Washington kündigt den Vertrag über den Offenen Himmel
von Otfried Nassauer
Knapp zwei Monate nach der umstrittenen Ankündigung der
Administration von US-Präsidenten Donald Trump am 22. Mai 2020,
aus dem Vertrag über den Offenen Himmel zum 22. November 2020
auszuscheiden, hat auch die US-Airforce Konsequenzen gezogen. Sie hat
die angekündigte Ausschreibung für die Beschaffung eines
Nachfolgers für die veralteten Open Skies-Flugzeuge vom Typ OC135B
(Boeing C-135Stratolifter-Flugzeuge) offiziell zurückgezogen,
berichten Defense News und The National Interest
übereinstimmend. Im Haushaltsgesetz für 2019 waren dafür
125 Mio. US-Dollar eingestellt; die Luftwaffe hatte diese aber bislang
nicht in Anspruch genommen.
Weder die Begründung, die das US-Außenministerium für die Ankündigung des US-Austritts aus dem Vertrag abgab, noch die Stellungnahme der USA auf der daraufhin einberufenen Konferenz der Vertragsstaaten abgaben und auch der jüngste jährliche Bericht des Außenministeriums über die Vertragstreue
bei Rüstungskontrollverträgen aus dem Juni argumentieren,
dass Russland materiell gegen den Vertrag über den Offenen Himmel
verstoßen habe. Beide Papiere werfen Moskau nur vor, den Vertrag
im Blick auf technische Aspekte auszuhöhlen und zu missbrauchen.
Mit Vorwürfen solcher Art das eigene Ausscheiden aus einem
internationalen Vertrag zu begründen, ist nicht nur
ungewöhnlich, sondern möglicherweise auch der Versuch, einen
Präzendenzfall zu schaffen, wie man internationale Verträge
und deren Einhaltung zum Gegenstand politisch-taktischer
Vorgehensweisen machen kann, also für politics nutzen kann.
Diese Argumentation ähnelt zudem jener Kritik, mit der
auch der Textstopp-Verbotsvertrag (CTBT) in Washington immer deutlicher
in Frage gestellt wird. Ion diesem Kontext argumentieren die USA
strukturell ähnlich: Sie kritisieren Russland und die
Volksrepublik China lautstark, eine US-Interpretation des Vertrages
nicht einzuhalten, die besagt, dieser Vertrag erfordere den Verzicht
auf alle Testexplosionen, egal wie klein die dabei auftretende nukleare
Explosion sei (zero yield). Diese Lesart findet sich weder im
Vertragstext noch in den den CTBT begleitenden internationalen
Dokumenten. Mit anderen Worten: Hier deutet sich eine strukturell neue
Argumentationslinie an: Wenn andere Vertragsstaaten
Vertragsinterpretationen der USA nicht mittragen, so kann dies aus
Washingtoner Sicht Grund genug sein, um ihnen mangelnde Vertragstreue
oder gar Vertragsbruch vorzuwerfen und in einem Folgeschritt den ganzen
Vertrag über Bord zu werfen.
Anfang Oktober dieses Jahres steht eine nur alle fünf
Jahre vorgesehene Überprüfungskonferenz des Vertrags
über den offenen Himmel an. Bei dieser wird sich wohl
endgültig zeigen, ob wohin die Reise bei diesem Vertrag gehen wird
und ob die restlichen 33 Vertragsmitglieder ihm die Treue halten.
Bislang hat noch kein weitere Staat angekündigt, den Vertrag
verlassen zu wollen. Nach der Überprüfungskonferenz wird sich
wohl auch zeigen, ob Washington endgültig aus dem Vertrag
ausscheidet oder seine Ankündigung wieder zurücknimmt. Vor
dem 22. November finden am 3. November in den USA
Präsidentschaftswahlen statt.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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