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9. November 2001 |
Eine höchst delikate Angelegenheit
Kurzanalyse zum "Antrag der Bundesregierung auf Einsatz
bewaffneter deutscher Streitkräfte vom 7. November 2001"
Von Otfried Nassauer
Mit ihrem "Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte
vom 7. November 2001" fordert die deutsche Regierung den Bundestag auf, den Weg für
einen Einsatz deutscher Streitkräfte zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
freizumachen. Dies soll voraussichtlich durch einen Bundestagsbeschluß in der kommenden
Woche geschehen. Für die Annahme des Antrages reicht nach Rechtsauffassung der
Bundesregierung und bisheriger Praxis die einfache Mehrheit der anwesenden Abgeordneten
(zum Vergleich: Die Ausrufung des Verteidigungsfalles erfordert eine Zweidrittelmehrheit).
Der Einsatz deutscher Streitkräfte zur Terrorismusbekämpfung ist in
der Öffentlichkeit und in den Medien heftig umstritten. Auch im Bundestag regen sich
Zweifel an der Richtigkeit eines solchen Beschlusses. Es kann an dieser Stelle
dahingestellt bleiben, ob der internationale Terrorismus überhaupt erfolgversprechend und
wirksam mit militärischen Mitteln bekämpft werden kann. Es soll ebenfalls dahingestellt
bleiben, ob die gegen Osama bin Laden und seine Organisation Al Quaida zusammengetragenen
Beweise für eine gerichtliche Verurteilung in einem Verfahren nach rechtsstaatlichen
Kriterien hinreichend wären, um einen Schuldspruch zu erwirken. Und schließlich kann
hier offengelassen werden, ob es klug ist, die Bekämpfung des Terrorismus als Krieg zu
bezeichnen, weil dies den Terroristen einen aufgewerteten Status verleiht, der ihnen als
Schwerstkriminellen gar nicht zukommen sollte. Man muß es, wenn man beabsichtigt, sich
auf das individuelle und kollektive Recht zur Selbstverteidigung aus der UNO-Charta zu
berufen. Ziel dieser Kurzanalyse ist es, den Antragstext der Bundesregierung auf
"Risiken und Nebenwirkungen" abzuklopfen und somit der Öffentlichkeit eine
informiertere Meinungsbildung zu ermöglichen. In stichwortartiger Kürze deshalb die
wesentlichen Merkpunkte:
1. Die Ermächtigung
Der Antrag ermächtigt den Bundesminister der Verteidigung, d.h. die
Exekutive, für 12 Monate bis zu rund 3.900 Bundeswehrsoldaten jederzeit in einem
geographisch umrissenen Gebiet (s.u.) einzusetzen. Die Truppen werden bereitgestellt.
Ihren Einsatz kann die Bundesregierung im nächsten Jahr anordnen ohne erneut das
Parlament zu befassen. Dies deckt die Zeit bis nach der nächsten Bundestagswahl ab, gilt
also auch für jede neue Bundesregierung in deren ersten Amtswochen. Es handelt sich um
einen Vorratsbeschluß, ein Vorgehen, das nach den Erfahrungen mit dem Kosovo-Beschluß
aus dem Oktober 1998 - so die verbreitete Auffassung - nicht wieder vorkommen sollte.
Damit scheint ein grundsätzliches Problem auf. Die Machtverteilung in unserer Demokratie,
die auf Gewaltenteilung fußt, soll sich für ein Jahr in einem entscheidenden Punkt
ändern. Das Parlament ist aufgefordert, einen Teil seiner bislang vorhandenen Rechte an
die Exekutive abzutreten. Es bleibt abzuwarten, wie es sich entscheidet. Bereits mehrfach
wurde die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichtes, die rechtlichen Grundlagen für
Bundeswehreinsätze außerhalb der NATO und die jeweilige Zuständigkeit der
Verfassungsorgane gesetzlich eindeutig zu regeln vertagt -jeweils auf die Zeit nach dem
nächsten Einsatz der Bundeswehr.
2. Der Einsatzraum
"Das Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Artikel 6 des
NATO-Vertrages (d.h. das Territorium aller 19 NATO-Staaten, das Mittelmeer sowie der
Atlantik nördlich des südlichen Wendekreises des Krebses - ON), die arabische Halbinsel,
Mittel- und Zentralasien und Nordostafrika sowie die angrenzenden Seegebiete." Die
Formulierung macht deutlich, dass das Einsatzgebiet durch den NATO-Vertrag nicht
vollständig abgedeckt ist. Sie erlaubt erstmals einen Kriegseinsatz der Bundeswehr
außerhalb Europas und verdeutlicht damit, dass die Zeiten, in denen deutsche Politiker
nicht müde wurden, Deutschland als Regionalmacht ohne globale militärische Rolle zu
beschreiben, beendet sind. Zudem wird eine hohe geographische Flexibilität zur
Unterstützung von Einsätzen zur Terrorismusbekämpfung in vielen Ländern geschaffen.
Die gewählten geographischen Begriffe zur Umschreibung des
Einsatzraumes sind ungewöhnlich. Benutzt wird teilweise nicht die in den vergangen
Jahrzehnten gebräuchliche Terminologie (z.B. Naher- und Mittlerer Osten), sondern
Begrifflichkeiten, die lange außer Mode waren - Mittelasien, Nordostafrika - Begriffe,
die Zeiten erinnern, in denen Deutschland Geopolitik zu treiben suchte. Dies ruft Fragen
und möglicherweise auch Abgrenzungsprobleme für den möglichen Einsatzraum der
Bundeswehr hervor: Was meint z.B. der Begriff "Mittelasien"? Ist der Irak Teil
Mittelasiens? Gehört der Iran dazu? Wie verhält es sich mit den Staaten des
Transkaukasus, z.B. Georgien? Wie steht es um Syrien? Wie wird Mittelasien gegen den Nahen
Osten abgegrenzt? Ähnlich verhält es sich mit "Nordostafrika". Daß damit das
Horn von Afrika bzw. und der Sudan gemeint sein könnte, ist klar. Aber gehört Ägypten
dazu? Libyen?
Auf das "Warum?" der Begrifflichkeitswahl gibt es bislang
keine klare Antwort. Der Zweck wird allerdings sichtbar. Eine vage Beschreibung des
Einsatzraumes erhöht die Flexibilität der Bundesregierung für den Fall einer konkreten
Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr an einem konkreten Ort. Angemerkt werden
soll darüber hinaus, daß Bundeskanzler Schröder nach eigenem Bekunden dieser Tage
Bismarck liest.
Schließlich vermerkt der Antrag, daß die Bundesregierung
Bundeswehreinsätze in anderen Staaten als Afghanistan nur anordnen kann, wenn eine
Zustimmung der Regierung des betroffenen Staates vorliegt. Hier kann nur gehofft werden,
daß die Bundesregierung in den kommenden Monaten nicht im Analogieschluß folgert, daß
es im festgelegten Einsatzgebiet Staaten gibt, die wie Afghanistan über keine Regierung
verfügen, deren Zustimmung man einholen müßte.
3. Die potentiellen Einsatzkräfte
Die zusammen 3.900 Soldaten umfassenden militärischen Einsatzkräfte
werden als ABC-Abwehrkräfte (ca. 800 Soldaten), Sanitätskräfte (ca. 250),
Spezialkräfte (ca. 100), Lufttransportkräfte (ca. 500), See- und Seeluftstreitkräfte
(ca. 1800) sowie Unterstützungskräfte (ca. 450) beschrieben. Hinzu kommen
Verbindungselemente zu Hauptquartieren der NATO, der Partnerstaaten und Soldaten, die im
Rahmen von Austauschprogrammen in den Streitkräften anderer NATO-Staaten dienen. Sie
können, müssen aber nicht alle zum gleichen Zeitpunkt zum Einsatz kommen. Durchaus
denkbar ist, daß einzelne dieser Fähigkeit zu einem Zeitpunkt, andere zu einem anderen
und alle in einem recht vage beschriebenen Großraum zum Einsatz kommen. Die folgenden
Einsatzszenarien gehören zu denen, über die man realistischerweise spekulieren kann:
die Schiffe der Bundesmarine können zum Geleitschutz für Gefahrgut-
und Rohstofftransporte in den Seegebieten östlich des Horns von Afrika und bis ins
arabische Meer sowie im Roten Meer zum Einsatz kommen. Sie wären -wenn -dann unter den
gegenwärtigen Voraussetzungen vor allem einer terroristischen Bedrohung ausgesetzt (USS
Cole). Zu dem zur Disposition stehenden Marineverband sollen gemäß einer Anforderung des
amerikanischen Central Commands vom 5.11.01 zwei Fregatten, ein Tanker, ein
Instandsetzungsschiff, je ein Schnellboot- und einen Minensuchverband mit Tender, ein
Aufklärungsschiff, zwei Sea King Hubschrauber für logistische Aufgaben und die
Seenotrettung und Verbindungsoffiziere für die Embargoüberwachung gehören. Dies deutet
darauf hin, daß die Option zum Einsatz des Verbandes im Rahmen der Überwachung des
Irakembargos offengehalten wird, bzw. an weitere Embargos gedacht wird. Nicht
auszuschließen ist, daß die Bundesmarine auch den zur Zeit noch in der Truppenerprobung
befindlichen Einsatzgruppenversorger "Berlin" zum Einsatz bringt.
Seefernaufklärer Breguet Atlantique haben die Fähigkeit zur
U-Boot-Aufklärung, in einer zweiten Variante aber auch zur Aufklärung von Fernmelde- und
anderen elektronischen Signalen; sie können zur Daten- und Informationsgewinnung
eingesetzt werden, vorausgesetzt ihre Stationierung wird von einem befreundeten Staat in
der Region zugelassen; eine MPA-Gruppe soll bereitgehalten werden.
zu dem eingeplanten Sanitätspersonal gehört dem Vernehmen nach ein
als Krankentransporter ausgestatteter Airbus; dessen Aufgabe könnte im Transport von
Verwundeten aus Zentralasien ins Rhein-Main-Gebiet bestehen. Sanitätssoldaten könnten
zudem der Versorgung von Verwundeten dienen. Eine fliegende Such- und Rettungskomponente
zur Evakuierung aus "feindlichem Gebiet" ist -obwohl in den Medien oft
diskutiert, wohl derzeit nicht vorgesehen, da die Bundeswehr weder über
begleitschutzfähige Kampfhubschrauber verfügt und das Zusammenwirken mit internationalen
Partnern bei solchen Einsätzen diese eher verkompliziert.
Bei den bereitgestellten Spezialkräften könnte es sich sowohl um
Teile des KSK als auch um andere Spezialkräfte aus der Division Spezielle Operationen
handeln. Ihre Aufgaben könnten in der in der Durchführung von Kommandoaktionen in
Afghanistan oder anderswo im Einsatzgebiet bestehen. Auch hier wird ein Einsatz durch die
Tatsache erschwert, daß geeignete Transportmittel für den Weg in den Einsatzraum ebenso
fehlen, wie ein geeigneter Begleitschutz.
Die bereitgestellten Soldaten für den Lufttransport (mindestens drei
Transall-Flugzeuge mit Lademannschaften) sollen im Verantwortungsbereich des Oberkommandos
Europa der US-Streitkräfte taktisch-logistische Transportaufgaben wahrnehmen. Ihrem
Einsatz in anderen Regionen steht zur Zeit entgegen, daß die Avionik der Flugzeuge nicht
mehr den vorgeschriebenen internationalen Standards entspricht und deswegen für jeden
Flug einer Sondergenehmigung bedarf. In Europa wurden dafür inzwischen Zwischenregelungen
getroffen.
Das ABC-Abwehrkontingent (zwei Kompanien der Krisenreaktionskräfte
aus Höxter) schließlich verfügt über den ABC-Spürpanzer Fuchs und könnte zur
Aufklärung gegen mögliche C-Waffen-Einsätze genutzt werden. Ein Einsatz in Afghanistan
ist eher unwahrscheinlich; in den Nachbarländern bzw. an militärischen Einrichtungen
wäre ein Einsatz als mobiler Laborersatz denkbar. Zu bedenken ist dabei aber, daß die
Fuchs-Fahrzeuge der USA moderner und leistungsfähiger als die der Bundeswehr sind und
daß letztere im Gegensatz zu den deutschen Systemen zudem mit Führungssystemen
ausgerüstet sind, die voll in die US-Führungssysteme integriert sind. Beide Füchse
können zur Zeit im mobilen Einsatz keine B-Waffen-Analysen vornehmen.
Deutlich wird, daß die bereitgestellten Kräfte nur sehr begrenzt zur
Verstärkung der Fähigkeiten der US-Streitkräfte in und um Afghanistan beitragen, in
etlichen Szenarien sogar eher Komplikationen hervorrufen könnten. Dies erklärt auch zu
Teilen die Zurückhaltung der Vereinigten Staaten, konkrete Anforderungen an die
Bundeswehr zu formulieren. Man will den deutschen Bündnispartner nicht verprellen, findet
aber in der im Umbau befindlichen Bundeswehr nur wenige Elemente, die die Fähigkeiten der
USA verstärken könnten.
Die Bundesregierung dagegen drängt auf eine frühe Beteiligung im
Rahmen ihrer Möglichkeiten, weil sie sich von einem "Mittun" verspricht, über
den weiteren Verlauf der Operationen und die "Nachkriegsordnung" leichter
"mitentscheiden" zu können.
4. Die Begründung des Antrages
Zur rechtlichen Absicherung eines Bundeswehreinsatzes in den kommenden
Monaten beruft sich die Bundesregierung auf Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen,
Art 5 des NATO-Vertrages und die Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates Nr 1368 und 1371
aus diesem Jahr.
Diese Argumentation dürfte -zurückhaltend formuliert -einer
Neuinterpretation des Völkerrechtes gleichkommen. Mit ihr und mit vergleichbaren
Argumentationen der Vereinigten Staaten sowie Großbritanniens wird ein Präzedenzfall in
der völkerrechtlichen Praxis geschaffen - in der Hoffnung, daß wo kein Kläger, da auch
kein Richter.
Schlußbeobachtung
Die Bundesregierung legt ihren Antrag wenige Wochen vor den Parteitagen
beider Regierungsfraktionen vor, auf denen auch über die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus und die geeigneten Antworten darauf diskutiert werden soll. Angesichts der
wachsenden Opposition an der Basis beider Parteien gegen die Art und Weise der Bekämpfung
des internationalen Terrors hat der Antrag somit auch einen innen- und parteipolitische
Dimension.
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