Originalbeitrag
17. Juli 2020


Washington kündigt den Vertrag über den Offenen Himmel

von Otfried Nassauer


Knapp zwei Monate nach der umstrittenen Ankündigung der Administration von US-Präsidenten Donald Trump am 22. Mai 2020, aus dem Vertrag über den Offenen Himmel zum 22. November 2020 auszuscheiden, hat auch die US-Airforce Konsequenzen gezogen. Sie hat die angekündigte Ausschreibung für die Beschaffung eines Nachfolgers für die veralteten Open Skies-Flugzeuge vom Typ OC135B (Boeing C-135Stratolifter-Flugzeuge) offiziell zurückgezogen, berichten Defense News und The National Interest übereinstimmend. Im Haushaltsgesetz für 2019 waren dafür 125 Mio. US-Dollar eingestellt; die Luftwaffe hatte diese aber bislang nicht in Anspruch genommen.

Weder die Begründung, die das US-Außenministerium für die Ankündigung des US-Austritts aus dem Vertrag abgab, noch die Stellungnahme der USA auf der daraufhin einberufenen Konferenz der Vertragsstaaten abgaben und auch der jüngste jährliche Bericht des Außenministeriums über die Vertragstreue bei Rüstungskontrollverträgen aus dem Juni argumentieren, dass Russland materiell gegen den Vertrag über den Offenen Himmel verstoßen habe. Beide Papiere werfen Moskau nur vor, den Vertrag im Blick auf technische Aspekte auszuhöhlen und zu missbrauchen. Mit Vorwürfen solcher Art das eigene Ausscheiden aus einem internationalen Vertrag zu begründen, ist nicht nur ungewöhnlich, sondern möglicherweise auch der Versuch, einen Präzendenzfall zu schaffen, wie man internationale Verträge und deren Einhaltung zum Gegenstand politisch-taktischer Vorgehensweisen machen kann, also für politics nutzen kann.

Diese Argumentation ähnelt zudem jener Kritik, mit der auch der Textstopp-Verbotsvertrag (CTBT) in Washington immer deutlicher in Frage gestellt wird. Ion diesem Kontext argumentieren die USA strukturell ähnlich: Sie kritisieren Russland und die Volksrepublik China lautstark, eine US-Interpretation des Vertrages nicht einzuhalten, die besagt, dieser Vertrag erfordere den Verzicht auf alle Testexplosionen, egal wie klein die dabei auftretende nukleare Explosion sei (zero yield). Diese Lesart findet sich weder im Vertragstext noch in den den CTBT begleitenden internationalen Dokumenten. Mit anderen Worten: Hier deutet sich eine strukturell neue Argumentationslinie an: Wenn andere Vertragsstaaten Vertragsinterpretationen der USA nicht mittragen, so kann dies aus Washingtoner Sicht Grund genug sein, um ihnen mangelnde Vertragstreue oder gar Vertragsbruch vorzuwerfen und in einem Folgeschritt den ganzen Vertrag über Bord zu werfen.

Anfang Oktober dieses Jahres steht eine nur alle fünf Jahre vorgesehene Überprüfungskonferenz des Vertrags über den offenen Himmel an. Bei dieser wird sich wohl endgültig zeigen, ob wohin die Reise bei diesem Vertrag gehen wird und ob die restlichen 33 Vertragsmitglieder ihm die Treue halten. Bislang hat noch kein weitere Staat angekündigt, den Vertrag verlassen zu wollen. Nach der Überprüfungskonferenz wird sich wohl auch zeigen, ob Washington endgültig aus dem Vertrag ausscheidet oder seine Ankündigung wieder zurücknimmt. Vor dem 22. November finden am 3. November in den USA Präsidentschaftswahlen statt.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS