Rüstungsexport: Deutsch-Französische Erleichterungsübungen
von Otfried Nassauer
Der stetige Druck hat Wirkung gezeigt. Berlin ist Paris beim
Rüstungsexport deutlich entgegen gekommen. Deutschland und
Frankreich haben sich auf ein bilaterales Abkommen geeinigt, das den
Export gemeinsam produzierter Rüstungsgüter erleichtern und
zugleich die Genehmigung solcher Exporte beschleunigen und
entbürokratisieren soll. Am gestrigen Mittwoch passierte der Text
ohne Debatte das Berliner Kabinett - wohl auch, weil Kanzlerin Angela
Merkel bei den Verhandlungen taktisch geschickt Außenminister
Heiko Maas die Federführung überlassen hatte und somit
mögliche Widerstände des sozialdemokratischen
Koalitionspartners bereits im Vorfeld minimiert hatte.
Nun also liegt der Text des bereits im Kontext des Aachener Vertrages im Januar angekündigten, rechtlich verbindlichen Abkommens
vor. Es unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Formen in bilateraler
Kooperation entstehender Militärgüter[ 1 ]. Zum einen legt er
fest, wie verfahren werden soll, wenn ein Partnerland plant, ein als
zwischenstaatliches Gemeinschaftsprojekt entwickeltes und produziertes
Militärgut in ein drittes Land[ 2 ] zu exportieren. Plant einer der
beiden Partner einen solchen Export, so muss er den anderen so
früh wie möglich informieren, also vor der Aufnahme
offizieller Verhandlungen und nicht erst danach. Der informierte
Partnerstaat soll seine Haltung zu dem Exportvorhaben nach
spätestens zwei Monaten kundtun. Er kann zustimmen, konditioniert
zustimmen oder widersprechen. Widersprechen darf er nur, wenn er seine
"unmittelbaren Interessen" oder seine "nationale Sicherheit dadurch
beeinträchtigt" sieht. Beide Begrifflichkeiten werden in dem
Abkommen nicht weiter definiert. Lehnt ein Partner ein geplantes
Exportvorhaben des anderen ab, so folgen Konsultationen zwischen beiden
in einem ständigen, hochrangig besetzten Gremium, dessen
Gründung der Vertrag vorsieht. Kann man sich auch dort nicht
einigen, so ist der Staat, der Widerspruch einlegt hat, verpflichtet,
"alle Anstrengungen" zu unternehmen, "um alternative Lösungen
vorzuschlagen". Was damit gemeint sein könnte, lässt der
Vertragstext gänzlich offen. Diese Regeln sollen auch auf
künftige zwischenstaatliche Gemeinschaftsprojekte wie das neue
Kampfpanzersystem und das neue Kampfflugzeugsystem und deren
Untersysteme angewendet werden.
Der zweite Teil des Abkommens betrifft gemeinsame
Rüstungsprojekte der Industrie beider Länder, bei denen
Militärgüter für den Export in dritte Staaten entwickelt
und gebaut werden, an denen die Regierungen in Berlin und Paris nicht
beide beteiligt sind. Bei diesen Projekten werden die
Militärgüter in der Regel in einem Land, Deutschland oder
Frankreich, entwickelt und endmontiert, während Firmen aus dem
anderen Staat Teile oder Komponenten zuliefern. Auch hier gilt, dass
gegen Exportvorhaben, die ein Vertragsstaat beabsichtigt, nur
widersprochen werden darf, wenn der andere Staat unmittelbaren
Interessen" oder seine "nationale Sicherheit dadurch
beeinträchtigt" sieht. In diesem Fall sollen ebenfalls hochrangige
Konsultationen "angemessene Lösungen" finden.
Für Zulieferungen zu industriellen Kooperationsvorhaben
gilt zudem künftig ein sogenannter "de minimis"-Grundsatz. Die
grundsätzliche Möglichkeit dazu hatte die Bundesregierung
bereits im Juni geschaffen, als sie ihre "Politischen Grundsätze"
für Genehmigungsentscheidungen zu Rüstungsexporten neu
fasste. Nun folgt für den Bereich der deutsch-französischen
Rüstungskooperation eine rechtsverbindliche Präzisierung, wie
eine solche Regelung aussehen kann: Wenn die Zulieferungen zu einem
Militärgut aus einem der beiden Länder, die in dem anderen
Land in ein komplexeres Militärgut integriert und von diesem
exportiert werden sollen, den Schwellenwert von 20% des Wertes des zu
exportierenden Gesamtsystems nicht überschreitet, so muss die
Zulieferung "unverzüglich" genehmigt werden und dann entscheidet
das Land, aus dem das Gesamtsystem exportiert werden soll, alleine
über die Genehmigung des Exportes. Dem anderen Land muss auch
keine Endverbleibserklärung und kein Nachweis der
Nichtwiederausfuhr seitens des Käuferlandes mehr vorgelegt werden.
Der Wert von Ersatzteilen, Reparaturen, Wartungsvorhaben und Schulungen
wird nicht auf den Gesamtwert des zu exportierenden Gesamtsystems
angerechnet. Dafür kann separat eine Genehmigung unter Nutzung der
"de minimis"-Regelung beantragt werden.
Industriefirmen, die eine Anwendung des de-minimis-Grundsatzes
für Zulieferungen wünschen, werden aufgefordert ihren
nationalen Genehmigungsbehörden die jeweiligen Zulieferanteile
mitzuteilen, damit diese Informationen zwischenstaatlich abgeglichen
werden können.
Ausgenommen von der Anwendung des "De minimis-Grundsatzes" sind jedoch eine ganze Reihe von Kriegswaffen und
Kriegswaffenteilen, die ein "Gesamtsystem" darstellen oder in ein
solches integriert werden können, wie zum Beispiel
Maschinenpistolen und Maschinengewehre, Geschütze und Kanonen,
Bomben, Raketen, Torpedos oder Zünder für Munition sowie
Fahrgestelle und Türme für Kampffahrzeuge oder Flugzeugzellen
und Triebwerke.
Katja Keul, die rüstungsexportpolitische Sprecherin der
Grünen, kritisierte, "das Abkommen geht in die falsche Richtung.
Statt Exporte einzuschränken, ermöglicht es diese." Der Text
des Abkommens selbst betont dessen Bedeutung "für den
wirtschaftlichen und politischen Erfolg" der " industriellen und
staatlichen Zusammenarbeit" Deutschlands und Frankreichs.
Viele Begrifflichkeiten sind zudem nicht klar definiert und
allgemeinverständlich. Diese Lücke in der Praxis
einvernehmlich auszufüllen, obliegt der späteren Umsetzung
durch die Behörden in beiden Staaten. Ob dies angesichts der
unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse an den
Rüstungsindustrien und der unterschiedlichen
"Rüstungexportkultur" beider Länder überhaupt machbar
ist, bleibt abzuwarten.
Größere Flexibilität bei der
Entscheidungsfindung durch Bürokratien kann diese zudem dazu
verlocken, die Interpretation des Abkommens zum Kernbereich exekutiver
Entscheidungsfindung und Entscheidungsvorbereitung zu rechnen,
über den man weder gegenüber dem Bundestag noch
gegenüber der Öffentlichkeit auskunftspflichtig ist. Mehr
Intransparenz, begleitet von höheren Ausfuhren via Frankreich
dürfte die Folge sein. Nicht ausschließen lässt sich
zudem, dass dieses Abkommen als Vorbild für ähnliche Abkommen
mit anderen Staaten Europas über den Export gemeinsam
hergestellter Militärgüter genutzt wird.
Aktualisierung vom 25.10.2019
Erwartungsgemäß erfreut hat der Lobbyverband der
wehrtechnischen Industrie in Deutschland, der Bund der Deutschen
Sicherheits- und Verteidigungsindustrie - BDSV, auf das Abkommen
reagiert. Dessen Hauptgeschäftsführer Hans Christoph
Atzpodien wertete das Abkommen als Beitrag zu einer "Harmonisierung der
beiderseitigen Rüstungsexportkontroll-Maßstäbe".
Atzpodien hofft, dass die früher oft langwierigen, separaten
Genehmigungsprozesse in beiden Ländern künftig aufgrund des
de minimis Grundsatzes oft entfallen und die Genehmigung für einen
Export nur noch in dem Land eingeholt werden muss, aus dem das
Gesamtsystem ausgeführt werden soll. Dies wäre in vielen
Fällen Frankreich, dass Rüstungsexporte deutlich weniger
restriktiv handhabt als Deutschland. Die Zahl dieser Fälle
könnte aber in der Praxis auch weit geringer sein, als die
deutsche Rüstungswirtschaft derzeit hofft.
Fußnoten:
[ 1 ] Als Militärgüter wird im EU-Kontext die Summe aus Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern bezeichnet.
[ 2 ] Als drittes Land werden alle Staaten bezeichnet,
die nicht an dem Projekt beteiligt sind und in die es exportiert oder
verbracht werden könnte, also neben den Drittstaaten auch andere
EU-Länder, NATO-Staaten oder Gleichgestellte.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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