Gerhard Piper
1. Mögliche Bedrohung durch irakische Kurzstreckenraketen Ursprünglich verfügte der Irak über Scud-B-Raketen aus der Sowjetunion. Diese Waffensysteme konnten einen Gefechtskopf mit einem Gewicht von 985 kg 300 km weit befördern und dabei das Ziel auf 300 m genau treffen. (1) Nach Angaben der UNO-Kontrolleure hat der Irak in der Vergangenheit insgesamt 819 Scud-B-Raketen besessen, davon konnte in 817 der Verbleib des Flugkörpers geklärt werden: 516 Exemplare feuerte der Irak im ersten Golfkrieg gegen den Iran ab, 48 Raketen wurden von der UNSCOM selbst entdeckt und im Laufe der neunziger Jahre zerstört. Vermutlich besitzt der Irak heute keine funktionierende Scud mehr. Aber die irakischen Militäringenieure "verbesserten" den Flugkörper. Dabei wurde durch eine Reduktion der Gefechtskopflast die Reichweite gesteigert, weil dadurch Ziele in Israel erreichbar wurden. Entsprechend haben die Raketen vom Typ Al Hussein bei einem Sprengkopfgewicht von 500 kg eine Reichweite von 600 bis 650 km. (2) Die irakischen Raketentechniker experimentierten auch mit chemischen oder biologischen Sprengköpfen, sie konnten aber nicht das Problem lösen, wie der Kampfstoff (z. B. Anthrax, Sarin und möglicherweise auch VX, etc.) in der Endflugphase "optimal" zerstäubt werden könnte, vielmehr würde ein Teil der Giftladung bei der Explosion am Boden verbrennen. Nach unterschiedlichen Angaben produzierten die irakischen Rüstungstechniker 75 bis 80 Raketengefechtsköpfe mit biologischem oder chemischem Kampfstoff; davon konnte bei 25 biologischen Raketenspitzen (13 Botulin, 10 Milzbrand, 2 Aflatoxin) der Verbleib von der UNSCOM nicht geklärt werden. Außerdem fehlt der Nachweis für 30 konventionelle Sprengköpfe, die zwischenzeitlich möglicherweise mit Kampfstoff gefüllt wurden. (3) Da nie geklärt werden konnte, wieviele Al Hussein-Raketen der Irak einst produziert hatte, weiß man heute nicht, wieviele davon fehlen. Von der UNSCOM wurden 62 Exemplare gefunden und zerstört. John Pike von der Federation of American Scientists (FAS) in Washington taxiert die Zahl auf 6 bis 16 Stück; (4) Klaus Becher vom International Institute for Strategic Studies in London vermutet noch einen Restbestand von 12 Raketen. (5) Um ihren amerikanischen Bündnispartner in seiner Rechtfertigungskampagne für einen erneuten Irakkrieg propagandistisch zu unterstützen, präsentierte auch die britische Regierung ein neues Gutachten, allerdings ohne neue Fakten zu präsentieren. Darin geht die Londoner Regierung davon aus, daß noch 20 Al Hussein-Raketen existieren. (6) Wie viele der vorhandenen Raketen tatsächlich einsatzbereit sind, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist die Zahl der vermuteten Gefechtsköpfe größer, als die Zahl der dafür verfügbaren Trägerraketen. Für den Abschuß dieser Raketen gab es neben ortsfesten Rampen auch drei verschiedene Werferfahrzeuge: schwedische Al Waleed vom Hersteller Saab Scania, sowjetische MAZ-543P von der Minskiy Avtomobilniy Zavod und deutsche Al Nida der früheren Daimler Benz AG. Nach unterschiedlichen Angaben hat die UNSCOM 10 bis 15 dieser Lkws gefunden und zerstört, dennoch kann der Nachbau von einem Exemplar etwa durch Umrüstung vorhandener Panzertransportfahrzeuge natürlich nicht ausgeschlossen werden. Für einen Angriff auf Israel müßten die Raketen aufgrund ballistischer Gesetzmäßigkeiten in einem Gebiet westlich der Stadt Ar Rutbah beiderseits der Autobahn Amman-Bagdad der sogenannten "Scud Box" disloziert werden. (7) Bei dieser geringen Zahl von möglicherweise noch vorhandenen Raketen, ihrer geringen Treffgenauigkeit und den Milzbrandvarianten, die der Irak besitzt, kann nicht von einem militärisch nennenswerten Arsenal - gegen Israel - gesprochen werden. Im Golfkrieg 1991 feuerte der Irak 88 Raketen ab. Davon richteten sich 42 Stück (inklusive dreier Blindgänger, die schon kurz nach dem Start über Irak bzw. Jordanien abstürzten) gegen Israel, 46 Flugkörper schlugen in Saudi-Arabien ein. (8) Die auf Israel abgefeuerten Raketen hatten Gefechtsköpfe aus konventionellem Sprengstoff; manche enthielten nur "Luft", dienten somit der psychologischen Kriegsführung. Da die Raketen nur eine "Treffgenauigkeit" von 1,6 bis 3,2 km hatten, ließ sich mit konventionellen Gefechtsköpfen ohnehin kein Objekt gezielt zerstören. (9) Drei Raketen gehörten zur Spezialversion Al Hijara und hatten einen mit Beton gefüllten Gefechtskopf. Für Behauptungen, mit diesen Raketen wollten die Iraker die Schutzhülle des Atomreaktors in Dimona zertrümmern, gibt es keinerlei Beweise. (10) Zur Abwehr der Raketen wurden 158 Patriot abgefeuert, aber entgegen der damaligen Pentagon-Propaganda waren die Abwehrversuche kaum erfolgreich: Die irakischen Flugkörper wurden zwar oft getroffen und zerplatzten in der Luft, dennoch blieben die Sprengköpfe unzerstört. Ein fataler Fehler! "Raketenabwehr" meint natürlich nicht wörtlich die Abwehr von Raketen, sondern zielt allein auf die Zertrümmerung von deren Gefechtsköpfen, der Rest der Waffe besteht bloß aus der ausgebrannten Antriebsstufe. Aus der Bahn geworfen stürzten diese Raketenspitzen zusammen mit den Trümmern der Antriebsstufe auf die Erde, wo es zahlreiche Verletzte und Sachschäden gab. (11) Außerdem ging ein nicht unerheblicher Teil der Schäden darauf zurück, daß mehrere Patriot vom Kurs abkamen und ihre Gefechtsköpfe irgendwo in der Landschaft explodierten. Im Nachhinein wird angenommen, daß überhaupt nur 0 bis 10 Prozent der Abfangversuche erfolgreich verliefen. (12) Dennoch hielt sich die Zahl der Opfer entgegen allen Befürchtungen in Grenzen, da keine der irakischen Angriffsraketen mit einem ABC-Gefechtskopf bestückt war. So wurden nur zwei Israelis getötet; (13) in Saudi-Arabien starben beim einem Zufallstreffer in einem Militärdepot in Dahran am 25. Februar 1991 28 US-Soldaten. Anders als beim Golfkrieg 1991 dient Israel diesmal als Aufmarschraum für die US-Streitkräfte, die hier drei geheime Militärbasen mit eingelagertem Kriegsmaterial unterhalten und auf sechs Flugplätzen Depots mit "eingemotteten" Kampfjets unterhalten. (14) Sollte der Irak beim nächsten Krieg Israel tatsächlich mit Flugkörpern angreifen, deren Gefechtskopfspitzen biologische oder chemische Kampfstoffe enthalten, wäre eine mangelhafte "Raketenabwehr" wie beim letzten Golfkrieg fatal: Sollte eine irakische Rakete bei einem Abwehrversuch noch in der Luft zersprengt werden, ohne daß dabei der chemische Gefechtskopf zerstört wird, würde sich der Kampfstoff über ein größeres Gebiet verteilen, als es bei einem ungehinderten Aufschlag auf den Erdboden der Fall gewesen wäre. Dennoch wäre selbst ein solcher gescheiterter Abwehrversuch aus israelischer Sicht durchaus erfolgreich: Durch die Reichweite der PAC-2 würde der Abfangversuch wahrscheinlich über jordanischem Gebiet stattfinden, so daß "bloß" arabisches und nicht israelisches Gelände vergiftet würde. Für den Fall eines irakischen ABC-Angriffs drohte die israelische Regierung vorab mit einem Vergeltungsschlag. Dies erklärte Regierungschef General a. D. Ariel Sharon gegenüber dem amerikanischen Präsidenten am 9. Februar 2002. (15) Auch eine verschärfte Repression gegenüber den Palästinensern und eine Ausweisung von Präsident Jassir Arafat werden befürchtet. (16) Auf Grund der geringen Größe des Gefechtskopfes und ihrer hohen Endgeschwindigkeit ist die Abwehr von angreifenden Raketen extrem schwierig, so als wolle man mit einer Gewehrkugel eine andere Kugel im Flug treffen. Im Falle Israels kommt die geringe Vorwarnzeit noch erschwerend hinzu: Die Flugdauer einer Al Hussein-Rakete vom Irak bis Israel beträgt 7 Minuten, eine Scud-C braucht von Syrien bis Israel gerademal 3 Minuten. (17) Die eigene Luftverteidigung muß ständig gefechtsbereit sein, um in diesem Zeitraum den gegnerischen Raketenstart zu entdecken und die Bahn des Flugkörpers zu vermessen. Zur Sicherheit gegen einen technischen Blindgänger werden dann mindestens zwei eigene Abwehrraketen abgefeuert, von denen schließlich eine das Zielobjekt computergesteuert treffen und zerstören soll. Außerdem baut man nicht ein einzelnes, sondern mehrere überlappende Raketenabwehrsysteme auf, die unterschiedliche technische Leistungsparameter haben und sich ergänzen. Für die Soldaten bedeutet der Dienst Dauerstreß. Ein Feuerbefehl der politischen Führung kann angesichts der kurzen Zeit nicht extra eingeholt werden, vielmehr gibt es eine Prädelegation der Befehlsgewalt an den diensthabenden Offizier vor Ort. Der Übergang von Frieden zu Krieg vollzieht sich fast vollautomatisch.
Irakische Boden-Boden-Raketen:
Anmerkung: (*) Trotz seiner Entwaffnungauflagen erlaubt der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution Nr. 687 vom 25. Februar 1991 dem Irak ausdrücklich den Besitz von Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite bis 150 km. Die beiden Flugkörper Ababil-100 und Al Samoud werden in Ibn Al Haytham hergestellt. Sie basieren auf der Flugabwehrrakete Wolga (SAM-2 Guideline), werden jedoch in den oben genannten Ausführungen als Boden-Boden-Raketen eingesetzt. (**) Satellitenträgerrakete, ein gescheiterter Raketentest am 5.12.1989. 2. Defensive Raketenabwehrsysteme Israels Unzuverlässige Patriot Die ursprüngliche "MIM-104A Patriot" ist eine Flugabwehrrakete zur Bekämpfung gegnerischer Bomber und Jagdbomber. Auf deren Basis wurde schrittweise eine Raketenabwehrrakete entwickelt, die Patriot Advanced Capabilities (PAC). Erste Varianten sind die MIM-104B Patriot PAC-1 aus dem Jahre 1988, die MIM-104C Patriot PAC-2 von 1990 und die 1995 eingeführte MIM-104D Patriot PAC-2 GEM (Guidance Enhanced Missile) mit verbessertem Lenksystem. Die neueste Version MIM-104E Patriot PAC-3 befindet sich noch in der Erprobung. Die PAC-2 transportieren einen 91 kg schweren Splittergefechtskopf über eine Entfernung von maximal 160 km. Sie erreichen mit einer Geschwindigkeit von Mach 5 eine maximale Höhe von 24 km. Ein Battalion gliedert sich in der Regel in sechs Batterien mit jeweils acht Werfern a 4 Raketen. (18) Weil bei den Raketen nicht genannte Probleme auftraten, startete die US Army im März 2000 eine weltweite Rückrufaktion. (19) Zur Flugabwehr verfügen die israelische Luftverteidigung normalerweise über vier Batterien Patriot PAC-2 mit insgesamt 128 Raketen, von denen eine Einheit von der deutschen Bundesregierung zur Verfügung gestellt wurde. Die Einheiten sind in Arad, Eilat, Haifa und Tel Aviv stationiert. (20) Die Batterie in Arad ist u.a. für den Objektschutz des Atomreaktors in Dimona in der Negev-Wüste zuständig. Angesichts des drohenden Golfkrieges stellte Israel mit US-Hilfe im Sommer 2002 kurzfristig drei weitere Batterien mit PAC-2 oder PAC-2 GEM in Haifa, Gedera und Eilat auf. (21) Außerdem erhöhten die amerikanischen und israelischen Streitkräfte ihre Übungstätigkeit: Im Januar/Februar 2001 verlegte das 52nd Battalion der 69th Air Defense Artillery Brigade aus Ansbach (BRD) in die Negev-Wüste, um am jährlichen Manöver JUNIPER COBRA teilzunehmen. (22) Anfang diesen Jahres lieferten die USA Israel ein neues Frühwarnradar zur Erfassung von Raketenangriffen. (23) Das modernere System PAC-3 besteht aus folgenden Einzelelementen: Werferfahrzeugen M901, Radaranlagen AN/MPQ- 53, Flugkörperbahnverfolgungsanlagen AN/MSQ-104, Antennenträger, Stromerzeugungsaggregate etc. Während die Splittergefechtsköpfe der älteren Patriot-Versionen per Annährungszünder nur in der Nähe angreifender Raketen explodieren sollen, hat die Spitze der PAC-3 ein eingebautes Radargerät, um den gegnerischen Gefechtskopf zu rammen. Durch diesen "Hit to Kill" soll sichergestellt werden, daß nicht nur die gegnerische Rakete getroffen, sondern deren Sprengkopf garantiert zerstört wird. Dem Gefechtsstand des Battalion auf einem Lkw M900 unterstehen fünf Radaranlagen und ein Werferfahrzeug mit 16 Raketen. (24) Eine Vorserienproduktion der PAC-3 begann im Jahre 2000 mit kleineren Stückzahlen. Eigentlich sollte nun die Produktion im September 2002 voll anlaufen, aber es kommt zu Verzögerungen. Obwohl das ursprüngliche Testprogramm bereits im Mai 2002 abgeschlossen wurde, gilt die Waffentechnik als nicht ausgereift. (25) Nun soll die Systemsoftware verbessert und die Erprobungsphase erneut aufgenommen werden. (26) Obwohl die Anti-Raketen-Rakete Patriot in den letzten zehn Jahren dreimal wesentlich verbessert wurde, ist die Patriot PAC-3 heute offensichtlich noch genauso unzuverlässig wie die PAC-1 im Golfkrieg 1991. Dennoch wurden wegen des bevorstehenden Irakkrieges die ersten 36 PAC-3-Raketen im August 2002 an zwei Batterien der US Army ausgeliefert. Zusätzlich könnte die 6. US-Flotte im Mittelmeer durch Verlegung von Zerstörern der Arleigh Burke-Klasse in israelische Gewässer im Kriegsfall die regionale Raketenabwehr kurzfristig verstärken. Dazu sind die Schiffe mit dem AEGIS-Radarsystem und Abfangflugkörpern Standard Missile SM-3 ausgerüstet. (27)
Der jüdische Schutzwall Homa Die Entwicklung des wichtigsten israelischen Raketenabwehrprojektes, Homa (dt. Mauer), begann im Jahre 1987. Das System besteht aus mehreren Einzelkomponenten: Frühwarn- Radaranlagen Green Pine, Feuerleit-Radarstationen Citron Tree, Abschußkontrollzentren Hazelnut Tree und Raketenabwehrraketen Chez (engl. Arrow): Die Phased Array- Radaranlagen vom Typ EL/M-2080 Green Pine haben eine Erfassungsreichweite von 500 km und sollen angeblich echte Raketengefechtsköpfe von Sprengkopfattrappen unterscheiden können. Bis zu 14 verschiedene Ziele können gleichzeitig verfolgt werden. Die Entwicklung der zweistufigen Abwehrrakete Arrow-1 begann im Juli 1988. Sie wurde erstmals am 12. Juni 1994 erfolgreich über dem Mittelmeer getestet. Die Rakete ging jedoch nicht in Serienproduktion, stattdessen wurde sie zur Arrow-2 fortentwickelt. Die zweistufige Arrow- 2 erreicht eine Geschwindigkeit von 2,5 km pro Sekunde (Mach 9) und kann angreifende Raketen schon in einer Entfernung von 100 km und einer Höhe von maximal 75 km abschießen. (28) Dazu muß der Splittergefechtskopf im Umkreis von 50 m um das Zielobjekt explodieren. Bei mehreren Tests schossen Arrow-2-Raketen Zielflugkörper ab, die angreifende Scud-B simulierten. Als Zielobjekte dienten Raketen der Typen Hera, TM-91 und Black Sparrow. (29) Die Kosten des Homa-Projektes belaufen sich mittlerweile auf 2,2 Milliarden Dollar, von denen rund 60 Prozent die USA bezahlen. (30) Fünf Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan hinterher hinkend wurde die Arrow-2 am 14. März 2000 von den israelischen Streitkräften für einsatzbereit erklärt. Im Oktober desgleichen Jahres stellten sie die erste Raketenabwehr-Batterie auf dem Fliegerhorst Palmachim bei Tel Aviv in Dienst, eine weitere Batterie wird gegenwärtig in Hadera aufgebaut. (31) Eine dritte Einheit soll spätestens bis 2005 aufgestellt werden. Allein in diesem Jahr wird die US-Regierung für Israels Raketenabwehrprojekt Finanzhilfen in Höhe von mindestens 460 Millionen Dollar leisten. (32) Jede Batterie besteht aus vier Werferfahrzeuge mit jeweils 6 Raketen. (33) Gegenwärtig sind also erst 24 der geplanten 72 Raketen feuerbereit. Demgegenüber verlautete, daß die USA und Israel darin übereinkamen, innerhalb der nächsten fünf Jahre in den USA 200 Arrow- 2 zu produzieren. (34) Über eine spezielle Funkbrücke ALUC (Arrow/Link 16 Upgrade Capability) ist das Arrow-System mit den Patriot-Stellungen verbunden, so daß die Daten der Radaranlagen untereinander ausgetauscht werden können. (35) Mit diesem Abwehrschirm ließe sich dann das gesamte Staatsgebiet Israels geographisch abdecken und damit quasi eine Rundumverteidigung ermöglichen. In der Praxis jedoch kann kein Raketenabwehrschirm Israel bei einem Angriff von allen Seiten schützen, da die Zahl der libanesischen, syrischen, jordanischen, saudischen oder ägyptischen Boden- Boden-Raketen die Zahl der israelischen Anti-Raketen- Raketen um ein Vielfaches übertreffen würde. Einerseits ist die Notwendigkeit eines Anti-Raketen-Schutzschirms innerhalb der israelischen Bevölkerung unstrittig, aber wegen des Elektrosmogs möchte niemand, daß eine solche Radar- und Raketenstellung ausgerechnet an seinem Wohnort aufgestellt wird. (36) Schon als das System im Jahre 2000 erstmals installiert wurde, begann ein Programm zur Waffenmodernisierung: Arrow System Improvement Program (ASIP). Durch Verbesserung bei der Computersoftware soll die Gefechtskopferfassung verbessert und der Bekämpfungsradius erhöht werden, um zukünftig die iranischen Flugkörper Shahab-3/4 abschießen zu können. So wird das Homa-System erst im Jahre 2010 technisch ausgereift und damit voll einsatzbereit sein. (37) Um Kosten zu senken, plant die Regierung in Tel Aviv, die Arrow- 2-Raketen in die Türkei, nach Indien und Japan zu exportieren. Weil die Raketen mit amerikanischer Militärhilfe entwickelt wurden und ein Teil der Bauteile zukünftig bei der Boeing Company hergestellt werden, müßte die US-Administration in Washington dem Geschäft zustimmen. Dies ist aber fraglich, weil die Amerikaner damit gegen das Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Raketentechnologie (Missile Technology Control Regime MTCR) von 1987 verstoßen würden. (38) So liefert Israel ersteinmal nur zwei Radaranlagen Green Pine an Indien.
Die beiden Barak-Systeme gegen Cruise Missiles Das Air Defense Anti-Missile System (ADAMS) Barak ist eigentlich eine Flugabwehrrakete, die auch zur Bekämpfung relativ langsam und niedrig fliegender Marschflugkörper eingesetzt werden kann. Das Waffensystem wurde seit 1983 von der Rafael Armament Development Authority in Haifa entwickelt. (39) Der erste Test der Barak-1 fand 1989 statt und seit 1994 sind mit dem Waffensystem die mindestens sieben Patrouillenboote der Saar-4.5-Klasse ausgerüstet. Jedes Schiff hat vermutlich 32 Startrohre. (40) Eine verbesserte Version Barak-2 ist für die geplanten Korvetten der Saar 5+-Klasse ist im Gespräch. (41) Ursprünglich für die Ausrüstung von Schiffen gedacht, wird seit 1991 auch eine landgestützte Variante für den Einsatz auf mobilen Werferfahrzeugen entwickelt. (42)
Unbemannte Flugzeuge gegen unbemannte Raketen Schnelle Raketen können nicht nur mit gleichschnellen Abwehrraketen, sondern auch mit langsam fliegenden Drohnen bekämpft werden. Ein erster Plan für eine Raketenabwehr- Drohne war das Israeli Boost-Phase Intercept System (IBIS). Dieses System sah vor, die Drohne HA-10 mit einer Anti-Raketen-Rakete vom Typ Missile Optimised Anti-Ballistic (MOAB) auszurüsten, die eine gegnerische Rakete in den ersten neunzig Sekunden nach dem Start zerstören sollte. Dazu sollte ein Infrarot-Sensor den Raketen-Antriebsstrahl erfassen, während mit Hilfe eines Laserentfernungsmesser der Flugkörper angepeilt wurde. Die Erfassungsreichweite sollte 200 km übersteigen. (43) MOAB sollte auf Basis der Luft-Luft-Rakete Phyton-4 entwickelt werden. Allerdings kritisierte die amerikanische Ballistic Missile Defense Organization, die Nutzlast der HA-10 sei zu gering, stattdessen solle man die US-Drohne Global Hawk als Trägersystem verwenden. (44) Nach mehreren Testflügen und 40 Millionen Dollar Entwicklungskosten wurde das Projekt im Juli 2000 eingestellt. (45) Im Mai 2001 wurde ein Nachfolgeprojekt vorgestellt: Boost-Phase Launcher Intercept (BPLI). Dieses System beruht auf der Aufklärungsdrohne Heron-2, die für mittlere Höhen mit einer Flugdauer von über 50 Stunden ausgelegt wird. Zur Raketenabwehr soll die Drohne neben der Heron-2 ist auch noch die größere Heron-TP im Gespräch - als Waffenträger für bis zu 10 Luft-Boden-Raketen dienen. Das Konzept sieht nicht die direkte Bekämpfung angreifender Raketen vor, vielmehr sollen deren Werferfahrzeuge innerhalb von fünf Minuten nach dem ersten Raketenstart zerstört werden. (46) Weil diese nachladbar seinen, wäre die Vernichtung eines Werfers gleichbedeutend mit der Zerstörung von mehreren Raketen. Wenn allerdings der Werfer bereits vor dem Abschuß der ersten Rakete attackiert werden würde, wäre dies ein Präventivschlag. Eine solche Handlungsweise wäre zwar international umstritten, aber darüber würde sich die israelische Regierung hinwegsetzen. Gerade diese Fähigkeit macht das Projekt auch für entsprechende amerikanische Überlegungen interessant. (47) Das System wird wohl erst im Jahre 2006 einsatzbereit sein. Die geschätzten Entwicklungskosten belaufen sich auf 400 Millionen Dollar. (48)
Zwei Laserkanonen (M)THEL Seit Jahren beschießt die libanesische Hisbollah den Norden Israels immer wieder mit 122 mm Katjuscha-Artillerieraketen. Diese ungelenkten Flugkörper haben eine Reichweite von rund 15 km; eine verbesserte Version aus dem Iran soll angeblich sogar über eine Entfernung von maximal 100 km einsetzbar sein. Ein einziges Werferfahrzeug vom Typ BM-21 kann eine Salve aus 40 Raketen abfeuern; normalerweise sind in einer Werfer-Batterie sechs dieser sogenannten "Stalinorgeln" zusammengefaßt. Bei einer Geschwindigkeit von 3 Mach beträgt die Flugzeit rund 40 Sekunden, während der die "anfliegende" Rakete abgeschossen werden kann. (49) Dazu wurde im Rahmen des Projektes NAUTILUS die Laserabwehrkanone Tactical High-Energy Laser (THEL) entwickelt. Es handelt sich um einen hochenergetischen Wasserstoff-Fluorid- Laser. Wenn das THEL-Radarsystem die anfliegende Rakete geortet hat, richtet der Steuerungscomputer die Laserkanone mittels eines Pointer Tracker Subsystems (PTS) auf das Ziel aus und feuert einen Lichtstrahl ab, der den Flugkörper innerhalb von drei Sekunden zur Explosion bringen soll. (50) Die Reichweite der Strahlenkanone ist auf rund 10 km begrenzt, (51) dennoch erfordert es enorme Präzision, auf diese Distanz eine 12 cm dünne Rakete zu treffen. Das Projekt begann im Jahre 1996. Der einzige Prototyp THEL/ACTD (THEL Advanced Concept Technology Demonstrator) befindet sich auf dem amerikanischen Erprobungsgelände White Sands. Hier konnte die Laserkanone über zwanzig Mal anfliegende Katjuscha-Raketen abschießen, der erste erfolgreiche Versuch erfolgte am 6. Juni 2000. Die Entwicklung der Laserkanone kostete über 250 Millionen Dollar, davon wurden zwei Drittel von der US-Regierung aufgebracht. Für den ursprünglich genannten Zweck, der Abwehr von Katjuscha-Raketen ist das System jedoch ungeeignet und zu teuer: Um die israelisch-libanesische Grenze auf ganzer Länge abdecken zu können, müßten mehrere Laserkanonen installiert werden. Die Rede ist von mindestens drei Batterien. Auf der anderen Seite hat die Hisbollah rund 20 Werferfahrzeuge BM-21, das syrische Heer besitzt weitere 250 Exemplare. Die Hisbollah hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, daß sie bis zu 100 Raketen hintereinander abfeuern. Der letzte Angriff erfolgte im März 2002. Eine solches Flächenbombardement überfordert die THEL-Abwehrkapazitäten. (52) Um das Projekt im abgewandelter Form doch noch zu retten, erwägt die israelische Regierung lediglich die Einführung einer kleineren Version Mobile THEL (MTHEL). Ein erster Prototyp wird voraussichtlich bis zum Jahre 2008 fertiggestellt. Das System kann auf drei Lkws für das Radar, den Laser und die Energieversorgung installiert werden. Sollte bei einem Raketenangriff alle Abwehrversuche durch das Homa-System scheitern, könnte die Laserkanone auf Grund ihrer geringen Reaktionszeit als Back-up-System einen letzten Abfangversuch starten. Die US Army entwickelt parallel zur THEL ein eigenes System für den Einsatz auf Hubschraubern etc, den Advanced Tactical Laser.
