Originalbeitrag
29. November 2017


Das Ende der "San Juan"

von Otfried Nassauer


Im südlichen Atlantik, etwa 430 Kilometer vor der argentinischen Küste, ist ein argentinisches U-Boot verunglückt. Wahrscheinlich sind alle 44 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Es handelt es sich um ein in Deutschland gebautes Boot vom Typ TR 1700. Die Typbezeichnung verweist auf den Hersteller Thyssen-Rheinstahl, dessen U-Boot-Werft in Emden lag und später Teil von ThyssenKrupp Marine Systems, tkms, wurde. Heute heißt die Firma Emder Schiffs- und Dockwerk GmbH und soll künftig voraussichtlich abgewickelt werden. Der Abschied vom U-Boot-Bau in Emden wird also von einer Katastrophe begleitet.

Die „San Juan“ wurde nach dem Falkland-Krieg 1985 in Argentinien in Dienst gestellt. Als sie Anfang der 1980er Jahre gebaut wurde, galt sie als eines der innovativsten und leistungsfähigsten diesel-elektrischen U-Boote der Welt. Mit 65 Meter Länge, durchgängig zwei Decks im Inneren und deutlich mehr als 2.000 Tonnen Verdrängung im getauchten Zustand, war das Rheinstahl-Boot deutlich größer und moderner als die damaligen U-Boote der Klasse 209 von HDW in Kiel. Zudem wies es einige neue Merkmale auf: Die Tiefenruder waren am Turm angebracht, nicht am vorderen Bootskörper. Es hatte nur sechs, nicht mehr acht Torpedorohre und ein Design, aus dem viele Ideen in die aktuellen U-Boote der Bundeswehr, die Klasse 212A, eingeflossen sind.

Die „San Juan“ setzte ihren letzten Funkspruch am Morgen des 15. November 2017 ab. Um solche Meldungen absetzen zu können, muss ein U-Boot nahe an der Wasseroberfläche auf Schnorcheltiefe fahren. Die San Juan berichtete von Problemen mit der Elektrik, einem Kurzschluss oder Schwelbrand im Bereich der Batterien und gab an, der Mannschaft werde es wohl gelingen, die Problem zu beheben. 

An 15.11. herrschte in dem betreffenden Meeresgebiet eine äußerst raue See mit Wellen von 6-7 Meter Höhe, die auch die Suchoperation in den Folgetagen behindern sollten. Wetterbedingungen dieser Art können einem U-Boot sehr gefährlich werden, zum Beispiel, wenn Wasser über den Schnorchel oder über geöffnete Luken in das Boot eindringt und dies elektrische Kurzschlüsse, Schwelbrände oder Feuer auslöst. Der Funkspruch der San Juan deutet darauf hin, dass ein solcher Fall bereits eingetreten gewesen sein könnte. 

Für einen solchen Notfall gibt es ein historisches Beispiel. Anfang Oktober 2004 geriet das kanadische U-Boot „Chicoutimi“, ein Boot der britischen Victoria Klasse, das etwas größer ist als die San Juan, auf dem Weg von Großbritannien  nach Kanada in schwere See mit 6 Meter hohen Wellen. Rund 2.000 Liter Wasser drangen über den Schnorchel in das Boot ein und lösten Explosionen und Brände aus. Die Mannschaft fuhr alle Systeme herunter, um das Feuer zu bekämpfen und hatte Glück im Unglück. Das Boot und seine Besatzung konnten gerettet und zurück nach Schottland geschleppt werden.

Die „San Juan“ dürfte weniger Glück gehabt haben. Explosionsgeräusche aus einem Gebiet, das etwa 30 Meilen vom letzten gemeldeten Standort des U-Boots entfernt lag, wurden durch weit entfernte Hydrophone (Unterwassermikrophone) der CTBTO aufgefangen. Die CTBTO  betreibt ein weltweites Netzwerk von Sensoren, um Atomtests zu erfassen und die Einhaltung des atomaren Teststopp-Vertrag verifizieren zu können. Möglicherweise haben auch Sensoren des geheimen US-Netzes SOSUS, das heute zu dem größeren Integrated Undersea Surveillance System (IUSS) gehört, solche Signale aufgefasst und die Schlußfolgerung ermöglicht, dass die San Juan einen schweren, möglicherweise katastrophalen Unfall hatte.

Die Geräusche erlaubten es der CTBTO, den Unfallort in etwa zu lokalisieren. In diesem Bereich befinden sich unter der Wasseroberfläche Abhänge des  südamerikanischen Kontinentalschelfs. Im oberen Bereich beträgt die Wassertiefe etwa 200 Meter, während der Ozean nur wenig weiter deutlich mehr als 1.000 Meter tief ist. Daraus ergibt sich eine mögliche Erklärung für die aufgezeichneten explosionsartigen Geräusche. Wenn die San Juan aufgrund der Probleme mit der Elektrik nicht mehr steuerbar war und unkontrolliert immer tiefer sank, dann erreichte sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Zerstörungstiefe ihrer Druckhülle. Offenen Quellen ist zu entnehmen, dass diese bei etwa 700 Metern liegen soll. Der mit wachsender Wassertiefe steigende Wasserdruck hat die U-Boothülle dann zur Implosion gebracht. Die Sensoren könnten also die Implosion des Bootes erfasst haben.


Nachtrag im November 2018
Die San Juan wurde im November 2018 von einem US-Spezialschiff, das Argentinien gechartert hatte, gefunden. Sie liegt in rund 900 Meter Tiefe. Die veröffentlichten Bilder eines unbemannten Tauchroboters legen den Schluss nahe, dass die U-Boot-Hülle tatsächlich in der Nähe des Meeresbodens implodiert und dann weiter bis zur Grundberührung gesunken ist. Die im obigen Beitrag  vermutete Ursachenverkettung kann heute als relativ gesichert gelten. Der Tod der Besatzung ist nun traurige Gewissheit.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS