Originalbeitrag
24. Oktober 2019


Rüstungsexport: Deutsch-Französische Erleichterungsübungen

von Otfried Nassauer


Der stetige Druck hat Wirkung gezeigt. Berlin ist Paris beim Rüstungsexport deutlich entgegen gekommen. Deutschland und Frankreich haben sich auf ein bilaterales Abkommen geeinigt, das den Export gemeinsam produzierter Rüstungsgüter erleichtern und zugleich die Genehmigung solcher Exporte beschleunigen und entbürokratisieren soll. Am gestrigen Mittwoch passierte der Text ohne Debatte das Berliner Kabinett - wohl auch, weil Kanzlerin Angela Merkel bei den Verhandlungen taktisch geschickt Außenminister Heiko Maas die Federführung überlassen hatte und somit mögliche Widerstände des sozialdemokratischen Koalitionspartners bereits im Vorfeld minimiert hatte.

Nun also liegt der Text des bereits im Kontext des Aachener Vertrages im Januar angekündigten, rechtlich verbindlichen Abkommens vor. Es unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Formen in bilateraler Kooperation entstehender Militärgüter[ 1 ]. Zum einen legt er fest, wie verfahren werden soll, wenn ein Partnerland plant, ein als zwischenstaatliches Gemeinschaftsprojekt entwickeltes und produziertes Militärgut in ein drittes Land[ 2 ] zu exportieren. Plant einer der beiden Partner einen solchen Export, so muss er den anderen so früh wie möglich informieren, also vor der Aufnahme offizieller Verhandlungen und nicht erst danach. Der informierte Partnerstaat soll seine Haltung zu dem Exportvorhaben nach spätestens zwei Monaten kundtun. Er kann zustimmen, konditioniert zustimmen oder widersprechen. Widersprechen darf er nur, wenn er seine "unmittelbaren Interessen" oder seine "nationale Sicherheit dadurch beeinträchtigt" sieht. Beide Begrifflichkeiten werden in dem Abkommen nicht weiter definiert. Lehnt ein Partner ein geplantes Exportvorhaben des anderen ab, so folgen Konsultationen zwischen beiden in einem ständigen, hochrangig besetzten Gremium, dessen Gründung der Vertrag vorsieht. Kann man sich auch dort nicht einigen, so ist der Staat, der Widerspruch einlegt hat, verpflichtet, "alle Anstrengungen" zu unternehmen, "um alternative Lösungen vorzuschlagen". Was damit gemeint sein könnte, lässt der Vertragstext gänzlich offen. Diese Regeln sollen auch auf künftige zwischenstaatliche Gemeinschaftsprojekte wie das neue Kampfpanzersystem und das neue Kampfflugzeugsystem und deren Untersysteme angewendet werden.

Der zweite Teil des Abkommens betrifft gemeinsame Rüstungsprojekte der Industrie beider Länder, bei denen Militärgüter für den Export in dritte Staaten entwickelt und gebaut werden, an denen die Regierungen in Berlin und Paris nicht beide beteiligt sind. Bei diesen Projekten werden die Militärgüter in der Regel in einem Land, Deutschland oder Frankreich, entwickelt und endmontiert, während Firmen aus dem anderen Staat Teile oder Komponenten zuliefern. Auch hier gilt, dass gegen Exportvorhaben, die ein Vertragsstaat beabsichtigt, nur widersprochen werden darf, wenn der andere Staat unmittelbaren Interessen" oder seine "nationale Sicherheit dadurch beeinträchtigt" sieht. In diesem Fall sollen ebenfalls hochrangige Konsultationen "angemessene Lösungen" finden. 

Für Zulieferungen zu industriellen Kooperationsvorhaben gilt zudem künftig ein sogenannter "de minimis"-Grundsatz. Die grundsätzliche Möglichkeit dazu hatte die Bundesregierung bereits im Juni geschaffen, als sie ihre "Politischen Grundsätze" für Genehmigungsentscheidungen zu Rüstungsexporten neu fasste. Nun folgt für den Bereich der deutsch-französischen Rüstungskooperation eine rechtsverbindliche Präzisierung, wie eine solche Regelung aussehen kann: Wenn die Zulieferungen zu einem Militärgut aus einem der beiden Länder, die in dem anderen Land in ein komplexeres Militärgut integriert und von diesem exportiert werden sollen, den Schwellenwert von 20% des Wertes des zu exportierenden Gesamtsystems nicht überschreitet, so muss die Zulieferung "unverzüglich" genehmigt werden und dann entscheidet das Land, aus dem das Gesamtsystem exportiert werden soll, alleine über die Genehmigung des Exportes. Dem anderen Land muss auch keine Endverbleibserklärung und kein Nachweis der Nichtwiederausfuhr seitens des Käuferlandes mehr vorgelegt werden. Der Wert von Ersatzteilen, Reparaturen, Wartungsvorhaben und Schulungen wird nicht auf den Gesamtwert des zu exportierenden Gesamtsystems angerechnet. Dafür kann separat eine Genehmigung unter Nutzung der "de minimis"-Regelung beantragt werden.

Industriefirmen, die eine Anwendung des de-minimis-Grundsatzes für Zulieferungen wünschen, werden aufgefordert ihren nationalen Genehmigungsbehörden die jeweiligen Zulieferanteile mitzuteilen, damit diese Informationen zwischenstaatlich abgeglichen werden können.

Ausgenommen von der Anwendung des "De minimis-Grundsatzes" sind jedoch eine ganze Reihe von Kriegswaffen und Kriegswaffenteilen, die ein "Gesamtsystem" darstellen oder in ein solches integriert werden können, wie zum Beispiel Maschinenpistolen und Maschinengewehre, Geschütze und Kanonen, Bomben, Raketen, Torpedos oder Zünder für Munition sowie Fahrgestelle und Türme für Kampffahrzeuge oder Flugzeugzellen und Triebwerke.

Katja Keul, die rüstungsexportpolitische Sprecherin der Grünen, kritisierte, "das Abkommen geht in die falsche Richtung. Statt Exporte einzuschränken, ermöglicht es diese." Der Text des Abkommens selbst betont dessen Bedeutung "für den wirtschaftlichen und politischen Erfolg" der " industriellen und staatlichen Zusammenarbeit" Deutschlands und Frankreichs.

Viele Begrifflichkeiten sind zudem nicht klar definiert und allgemeinverständlich. Diese Lücke in der Praxis einvernehmlich auszufüllen, obliegt der späteren Umsetzung durch die Behörden in beiden Staaten. Ob dies angesichts der unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse an den Rüstungsindustrien und der unterschiedlichen "Rüstungexportkultur" beider Länder überhaupt machbar ist, bleibt abzuwarten. 

Größere Flexibilität bei der Entscheidungsfindung durch Bürokratien kann diese zudem dazu verlocken, die Interpretation des Abkommens zum Kernbereich exekutiver Entscheidungsfindung und Entscheidungsvorbereitung zu rechnen, über den man weder gegenüber dem Bundestag noch gegenüber der Öffentlichkeit auskunftspflichtig ist. Mehr Intransparenz, begleitet von höheren Ausfuhren via Frankreich dürfte die Folge sein. Nicht ausschließen lässt sich zudem, dass dieses Abkommen als Vorbild für ähnliche Abkommen mit anderen Staaten Europas über den Export gemeinsam hergestellter Militärgüter genutzt wird. 


Aktualisierung vom 25.10.2019
Erwartungsgemäß erfreut hat der Lobbyverband der wehrtechnischen Industrie in Deutschland, der Bund der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie - BDSV, auf das Abkommen reagiert. Dessen Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien wertete das Abkommen als Beitrag zu einer "Harmonisierung der beiderseitigen Rüstungsexportkontroll-Maßstäbe". Atzpodien hofft, dass die früher oft langwierigen, separaten Genehmigungsprozesse in beiden Ländern künftig aufgrund des de minimis Grundsatzes oft entfallen und die Genehmigung für einen Export nur noch in dem Land eingeholt werden muss, aus dem das Gesamtsystem ausgeführt werden soll. Dies wäre in vielen Fällen Frankreich, dass Rüstungsexporte deutlich weniger restriktiv handhabt als Deutschland. Die Zahl dieser Fälle könnte aber in der Praxis auch weit geringer sein, als die deutsche Rüstungswirtschaft derzeit hofft.

Fußnoten:

[ 1 ] Als Militärgüter wird im EU-Kontext die Summe aus Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern bezeichnet.

[ 2 ] Als drittes Land werden alle Staaten bezeichnet, die nicht an dem Projekt beteiligt sind und in die es exportiert oder verbracht werden könnte, also neben den Drittstaaten auch andere EU-Länder, NATO-Staaten oder Gleichgestellte.

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS