fernandes, sollten die Guerilla-Angriffe andauern, werden seine Streitkräfte die Demarkationslinie überschreiten. (13) Dazu muß man wissen, daß die Regierung in Neu-Dehli immerhin rund 100.000 Soldaten in der Region konzentriert hat. Am 22.Oktober scheiterte ein Selbstmordanschlag auf einen indischen Fliegerhorst in Kaschmir. Die Angreifer wurden erschossen. (14) Nach über fünfzig Jahren will die indische Regierung endlich eine "Lösung" des kostspieligen Konfliktes um die Region herbeiführen. Ende September hatte der pakistanische Außenminister Abdul Sattar die indische Regierung davor gewarnt, die Spannungen in Pakistan auszunutzen, um sein Land anzugreifen. In dem Fall würden die pakistanischen Streitkräfte atomar zurückschlagen. US-Außenminister Colin Powell bereiste beide Länder, um in dem Konflikt zu vermitteln. Auf beiden Seiten ist die Neigung zum Erstschlag sehr groß, da die Frühwarnzeit bei einem Raketenangriff nur drei Minuten beträgt. Diese Zeitspanne ist zu kurz, um einen indischen Militärangriff auf den Radarschirmen zu erkennen und die staatliche Führung zu alarmieren, die dann einen Befehl zum Gegenschlag an die pakistanischen Raketeneinheiten weiterleitet, um die eigenen Flugkörper startklar zu machen. Im Falle eines Angriffs bliebe also keine Zeit, um die eigenen Flugkörper rechtzeitig abzuschießen. Vielmehr würden sie in ihren Stellungen am Boden zerstört werden. Hinzu kommt, daß das Atompotential gerade auf pakistanischer Seite nur auf wenige Raketen beschränkt ist, so daß möglicherweise bei einem Überraschungsangriff das gesamte Nukleararsenal zerstört werden könnte und keine Nuklearwaffen für einen Vergeltungsschlag übrig blieben. Durch diesen Umstand, daß das nationale Nukleararsenal nicht groß genug ist, um eine gesicherte Zweitschlagskapazität zu haben, wird die Präventivschlagsneigung zusätzlich verschärft. Jeder kleinere Konflikt könnte daher innerhalb kurzer Zeit zu einem Krieg eskalieren. Ein atomarer Krieg hätte aber für beide Seiten verheerende Folgen, wie die amerikanischen Atomwaffenexperten William Arkin und Robert Norris darlegten: "Mumbai (Bombay), Calcutta und Neu-Dehli haben eine Einwohnerzahl von 12, 11 bzw. 8 Millionen Menschen. Karachi, Lahore und Rawalpindi haben 8, 5 bzw. 2 Millionen Einwohner. Die Auswirkungen einer Atomangriffs auf eine Stadt sind enorm: Von den schätzungsweise 350.000 Einwohnern Hiroshimas am 6. August 1945 starben ungefähr 140.000 bis zum Jahresende durch die Wirkungen der 15 Kilotonnen-Bombe. (..) Eine Bombe, die auf eine große indische oder pakistanische Stadt abgeworfen wird, könnte den Tod von Millionen verursachen." (15) Atomtests Anfang der siebziger Jahre hatte der damalige pakistanische Premierminister Zulfikar Ali Bhutto angekündigt, daß Pakistan eine Atombombe bauen wolle: "Wenn es nötig ist, werden wir Gras fressen, um die Bombe zu bauen." (16) Seit wann Pakistan über Nuklearwaffen verfügt, ist nicht bekannt. Anfang der neunziger Jahre wurden Mutmaßungen laut, Pakistan könnte bereits einen Atomsprengsatz gebaut und auf dem chinesischen Testgelände in Lop Nor gezündet haben, so daß dieser Atomversuch als chinesischer und nicht als pakistanischer Test offiziell registriert worden wäre. Die rivalisierende Regionalmacht Indien hatte bereits am 18. Mai 1974 einen einzelnen Atomtest durchgeführt. Nachdem Indien am 11. und 13. Mai 1998 überraschend fünf weitere Nuklearsprengsätze erprobte, zog Pakistan am 28. Mai 1998 nach und zündete nach offiziellen Angaben innerhalb von zwei Stunden ebenfalls fünf Atomsprengsätze. Dies waren die ersten pakistanischen Nuklearversuche. Ein weiterer Test folgte am 30. Mai. (17) Das Versuchsgelände Ras Koh befindet sich in den Chagai-Bergen an der Grenze zum Iran. Den amtlichen Angaben der pakistanischen Regierung wurde teilweise widersprochen, insbesondere was die Detonationsstärke der Sprengkörper anbelangt. Ein siebter Sprengsatz soll für einen Test zwar vorbereitet gewesen sein, wurde dann aber doch nicht gezündet. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Es bleibt zu hoffen, daß sowohl Pakistan, als auch Indien sich dem Abkommen über einen umfassenden Atomteststopp (Comprehensive Test Ban Treaty CTBT) anschließen werden. Dies wäre ein erster Schritt zu einer bilateralen Rüstungskontrollvereinbarung für den pakistanisch-indischen Subkontinent.
Quelle: John Pike, Pakistan Nuclear Weapons, 27.5.2000, http://www.fas.org/nuke/guide/pakistan/nuke/index.html; N.N., Pakistan: The other Shoe Drops, Bulletin of the Atomic Scientists, Juli 1998, S. 24f; Frank Barnaby, Discrepancies claimed in Islamabads nuclear tests, Janes Defense Weekly (JDW), 10.6.1998, S. 3. Trägersysteme Als Trägersysteme für die pakistanischen Nukleargefechtsköpfe kommen prinzipiell die amerikanischen Jagdbomber F-16, sowie die pakistanischen Raketensysteme der Hatf-Serie in Frage, die auch unter den Namen Ghauri bzw. Shadeen bekannt sind. Auf Grund der begrenzten Zahl der heute zur Verfügung stehenden Nuklearsprengköpfe, werden vermutlich bisher nur die Mittelstreckenraketen vom Typ Ghauri I tatsächlich als Nuklearträger verwendet. Die Zahl der Nukleargefechtsköpfe wird auf Grund der zur Verfügung stehenden Menge an hochangereichertem Uran-235 auf 23 bis 29 Systeme geschätzt. (18) Dabei nimmt man an, daß pro Bombe rund 20 kg Spaltmaterial benötigt werden. (19) Prinzipiell wären alle Raketen mit einer Nutzlastkapazität von 500 kg geeignet, um mit einem Nukleargefechtskopf bestückt zu werden. Das Atomkommando der pakistanischen Streitkräfte ist z. Zt. zusammengefaßt in der sogenannten 47. Unabhängigen Artilleriebrigade. Die pakistanische Raketenentwicklung begann im Jahre 1961 mit Gründung der "Space and Upper Atmosphere Research Commission" (SUPARCO). Im Juni 1962 wurde die erste Kurzstreckenrakete Rehbar getestet. Bis heute haben die Pakistanis bei rund 2.500 Versuchsstarts verschiedener Raketentypen umfassende Erfahrungen auf dem Gebiet der modernen Raketentechnologie angehäuft. Dabei wurden sie von der Volksrepublik China unterstützt, die den Pakistanis verschiedene Flugkörper lieferten, die im Lande dann nachgebaut und weiterentwickelt wurden. So entstand aus der chinesischen M-9 die Hatf IV, aus der M-11 die Hatf III und aus der M-18 die Hatf VI. Pakistans erste Mittelstreckenrakete Hatf V basiert auf dem nordkoreanische Flugkörper ND-1 Nodong.
Quelle: John Pike, Pakistan, 1999, http://www.fas.org/nuke/guide/pakistan/missile/index.html, Rahul Bedi, Pakistans first test of its new ballistic missile, JDW, 15.4.1998, S. 4, Umer Farooq, Pakistan parades missiles, JDW, 31.3.1999, S. 15, Umer Farooq, Pakistan tests new missile and revises command structure, JDW, 16.2.2000, S. 3. Alle bisher zur Testreife entwickelten Raketen sind mobile Boden-Boden-Flugkörper, die auf Schwerlasttransportern montiert sind. So wird die Hatf VI von einem Werferfahrzeug transportiert, das große Ähnlichkeit aufweist mit dem russischen MAZ-547V (12 x 12), der früher zum Abschuß der sowjetischen SS-20-Raketen diente. (20) Eine wichtige Stellung mit dreißig Raketen vom chinesischen Typ M-11 befindet sich in Sargodha, rund 160 km nordwestlich von Lahore. (21) Die Hatf V Ghauri I soll in sechs Stellungen an der pakistanisch-indischen Grenze zwischen Sialkot und Karachi disloziert werden. (22) Die US-Regierung hat in den achtziger Jahren Pakistan 28 General Dynamics F-16A und 12 F-16B Fighting Falcon geliefert. Die Flugzeuge haben eine Reichweite von 1600 km ohne aufzutanken. Sie können eine größere Waffenlast mit sich führen. Die Maschinen sind heute verteilt auf die Staffeln Nr. 9 Griffins und Nr. 11 Arrows in Sargodha, und die Staffel Nr. 14 Shaheens in Kamra. (23) Auch ein Kampfzonentransporter vom Typ C-130 Hercules soll von den Pakistanis als Nuklearwaffenträger getestet worden sein. (24) Produktionsstätten Sollte es zu einem Bürgerkrieg in Pakistan kommen, stellt sich die Frage, wer die Verfügungsgewalt über die Nuklearwaffen behaupten kann. Seit Februar 2000 liegt die militärische Leitung des pakistanischen Nuklearwaffenprogramm bei der National Command Authority (NCA). Dieses kollektive Führungsgremium setzt sich zusammen aus dem Regierungschef, der zugleich Verteidigungsminister ist, dem Außen- und dem Innenminister, sowie führenden Generälen von Heer, Luftwaffe und Marine. Dazu wurde beim Joint Strategic Headquarters (JSHQ) der Streitkräfte eine Strategic Plans Division unter Führung eines Generalleutnants eingerichtet, die als NCA-Sekretariat dient. Dem NCA wurden zwei Komitees beigeordnet, die beide von General Pervez Musharraf, dem Befehlshaber der regierenden Militärjunta, geleitet werden: Das Development Control Committee überwacht die Entwicklung eines nationalen C3-Kommandosystems für die Atomstreitkräfte, sowie die gegenwärtigen Atomwaffenprogramme; das Employment Control Committee beschäftigt sich mit dem zukünftigen Ausbau des pakistanischen Nuklearkommandos. (25) Im Falle eines Krieges oder Bürgerkrieges stellt sich das Problem der Sicherheit der nukleartechnischen Anlagen in einem doppelten Sinne. Zum einen besteht die Gefahr, daß (waffenfähiges) Nuklearmaterial von Terroristen oder einer ausländischen Macht gestohlen werden könnte. Das zweite Risiko liegt darin, daß Atomanlagen absichtlich oder irrtümlich zum Zielobjekt von Luft- oder Artillerieangriffen werden könnten. Die Folge könnte ein "Super-GAU" wie in Tschernobyl sein. Bereits im Jahre 1965 wurde die Pakistan Atomic Energy Commission (PAEC) gegründet. Im Januar 1972 erteilte der damalige Premierminister Zulfiqar Ali Bhutto auf einer Konferenz in Multan den anwesenden Nuklearphysikern den Auftrag zum Bau einer Nuklearwaffe. Der Chefkonstrukteur der pakistanischen Atomwaffen ist Dr. Abdul Qadeer Khan, der einen Teil seiner Ausbildung bei der europäischen URENCO-Anlage zur Urananreicherung in den Niederlanden absolviert hat und 1975 in sein Heimatland zurückkehrte. (26) Die pakistanischen Nuklearwaffen basieren auf Uran-235. Eine Gaszentrifuge zur Herstellung von waffenfähigem Uran befindet sich beim A. Q. Khan Research Laboratory (KRL) in Kahuta. (27) Sie wurde unter der Tarnbezeichnung "Projekt Butterfabrik" entwickelt. (28) Weitere Anreicherungsanlagen sind in Golra Sharif und in Sihala. Das wichtigste nukleartechnische Laboratorium ist das Pakistani Institute of Nuclear Science and Technology (PINSTECH) in Rawalpindi. Hier befinden sich die beiden Forschungsreaktoren PARR-1 (10 Megawatt) und PARR-2 (30 KW), sowie eine Pilotanlage zur Gewinnung von Plutonium-239. In Karachi befindet sich der aus Kanada gelieferte Forschungsreaktor KANUPP. In Chasma wird z. Zt. ein chinesischer 300 MWe Reaktor gebaut; hier befindet sich auch eine Anlage zur Plutoniumgewinnung. Im benachbarten Khushab befindet sich ein 40-70 MW Forschungsreaktor und eine Anlage zur Tritiumproduktion. (29) Der Zusammenbau der Nukleargefechtsköpfe erfolgt in den Waffenfabriken von Wah und Kahuta. (30) Die Ghauri-Raketen werden von den Khan Research Laboratories in Kahuta produziert, die Shadeen-Raketen vom National Development Complex (NDC), das von Dr. Samar Mubarak Mund geleitet wird. (31) Weitere Entwicklungsbüros sind in Dera Nawab Shah, Gujranwala, Jhang, Multan und Okara. Raketenproduktionsstätten befinden sich in Fatehjung (für M-11-Raketen) und in Tarwanah bei Rawalpindi. Abschußbasis für Raketentests mit den Shadeen-Flugkörpern ist der Marinestützpunkt Sonmiani Beach. Im März 2001 gab es eine wichtige Personalveränderung: Die beiden wichtigsten Vertreter des pakistanischen Atomwaffenprogramms wurden entlassen. Der bisherige Chefkonstrukteur Dr. Abdul Qadeer Khan wurde von seinem Posten als Direktor des Khan Research Laboratory abgelöst und durch Dr. Javed Mirza ersetzt. Ebenso wurde der Leiter der pakistanischen Atomenergiekommission Dr. Ashfaq Ahmad Khan durch Pervez Butt abgelöst. Die Gründe für diesen Einschnitt in das pakistanische Nuklearwaffenprogramm sind nicht bekannt. (32) In diesem Zusammenhang könnte aber eine Meldung vom 23. April 2001 wichtig sein, nach der die pakistanische Regierung den Haushalt der nationalen Atomenergiekommission um 25 Prozent kürzen will. Dabei entfallen schätzungsweise 10 Prozent auf den Geheimhaushalt zur Finanzierung der Atomwaffen- und Raketenprojekte, der in anderen Haushaltposten versteckt ist. Der frühere pakistanische Regierungschef Narwaz Sharif sah in beiden Schritten den Versuch, das nationale Nuklearprogramm zu reduzieren und rief zum Widerstand auf. (33) Weder im Bereich der konventionellen Waffen noch bei den Atomsprengkörpern kann Pakistan finanziell oder technologisch mit den Rüstungsprogrammen des "Erbfeindes" Indien mithalten. Zwar hatte der libysche Regierungschef Muammar al Gaddhafi über mehrere Jahre das pakistanische Projekt einer "islamischen Atombombe" mitfinanziert, aber als die Pakistanis sich weigerten, libysche Nukleartechniker auszubilden, stellte Gaddhafi die Zahlungen ein. (34) General Pervez Musharraf faßte am 23. Juni 2000 die offizielle Nuklearpolitik wie folgt zusammen: "Wir wollen nur eine Minimalabschreckung aufrechterhalten, um jedwede Aggression gegen unser Heimatland abzuwehren. (..) Wir wollen uns auf keinen atomaren Rüstungswettlauf mit Indien einlassen und werden (daher) unsere Bevölkerung niemals ökonomischer Entbehrungen aussetzen. Wir halten fest am Aufbau eines Regimes strategischer Selbstbeschränkung und erwarten eine positive Resonanz von unserem Nachbarland." (35) Die amtliche Zurückhaltung wird konterkariert durch die Aussagen von Überläufern, die früher an der Entwicklung der pakistanischen Atomwaffen beteiligt gewesen waren. Nach den Nukleartests im Mai 1998 hatten sich fünf Wissenschaftler nach den USA bzw. Großbritannien abgesetzt, weil die pakistanische Regierung eine aggressive Politik des Ersteinsatzes von Atomwaffen favorisieren würde, um durch Zerstörung eines Teils des indischen Arsenals die eigene militärische Unterlegenheit kompensieren zu können. (36) Ein indisches Angebot, sich auf eine Politik des "no-first-use" zu verständigen, war damals von der pakistanischen Regierung abgelehnt worden. (37) Am 24. Oktober 2001 wurden die beiden pakistanischen Nuklearwissenschaftler Bashiruddin Mahmood und Chaudry Abdul Majid in Pakistan verhaftet. Man wirft ihnen vor, mit den Taliban zu sympathisieren. Darüber hinaus wird nicht ausgeschlossen, daß sie versucht haben, der Al Qaida bei der Entwicklung einer nuklearen Waffe behilflich gewesen zu sein. So ist der frühere stellvertretende Direktor der pakistanischen Atomenergiebehörde Mahmood zugleich Mitarbeiter der "Hilfsorganisation" Ummah Reconstruction, die von früheren pakistanischen Militärs geleitet wird und vom US-Außenministerium als terroristische Tarn- bzw. Frontorganisation eingestuft wird. (38) Exkurs: Deutsche Verwicklungen Zwei Länder haben Pakistan beim Aufbau eines nationalen Nuklearpotentials massiv unterstützt. Während die Volksrepublik China vor allem Raketentechnologie lieferte, unterstützte früher die Bundesrepublik Deutschland die Entwicklung einer pakistanischen Atombombe durch Ausbildungs- und Technologiehilfe. Insbesondere in den achtziger Jahren trugen deutsche Rüstungslieferungen dazu bei, daß Pakistan spätestens Anfang der neunziger Jahre einen Atomsprengsatz fertigstellen konnte, der dann 1998 auch auf eigenem Territorium getestet wurde. Die auf Druck der amerikanischen Regierung schließlich erlassenen Verschärfungen der deutschen Rüstungsexportbestimmungen kamen zu spät, um noch die Entwicklung einer pakistanischen Atomwaffe verhindern zu können. Das meiste war damals schon exportiert worden. Daran waren über siebzig deutsche Unternehmen beteiligt. (39) Ein Atomuntersuchungsausschuß des Bundestages versuchte damals, den Umfang der deutschen Beteiligung an der Entwicklung von ABC-Waffen in Libyen, Syrien, Irak, Iran, Pakistan und Indien aufzuklären. Zu den deutschen Exporteuren gehörten insbesondere Alfred Hempel von der Alfred Hempel GmbH in Düsseldorf, die CES Kalthoff GmbH des Albrecht Migule in Freiburg, das Ingenieurbüro von Heinz Mebus in Erlangen, die Leybold Heraeus GmbH in Hanau und Rudolf Ortmayers Neue Technologie GmbH in Gelnhausen. (40) Außerdem arbeiteten in den achtziger Jahren 55 pakistanische Wissenschaftler bei den beiden Kernforschungsanlagen in Karlsruhe und Jülich. (41) Einzelne Unternehmen, wie z. B. die Degussa, profitieren vom pakistanisch-indischen Nuklearwettrüsten, indem sie beide Seiten belieferten. (42) Die Bundesregierung hatte über Jahre hinweg die deutsche Atomrüstung für Pakistan gedeckt. Bereits im März 1983 urteilte das Auswärtige Amt in einer Stellungnahme: "Durch die bekannte gründliche Aufklärungsarbeit der USA und Großbritanniens bezüglich der Nuklearprogramme von Entwicklungsländern kann es Washington und London auf die Dauer nicht verborgen bleiben, in welchem Maß [die Kernforschungsanlagen] Jülich und Karlsruhe zur nuklearen Leistungsfähigkeit von Entwicklungsländern beitragen. So können wir z.B. im Falle Pakistans nicht mehr ausschließen, daß in den USA und Großbritannien im wesentlichen bekannt ist, daß das PINSTECH in Pakistan von Karlsruhe wesentlich gefördert worden ist." (43) Dennoch unternahmen die deutschen Behörden lange Zeit nichts, um die Exportgeschäfte zu unterbinden. Albrecht Migule erhielt wegen seiner "illegalen" Atomgeschäfte mit Pakistan in Höhe von 15 Millionen DM vom Amtsgericht Freiburg lediglich eine Bewährungsstrafe von acht Monaten und eine Geldbuße von 30.000 DM. Um die nukleare Aufrüstung Pakistans dennoch zu verhindern, unternahm vermutlich der israelische Geheimdienst Mossad im November 1981 einen Bombenanschlag auf das Privathaus von Heinz Mebus. (44) Angeblich um Pakistan in der gegenwärtigen Krisensituation zu stabilisieren und die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den beiden konkurrierenden Mächten Pakistan und Indien zu verbessern, forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder bei seinen Staatsvisiten Ende Oktober eine verbesserte Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet. So versprach Schröder den Pakistanis eine Verdoppelung der Entwicklungshilfe im laufenden Jahr auf 50 Millionen DM und die Erteilung von Hermes-Bürgschaften zur Unterstützung von Exportgeschäften in Höhe von 100 Millionen DM. (45) Ausdrücklich einbezogen wurde in die Ausweitung der Handelsbeziehungen auch wieder der sogenannte Hochtechnologiebereich! Fazit Sollten die US-Angriffe auf Afghanistan lange Zeit andauern, droht sich der Konflikt auf das Nachbarland Pakistan auszuweiten. Auch im Falle eines Militärputsches oder eines Bürgerkrieges wird es jemanden geben, der die Gewalt über das nationale Nukleararsenal aus maximal dreißig Sprengköpfen ausübt. Die Frage ist dann, ob diese Verfügungsmacht ausgenutzt werden wird, um die Gegenseite nuklear zu erpressen. Auch ein Diebstahl von Nuklearmaterial erscheint möglich. Zwar ist nicht genau bekannt, wo die pakistanischen Atomsprengkörper lagern, aber der Blick auf das nationale Arsenal hat ergeben, daß der Raketen- und Jagdbomberstützpunkt Sargodha in jedem Falle ein wichtiger Standort ist. Außerdem könnte es zu Sabotageaktionen gegen die staatlichen Nuklearfabriken kommen, die zugleich in der Nähe der wichtigsten pakistanischen Großstädte liegen: das Khan-Laboratorium mit seiner Anreicherungsanlage in Kahuta, das PINSTECH mit seinen zwei Atomreaktoren in Rawalpindi und der KANUPP-Reaktor in Karachi. Darüber hinaus hat der US-Angriff auf Afghanistan nicht nur die Spannungen innerhalb Pakistans geschürt, er verschärfte auch den ethno-religiösen Regionalkonflikt um die Provinz Kaschmir und beschwört damit die Gefahr eines vierten Krieges zwischen den beiden Atomstaaten Pakistan und Indien herauf. Durch diplomatische Vermittlungstätigkeit zwischen den beiden Kontrahenten, sowie Wirtschafts- und Finanzhilfen für Pakistan und militärische Hilfsangebote zur Verbesserung des physischen Schutzes des pakistanischen Nukleararsenals versuchen die USA und ihre Verbündeten, die Lage zu stabilisieren. Ob diese Maßnahmen auch langfristig erfolgreich sein werden, bleibt abzuwarten. Möglich erscheint auch eine horizontale und vertikale Eskalation des Afghanistankrieges mit unabsehbaren Folgen nicht nur für den pakistanisch-indischen Subkontinent, sondern ganz Asien.
Gerhard Piper ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
Quellen: (1) Vgl. ami 3/2001, S. 133-29; ami 4/2001, S. 5-15. (2) United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR): Afghanistan regional map, Afghan refugees in neighboring countries, www.unhcr.ch/cgi-bin/texis/vtx/afghan?page:maps (3) Vgl. ami 10/2001, S. 71-81. (4) John J. Fialka / Scott Neumann: Weapons Experts Agree Nuclear Arsenal in unstable Pakistan is a major Concern, in: Wall Street Journal, 4.10.2001. (5) Nigel Hawkes: The nuclear threat Pakistan could lose control of its arsenal, in: The Times (UK), 20.9.2001. (6) Douglas Frantz, U.S. and Pakistan Discuss Nuclear Security, in: New York Times, 1.10.2001, www.nytimes.com/2001/10/01/international/asia/01NUKE.html (7) Andrew Koch: US aid to Pakistan to cement anti-terror alliance, in: Janes Defence Weekly (JDW), 10.10.2001, S. 4. (8) Seymour M. Hersh: Watching the Warheads The risks to Pakistans nuclear arsenal, in: New Yorker, 5.11.2001. Der Chef des ISI, Generalleutnant Mahmud Ahmed, wurde am 7. Oktober 2001 wegen seiner Sympathien für die Taliban durch Generalleutnant Ehsanul Haq ersetzt. Siehe: John Daniszewski / Tyler Marshall: Victory Could Hinge On Islamabad's Spy Agency, in: Los Angeles Times, 30.10.2001 (9) S.F., Tomajczyk: US Elite Counter-Terrorist Forces. Oseola, USA, 1977; vgl. ami 9/1998, S. 15-24. (10) Andrew Koch: Washington Imposes sanctions of Chinese, Pakistani organisations, in: JDW, 12.9.2001, S.8. (11) Vgl. ami 3/1992, S. 15/16; ami 12/1994, S. 51-59. (12) Rahul Bedi: India fears USA will ignore Kashmir dispute, in: JDW, 10.10.2001, S. 4. (13) N.N.: India Considering Military Action, in: Washington Post, 11.10.2001; Rahul Bedi: India might strike in Pakistan, in: Telegraph, UK, 17.10.2001, www.portal.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/news/2001/10/17/wkash17.xml&sSheet=/news/2001/10/17ix (14) Hersh, a.a.O., New Yorker, 5.11.2001 (15) Robert S. Norris / William M. Arkin: After the Tests: India and Pakistan Update, in: Bulletin of the Atomic Scientists, September 1998, S. 71. (16) Paul Mann: Subcontinent Poised For Nuke Deployment, in: Aviation Week & Space Technology (AW&ST), 3.8.1998, S. 25. (17) Vgl. ami 6/1998, S. 24-33. (18) Paul Mann: Subcontinents Nuclear Duel Raises Miscalculation Risk, in: AW&ST, 8.6.1998, S. 59. (19) N.N.: Pakistan: The other Shoe Drops, in: Bulletin of the Atomic Scientists, Juli 1998, S. 25. (20) Andrew Koch: Pakistan unveils Shadeen-II, in: JDW, 5.4.2000, S. 12 (21) Robert S. Norris / William M. Arkin, a.a.O., S. 71. Insgesamt erwarb Pakistan 84 M-11-Raketen und bis zu 20 Werferfahrzeuge von China. (22) Seth Brugger (Hg.): Arms Control Reporter. Institute for Defense & Disarmament Studies, Cambridge, 1998, S. 706.B.252. (23) N.N.: The World Defence Almanach 2000/01, in: Military Technology, 1/2001, S. 322. (24) John Pike: Pakistan Nuclear Weapons A Chronology, 3.6.1998, www.fas.org/nuke/guide/pakistan/nuke/chron.htm (25) Umer Farrooq: Pakistan tests new missile and revises command structure, in: JDW, 16.2.2000, S. 3. (26) Neben der deutschen Nukem sind an der URENCO Ltd. Großbritannien und die Niederlande beteiligt. Siehe: Jürgen Streich: Die neuen Atommächte. Hamburg, 1993, S. 83. (27) Dr. Khan hatte durch seine Tätigkeit bei URENCO Zugang zu Unterlagen über die technisch-hochentwickelte Gaszentrifuge G-2 aus Deutschland. Siehe: Holger Koppe / Egmont R. Koch: Bomben-Geschäfte Tödliche Waffen für die Dritte Welt. München, 1990, S. 36. (28) ebd., S.49 (29) Mann, a.a.O., AW&ST, 3.8.1998, Graphik S. 26. (30) Mann, a.a.O., AW&ST, 8.6.1998, Graphik S. 58. (31) Andrew Koch, a.a.O., JDW, 5.4.2000, S. 12. (32) Umer Farooq: Pakistans top scientist is forces to step aside from KRL, in: JDW, 28.3.2001, S. 14. (33) Hawkes, a.a.O. (34) Streich, a.a.O., S. 82. (35) N.N.: Pakistan Repeats Call for Strategic Regime, in: Disarmament Diplomacy, Juli 2000, S. 58. (36) Bei den Nuklearwissenschaftlern handelte es sich um Dr. Iftikhar Chaudhary Khan, Tauqeer Khan, Babo Sabo, ein Herr Ali und ein Herr Azeem. Siehe: Paul Beaver: Pakistani defector implicates China, in: JDW, 8.7.1998, S. 3; Umer Farooq: Pakistan warned India of massive retaliation, in: JDW, 15.7.1998, S. 16. (37) Umer Farooq: Islamabad rejects no-first-use pact for nuclear weapons, in: JDW, 22.7.2001, S. 15. (38) Giles Whittell: A Five-Star Disaster for the World, in: London Times, 26.10.2001 (39) John Pike: Pakistan Nuclear Weapons A Chronology, 3.6.1998, www.fas.org/nuke/guide/pakistan/nuke/chron.htm (40) Koppe / Koch, a.a.O.; vgl. ami 9/1998, S. 9-12. (41) Helmut Lölhöffel: Logistik "made in Germany" für Indien und Pakistan, in: Frankfurter Rundschau, 30.5.1998. Zu nennen sind hier beispielsweise: Ishfaq Ahmad, S. U. Cheema, Dr. Nyamat Ali Javed, Dr. Khalid Rashid, Mohammed Abdul Majid, Raze-ur-Raman, Abdur Rahman, Dr. K.-A. Qureshi. Siehe: Holger Koppe / Egmont R. Koch, a.a.O., S. 38ff. (42) Kenneth R. Timmermann: The Death Lobby How the West ared Iraq. London, 1992, S. 105. (43) Streich, a.a.O., S. 85 (44) ebd. (45) Willi Germund: Schröder sichert Pakistan Soforthilfe zu, in: Berliner Zeitung, 29.10.2001, S. 6. Quelle: antimilitarismus information (ami), Berlin, November 2001, S. 23-34
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