Originalbeitrag
08. Dezember 2019
inkl. Nachtrag 08. Februar 2020


Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien vor dem Aus?

von Otfried Nassauer


Die Rheinmetall (MAN) Military Vehicles GmbH (RMV) hat in dieser Woche vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt in erster Instanz ein wichtiges Verfahren gegen das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gewonnen. Das Gericht hält die sogenannte „Ruhensanordnung“ für bereits erteilte Rüstungsexportgenehmigungen nach Saudi-Arabien für unzureichend begründet und hebt diese auf. Dieses befristete Ausfuhrverbot der Bundesregierung für die betroffenen Rüstungsexportgenehmigungen hat also keinen Bestand mehr. Würde das Urteil rechtskräftig, so dürften Firmen, die über solche ruhenden Genehmigungen verfügen, ihre Lieferungen nach Saudi-Arabien wieder aufnehmen oder im Falle eines Widerrufs Schadensersatz beanspruchen. Dann käme dem Urteil über den konkret verhandelten Fall hinaus eine wichtige Signalwirkung zu. Dem für die Begründung der befristeten Lieferverbote zuständigen Wirtschaftsministerium stellt das Urteil nicht weniger als ein Faulheits- oder Arroganzzeugnis aus, wenn das Gericht feststellt, dass die „pauschale und knappe Begründung“ der Entscheidung „nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Außenwirtschaftliche Entscheidungen seien nicht wegen der außen- und sicherheitspolitischen Bedeutung von vornherein jeglicher Begründungspflicht entzogen“ hält das Gericht fest.

Geklagt hatte mit RMV eine Firma, die im Besitz einer gültigen Ausfuhrgenehmigung für schwere LKWs nach Saudi-Arabien war, als das BAFA im November 2018 deren Gültigkeit befristet aufhob und die Aufhebung ab März 2019 wiederholt durch sogenannte Ruhensanordnungen wiederum befristet verlängerte. Ein Widerspruch, den RMV gegen die Aussetzung seiner Ausfuhrgenehmigung einlegte, wurde vom BAFA wiederholt nicht entschieden, sodass das Unternehmen Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Frankfurt erhob. Auslöser und Grund dieser Veränderung der deutschen Genehmigungspolitik für Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien war die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khaschoggi in Istanbul im Oktober 2018.

RMV ist aber kein Einzelfall. Befristete Aufhebungen ihrer bereits erteilten Genehmigungen erhielten auch andere Firmen wie zum Beispiel Lürssen oder Airbus, denen ebenfalls bereits Exportgenehmigungen für laufende Geschäfte nach Saudi-Arabien erteilt worden waren.

RMV verfügte über eine Genehmigung für die Ausfuhr von 110 schweren Sattelzugmaschinen des Typs HX81 im Wert von €134 Mio., von denen etwa 20 bereits ausgeliefert waren, als die Bundesregierung ihre Haltung zu den Saudi-Arabien-Exporten im November 2018 änderte. 90 weitere Fahrzeuge, die vertragsgemäß spätestens Anfang 2019 hätten ausgeliefert werden sollen, stehen sich seither in einer deutschen Lagerhalle die Reifen platt.

Die Endmontage der zugehörigen Tieflader zum Panzertransport wurde später mit Genehmigung der Bundesregierung von der Ulmer Firma Kamag zu deren französischer Schwesterfirma Nicholas Industries verlagert. Paris erlaubt - anders als Berlin - weiterhin Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien.

All zu hoffnungsfrohe Schlüsse sollte die Industrie aus dem Frankfurter Urteil jedoch auch nicht ableiten. Der Richter hat keine der substantiellen Fragen selbst beurteilt oder beantwortet, die mit diesem Fall verbunden sind. Er ist – wie ein Mitarbeiter des BAFA es ausdrückte, rechtzeitig „auf freies Feld abgebogen“. Die angegriffenen Bescheide des BAFAs hob er lediglich wegen „formeller Begründungsdefizite“ auf.

Unbeantwortet bleiben damit vor allem zwei durch die Klage aufgeworfene grundsätzliche Fragen:

  • Gibt es überhaupt eine rechtliche Grundlage dafür, eine bereits erteilte Ausfuhrgenehmigung vorübergehend ruhen zu lassen, also befristet auszusetzen? Das Außenwirtschaftsgesetz kennt zwar die Möglichkeit, eine erteilte Genehmigung zu widerrufen. Ein solcher Widerruf hat aber dann eine Schadensersatzpflicht des Staates zur Folge. 
  • Zweitens: Reicht die seitens der Bundesregierung genannte Begründung – die unzureichenden Bemühungen der saudischen Regierung, die Verantwortlichen für den Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi zur Rechenschaft zu ziehen – aus, um die im AWG genannten Bedingungen für eine Versagung oder Aufhebung von Rüstungsexportgenehmigungen zu erfüllen? 

An beidem kann man Zweifel haben. Weder das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) noch die Außenwirtschaftsverordnung kennen eine zeitlich befristete Aussetzung von bereits erteilten Exportgenehmigungen. Mit wiederholten befristeten Aussetzungen ließe sich ja in vielen Fällen die vorgesehene staatliche Schadensersatzpflicht umgehen. Zudem können Rüstungsexportgenehmigungen auch nur aufgrund wesentlicher Gründe verweigert bzw. widerrufen werden, also vor allem um – wie im AWG explizit vorgesehen -

  1. „die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten, 
  2. eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten, 
  3. eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu verhüten,“ sowie um
  4. international vereinbarte Rüstungsembargos national umzusetzen. 

Dabei gilt jedoch die Vorgabe, die entsprechenden Eingriffe „nach Art und Umfang auf das Maß zu begrenzen, das notwendig ist, um den in der Ermächtigung angegebenen Zweck zu erreichen. Sie sind so zu gestalten, dass in die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung so wenig wie möglich eingegriffen wird.“

Ob die Begründung der Bundesregierung für das deutsche „Rüstungsembargo“ gegen Saudi-Arabien über den Fall Khashoggi ausreicht, um eines dieser gesetzlichen vorgegebenen Kriterien zu erfüllen, kann bezweifelt werden. Ohne Not hat die Bundesregierung mit dieser Begründung einen Weg beschritten, der sie auf ein glatteres Parkett führt als dies der Fall gewesen wäre, wenn sie die Beteiligung Saudi-Arabiens und dessen Rolle im Jemenkrieg als Begründung genannt hätte. Dann hätte sie sich auf eine „Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker“ beziehen können.

Allerdings: Der Frankfurter Beschluss hat keine sofortigen Auswirkungen auf die Exportmöglichkeiten der Industrie. Diese darf weiterhin nicht nach Saudi-Arabien liefern. Denn das Urteil kann vor der nächsthöheren Instanz, dem Verwaltungsgerichtshof Kassel, angefochten werden. Das auf die mangelnde Begründung abzielende Frankfurter Urteil gibt dem BAFA und der Bundesregierung dort die Möglichkeit, nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung neue Argumente und Gründe für die Aussetzung der Genehmigungen für die zweite Instanz nachzuschieben. Nachsitzen und Nacharbeiten ist also angesagt.

Vielleicht geschieht all das aber auch intentional und geprägt von innenpolitisch motivierter Taktik. Der zuständige Wirtschaftsminister, Peter Altmaier, möchte gerne den sozialdemokratischen Koalitionspartner und dessen Bemühungen um eine restriktivere Rüstungsexportpolitik als sinnlos vorführen, indem er sein Haus in eine drohende juristische Niederlage führt. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland  erklärte der Minister jedenfalls bereits im Oktober 2019, das „deutsche Exportembargo gegen Saudi-Arabien hat dort wenig bewirkt und in Europa leider keine Mitstreiter gefunden“. Deutschland stehe „allein auf weiter Flur“. Solche Alleingänge „sollten künftig nicht mehr stattfinden.“ Er wünsche sich, dass sich in der SPD „stärker die Erkenntnis durchsetzt, dass wir ein gemeinsames europäisches Vorgehen brauchen.“


Nachbemerkung: Dieser Beitrag wurde um der Aktualität willens vor dem Vorliegen einer schriftlichen Urteilsbegründung verfasst. Sollte dem Verfasser die Urteilsbegründung zugänglich werden, bedarf er ggf. der Aktualisierung.


Nachtrag, 8. Februar 2020

Das Frankfurter Urteil liegt nun schriftlich vor. Seine Folgen dürften weiter reichen als nach der Berichterstattung über die mündliche Urteilsbegründung absehbar. Die Beamten müssen, wollen sie das Urteil anfechten, hart arbeiten und sich zudem entscheiden, welche ihrer eigenen Handlungsspielräume sie beschneiden wollen und welche nicht. Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel teilte auf Anfrage mit, die Bundesrepublik Deutschland habe gegen das Frankfurter Urteil Berufung eingelegt. Bis Mitte Februar muss diese nun begründet werden. 

