Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien vor dem Aus?
von Otfried Nassauer
Die Rheinmetall (MAN) Military Vehicles GmbH (RMV) hat in dieser Woche
vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt in erster Instanz ein wichtiges
Verfahren gegen das Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle (BAFA) gewonnen. Das Gericht hält die
sogenannte „Ruhensanordnung“ für bereits
erteilte Rüstungsexportgenehmigungen nach Saudi-Arabien
für unzureichend begründet und hebt diese auf. Dieses
befristete Ausfuhrverbot der Bundesregierung für die
betroffenen Rüstungsexportgenehmigungen hat also keinen
Bestand mehr. Würde das Urteil rechtskräftig, so
dürften Firmen, die über solche ruhenden
Genehmigungen verfügen, ihre Lieferungen nach Saudi-Arabien
wieder aufnehmen oder im Falle eines Widerrufs Schadensersatz
beanspruchen. Dann käme dem Urteil über den konkret
verhandelten Fall hinaus eine wichtige Signalwirkung zu. Dem
für die Begründung der befristeten Lieferverbote
zuständigen Wirtschaftsministerium stellt das Urteil nicht
weniger als ein Faulheits- oder Arroganzzeugnis aus, wenn das Gericht
feststellt, dass die „pauschale und knappe
Begründung“ der Entscheidung „nicht den
gesetzlichen Anforderungen entspreche. Außenwirtschaftliche
Entscheidungen seien nicht wegen der außen- und
sicherheitspolitischen Bedeutung von vornherein jeglicher
Begründungspflicht entzogen“ hält das
Gericht fest.
Geklagt hatte mit RMV eine Firma, die im Besitz einer
gültigen Ausfuhrgenehmigung für schwere LKWs nach
Saudi-Arabien war, als das BAFA im November 2018 deren
Gültigkeit befristet aufhob und die Aufhebung ab März
2019 wiederholt durch sogenannte Ruhensanordnungen wiederum befristet
verlängerte. Ein Widerspruch, den RMV gegen die Aussetzung
seiner Ausfuhrgenehmigung einlegte, wurde vom BAFA wiederholt nicht
entschieden, sodass das Unternehmen Untätigkeitsklage beim
Verwaltungsgericht Frankfurt erhob. Auslöser und Grund dieser
Veränderung der deutschen Genehmigungspolitik für
Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien war die Ermordung des
saudischen Journalisten Jamal Khaschoggi in Istanbul im Oktober 2018.
RMV ist aber kein Einzelfall. Befristete Aufhebungen
ihrer bereits erteilten Genehmigungen erhielten auch andere Firmen wie
zum Beispiel Lürssen oder Airbus, denen ebenfalls bereits
Exportgenehmigungen für laufende Geschäfte nach
Saudi-Arabien erteilt worden waren.
RMV verfügte über eine Genehmigung
für die Ausfuhr von 110 schweren Sattelzugmaschinen des Typs
HX81 im Wert von €134 Mio., von denen etwa 20 bereits
ausgeliefert waren, als die Bundesregierung ihre Haltung zu den
Saudi-Arabien-Exporten im November 2018 änderte. 90 weitere
Fahrzeuge, die vertragsgemäß spätestens
Anfang 2019 hätten ausgeliefert werden sollen, stehen sich
seither in einer deutschen Lagerhalle die Reifen platt.
Die Endmontage der zugehörigen Tieflader zum
Panzertransport wurde später mit Genehmigung der Bundesregierung von
der Ulmer Firma Kamag zu deren französischer Schwesterfirma
Nicholas Industries verlagert. Paris erlaubt - anders als Berlin -
weiterhin Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien.
All zu hoffnungsfrohe Schlüsse sollte die
Industrie aus dem
Frankfurter Urteil jedoch auch nicht ableiten. Der Richter hat keine
der substantiellen Fragen selbst beurteilt oder beantwortet, die mit
diesem Fall verbunden sind. Er ist – wie ein Mitarbeiter des
BAFA es ausdrückte, rechtzeitig „auf freies Feld
abgebogen“. Die angegriffenen Bescheide des BAFAs hob er
lediglich wegen „formeller
Begründungsdefizite“ auf.
Unbeantwortet bleiben damit vor allem zwei durch die
Klage aufgeworfene
grundsätzliche Fragen:
- Gibt es überhaupt eine rechtliche Grundlage
dafür,
eine bereits erteilte Ausfuhrgenehmigung vorübergehend ruhen
zu lassen, also befristet auszusetzen? Das
Außenwirtschaftsgesetz kennt zwar die Möglichkeit,
eine erteilte Genehmigung zu widerrufen. Ein solcher Widerruf hat aber
dann eine Schadensersatzpflicht des Staates zur Folge.
- Zweitens: Reicht die seitens der Bundesregierung
genannte
Begründung – die unzureichenden Bemühungen
der saudischen Regierung, die Verantwortlichen für den Mord an
dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi zur Rechenschaft zu ziehen
– aus, um die im AWG genannten Bedingungen für eine
Versagung oder Aufhebung von Rüstungsexportgenehmigungen zu
erfüllen?
An beidem kann man Zweifel haben. Weder das
Außenwirtschaftsgesetz (AWG) noch die
Außenwirtschaftsverordnung kennen eine zeitlich befristete
Aussetzung von bereits erteilten Exportgenehmigungen. Mit wiederholten
befristeten Aussetzungen ließe sich ja in vielen
Fällen die vorgesehene staatliche Schadensersatzpflicht
umgehen. Zudem können Rüstungsexportgenehmigungen
auch nur aufgrund wesentlicher Gründe verweigert bzw.
widerrufen werden, also vor allem um – wie im AWG explizit
vorgesehen -
- „die wesentlichen Sicherheitsinteressen der
Bundesrepublik
Deutschland zu gewährleisten,
- eine Störung des friedlichen Zusammenlebens
der
Völker zu verhüten,
- eine erhebliche Störung der
auswärtigen
Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu
verhüten,“ sowie um
- international vereinbarte Rüstungsembargos
national
umzusetzen.
Dabei gilt jedoch die Vorgabe, die entsprechenden
Eingriffe
„nach Art und Umfang auf das Maß zu begrenzen, das
notwendig ist, um den in der Ermächtigung angegebenen Zweck zu
erreichen. Sie sind so zu gestalten, dass in die Freiheit der
wirtschaftlichen Betätigung so wenig wie möglich
eingegriffen wird.“
Ob die Begründung der Bundesregierung
für das
deutsche „Rüstungsembargo“ gegen
Saudi-Arabien über den Fall Khashoggi ausreicht, um eines
dieser gesetzlichen vorgegebenen Kriterien zu erfüllen, kann
bezweifelt werden. Ohne Not hat die Bundesregierung mit dieser
Begründung einen Weg beschritten, der sie auf ein glatteres
Parkett führt als dies der Fall gewesen wäre, wenn
sie die Beteiligung Saudi-Arabiens und dessen Rolle im Jemenkrieg als
Begründung genannt hätte. Dann hätte sie
sich auf eine „Störung des friedlichen
Zusammenlebens der Völker“ beziehen können.
Allerdings: Der Frankfurter Beschluss hat keine
sofortigen Auswirkungen
auf die Exportmöglichkeiten der Industrie. Diese darf
weiterhin nicht nach Saudi-Arabien liefern. Denn das Urteil kann vor
der nächsthöheren Instanz, dem Verwaltungsgerichtshof
Kassel, angefochten werden. Das auf die mangelnde Begründung
abzielende Frankfurter Urteil gibt dem BAFA und der Bundesregierung
dort die Möglichkeit, nach Vorliegen der schriftlichen
Urteilsbegründung neue Argumente und Gründe
für die Aussetzung der Genehmigungen für die zweite
Instanz nachzuschieben. Nachsitzen und Nacharbeiten ist also angesagt.
Vielleicht geschieht all das aber auch intentional und
geprägt
von innenpolitisch motivierter Taktik. Der zuständige
Wirtschaftsminister, Peter Altmaier, möchte gerne den
sozialdemokratischen Koalitionspartner und dessen Bemühungen
um eine restriktivere Rüstungsexportpolitik als sinnlos
vorführen, indem er sein Haus in eine drohende juristische
Niederlage führt. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland erklärte der Minister jedenfalls bereits
im Oktober 2019, das „deutsche Exportembargo gegen
Saudi-Arabien hat dort wenig bewirkt und in Europa leider keine
Mitstreiter gefunden“. Deutschland stehe „allein
auf weiter Flur“. Solche Alleingänge
„sollten künftig nicht mehr stattfinden.“
Er wünsche sich, dass sich in der SPD
„stärker die Erkenntnis durchsetzt, dass wir ein
gemeinsames europäisches Vorgehen brauchen.“
Nachbemerkung:
Dieser Beitrag
wurde um der Aktualität willens vor dem Vorliegen einer
schriftlichen Urteilsbegründung verfasst. Sollte dem
Verfasser die Urteilsbegründung zugänglich werden,
bedarf er
ggf. der Aktualisierung.
Nachtrag,
8. Februar
2020
Das Frankfurter Urteil liegt nun schriftlich vor. Seine
Folgen
dürften weiter reichen als nach der Berichterstattung
über die mündliche Urteilsbegründung
absehbar. Die Beamten müssen, wollen sie das Urteil anfechten,
hart arbeiten und sich zudem entscheiden, welche ihrer eigenen
Handlungsspielräume sie beschneiden wollen und welche nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel teilte auf Anfrage mit, die
Bundesrepublik Deutschland habe gegen das Frankfurter Urteil Berufung
eingelegt. Bis Mitte Februar muss diese nun begründet
werden.
Ein „Abbiegen auf freies Feld“, das
dem BAFA alle
Möglichkeiten und Freiheiten weiter offen hält, wie
es ein hoher Beamter des BAFA nach der mündlichen
Urteilsbegründung sah, ist das nicht. Zwar haben die
Frankfurter Richter keine Entscheidungen in der Sache getroffen, sie
haben jedoch recht klare inhaltliche und juristische
Mindestanforderungen an die Begründung der Bundesrepublik
Deutschland formuliert, die durch die Argumentation in einem
Berufungsverfahren zu erfüllen wären. Zum anderen
haben sie festgehalten: In verwaltungsrechtlichen Fragen haben Firmen
und Bürger einen Anspruch auf beklagbare Entscheidungen, die
binnen drei Monaten fallen müssen. Systematische
Verzögerungen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen sind
unzulässig, selbst wenn es nur darum geht, einer
Schadensersatzverpflichtung des Staates auszuweichen. Das gilt selbst
dann, wenn die zuständige Behörde zunächst
die politische Zustimmung oder eine Einigung auf Regierungsebene
einholen muss.
Die Bundesrepublik Deutschland hat inzwischen Berufung
eingelegt. Deren
Eingang hat das Obergericht in Kassel bestätigt. Zwei
wesentliche Folgen sind absehbar. Zum einen muss sich der Staat nun der
komplizierten und komplexen Aufgabe stellen, die Anforderungen der
Frankfurter Richter an eine juristisch tragfähige
Argumentation zu erfüllen. Das BÀFA muss sich
dafür mit der politischen Ebene in Berlin abstimmen. Zum
anderen ist mit einem Urteil in der Sache kaum noch zu rechnen, bevor
die Bundesregierung erneut über die Zukunft von
Rüstungslieferungen und deren Genehmigung entscheiden muss.
Das wird im März geschehen, wenn der Bundessicherheitsrat
darüber befinden muss, ob die Rüstungslieferungen
nach Saudi-Arabien und deren Genehmigung wieder aufgenommen werden
können.
Anmerkungen zur künftigen politischen Entwicklung
Es ist nur schwer vorstellbar, dass im kommenden Monat
erneut an dem
rechtlich fragwürdigen Instrument einer Ruhensanordnung
festgehalten wird. Wahrscheinlich ist, dass entschieden werden muss, ob
die bestehenden Genehmigungen widerrufen werden und somit ein
Schadensersatzanspruch seitens der Industrie entsteht oder ob es dieser
wieder erlaubt werden soll, auf Basis bereits früher erteilter
Genehmigungen zu liefern. Dann wird sich zeigen, ob die Sackgasse, in
die Wirtschaftsminister Altmaier die sozialdemokratischen Gegner
weiterer Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien inzwischen weit
genug in eine argumentative Sackgasse manövriert hat, um diese
zu veranlassen, lieber den oft am Ende von Sackgassen befindlichen
Wendehammer zu nutzen.
Im Auswärtigen Amt, dem einzigen der
zuständigen
Kernministerien, das von der SPD geführt wird, scheint man
sich bereits auf eine solche Kehrtwende vorzubereiten. Man
schwächt jene Argumente erkennbar ab, die als
tragfähige Begründung für eine Weigerung,
die Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien wieder aufzunehmen,
tatsächlich dienen könnten. So ist inzwischen zu
hören, die Intensität der saudischen Luftangriffe im
Jemen habe in letzter Zeit abgenommen. Saudi-Arabien zeige die
Bereitschaft, über eine diplomatische Lösung des
Jemen-Konfliktes zu sprechen. Es gebe sogar erste Signale
dafür, dass Saudi-Arabien bereit sei, Berlin bei der Suche
nach einer Verhandlungslösung – ähnlich wie
im Fall der Libyenkrise – eine herausgehobene Stellung
zuzugestehen.
Zu erwarten ist außerdem, dass auch die
Industrie und vor
allem wichtige europäische Partnerländer, die ihre
Lieferungen nach Saudi-Arabien gerne vollständig
wiederaufnehmen und bereits hergestellte
Rüstungsgüter mit deutschen Teilen endlich ausliefern
wollen, sich nicht lange bitten lassen werden, um erneut mit
Stellungnahmen gegen die zu restriktive Rüstungsexportpolitik
Deutschlands in Stellung zu gehen.
Gelingen solche Manöver, so kann sich
herausstellen, dass die
Debatte in der Europäischen Union sich insgesamt verschiebt.
Es geht dann nicht mehr länger darum, einen Konsens
darüber zu schaffen, welche Rüstungsexporte aus
Europa genehmigt werden können und welche nicht. Statt dessen
würde man verstärkt darüber diskutieren, ob
es in der EU einen Konsens dafür gibt, für bestimmte
Länder keine Exportgenehmigungen mehr zu erteilen. Das
wäre dann in der Tat eine Wende um 180 Grad. Dann
würde praktisch nur noch nach dem allerkleinsten gemeinsamen
Nenner gesucht.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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