Das Ende der "San Juan"
von Otfried Nassauer
Im südlichen Atlantik, etwa 430 Kilometer vor der argentinischen
Küste, ist ein argentinisches U-Boot verunglückt.
Wahrscheinlich sind alle 44 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Es
handelt es sich um ein in Deutschland gebautes Boot vom Typ TR 1700.
Die Typbezeichnung verweist auf den Hersteller Thyssen-Rheinstahl,
dessen U-Boot-Werft in Emden lag und später Teil von ThyssenKrupp
Marine Systems, tkms, wurde. Heute heißt die Firma Emder Schiffs-
und Dockwerk GmbH und soll künftig voraussichtlich abgewickelt
werden. Der Abschied vom U-Boot-Bau in Emden wird also von einer
Katastrophe begleitet.
Die „San Juan“ wurde nach dem Falkland-Krieg 1985
in Argentinien in Dienst gestellt. Als sie Anfang der 1980er Jahre
gebaut wurde, galt sie als eines der innovativsten und
leistungsfähigsten diesel-elektrischen U-Boote der Welt. Mit 65
Meter Länge, durchgängig zwei Decks im Inneren und deutlich
mehr als 2.000 Tonnen Verdrängung im getauchten Zustand, war das
Rheinstahl-Boot deutlich größer und moderner als die
damaligen U-Boote der Klasse 209 von HDW in Kiel. Zudem wies es einige
neue Merkmale auf: Die Tiefenruder waren am Turm angebracht, nicht am
vorderen Bootskörper. Es hatte nur sechs, nicht mehr acht
Torpedorohre und ein Design, aus dem viele Ideen in die aktuellen
U-Boote der Bundeswehr, die Klasse 212A, eingeflossen sind.
Die „San Juan“ setzte ihren letzten Funkspruch am
Morgen des 15. November 2017 ab. Um solche Meldungen absetzen zu
können, muss ein U-Boot nahe an der Wasseroberfläche auf
Schnorcheltiefe fahren. Die San Juan berichtete von Problemen mit der
Elektrik, einem Kurzschluss oder Schwelbrand im Bereich der Batterien
und gab an, der Mannschaft werde es wohl gelingen, die Problem zu
beheben.
An 15.11. herrschte in dem betreffenden Meeresgebiet eine
äußerst raue See mit Wellen von 6-7 Meter Höhe, die
auch die Suchoperation in den Folgetagen behindern sollten.
Wetterbedingungen dieser Art können einem U-Boot sehr
gefährlich werden, zum Beispiel, wenn Wasser über den
Schnorchel oder über geöffnete Luken in das Boot eindringt
und dies elektrische Kurzschlüsse, Schwelbrände oder Feuer
auslöst. Der Funkspruch der San Juan deutet darauf hin, dass ein
solcher Fall bereits eingetreten gewesen sein könnte.
Für einen solchen Notfall gibt es ein historisches
Beispiel. Anfang Oktober 2004 geriet das kanadische U-Boot
„Chicoutimi“, ein Boot der britischen Victoria Klasse, das
etwas größer ist als die San Juan, auf dem Weg von
Großbritannien nach Kanada in schwere See mit 6 Meter hohen
Wellen. Rund 2.000 Liter Wasser drangen über den Schnorchel in das
Boot ein und lösten Explosionen und Brände aus. Die
Mannschaft fuhr alle Systeme herunter, um das Feuer zu bekämpfen
und hatte Glück im Unglück. Das Boot und seine Besatzung
konnten gerettet und zurück nach Schottland geschleppt werden.
Die „San Juan“ dürfte weniger Glück
gehabt haben. Explosionsgeräusche aus einem Gebiet, das etwa 30
Meilen vom letzten gemeldeten Standort des U-Boots entfernt lag, wurden
durch weit entfernte Hydrophone (Unterwassermikrophone) der CTBTO
aufgefangen. Die CTBTO betreibt ein weltweites Netzwerk von
Sensoren, um Atomtests zu erfassen und die Einhaltung des atomaren
Teststopp-Vertrag verifizieren zu können. Möglicherweise
haben auch Sensoren des geheimen US-Netzes SOSUS, das heute zu dem
größeren Integrated Undersea Surveillance System (IUSS)
gehört, solche Signale aufgefasst und die Schlußfolgerung
ermöglicht, dass die San Juan einen schweren, möglicherweise
katastrophalen Unfall hatte.
Die Geräusche erlaubten es der CTBTO, den Unfallort in
etwa zu lokalisieren. In diesem Bereich befinden sich unter der
Wasseroberfläche Abhänge des südamerikanischen
Kontinentalschelfs. Im oberen Bereich beträgt die Wassertiefe etwa
200 Meter, während der Ozean nur wenig weiter deutlich mehr als
1.000 Meter tief ist. Daraus ergibt sich eine mögliche
Erklärung für die aufgezeichneten explosionsartigen
Geräusche. Wenn die San Juan aufgrund der Probleme mit der
Elektrik nicht mehr steuerbar war und unkontrolliert immer tiefer sank,
dann erreichte sie mit großer Wahrscheinlichkeit die
Zerstörungstiefe ihrer Druckhülle. Offenen Quellen ist zu
entnehmen, dass diese bei etwa 700 Metern liegen soll. Der mit
wachsender Wassertiefe steigende Wasserdruck hat die U-Boothülle
dann zur Implosion gebracht. Die Sensoren könnten also die
Implosion des Bootes erfasst haben.
Nachtrag im November 2018
Die San Juan wurde im November 2018 von einem US-Spezialschiff, das
Argentinien gechartert hatte, gefunden. Sie liegt in rund 900 Meter
Tiefe. Die veröffentlichten Bilder eines unbemannten Tauchroboters
legen den Schluss nahe, dass die U-Boot-Hülle tatsächlich in
der Nähe des Meeresbodens implodiert und dann weiter bis zur
Grundberührung gesunken ist. Die im obigen Beitrag vermutete
Ursachenverkettung kann heute als relativ gesichert gelten. Der Tod der
Besatzung ist nun traurige Gewissheit.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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