Originalbeitrag
10. Februar 2018


Versprochen: Restriktiver Rüstungsexport

von Otfried Nassauer


„Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik“, so lautet die Überschrift über einen kleinen Abschnitt des neuen Koalitionsvertrags von CDU/CSU und SPD. Das klingt gut, erinnert aber auch sofort an die alte Weisheit: „Gut gemeint heißt nicht immer gut gemacht“. Schaut man genauer in den Text, so kommen – je weiter man liest, desto mehr – sogar Zweifel auf, ob diese Passagen überhaupt „gut gemeint“ waren oder gar nur ein Versuch „gut gemachter Augenwischerei“ sind. Fünf Beispiele:

Schon der erste Satz lässt stutzen: „Wir schränken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder NATO noch EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen gleichgestellt“, heißt es da im neuen Koalitionsvertrag. Wie kann man etwas „weiter“ einschränken, das man zuvor 19 Jahre lang massiv ausgeweitet hat? Seit 1999 berichtet die Bundesregierung über ihre Rüstungsexportgenehmigungen. In der ersten Legislaturperiode dieses Zeitraums (1999-2002) erteilte sie Einzelgenehmigungen im Wert von insgesamt knapp 3,5 Mrd. € für Drittländer; in der bislang letzten Legislaturperiode (2014-2017) waren es knapp 14,5 Mrd. €, also mehr als viermal soviel. Ein Vergleich der vorletzten mit der letzten Legislaturperiode ergibt alleine eine Steigerung um rund 4,6 Mrd. €. Wie sinnfrei ist das Versprechen, die Genehmigungen „weiter einschränken“ zu wollen?

Und doch, die Zusage einer „Einschränkung“ könnte in den kommenden Jahren sogar auf eine eigenartige Weise „erfüllt“ werden. Versteht man darunter lediglich, dass der prozentuale, wertmäßige Anteil der Genehmigungen für Drittländer im Vergleich zu den Genehmigungen für Nicht-Drittländer sinkt, dann wäre das unter Umständen nicht einmal ganz unrealistisch. Die NATO- und EU-Staaten wollen mehr Geld für Rüstung ausgeben und könnten die Kapazitäten der deutschen Rüstungsindustrie wieder verstärkt auslasten. Dann sänke der prozentuale Anteil der Genehmigungen für Drittstaaten, nicht aber notwendigerweise ihr Wert. Unklar ist jedoch, ob das nicht eine zu hoffnungsfrohe Rechnung wäre, die ohne den Wirt kalkuliert wurde: Was, wenn die Industrie ihre Produktionskapazitäten ausweitet, statt sie anders auszulasten? Was, wenn sie die in den letzten Jahren erzielten Marktanteile in Drittländern nicht wieder aufgeben will, sondern sogar weiter ausbauen möchte? In einem auf Wachstum orientierten Wirtschaftssystem auf freiwillige Selbstbeschränkung der privaten Industrie und eine restriktive Einwerbung neuer Rüstungsaufträge aus Drittländern zu hoffen, kann sich schnell als Illusion erweisen.

Zweitens: „Ergänzend zu den Kleinwaffengrundsätzen vom Mai 2015 sollen Kleinwaffen grundsätzlich nicht mehr in Drittländer exportiert werden“, lautet eine weitere Absichtserklärung in der neuen Koalitionsvereinbarung. Das Wort „grundsätzlich“ ist hier im juristischen Sinne zu verstehen. Der Satz besagt also nicht, dass für Kleinwaffen keine Exportgenehmigungen in Drittländer mehr erteilt werden sollen, sondern dass es sie nur noch in Ausnahmefällen geben soll. Wie viele solcher Ausnahmefälle es geben wird, unterliegt jedoch allein der politischen Gestaltungsfreiheit und Opportunität der Exekutive.

Drittens heißt es in dem Dokument: „Wir schärfen noch im Jahr 2018 die Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten.“ Hinter dieser Absichtserklärung verbergen sich gleich mehrere Probleme: Sie stellt eine Absage an die Idee dar, ein rechtlich verbindliches Rüstungsexportgesetz zu erarbeiten. Statt dessen sollen die nur politisch verbindlichen Rüstungsexportrichtlinien rasch überarbeitet werden. Ob die neuen Richtlinien tatsächlich restriktivere Vorgaben und Genehmigungsvoraussetzungen als bisher enthalten werden, bleibt vorerst offen und wird sich erfahrungsgemäß erst zeigen, wenn klar wird, welche und wie flexible Interpretationsspielräume die Neufassung bieten wird. Schärfen muss ja nicht zwingend verschärfen heißen.

Viertens: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben. Wir wollen diese restriktive Exportpolitik mit Blick auf den Jemen auch mit unseren Partnern im Bereich der europäischen Gemeinschaftsprojekte verabreden,“ heißt es in der Vereinbarung.
Diese Absichtserklärung bedarf einer doppelten Reaktion: Keine Rüstungsgüter an Kriegsparteien zu liefern, deren militärische Aktionen nicht durch Artikel 51 der UN-Charta, also das Selbstverteidigungsrecht, oder ein Mandat der Vereinten Nationen gedeckt sind, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Das Grundgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz bestimmen, dass Kriegswaffenexporte nicht genehmigt werden dürfen, wenn „die Gefahr besteht“, dass die Waffen „bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg“ verwendet werden. Auch das Außenwirtschaftsgesetz sieht vor, dass die Ausfuhr in Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern versagt werden kann, um „eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten“. In den derzeit gültigen Rüstungsexportrichtlinien heißt es zudem: „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder,

  • die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht, 
  • in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden.

Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus, sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der VN-Charta vorliegt.“ Bedauerlicherweise betrifft diese Regelung bislang nur kriegswaffennahe und nicht alle sonstigen Rüstungsgüter.

Die zweite Antwort betrifft den Wortlaut der Ankündigung selbst. Auch dieser enthält mehrere Einschränkungen. Zum einen bleiben neue Genehmigungen für Länder möglich, die nicht unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind. Der Kreis der potentiell betroffenen Länder wurde also im Vergleich zum Ergebnis der Sondierungsgespräche geschrumpft. Zum anderen soll die Beschränkung offenbar nur solange gelten, wie im Jemen Krieg geführt wird und das Empfängerland daran unmittelbar beteiligt ist, also Waffen und Soldaten in diesem Krieg einsetzt. Und drittens gilt sie nicht für laufende Verträge bzw. erteilte Genehmigungen für Rüstungsgüter, für die die Firmen nachweisen können, dass ihre Produkte im Empfängerland verbleiben. Wie das in der Praxis nachgewiesen werden soll, bleib offen. Reicht dafür eine schriftliche Endverbleibserklärung des Empfängers aus? Muss er der Bundesregierung ein Überprüfungsrecht einräumen? Zumindest zwei große Exportgeschäfte nach Saudi-Arabien dürften damit „Bestandsschutz“ zu genießen: Das milliardenschwere Grenzsicherungssystem von Airbus und die Patrouillenboote der Firma Lürssen. Die Absicht, ähnliches in der EU für europäische Gemeinschaftsprojekte vereinbaren zu wollen, greift dagegen in entscheidenden Punkten deutlich zu kurz: Selbst die massiven Bombenexporte der Rheinmetall-Tochter RWM Italia nach Saudi-Arabien wären davon keineswegs betroffen.

Fünftens: „Auf dieser Basis streben wir ebenfalls eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik an und wollen den gemeinsamen Standpunkt der EU fortentwickeln.“ Diese Absichtserklärung prägte bereits die Koalitionsvereinbarungen der beiden bisherigen Großen Koalitionen. Der Fortschritt auf diesem Weg hat sich bekanntermaßen als Schnecke erwiesen.

Beim Rüstungsexport verspricht die neue Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD also vor allem eines: Einen altbekannten Scheinriesen namens Restriktivität.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS