Originalbeitrag
17. Oktober 2019


Rheinmetall disqualifiziert

von Otfried Nassauer


Der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern ist nach Informationen der Zeitschrift Defense News im Wettbewerb um den bislang größten Auftrag der Konzerngeschichte bereits an der ersten Hürde gescheitert. Rheinmetall wollte seinen neu entwickelten Schützenpanzer Lynx KF 41 in den Wettbewerb um die Nachfolge des betagten M2/M3 Bradley der US-Army schicken, der im nächsten Jahrzehnt ersetzt werden soll. Ein ebenso prestigeträchtiger wie riesiger Auftrag. Bis zu 3.800 oder gar 4.000 Fahrzeuge sollen durch die Army für rund 45 Mrd. Dollar beschafft werden. 

Bis zum 1. Oktober mussten die Anbieter sowohl ein schriftliches Angebot als auch ein Demonstrationsfahrzeug bei der US-Army in den USA abgeben. Diese Deadline haben Rheinmetall und Partner Raytheon gerissen. Das Angebotspapier konnte sein Ziel in den USA offenbar rechtzeitig erreichen, nicht aber das Fahrzeug. Eine fehlende Transportgenehmigung und eine Weigerung der Army, entweder einer späteren Anlieferung in den USA oder einer fristgerechten Übergabe auf einem US-Stützpunkt in Deutschland zuzustimmen, waren den Berichten zufolge die Ursache dafür, dass die Army das Rheinmetall-Angebot für die Auftragsvergabe zur ersten Phase des neuen Programms eines Optionally Manned Fighting Vehicles (OMFV) disqualifiziert hat. 

Die Entscheidung sei endgültig, teilte der zuständige General Mike Murray vom US-Arny Futures Command während eines Pressegesprächs auf der AUSA-Konferenz 2019 in dieser Woche mit. Man habe den Anbietern seit rund 18 Monaten immer wieder verdeutlicht, was die Army wann erwarte und stehe nun vor der Situation, mit nur einem Bieter leben zu müssen oder aber eine erhebliche Programmverzögerung zu riskieren, weil andere Anbieter Einspruch einlegen könnten, wenn man dem Raytheon-Rheinmetall-Team eine Fristverlängerung gewähre. Nur einen Anbieter für diese Projektphase zu haben, sei zwar nicht ideal, verlautete aus dem Futures Command, aber den fehlenden Wettbewerb könne man in der nächsten Projektphase wieder möglich machen. Anbieter, die in der ersten Phase nicht dabei waren, stehe es dann offen, ohne vorherige finanzielle Unterstützung durch die Army auf eigene Kosten entwickelte Versuchs- und Erprobungsfahrzeuge erneut in den Wettbewerb zu schicken. 

Der US-Army bleibt nach der Disqualifizierung des Teams Raytheon-Rheinmetall nur noch ein Anbieter: General Dynamics Land Systems aus den USA. Andere, an dem Programm früher interessierte Konkurrenten wie SAIC oder BAE Systems, hatten schon zuvor mitgeteilt, dass sie kein Angebot abgeben würden. GDLS, ein auch in Europa mit aufgekauften Tochterfirmen erfolgreicher Anbieter von gepanzerten Gefechtsfahrzeugen, dürfte sich dagegen über seine Monopolposition und auf die Finanzierung aus dem Pentagon für die erste Projektphase freuen. Bei einem vergleichbaren Wettbewerb um einen neuen Schützenpanzer für die australischen Streitkräfte erreichte das GDLS-Angebot im September nämlich nicht einmal die Endauswahl. Canberra will entweder den Lynx von Rheinmetall oder einen AS21-Schützenpanzer des südkoreanischen K21-Herstellers Hanwha bestellen.

Rheinmetall beteuert, trotzdem weiter an dem Vorhaben der Army interessiert zu sein und will sich weiter in dem US-Programm engagieren. Angesichts der Tatsache, dass das Pentagon derzeit mit einem auf Vorjahresniveau eingefrorenen Haushalt operieren muss und deshalb auch keine neuen, vom Kongress noch nicht bewilligten Programme beginnen kann, bleibt Rheinmetall die Hoffnung, dass der enge Zeitplan der Army sowieso ins Rutschen gerät und höhere Entscheidungsebenen auch für die erste Programmphase noch auf einem echtem Wettbewerb bestehen. Bislang haben sich weder die Spitzen des Pentagons noch der Kongress mit dem OMFV-Vorhaben intensiver befasst. Derzeit könnte auch mit GDLS kein Vertrag abgeschlossen werden. Rheinmetall kann dagegen schon in Kürze mit einem Vertrag über erste Entwicklungsgelder in zweistelliger Millionenhöhe aus Australien rechnen. 

Für die mittel- und längerfristige industrielle Strategie des deutschen Konzerns ist dieses Projekt zu wichtig, um es vorschnell aufzugeben. Schon die Beteiligung an der Ausschreibung für ein solches Großvorhaben der US-Army ist ein Signal. Rheinmetall will sich auf dem größten Rüstungsmarkt der Welt als globaler Player zeigen und beweisen. Den Auftrag zu erhalten wäre ein enormer Schritt vorwärts, um ähnlich wie es bei mittel- und großkalibriger Munition in den letzten zehn Jahren gelang, auch bei gepanzerten Gefechtsfahrzeugen zu den global führenden Anbietern zu gehören. Rheinmetall verfolgt scheinbar erneut seine bereits im Munitionssektor erfolgreich praktizierte Strategie der Internationalisierung. Der Konzern zielt auf eine, in unterschiedlichen Ländern angesiedelte Produktionsbasis ab, bestehend aus Tochter- und Gemeinschaftsfirmen sowie Lizenznehmern und verbessert so mittelfristig auch seine Exportchancen, da aus einer Endfertigung in unterschiedlichen Staaten auch unterschiedliche Endkunden rund um den Globus erfolgreich bedient werden können.

Mit der Internationalisierung seiner Sparte für Gefechtsfahrzeuge hat der Konzern bereits vor etlichen Jahren begonnen. Firmen im Ausland wurden aufgekauft oder man erwarb Beteiligungen. Gemeinschaftsfirmen wurden aufgebaut oder gegründet. Potentiellen Kunden wurde verdeutlicht, dass sie mit Wertschöpfung im eigenen Land rechnen können, weil Rheinmetall auch Firmen im Kundenland in Aufträge einbindet, die der Konzern erhält. Mittlerweile entwickelt sich das Geschäft mit Gefechtsfahrzeugen erfolgreich. An Rheinmetall führt kein Weg vorbei, wenn Kunden Leopard-2-Panzer oder deutsche Panzerhaubitzen neu kaufen oder modernisieren. Neben dem mit KMW gemeinsam entwickelten Schützenpanzer Puma kann Rheinmetall mit dem Lynx ein Fahrzeug aus dem eigenen Haus anbieten. Beim Boxer, der zu einem Exportschlager werden könnte, hat man mittlerweile eh das Sagen. Rheinmetall wähnt sich am Anfang eines kommenden "Superzyklus" neuer Aufträge, der Investitionen in die eigenen Kapazitäten und den Aufkauf weiterer Firmen lohnend erscheinen lässt. In den vergangenen Jahren hat Rheinmetall z.B. unter anderem

  • den Niederländischen Boxer-Partner Stork und damit die Mehrheit innerhalb des gesamten Boxer-Programms übernommen. Der Konzern nutzt die dortige Endmontagelinie auch zur Herstellung von Boxern für den Exportkunden Litauen, der bislang 84 Fahrzeuge bestellt hat;
  • an Australien hat der Konzern 211 Exemplare des Radpanzer Boxer erfolgreich verkauft und wird bald auch dort mit dessen Endmontage beginnen;
  • Großbritannien hat sich entschieden, dem Boxer-Programm wieder beizutreten. Es will Hunderte dieser Fahrzeuge für seine Streitkräfte bestellen. Sie sollen in Großbritannien gebaut werden. Rheinmetall hat in diesem Kontext eine Mehrheitsbeteiligung an der Gemeinschaftsfirma Rheinmetall BAE Land Systems erworben, die dem deutschen Konzern die operative Führung von zwei bisherigen BAE-Werken und voraussichtlich auch deutlich größere Freiheiten beim Export bescheren werden als in Deutschland und den Niederlanden vorhanden;
  • Slowenien hat sich ebenfalls entschieden, den Boxer einzuführen, bisher aber keinen festen Auftrag erteilt; weitere mittelost- und südosteuropäische Länder könnten folgen;
  • zudem führt Rheinmetall offenbar Gespräche mit Algerien über eine Endmontage des Boxers in Nordafrika. Dort hat Rheinmetall bereits eine Monatagelinie für seinen Transportpanzer Fuchs aufgebaut;
  • Rheinmetall hat mit dem Lynx eigenständig einen Schützenpanzer für den Export auf den Markt gebracht;
  • in Australien gelang Rheinmetall mit dem Lynx bereits der Einzug in die Endauswahl für den künftigen Schützenpanzer der australischen Armee, ein lukratives Multi-Milliardenvorhaben;
  • in Tschechien bietet Reinmetall den Lynx ebenfalls an; dort gibt es mit BAE und GDLS nur noch zwei konkurrierende Anbieter;
  • schließlich wollte Rheinmetall diesen Schützenpanzer auch der US-Army anbieten, wo er nun zunächst aus formalen Gründen Schiffbruch erlitten hat.

Um diesen nächsten, noch größeren Schritt nach vorne zu machen, ging der deutsche Konzern mit Raytheon zusammen, einem der größeren Akteure auf dem US-Militärgütermarkt. Ende September gründeten beide eine Gemeinschaftsfirma in den USA, die Raytheon Rheinmetall Land Systems LLC und gaben bekannt, mit Textron Systems einen weiteren erfahrenen US-Konzern für Landsysteme ins Boot geholt zu haben, der die Fahrgestelle für den Lynx in den USA herstellen könne. Zuvor war das Team bereits um die Technologie-, Beratungs- und Strategiefirma Pratt-Miller Defense erweitert worden und hatte bei seinen Marketingbemühungen immer wieder verdeutlicht, dass der Lynx ein System 'Made by American Workers' sein werde. Bis es soweit kommen könnte, wird jetzt aber wohl noch Zeit und Geld nötig sein.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS

 

 Aktueller Nachtrag vom 17.Januar 2020

Die US-Army hat das Vorhaben zur Entwicklung von Prototypen für die Nachfolge des Bradley Schützenpanzer OMFV) im Januar 2020 vorläufig gestoppt. Vor allem zwei Gründe sollen dafür nach Angaben der Fachzeitschrift Defense News entscheidend gewesen sein. 

Zum einen hat der US-Kongress im Dezember 2019 die vorgesehenen Haushaltsmittel für für diese Vorhaben für das Haushaltsjahr 2020 deutlich um $172,8 Mio. auf $205,6 Mio. gekürzt – ein Anzeichen  dafür dass das Vorhaben in seiner derzeitigen Form keine ausreichende politische Unterstützung habe.

Zum anderen sei nur ein Angebot frist- und bedingungsgerecht  eingereicht worden; somit sei eine Entwicklung der Prototypen im industriellen Wettbewerb verschiedener Anbieter nicht mehr zu realisieren.

Selbstkritik lassen die US-Heeresplaner klingt an, wenn sie festhalten, dass die Anforderungen an die Anbieter vielleicht zu viel zu schnell verlangt hätten. Es sei ei gewisser Widerspruch zwischen  den technologischen Ansprüche, einem sehr kurzen Zeitrahmen undengen formalen Bedingungen entstanden. Zunächst seien recht viele Firmen an dem Vorhaben interessiert gewesen, dann immer mehr abgesprungen, weil sie sich der Summe der Anforderungen im vorgegebenen Zeitraum nicht gewachsen sahen. Schließlich hätten nur GDLS und ein Team aus Raytheon und Rheinmetall ein Angebot abgeben wollen. Da Rheinmetall sein gefordertes Musterprodukt, nicht rechtzeitig in die USA bringen konnte, sei nur das GDLS-Angebot zugelassen worden. Ob das verbliebene Angebot  die technischen Anforderungen erfüllte, wurde nicht ausgeführt.

Die US-Army sprach gegenüber Defense News von einer „taktischen Pause“, die man nun bei diesem Vorhaben einlege. Im Kern zweifle ja niemand an dem Bedarf, einen Nachfolger für den Bradley zu planen und einzuführen. Rheinmetall kann sich also künftig entscheiden, ob es an einem künftigen Auswahlverfahren  erneut teilnehmen will. Der Konzern beteiligt sich bereits an einem ergänzenden Vorhaben der US-Army, der Entwicklung eines aktiven Schutzsystems für gepanzerte Kampffahrzeuge.