Frühwarnsatelliten Zur Frühwarnung vor einem Raketenangriff haben die israelischen Streitkräfte zusätzlich zu den Radaranlagen der Patriot- und Arrow-Systeme eine weitreichende Boden-Radarstation installiert, die seit 1998 von der Luftwaffe entwickelt wurde. (53) Mit dem israelischen Aufklärungssatelliten IAI Ofeq-5, der zusätzlich mit einem Sensor zur Entdeckung von Raketenstarts ausgestattet ist, haben die israelischen Streitkräften erstmals ein weltraumgestütztes System zur Frühwarnung. Der Raumflugkörper wurde am 28. Mai 2002 von der Luftwaffenbasis Palmachim ins All geschossen. Eine Bodenstation zum Empfang der Satellitendaten befindet sich in Yehud. (54) Die hier an den Computerbildschirmen arbeitenden Soldaten sind die ersten, die von einem irakischen Raketenangriff erfahren. Sie geben die Information an die nationalen Kommandobehörden und die Raketenabwehreinheiten weiter, können dem weiteren Geschehen aber nur ohnmächtig an ihren Konsolen zuschauen. Das Zivilverteidiungskommando der israelischen Streitkräfte wird daraufhin den Raketenalarm "HOMAT BARZEL" ("Eiserne Wand") auslösen, um die Bevölkerung zu warnen. (55) Bisher waren die israelischen Militärs allein auf die Unterstützung durch die US-Regierung angewiesen. Dazu wurde im Jahre 1997 ein bilaterales Abkommen abgeschlossen, daß den Israelis den direkten Zugang zu den amerikanischen Frühwarnsatelliten des Defense Support Program (DSP) und zum Heritage-Systems des National Reconnaissance Office erlaubt. Im Falle eines feindlichen Raketenangriffs durch den Irak oder Iran bleibt den israelischen Streitkräften heute eine Frühwarnzeit von fünf bis sieben Minuten. (56)
Raketentechnische Staatssicherheit Bei Gründung des Staates Israels reichte zum Schutz der Nation noch die Parole: "Jeder Israeli ist ein Soldat!" In den sechziger Jahren mußte man seine Sicherheit schon einem Arsenal von Atomwaffen anvertrauen. (57) Heute scheint dies zur Abschreckung nicht mehr ausreichend zu sein, da verschiedene arabische bzw. moslemische Staaten in den letzten Jahren ihr Arsenal an Massenvernichtungswaffen ausbauen konnten. (58) Zusätzlich zu seinen Kernwaffen braucht Israel nun auch noch einen Raketenabwehrschirm. Wer seit 1918 mit seinen Nachbarn ständig bewaffnete Streitigkeiten austrägt, weil er mit diesen nicht in Frieden leben kann oder will, der muß sich auf seine politischen Bündnispartner oder die technische Überlegenheit seines militärischen Arsenals verlassen. Zur Zeit fühlt sich die israelische Regierung unter ihrer Glocke aus Atom- und Anti-Raketen- Raketen noch sicher und traut sich sogar, die US-Aggression gegen den Irak zu unterstützen. Es ist aber riskant, das Überleben des eigenen Volkes allein der technischen Perfektion von HighTech-Waffen anzuvertrauen. Im Hochgeschwindigkeitskrieg, Rakete gegen Rakete, entscheiden Sekundenbruchteile, da könnte der kleinste technische Patzer zu einem Massaker führen. (59) Wo früher die Köpfe von Staatsmännern über Krieg und Frieden entschieden, haben heute Elektronengehirne diese Funktion übernommen. In den USA führte dieser Umstand in den sechziger Jahren dazu, daß im Kongreß darüber diskutiert wurde, ob der Aufbau eines Raketenabwehrsystem mit der demokratischen Verfassung vereinbar sei. Jedenfalls gibt es keine technologischen Lösungen für Probleme, die nur politisch bewältigt werden können. Wenn bei einem Flugkörperangriff mit Massenvernichtungsmitteln die gestaffelten Raketenabwehrsysteme komplett versagen, kann nur der Zivilschutz das Ausmaß der Katastrophe begrenzen. Die israelische Zivilschutzvorsorge fällt analog zur ethnisch-religiösen Volkszugehörigkeit unterschiedlich aus. Zwar leben 2,1 Millionen Israelis in der Nähe von öffentlichen Zivilschutzbunkern und 1,8 Millionen jüdische Haushalte sind mit einem privaten Schutzraum ausgestattet, aber für zwei Millionen Bürger fehlt ein entsprechender Schutz. Betroffen sind vor allem die Siedlungsgebiete der nicht-jüdischen Bevölkerung: christliche Drusen und moslemische Araber. Auch bei den ABC-Schutzmasken wurde ein Defizit von 600.000 offiziell konstatiert. (60) Also ist Israel trotz seiner jahrelangen Kriegserfahrungen auf einen solchen Ernstfall schlecht vorbereitet. Wer daher nicht ausschließlich auf die defensive Bekämpfung angreifender Raketen durch Abwehrflugkörper vertrauen will, dem bleibt nur noch die Möglichkeit einer offensiven Zerstörung der gegnerischen Flugkörper im Rahmen von Präventivschlägen, solange diese Raketen in ihren unterirdischen Bunkergaragen abgestellt sind. US-Vizepräsident Dick Cheney schlug in einer Rede vor den amerikanischen Kriegsveteranen am 26. August 2002 vor, die USA sollten zur Durchsetzung ihrer Sicherheitsinteressen solche offensiven Präventivschläge durchführen. (61) Im Pentagon laufen entsprechende Militärplanungen unter dem Arbeitstitel "Operation POLO STEP". (62) Dazu könnten Mini-Atombomben eingesetzt oder verschiedene Maßnahmen der sogenannten Conventional Counter Force (CCF) angewendet werden: chemische Bunkerknackerbomben, die im Rahmen des "Vulcan Fire"-Programms derzeit entwickelt werden, (63) panzerbrechende Streubomben BAT (Brilliant Anti-armor) oder der Einsatz von Sondereinheiten. (64) Obwohl Generalmajor Aharon Zeevi, Chef des israelischen Militärgeheimdienstes Agaf ha-Modiin (Aman), am 5. Oktober 2002 erklärte, im Westen des Iraks befände sich keine einzige Rakete, die gegen Israel gerichtet werden könnte, (65) ist - nach Presseberichten das israelische Spezialkommando Sayeret Matkal in den Westirak bereits eingedrungen, um dort vermutete Raketenwerfer zu lokalisieren. (66) Ähnliche Einsätze endeten im Golfkrieg 1991 genauso erfolglos, wie die damaligen Abfangversuche mit den Patriot-Raketen. Zwar verkündete General Schwarzkopf am 18. Januar 1991, er habe am selben Tag gleich elf Werferfahrzeuge auf einen Streich erledigt, (67) aber im Nachhinein stellte sich heraus, daß die US-Kriegsallianz im Verlauf des Krieges kein einziges Werferfahrzeug zerstören konnte. Getroffen worden waren vielmehr Tankwagen, Lkws oder irakische Attrappen. Selbst wenn der Irak tatsächlich keine Massenvernichtungswaffen gegen Israel einsetzen sollte, sei es, daß er kein militärisch nennenswertes Arsenal hat oder weil es angeblich einen bilateralen Nichtangriffspakt gibt, (68) wäre damit die nationale Sicherheitsfrage des Staates Israel keineswegs gelöst. Nachdem die Israelis zuerst Raketen mit ABC-Sprengköpfen angehäuft hatten, folgten arabische Staaten diesem zweifelhaften Vorbild. Im Lauf der Jahre hat die israelische Militärpolitik selbst dazu beigetragen, daß eine Verteidigung Israels waffentechnisch kaum noch möglich ist. Die Zeit, als es ausreichte, wenn jeder Israeli ein Soldat war, ist unwiederbringlich vorbei.
Israels Raketenabwehrprojekte:
Gerhard Piper ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
Fussnoten: (1) Vgl. ami 1/2002, S. 29.
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