Rheinmetall disqualifiziert
von Otfried Nassauer
Der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern ist nach
Informationen der Zeitschrift Defense News im Wettbewerb um den bislang
größten Auftrag der Konzerngeschichte bereits an der
ersten
Hürde gescheitert. Rheinmetall wollte seinen neu entwickelten
Schützenpanzer Lynx KF 41 in den Wettbewerb um die Nachfolge
des
betagten M2/M3 Bradley der US-Army schicken, der im nächsten
Jahrzehnt ersetzt werden soll. Ein ebenso prestigeträchtiger
wie
riesiger Auftrag. Bis zu 3.800 oder gar 4.000 Fahrzeuge sollen durch
die Army für rund 45 Mrd. Dollar beschafft werden.
Bis zum 1. Oktober mussten die Anbieter sowohl ein
schriftliches Angebot als auch ein Demonstrationsfahrzeug bei der
US-Army in den USA abgeben. Diese Deadline haben Rheinmetall und
Partner Raytheon gerissen. Das Angebotspapier konnte sein Ziel in den
USA offenbar rechtzeitig erreichen, nicht aber das Fahrzeug. Eine
fehlende Transportgenehmigung und eine Weigerung der Army, entweder
einer späteren Anlieferung in den USA oder einer
fristgerechten
Übergabe auf einem US-Stützpunkt in Deutschland
zuzustimmen,
waren den Berichten zufolge die Ursache dafür, dass die Army
das
Rheinmetall-Angebot für die Auftragsvergabe zur ersten Phase
des
neuen Programms eines Optionally Manned Fighting Vehicles (OMFV)
disqualifiziert hat.
Die Entscheidung sei endgültig, teilte der
zuständige General Mike Murray vom US-Arny Futures Command
während eines Pressegesprächs auf der AUSA-Konferenz
2019 in
dieser Woche mit. Man habe den Anbietern seit rund 18 Monaten immer
wieder verdeutlicht, was die Army wann erwarte und stehe nun vor der
Situation, mit nur einem Bieter leben zu müssen oder aber eine
erhebliche Programmverzögerung zu riskieren, weil andere
Anbieter
Einspruch einlegen könnten, wenn man dem
Raytheon-Rheinmetall-Team
eine Fristverlängerung gewähre. Nur einen Anbieter
für
diese Projektphase zu haben, sei zwar nicht ideal, verlautete aus dem
Futures Command, aber den fehlenden Wettbewerb könne man in
der
nächsten Projektphase wieder möglich machen.
Anbieter, die in
der ersten Phase nicht dabei waren, stehe es dann offen, ohne vorherige
finanzielle Unterstützung durch die Army auf eigene Kosten
entwickelte Versuchs- und Erprobungsfahrzeuge erneut in den Wettbewerb
zu schicken.
Der US-Army bleibt nach der Disqualifizierung des Teams
Raytheon-Rheinmetall nur noch ein Anbieter: General Dynamics Land
Systems aus den USA. Andere, an dem Programm früher
interessierte
Konkurrenten wie SAIC oder BAE Systems, hatten schon zuvor mitgeteilt,
dass sie kein Angebot abgeben würden. GDLS, ein auch in Europa
mit
aufgekauften Tochterfirmen erfolgreicher Anbieter von gepanzerten
Gefechtsfahrzeugen, dürfte sich dagegen über seine
Monopolposition und auf die Finanzierung aus dem Pentagon für
die
erste Projektphase freuen. Bei einem vergleichbaren Wettbewerb um einen
neuen Schützenpanzer für die australischen
Streitkräfte
erreichte das GDLS-Angebot im September nämlich nicht einmal
die
Endauswahl. Canberra will entweder den Lynx von Rheinmetall oder einen
AS21-Schützenpanzer des südkoreanischen
K21-Herstellers
Hanwha bestellen.
Rheinmetall beteuert, trotzdem weiter an dem Vorhaben
der Army
interessiert zu sein und will sich weiter in dem US-Programm
engagieren. Angesichts der Tatsache, dass das Pentagon derzeit mit
einem auf Vorjahresniveau eingefrorenen Haushalt operieren muss und
deshalb auch keine neuen, vom Kongress noch nicht bewilligten Programme
beginnen kann, bleibt Rheinmetall die Hoffnung, dass der enge Zeitplan
der Army sowieso ins Rutschen gerät und höhere
Entscheidungsebenen auch für die erste Programmphase noch auf
einem echtem Wettbewerb bestehen. Bislang haben sich weder die Spitzen
des Pentagons noch der Kongress mit dem OMFV-Vorhaben intensiver
befasst. Derzeit könnte auch mit GDLS kein Vertrag
abgeschlossen
werden. Rheinmetall kann dagegen schon in Kürze mit einem
Vertrag
über erste Entwicklungsgelder in zweistelliger
Millionenhöhe
aus Australien rechnen.
Für die mittel- und längerfristige
industrielle
Strategie des deutschen Konzerns ist dieses Projekt zu wichtig, um es
vorschnell aufzugeben. Schon die Beteiligung an der Ausschreibung
für ein solches Großvorhaben der US-Army ist ein
Signal.
Rheinmetall will sich auf dem größten
Rüstungsmarkt der
Welt als globaler Player zeigen und beweisen. Den Auftrag zu erhalten
wäre ein enormer Schritt vorwärts, um
ähnlich wie es bei
mittel- und großkalibriger Munition in den letzten zehn
Jahren
gelang, auch bei gepanzerten Gefechtsfahrzeugen zu den global
führenden Anbietern zu gehören. Rheinmetall verfolgt
scheinbar erneut seine bereits im Munitionssektor erfolgreich
praktizierte Strategie der Internationalisierung. Der Konzern zielt auf
eine, in unterschiedlichen Ländern angesiedelte
Produktionsbasis
ab, bestehend aus Tochter- und Gemeinschaftsfirmen sowie Lizenznehmern
und verbessert so mittelfristig auch seine Exportchancen, da aus einer
Endfertigung in unterschiedlichen Staaten auch unterschiedliche
Endkunden rund um den Globus erfolgreich bedient werden können.
Mit der Internationalisierung seiner Sparte für
Gefechtsfahrzeuge hat der Konzern bereits vor etlichen Jahren begonnen.
Firmen im Ausland wurden aufgekauft oder man erwarb Beteiligungen.
Gemeinschaftsfirmen wurden aufgebaut oder gegründet.
Potentiellen
Kunden wurde verdeutlicht, dass sie mit Wertschöpfung im
eigenen
Land rechnen können, weil Rheinmetall auch Firmen im
Kundenland in
Aufträge einbindet, die der Konzern erhält.
Mittlerweile
entwickelt sich das Geschäft mit Gefechtsfahrzeugen
erfolgreich.
An Rheinmetall führt kein Weg vorbei, wenn Kunden
Leopard-2-Panzer
oder deutsche Panzerhaubitzen neu kaufen oder modernisieren. Neben dem
mit KMW gemeinsam entwickelten Schützenpanzer Puma kann
Rheinmetall mit dem Lynx ein Fahrzeug aus dem eigenen Haus anbieten.
Beim Boxer, der zu einem Exportschlager werden könnte, hat man
mittlerweile eh das Sagen. Rheinmetall wähnt sich am Anfang
eines
kommenden "Superzyklus" neuer Aufträge, der Investitionen in
die
eigenen Kapazitäten und den Aufkauf weiterer Firmen lohnend
erscheinen lässt. In den vergangenen Jahren hat Rheinmetall
z.B.
unter anderem
- den Niederländischen Boxer-Partner Stork und
damit die
Mehrheit innerhalb des gesamten Boxer-Programms übernommen.
Der
Konzern nutzt die dortige Endmontagelinie auch zur Herstellung von
Boxern für den Exportkunden Litauen, der bislang 84 Fahrzeuge
bestellt hat;
- an Australien hat der Konzern 211 Exemplare des
Radpanzer
Boxer erfolgreich verkauft und wird bald auch dort mit dessen
Endmontage beginnen;
- Großbritannien hat sich entschieden, dem
Boxer-Programm wieder beizutreten. Es will Hunderte dieser Fahrzeuge
für seine Streitkräfte bestellen. Sie sollen in
Großbritannien gebaut werden. Rheinmetall hat in diesem
Kontext
eine Mehrheitsbeteiligung an der Gemeinschaftsfirma Rheinmetall BAE
Land Systems erworben, die dem deutschen Konzern die operative
Führung von zwei bisherigen BAE-Werken und voraussichtlich
auch
deutlich größere Freiheiten beim Export bescheren
werden als
in Deutschland und den Niederlanden vorhanden;
- Slowenien hat sich ebenfalls entschieden, den Boxer
einzuführen, bisher aber keinen festen Auftrag erteilt;
weitere
mittelost- und südosteuropäische Länder
könnten
folgen;
- zudem führt Rheinmetall offenbar
Gespräche mit
Algerien über eine Endmontage des Boxers in Nordafrika. Dort
hat
Rheinmetall bereits eine Monatagelinie für seinen
Transportpanzer
Fuchs aufgebaut;
- Rheinmetall hat mit dem Lynx eigenständig
einen Schützenpanzer für den Export auf den Markt
gebracht;
- in Australien gelang Rheinmetall mit dem Lynx bereits
der
Einzug in die Endauswahl für den künftigen
Schützenpanzer der australischen Armee, ein lukratives
Multi-Milliardenvorhaben;
- in Tschechien bietet Reinmetall den Lynx ebenfalls
an; dort gibt es mit BAE und GDLS nur noch zwei konkurrierende Anbieter;
- schließlich wollte Rheinmetall diesen
Schützenpanzer auch der US-Army anbieten, wo er nun
zunächst
aus formalen Gründen Schiffbruch erlitten hat.
Um diesen nächsten, noch
größeren Schritt nach
vorne zu machen, ging der deutsche Konzern mit Raytheon zusammen, einem
der größeren Akteure auf dem
US-Militärgütermarkt.
Ende September gründeten beide eine Gemeinschaftsfirma in den
USA,
die Raytheon Rheinmetall Land Systems LLC und gaben bekannt, mit
Textron Systems einen weiteren erfahrenen US-Konzern für
Landsysteme ins Boot geholt zu haben, der die Fahrgestelle für
den
Lynx in den USA herstellen könne. Zuvor war das Team bereits
um
die Technologie-, Beratungs- und Strategiefirma Pratt-Miller Defense
erweitert worden und hatte bei seinen Marketingbemühungen
immer
wieder verdeutlicht, dass der Lynx ein System 'Made by American
Workers' sein werde. Bis es soweit kommen könnte, wird jetzt
aber
wohl noch Zeit und Geld nötig sein.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
Aktueller Nachtrag vom 17.Januar 2020
Die US-Army hat das
Vorhaben zur Entwicklung von Prototypen für die Nachfolge des
Bradley Schützenpanzer OMFV) im Januar 2020 vorläufig
gestoppt. Vor allem zwei Gründe sollen dafür nach Angaben der
Fachzeitschrift Defense News entscheidend gewesen sein.
Zum einen hat der US-Kongress im Dezember 2019 die vorgesehenen Haushaltsmittel
für für diese Vorhaben für das Haushaltsjahr 2020
deutlich um $172,8 Mio. auf $205,6 Mio. gekürzt – ein
Anzeichen dafür dass das Vorhaben in seiner derzeitigen Form
keine ausreichende politische Unterstützung habe.
Zum anderen sei nur ein Angebot frist- und
bedingungsgerecht eingereicht worden; somit sei eine Entwicklung
der Prototypen im industriellen Wettbewerb verschiedener Anbieter nicht
mehr zu realisieren.
Selbstkritik lassen die US-Heeresplaner klingt an, wenn sie
festhalten, dass die Anforderungen an die Anbieter vielleicht zu viel
zu schnell verlangt hätten. Es sei ei gewisser Widerspruch
zwischen den technologischen Ansprüche, einem sehr kurzen
Zeitrahmen undengen formalen Bedingungen entstanden. Zunächst
seien recht viele Firmen an dem Vorhaben interessiert gewesen, dann
immer mehr abgesprungen, weil sie sich der Summe der Anforderungen im
vorgegebenen Zeitraum nicht gewachsen sahen. Schließlich
hätten nur GDLS und ein Team aus Raytheon und Rheinmetall ein
Angebot abgeben wollen. Da Rheinmetall sein gefordertes Musterprodukt,
nicht rechtzeitig in die USA bringen konnte, sei nur das GDLS-Angebot
zugelassen worden. Ob das verbliebene Angebot die technischen
Anforderungen erfüllte, wurde nicht ausgeführt.
Die US-Army sprach gegenüber Defense News von einer
„taktischen Pause“, die man nun bei diesem Vorhaben
einlege. Im Kern zweifle ja niemand an dem Bedarf, einen Nachfolger
für den Bradley zu planen und einzuführen. Rheinmetall kann
sich also künftig entscheiden, ob es an einem künftigen
Auswahlverfahren erneut teilnehmen will. Der Konzern beteiligt
sich bereits an einem ergänzenden Vorhaben der US-Army, der
Entwicklung eines aktiven Schutzsystems für gepanzerte
Kampffahrzeuge.
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