Ein „Abbiegen auf freies Feld“, das dem BAFA alle Möglichkeiten und Freiheiten weiter offen hält, wie es ein hoher Beamter des BAFA nach der mündlichen Urteilsbegründung sah, ist das nicht. Zwar haben die Frankfurter Richter keine Entscheidungen in der Sache getroffen, sie haben jedoch recht klare inhaltliche und juristische Mindestanforderungen an die Begründung der Bundesrepublik Deutschland formuliert, die durch die Argumentation in einem Berufungsverfahren zu erfüllen wären. Zum anderen haben sie festgehalten: In verwaltungsrechtlichen Fragen haben Firmen und Bürger einen Anspruch auf beklagbare Entscheidungen, die binnen drei Monaten fallen müssen. Systematische Verzögerungen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen sind unzulässig, selbst wenn es nur darum geht, einer Schadensersatzverpflichtung des Staates auszuweichen. Das gilt selbst dann, wenn die zuständige Behörde zunächst die politische Zustimmung oder eine Einigung auf Regierungsebene einholen muss.

Die Bundesrepublik Deutschland hat inzwischen Berufung eingelegt. Deren Eingang hat das Obergericht in Kassel bestätigt. Zwei wesentliche Folgen sind absehbar. Zum einen muss sich der Staat nun der komplizierten und komplexen Aufgabe stellen, die Anforderungen der Frankfurter Richter an eine juristisch tragfähige Argumentation zu erfüllen. Das BÀFA muss sich dafür mit der politischen Ebene in Berlin abstimmen. Zum anderen ist mit einem Urteil in der Sache kaum noch zu rechnen, bevor die Bundesregierung erneut über die Zukunft von Rüstungslieferungen und deren Genehmigung entscheiden muss. Das wird im März geschehen, wenn der Bundessicherheitsrat darüber befinden muss, ob die Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien und deren Genehmigung wieder aufgenommen werden können. 


Anmerkungen zur künftigen politischen Entwicklung

Es ist nur schwer vorstellbar, dass im kommenden Monat erneut an dem rechtlich fragwürdigen Instrument einer Ruhensanordnung festgehalten wird. Wahrscheinlich ist, dass entschieden werden muss, ob die bestehenden Genehmigungen widerrufen werden und somit ein Schadensersatzanspruch seitens der Industrie entsteht oder ob es dieser wieder erlaubt werden soll, auf Basis bereits früher erteilter Genehmigungen zu liefern. Dann wird sich zeigen, ob die Sackgasse, in die Wirtschaftsminister Altmaier die sozialdemokratischen Gegner weiterer Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien inzwischen weit genug in eine argumentative Sackgasse manövriert hat, um diese zu veranlassen, lieber den oft am Ende von Sackgassen befindlichen Wendehammer zu nutzen.

Im Auswärtigen Amt, dem einzigen der zuständigen Kernministerien, das von der SPD geführt wird, scheint man sich bereits auf eine solche Kehrtwende vorzubereiten. Man schwächt jene Argumente erkennbar ab, die als tragfähige Begründung für eine Weigerung, die Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien wieder aufzunehmen, tatsächlich dienen könnten. So ist inzwischen zu hören, die Intensität der saudischen Luftangriffe im Jemen habe in letzter Zeit abgenommen. Saudi-Arabien zeige die Bereitschaft, über eine diplomatische Lösung des Jemen-Konfliktes zu sprechen. Es gebe sogar erste Signale dafür, dass Saudi-Arabien bereit sei, Berlin bei der Suche nach einer Verhandlungslösung – ähnlich wie im Fall der Libyenkrise – eine herausgehobene Stellung zuzugestehen.

Zu erwarten ist außerdem, dass auch die Industrie und vor allem wichtige europäische Partnerländer, die ihre Lieferungen nach Saudi-Arabien gerne vollständig wiederaufnehmen und bereits hergestellte Rüstungsgüter mit deutschen Teilen endlich ausliefern wollen, sich nicht lange bitten lassen werden, um erneut mit Stellungnahmen gegen die zu restriktive Rüstungsexportpolitik Deutschlands in Stellung zu gehen.

Gelingen solche Manöver, so kann sich herausstellen, dass die Debatte in der Europäischen Union sich insgesamt verschiebt. Es geht dann nicht mehr länger darum, einen Konsens darüber zu schaffen, welche Rüstungsexporte aus Europa genehmigt werden können und welche nicht. Statt dessen würde man verstärkt darüber diskutieren, ob es in der EU einen Konsens dafür gibt, für bestimmte Länder keine Exportgenehmigungen mehr zu erteilen. Das wäre dann in der Tat eine Wende um 180 Grad. Dann würde praktisch nur noch nach dem allerkleinsten gemeinsamen Nenner gesucht.  


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS