Pegasus wird nicht mit Triton fliegen
von Otfried Nassauer
Es ist gekommen wie es kommen musste. Das Berliner
Verteidigungsministerium hat zum zweiten Mal die Beschaffung von
großen Drohnen aus der Familie der Global- Hawk-Drohnen von
Northrop Grumman abgebrochen. 2013 war der erste Versuch mit dem
Eurohawk gescheitert, jetzt folgte auch das „Aus“
für
die MQ 4C Triton. Mit dieser neueren Version hatte die Bundeswehr seit
2017 die Idee wiederbelebt, ein in großer Höhe
fliegendes
fernmeldeelektronisches Aufklärungssystem
einzuführen.
PEGASUS, das „PErsistent German Airborne Surveillance
System“ wird also keine Starterlaubnis an Bord einer Drohne
erhalten.
Das Verteidigungsministerium bestätigte heute
einen entsprechenden Bericht der Zeitschrift Defense News.
Die Bundeswehr wird MQ 4C Triton nicht kaufen. Das bis zum Jahresende
2019 befristete Angebot von Northrop ist ausgelaufen ohne das es zu
einem Vertrag kam. Statt dessen sollen nun drei
Geschäftsreise-Jets vom Typ Global 6000 erworben werden, in
die in
den kommenden Jahren das in Deutschland von Hensoldt Sensorsystems
(früher Airbus) entwickelte signalerfassende
Aufklärungssystem ISIS eingebaut werden soll. Drei
Flugzeuge
dieses Typs kaufte das Ministerium bereits letztes Jahr für
ihre
„weiße Flotte“ der Regierungsflieger. Im
Sommer 2019
wurden sie bestellt und noch vor Jahresende standen sie auf dem Hof.
Weitere angebliche Vorteile: Die Triebwerke dieser Flugzeuge werden in
Dahlewitz bei Berlin entwickelt und gebaut. ISIS kann auch so einer
Nutzung zugeführt werden und die Zusage an die NATO, bis 2025
deutscherseits eine Anfangsbefähigung für die
signalerfassende Aufklärung für das Bündnis
bereitzustellen, kann vielleicht auch noch eingehalten werden, wenn
nichts mehr dazwischen kommt.
Für die Entscheidung gegen die Drohne und
für die
kleinen Jets werden etliche Gründe berichtet. Zum einen sei
das
Vorhaben mit der Drohne letztlich viel teurer geworden als geplant. Die
Kosten für drei Drohnen seien auf bis zu 2,5 Milliarden Dollar
angewachsen. Neben hoher Kosten für Erwerb und Umbau der
Drohne
sei ein weiterer, deutlich unterschätzter Risikofaktor
aufgetaucht
– der finanzielle und zeitliche Aufwand, um
überhaupt eine
Muster- und Verkehrszulassung für die Drohne zu bekommen. Der
Zulassungsprozess für die technisch verwandte
Großdrohne
Global Hawk, die für das NATO-Aufklärungssystem AGS
genutzt
werden soll, habe in Italien nicht nur zu jahrelangen
Verzögerungen geführt, sondern auch zu
ähnlich
umfangreichen Nutzungsbeschränkungen für den Einsatz
im
europäischen Luftraum wie für die Global Hawk der
US-Luftwaffe. Deutschland dürfen beide Drohnen z.B. nur in
einem
festgelegten Korridor und in einer Höhe von 18.000 bis 20.000
Metern überfliegen. In diesem Korridor darf auch nur eine
Drohne
unterwegs sein. Eine Zulassung der Triton für den Flugbetrieb
über Deutschland und Europa würde
wahrscheinlich zu
ähnlich inakzeptabel großen Beschränkungen
der
Einsetzbarkeit führen und zudem sehr teuer und
zeitaufwändig
sein, da auch für diese Drohne eine eigene Musterzulassung
erforderlich ist. Angedeutet werden sogar Zweifel, ob die Triton in
Deutschland überhaupt eine Zulassung bekommen würde,
weil
notwendige Sicherheitstechnik, um solche Drohnen auch im zivil
genutzten Luftraum betreiben zu können, weder eingebaut noch
bereits fertig entwickelt sei. Schließlich sei nicht mehr
genug
Zeit vorhanden, wenn die Bundeswehr ihre Zusage einhalten wollte, der
NATO bis 2025 eine Anfangsbefähigung zur signalerfassenden
Aufklärung zur Verfügung zu stellen. Das
könne jetzt nur
noch mit einem bemannten Träger für ISIS erreicht
werden.
Damit könne zudem sichergestellt werden, dass die
Entwicklungskosten für die deutsche
Missionsausrüstung ISIS
nicht abgeschrieben werden müssen.
Das mutet an wie ein Deja Vu. Die zentralen Argumente
gleichen
jenen, die in den Jahren 2013 und 2014 zum Ende Eurohawk-Vorhabens
führten und schon damals das deutsche Entwicklungsvorhaben
für eine nationales signalerfassende elektronische
Aufklärungstechnologie, ISIS, retten sollten. Aus
verständlichem Grund. An Bord der bis 2010 für die
SIGINT-Aufgabe genutzten Breguet Atlantic-Flugzeuge wurde
Aufklärungstechnologie aus den USA genutzt. Dies war nur gegen
eine besondere Gegenleistung ermöglicht worden. Die USA hatten
jederzeit Zugang zu den Rohdaten der Aufklärungsergebnisse.
Deshalb legten Bundeswehr und BND in den letzten Jahren
großen
Wert darauf, dass künftig nationale Technik zum Einsatz komme.
Das Deja Vu betrifft aber auch noch einen zweiten,
wichtigen
Aspekt. Bereits spätestens 2013 war klar, dass die Aussichten
auf
eine Zulassung für den Eurohawk minimal waren. Ein
Sensorsystem,
das in gefährliche Nähe kommende andere Flugzeuge
rechtzeitig
erkennen und der Drohne automatisch ein Ausweichen nach den
internationalen Regeln der ICAO ermöglichen
würde
(sense and avoid) war nicht verfügbar und wäre auf
Jahre auch
nicht zu entwickeln gewesen. Zudem fehlten dafür
für
den überfüllten Luftraum über Europa auch
noch
wesentliche Rahmenbedingungen der Zukunft. Dieser befand sich bereits
damals in der geplanten langwierigen Umstrukturierung zu einem Single
European Space (SES), in dem auch eine neue Form des
Luftverkehrsmanagements eingeführt werden soll. Für
die
Entwicklung eines Sense and Avoid-Systems fehlten somit noch Parameter,
die erst in den 2020er Jahren Stück für
Stück mit
ausreichender Verlässlichkeit verfügbar werden
würden.
Bei der Entscheidung, es nach dem Eurohawk mit Triton
erneut
mit einem hochfliegenden unbemannten System zu versuchen, war absehbar,
dass sich an dieser problematischen Ausgangslage zu wenig
ändern
würde, um rechtzeitig eine vollumfängliche Zulassung
für
die regelmäßige Nutzung im auch zivil beflogenen
Luftraum zu
erreichen. Trotzdem hielt die Bundeswehr an ihrer
Goldrandlösung
einer hochfliegenden Großdrohne fest. Nach den Erfahrungen
mit
dem Eurohawk Projekt dürfte es wahrscheinlich an Chuzpe
großen Umfangs bedurft haben, den Versprechungen der
Industrie zu
glauben, die vorhersehbaren Probleme seien in den nächsten
5-10
Jahren wirklich technisch zu lösen.
Vielleicht aber ging es auch damals schon eher darum,
noch
einmal Zeit zu gewinnen, weil auch das begehrte nationale
Signalerfassungssystem noch nicht wirklich fertig entwickelt war. Ein
erster kleiner Hinweis, dass auch die elektronischen Ohren für
das
System PEGASUS noch Probleme bereiten könnten, findet sich in
deren aktueller Bezeichnung. ISIS wird nunmehr als ISIS-ZB bezeichnet.
Die beiden zusätzlichen Buchstaben „ZB“
stehen
für das Wort „Zielbefähigung“,
also für eine
Fähigkeit, die derzeit noch ein Ziel darstellt. Auch dieser
Umstand muss Fachleuten schon länger bekannt gewesen sein. Als
sich Berater von der KPMG das Vorhaben Eurohawk vor Jahren
genauer anschauten, stellten sie nämlich fest, dass auch der
deutsche Anteil des Vorhabens noch ein größeres
Problem
hatte. Ein entscheidendes, 2007 beauftragtes ergänzendes
Projekt
namens GAST (Gemeinsames Auswertesystem) war nämlich wegen
nicht
einhaltbarer Versprechen der Industrie bereits 2008 wieder
gekündigt worden. Ein Nachfolgeauftrag wurde nicht vergeben.
So
entstand eine gravierende Lücke, die der frühere
Generalinspekteur Volker Wieker vor dem Untersuchungsausschuss Eurohawk
einmal so beschrieb: Jetzt fehle die „Sortiermaschine
für
die empfangenen Daten, um sie in die richtigen
Analysebereiche zu
übersenden“. Um im Bild zu bleiben: Weil es GAST
nicht gibt,
müssten die Unmengen an Signalen und Rohdaten, die ISIS an
Bord
der Drohne sammeln sollte, nach der Übertragung an die
Bodenstation, quasi händisch sortiert und zu den richtigen
Auswertern weitergeleitet werden. Auf dieses Problem stießen
auch
die Berater der KPMG. Sie rieten dazu, softwarebasierte Konverter zu
entwickeln, um zumindest Teile dieser Arbeit zu
automatisieren.
Nicht bekannt ist, ob dieses Problem inzwischen
zufriedenstellend gelöst wurde. Bekannt wurde aber, dass es
zunächst massiv unterschätzt wurde. Mit einer Million
Euro,
verteilt auf 5 Jahre, wollte die Bundeswehr das Problem
zunächst
angehen. Eine grotesk niedrige Summe, die später deutlich
angehoben worden sein dürfte. Ob man inzwischen Erfolg hatte,
ist
ebenso wenig öffentlich bekannt wie die Tatsache, ob das
Problem
beim Einsatz von ISIS an Bord eines Flugzeugs geringer
ausfällt.
Allerdings: Der Verteidigungshaushalt enthält
bislang
kein Geld für die Beschaffung von Pegasus, teilte die
Bundesregierung noch im Dezember 2019 auf Anfrage mit. Das kann ein
Problem werden, denn Bombardier will die Produktion der Global 6000
bald einstellen. Kann das erforderliche Geld nicht rechtzeitig
eingestellt oder umgewidmet werden, so könnte die Beschaffung
der
kleinen Jets noch scheitern und damit auch die letzte realistische
Möglichkeit, der NATO - wie zugesagt - bis 2025 eine
Anfangsbefähigung für die signalerfassende
Aufklärung
zur Verfügung zu stellen. Ein Schelm, wem
Böses dabei
schwant und der deshalb unkt: Wenn alle Stricke reißen,
bliebe ja
immer noch die Möglichkeit, noch ein drittes Mal auf eine
Drohnenlösung zurückzukommen.
Quellenhinweis:
Dieser
Beitrag fußt neben aktuellen Medienberichten u.a. auf den
Bundestagsdrucksachen 19/6510, 19/8411, der Antwort der Bundesregierung
auf DS 19/15188, sowie DS 17/12136 und diversen Unterlagen, die
während des Untersuchungsausschusses Eurohawk
öffentlich
zugänglich gemacht wurden.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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