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Neue Uni-Zeitung
Oktober 2001 |
Kann der Terror unsere Gesellschaft verändern?
Interview mit Otfried Nassauer
Was läßt sich bisher zur den Motivationen und Ursachen der Terroristen bzw. der
Terroranschläge sagen?
Über die Motivation noch recht wenig, da wir nur einige Tatbeteiligte,
nicht aber die wirklichen Täter kennen. Die These, aller radikal-islamistische Terror
gehe von Al Qaida und Osama bin Laden aus ist genauso voreilig wie gefährlich. Bin Laden
ist vor allem das symbolische Ziel Washingtons und vielleicht auch das reale. Es
gibt aber auch andere radikal-islamistische Netze, die solche Anschläge verüben können;
es gibt radikal-islamistische Netzwerke, die mit alten und neuen Nazis zusammenarbeiten
und es gibt nicht-islamische Terrornetzwerke, die ebenfalls in der Lage wären, so ein
Verbrechen zu begehen. Über die Ursachen läßt sich etwas mehr sagen. Sie sind so
vielfältig wie die Ursachen von Kriegen: religiöse, kulturelle, wirtschaftliche,
politische und psychologische Faktoren können eine Rolle spielen. Radikal-islamistischer
Terror fußt unter anderem auf der Vorstellung, weitere islamische
Gottesstaaten entstehen zu lassen.
Welche Rolle spielt die Symbolik der Ziele, also des WTC und des
Pentagon, in unserem Zeitalter der Bildersprache und der Medienkommunikation? Ersetzt
diese Symbolik ein Bekennerschreiben?
Da muß man zumindest die Täter und uns unterscheiden. Da wir die
wirklichen Täter nicht kennen, ist das schwer zu sagen. Als Symbole würden sie taugen,
wenn die Täter entweder anti-amerikanische, anti-kapitalistische und/oder anti-staatliche
Ziele verfolgten und aus unserem Kulturkreis kämen. Sie würden ebenso für jeden taugen,
der unseren industriegesellschaftlichen Selbstbildern einen Spiegel vorhalten wollte.
Diejenigen, die das tun, könnten auch aus anderen Kulturen kommen, müßten dann aber
sich etwas bei uns abgeschaut haben: Kommunikation über Bande praktizieren, also in
Billiardkategorien denken.
Was läßt sich über die Entwicklung und die Veränderung der
Qualität von Terrorakten sagen, ausgehend zum Beispiel vom deutschen Terror
in den siebziger Jahren? Welche Rolle spielen die Faktoren der weltweiten Vernetzung, der
erweiterten Aktions- und Kommunikationsmöglichkeiten im Rahmen der Globalisierung für
Terrornetzwerke? Wendet sich hier die Technik der kapitalistischen Wirtschaftsordnung
gegen sich selbst?
Zu beobachten ist eine viel stärkere internationale Vernetzung und
Zusammenarbeit auch über politische und kulturelle Grenzen hinweg. Zu beobachten
ist zudem, daß die finanzielle und logistische Unterstützung unter anderem durch legale
und illegale Stichwort Organisierte Kriminalität Teilnahme
terroristischer Gruppen an der Weltwirtschaft organisiert wird. Hinzu kommt: Terroristen
nutzen natürlich modernste Technik für sich aus; gleich welcher Art das wird auch
dadurch erleichtert, daß HiTech heute oft zunächst auf dem zivilen Markt entwickelt und
verfügbar wird. Und soweit die Terrorgruppen aus früher vom Westen unterstützten
und ausgebildeten anti-sozialistischen Befreiungsbewegungen hervorgegangen sind: Die haben
gut aufgepaßt und viel gelernt. Außerdem gibt es immer mehr zerfallende, schwache
Staaten als Ergebnis der Globalisierung aus denen heraus Terroristen relativ
frei agieren können. Während des Kalten Krieges gab es die nicht.
Mit welchen innenpolitischen Folgen haben deutsche und vor allem
ausländische Bürger zu rechnen?
Da ist mit einer ähnlichen Situation zu rechnen wie im Deutschen
Herbst in den siebziger Jahren: Es hat und wird viele Fahndungsmaßnahmen geben, die über
das Ziel hinausschießen und demokratische Freiheitsrechte verletzen unabhängig
davon, wie zweifelhaft die dadurch erzielte Verbesserung der Fahndungsaussichten ist. Und
natürlich wird auch dabei modernste Technik zum Einsatz kommen. Solche Überreaktionen
werden eher ausländische Mitbürger als Deutsche treffen und angesichts des
Ausmaßes des Terrors in New York auf mehr Verständnis in der deutschen Öffentlichkeit
stoßen. Gefährlich wird das, wo die wehrhafte Demokratie ihre Wehrhaftigkeit nicht mehr
durch die Garantie von Demokratie und individueller Freiheit unter Beweis stellt, sondern
durch pure Demonstration ihrer polizeilichen und militärischen Wehrhaftigkeit. DA ist
demokratische Zivilcourage gefordert, von jedem von uns. Wie sagte der SPD-Fraktionsvize
Gernot Erler so schön: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht plötzlich eine andere
Republik haben.
Inwieweit trägt eine unzureichende Integration bzw. eine
Ausgrenzung von Ausländern in den westlichen Gesellschaften (Deutschland und Europa) zur
Schaffung gewaltbereiter, islamistischer Milieus bei?
Ausgrenzung existiert, Integration wird oft zur Forderung nach
Assimilierung. Und schon hat es nichts mehr mit einem echten Integrationsangebot, sondern
vor allem etwas mit einer paternalistischen Aufforderung zur Anpassung an unsere
überlegene westliche Zivilisation zu tun. Beide Formen fördern
Selbstisolation und den Rückzug auf das Gewinnen von Selbstwertgefühl primär in der
eigenen Gruppe und Kultur. Das ist ein guter Nährboden für falschen Radikalismus, also
Extremismus. Der latente bis offen extremistische Fremdenhaß in Deutschland tut ein
Übriges. Nicht vergessen darf man aber auch, daß es in unseren westlichen und grade in
der deutschen Gesellschaft viel zu wenig Kenntnisse über den Islam, islamische
Staaten oder auch andere Kulturen und Religionen gibt. Wir haben einen gnadenlosen
Nachholbedarf im Blick auf die Ausbildung von Regionalwissenschaftlern,
Kulturwissenschaftlern und Islam- und Religionswissenschaftlern. Das Defizit ist schon
lange so eklatant, daß es uns ernste Gefahren, auch terroristische verkennen läßt. Wir
schmoren im vollen Gefühl zivilisatorischer Überlegenheit in unserem
christlich-abendländischen Saft und kapieren ironischerweise nicht einmal, daß es
auch hochgefährliche christliche Fundamentalisten gibt.
Was schätzen Sie als wichtiger ein: innere Sicherheit oder
persönliche Freiheit?
Die Frage ist falsch gestellt. Die Alternative lautet nicht
Innere Sicherheit oder persönliche Freiheit. Es geht um Innere
Sicherheit und/oder Demokratie. Demokratie setzt persönliche Freiheit ebenso
voraus, wie sie sie ermöglicht und sichert. Eine wehrhafte Demokratie bleibt Demokratie
mit persönlicher Freiheit, gerade wenn sie zum Beispiel durch Terror bedroht wird.
Einschränkungen der persönlichen Freiheit und der demokratischen Partizipation lassen
die Demokratie zu Demokratur oder gar zur obrigkeitlichen Rechtsstaat werden und zeigen,
daß die Demokratie schwach geworden ist. Je mehr Law and Order-Reaktionen,
desto größer die Gefahr, daß die Aktionen staatlicher Organe strukturell denen des
Terrors immer ähnlicher werden.
Die USA haben am 7.Oktober mit ihrer militärischen Antwort gegen
Afghanistan begonnen kann man Terror militärisch ausrotten?
Mit Sicherheit nicht eine Terrorismusgefahr wird es weiter
geben. Im günstigsten Fall kann es gelingen, eine oder mehrere Terrororganisationen so
entscheidend zu schwächen, daß sie für einige Jahre nicht mehr handlungsfähig sind.
Aber dafür sind bereits die polizeilichen Maßnahmen und jene gegen die wirtschaftlichen
Möglichkeiten der Terroristen wichtiger als die militärischen.
Wo liegen die weltweiten Gefahrenpotentiale des amerikanischen
Feldzugs gegen den Terror, etwa was die Solidaritätsfrage der arabisch-islamischen Welt
betrifft?
Je nachdem, wie die USA letztlich reagieren in Afghanistan oder
anderswo - können diese Gefahren die durch den Terrorismus übersteigen. Zugleich gibt es
mehr Gefahren, als ich hier aufzählen kann. Also beenden Sie das Interview bitte einfach,
wenn der Platz nicht reichen sollte: Die USA versuchen, durch Militärschläge und
humanitäre Hilfe zu zeigen, daß sie nicht gegen den Islam, sondern gegen den Terrorismus
kämpfen. Bin Laden ruft den Heiligen Krieg aus und zielt darauf, daß die islamische Welt
sich geschlossen gegen die USA wehrt. Die militärische Reaktion der USA und ihrer
Verbündeten wird den nächsten Schritt der Terroristen mit beeinflussen also:
Zeigen die Terroristen Washington, daß die USA weiterhin verletzlich sind? Oder zielen
sie auf eine Destabilisierung der Weltwirtschaft? Schlagen sie gegen die Verbündeten der
USA los? Oder speziell gegen die islamischen oder arabischen Regierungen, die wir für
moderat erklären und die jetzt begrenzt die USA unterstützen? Gegen die
Nachbarstaaten Afghanistans am Golf, in Afrika, Asien oder im Nahen Osten? Agieren die
Terroristen und die Taliban arbeitsteilig an verschiedenen Orten? Mit dem Ziel,
daß weitere Gottesstaaten entstehen? Jedes Mal ergeben sich andere Gefahren. Und dann die
erneute Reaktion des Westens wer hier nach dem Motto Rache und Vergeltung verfährt
und keine ausreichende Selbstbeschränkung praktiziert, der läuft letztlich Gefahr einen
Weltkrieg auszulösen und ein Krieg der größere Teile Asiens erfassen würde,
wäre ein solcher. Und schließlich: Können sie sich vorstellen, was es heißt, Politik
fünf oder zehn Jahre unter dem Vorzeichen der Terrorismusbekämpfung zu betreiben? Jede
politische Diskussion unter diesem Vorzeichen zu führen? Was hätte das für Folgen für
die Innenpolitik, für die Wirtschaftspolitik, für die Finanzpolitik?
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