Versprochen: Restriktiver Rüstungsexport
von Otfried Nassauer
„Für eine restriktive
Rüstungsexportpolitik“, so lautet die
Überschrift über einen kleinen Abschnitt des neuen
Koalitionsvertrags von CDU/CSU und SPD. Das klingt gut, erinnert aber
auch sofort an die alte Weisheit: „Gut gemeint
heißt nicht immer gut gemacht“. Schaut man genauer
in den Text, so kommen – je weiter man liest, desto mehr
– sogar Zweifel auf, ob diese Passagen überhaupt
„gut gemeint“ waren oder gar nur ein Versuch
„gut gemachter Augenwischerei“ sind. Fünf
Beispiele:
Schon der erste Satz lässt stutzen: „Wir
schränken die Rüstungsexporte für
Drittländer weiter ein, die weder NATO noch
EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen
gleichgestellt“, heißt es da im neuen
Koalitionsvertrag. Wie kann man etwas „weiter“
einschränken, das man zuvor 19 Jahre lang massiv ausgeweitet
hat? Seit 1999 berichtet die Bundesregierung über ihre
Rüstungsexportgenehmigungen. In der ersten Legislaturperiode
dieses Zeitraums (1999-2002) erteilte sie Einzelgenehmigungen im Wert
von insgesamt knapp 3,5 Mrd. € für
Drittländer; in der bislang letzten Legislaturperiode
(2014-2017) waren es knapp 14,5 Mrd. €, also mehr als viermal
soviel. Ein Vergleich der vorletzten mit der letzten Legislaturperiode
ergibt alleine eine Steigerung um rund 4,6 Mrd. €. Wie
sinnfrei ist das Versprechen, die Genehmigungen „weiter
einschränken“ zu wollen?
Und doch, die Zusage einer
„Einschränkung“ könnte in den
kommenden Jahren sogar auf eine eigenartige Weise
„erfüllt“ werden. Versteht man darunter
lediglich, dass der prozentuale, wertmäßige Anteil
der Genehmigungen für Drittländer im Vergleich zu den
Genehmigungen für Nicht-Drittländer sinkt, dann
wäre das unter Umständen nicht einmal ganz
unrealistisch. Die NATO- und EU-Staaten wollen mehr Geld für
Rüstung ausgeben und könnten die Kapazitäten
der deutschen Rüstungsindustrie wieder verstärkt
auslasten. Dann sänke der prozentuale Anteil der Genehmigungen
für Drittstaaten, nicht aber notwendigerweise ihr Wert. Unklar
ist jedoch, ob das nicht eine zu hoffnungsfrohe Rechnung wäre,
die ohne den Wirt kalkuliert wurde: Was, wenn die Industrie ihre
Produktionskapazitäten ausweitet, statt sie anders
auszulasten? Was, wenn sie die in den letzten Jahren erzielten
Marktanteile in Drittländern nicht wieder aufgeben will,
sondern sogar weiter ausbauen möchte? In einem auf Wachstum
orientierten Wirtschaftssystem auf freiwillige
Selbstbeschränkung der privaten Industrie und eine restriktive
Einwerbung neuer Rüstungsaufträge aus
Drittländern zu hoffen, kann sich schnell als Illusion
erweisen.
Zweitens: „Ergänzend zu den
Kleinwaffengrundsätzen vom Mai 2015 sollen Kleinwaffen
grundsätzlich nicht mehr in Drittländer exportiert
werden“, lautet eine weitere Absichtserklärung in
der neuen Koalitionsvereinbarung. Das Wort
„grundsätzlich“ ist hier im juristischen
Sinne zu verstehen. Der Satz besagt also nicht, dass für
Kleinwaffen keine Exportgenehmigungen in Drittländer mehr
erteilt werden sollen, sondern dass es sie nur noch in
Ausnahmefällen geben soll. Wie viele solcher
Ausnahmefälle es geben wird, unterliegt jedoch allein der
politischen Gestaltungsfreiheit und Opportunität der Exekutive.
Drittens heißt es in dem Dokument: „Wir
schärfen noch im Jahr 2018 die
Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren
damit auf die veränderten Gegebenheiten.“ Hinter
dieser Absichtserklärung verbergen sich gleich mehrere
Probleme: Sie stellt eine Absage an die Idee dar, ein rechtlich
verbindliches Rüstungsexportgesetz zu erarbeiten. Statt dessen
sollen die nur politisch verbindlichen
Rüstungsexportrichtlinien rasch überarbeitet werden.
Ob die neuen Richtlinien tatsächlich restriktivere Vorgaben
und Genehmigungsvoraussetzungen als bisher enthalten werden, bleibt
vorerst offen und wird sich erfahrungsgemäß erst
zeigen, wenn klar wird, welche und wie flexible
Interpretationsspielräume die Neufassung bieten wird.
Schärfen muss ja nicht zwingend verschärfen
heißen.
Viertens: „Wir werden ab sofort keine
Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am
Jemen-Krieg beteiligt sind. Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern
sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen
ausschließlich im Empfängerland verbleiben. Wir
wollen diese restriktive Exportpolitik mit Blick auf den Jemen auch mit
unseren Partnern im Bereich der europäischen
Gemeinschaftsprojekte verabreden,“ heißt es in der
Vereinbarung.
Diese Absichtserklärung bedarf einer doppelten Reaktion: Keine
Rüstungsgüter an Kriegsparteien zu liefern, deren
militärische Aktionen nicht durch Artikel 51 der UN-Charta,
also das Selbstverteidigungsrecht, oder ein Mandat der Vereinten
Nationen gedeckt sind, sollte eine Selbstverständlichkeit
sein. Das Grundgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz bestimmen,
dass Kriegswaffenexporte nicht genehmigt werden dürfen, wenn
„die Gefahr besteht“, dass die Waffen
„bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere
bei einem Angriffskrieg“ verwendet werden. Auch das
Außenwirtschaftsgesetz sieht vor, dass die Ausfuhr in
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern versagt
werden kann, um „eine Störung des friedlichen
Zusammenlebens der Völker zu verhüten“. In
den derzeit gültigen Rüstungsexportrichtlinien
heißt es zudem: „Die Lieferung von Kriegswaffen und
kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht
genehmigt in Länder,
- die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt
sind oder wo eine solche droht,
- in denen ein Ausbruch bewaffneter
Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte
durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder
verschärft würden.
Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten
äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine
Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden
deshalb grundsätzlich aus, sofern nicht ein Fall des Artikels
51 der VN-Charta vorliegt.“ Bedauerlicherweise betrifft diese
Regelung bislang nur kriegswaffennahe und nicht alle sonstigen
Rüstungsgüter.
Die zweite Antwort betrifft den Wortlaut der Ankündigung
selbst. Auch dieser enthält mehrere Einschränkungen.
Zum einen bleiben neue Genehmigungen für Länder
möglich, die nicht unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.
Der Kreis der potentiell betroffenen Länder wurde also im
Vergleich zum Ergebnis der Sondierungsgespräche geschrumpft.
Zum anderen soll die Beschränkung offenbar nur solange gelten,
wie im Jemen Krieg geführt wird und das Empfängerland
daran unmittelbar beteiligt ist, also Waffen und Soldaten in diesem
Krieg einsetzt. Und drittens gilt sie nicht für laufende
Verträge bzw. erteilte Genehmigungen für
Rüstungsgüter, für die die Firmen nachweisen
können, dass ihre Produkte im Empfängerland
verbleiben. Wie das in der Praxis nachgewiesen werden soll, bleib
offen. Reicht dafür eine schriftliche
Endverbleibserklärung des Empfängers aus? Muss er der
Bundesregierung ein Überprüfungsrecht
einräumen? Zumindest zwei große
Exportgeschäfte nach Saudi-Arabien dürften damit
„Bestandsschutz“ zu genießen: Das
milliardenschwere Grenzsicherungssystem von Airbus und die
Patrouillenboote der Firma Lürssen. Die Absicht,
ähnliches in der EU für europäische
Gemeinschaftsprojekte vereinbaren zu wollen, greift dagegen in
entscheidenden Punkten deutlich zu kurz: Selbst die massiven
Bombenexporte der Rheinmetall-Tochter RWM Italia nach Saudi-Arabien
wären davon keineswegs betroffen.
Fünftens: „Auf dieser Basis streben wir ebenfalls
eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik an
und wollen den gemeinsamen Standpunkt der EU fortentwickeln.“
Diese Absichtserklärung prägte bereits die
Koalitionsvereinbarungen der beiden bisherigen Großen
Koalitionen. Der Fortschritt auf diesem Weg hat sich
bekanntermaßen als Schnecke erwiesen.
Beim Rüstungsexport verspricht die neue Koalitionsvereinbarung
von CDU/CSU und SPD also vor allem eines: Einen altbekannten
Scheinriesen namens Restriktivität.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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