Originalbeitrag
08. September 2020


Ein Superspreader aus Kirikkale – Türkische Kleinwaffenexporte aus deutscher Lizenz

von Otfried Nassauer und Fabian Schwalm (Greenpeace e.V.)


43 Länder haben zwischen 2006 und 2019 mindestens 20.702 Maschinenpistolen aus der Türkei erhalten. Ganz überwiegend handelte es sich dabei um Lizenzprodukte des deutschen Herstellers Heckler & Koch. Das zeigt schon ein Blick in die nur lückenhaft verfügbar gemachten Jahresmeldungen der Türkei an das UN-Waffenregister (UNROCA). Dieser Blick hätte die Bundesregierung schon vor Jahren zum Einschreiten veranlassen müssen. Denn die türkischen Exporte dieser Kriegs- und Kleinwaffe stehen im Widerspruch zu den Verpflichtungen, die Ankara bei der Lizenzerteilung einzuhalten versprach. Das geriet in Vergessenheit oder wird geflissentlich übersehen. Es zeigt sich auch bei dem jüngsten skandalträchtigen Vorfall aus diesem Kontext: In Belarus sind bei den Sicherheitskräften des autokratischen Langzeitherrschers Alexander Lukaschenko Maschinenpistolen des deutschen Typs MP5 aufgetaucht. Geliefert hat sie die Türkei.

Das Recht zum Lizenzbau der Maschinenpistole MP5 erwarb der türkische Staatsbetrieb MKEK (Makina ve Kimya Endüstrisi Kurumu) 1983 durch einen Lizenzvertrag mit Heckler & Koch, also jener deutschen Firma, die diesen weltweiten Bestseller entwickelt hatte. Die Bundesregierung erteilte die Genehmigung zum Abschluss des Vertrages. Die Türkei durfte die Maschinenpistole nach Angaben der Bundesregierung aus dem Jahr 1992 allerdings nur „für den Eigenbedarf“ nachbauen, so die Verpflichtung. Solche Beschränkungsmöglichkeiten bei Lizenzvergaben hatte die Bundesregierung im Jahr zuvor am 28.4.1982 mit den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ als Standard neu eingeführt. Die MP5-Lizenz erlaubte es MKEK diverse Versionen der MP5, so z.B. die MP5A2. MP5A3  und die Kurzversion MP5K in normaler und schallgedämpfter Ausführung herzustellen. Nach Auskunft der Bundesregierung wurden MKEK damals „keine Exportrechte zugestanden“. Zugleich verfügt die Bundesregierung nach eigenen Angaben allerdings auch nicht über rechtliche Möglichkeiten, eine Rücknahme der privatrechtlich zwischen dem Firmen Heckler & Koch sowie MKEK vereinbarten Lizenz erzwingen zu können.

Schon Mitte der 1990er Jahre gab es erste Berichte aus Kreisen des türkischen Herstellers, er exportiere in deutscher Lizenz gefertigte Maschinenpistolen an Staaten aus dem Mittleren Osten. Die Bundesregierung unter Helmut Kohl teilte damals auf Anfrage mit, sie habe davon keine Kenntnis. Inzwischen hat die Regierung in Ankara jedoch selbst seit 2006 mehrfach offizielle, wenn auch lückenhafte Angaben an das Waffenregister der Vereinten Nationen bereitgestellt. Diesen zufolge wurden Tausende dieser Waffen in Länder exportiert, für die oft in Deutschland mit großer Sicherheit zum jeweiligen Zeitpunkt keine Exportgenehmigung mehr erteilt worden wäre. Zu den Empfängern von in der Türkei gefertigten MP5 gehören z.B. Länder, die in Kriege verwickelt waren wie Saudi-Arabien und Georgien, Bürgerkriegsländer wie die Ukraine und der Sudan oder autokratische Regime wie in Thailand oder  Belarus, für das seit 2011 sogar ein internationales Waffenembargo der Europäischen Union gilt. Unter den Empfängern sind sogar Embargoländer wie Aserbaidschan, der Sudan und Belarus (siehe Anhang 1). 

Da die türkischen Meldungen an die Vereinten Nationen für einige Jahre ganz fehlen und in anderen nur der Export von Maschinenpistolen, nicht aber die konkrete Typenbezeichnung an das Waffenregister gemeldet wurde, kann nicht mit letzter Sicherheit  gesagt werden, dass alle 20.702 von der Türkei exportierten Maschinenpistolen MP5-Versionen waren. Rein theoretisch könnten darunter auch einige Exemplare der 2014 von der Firma Sarsilmaz auf den Markt gebrachten Waffe (SAR 109T) gewesen sein, die ebenfalls als leichte Maschinenpistole bezeichnet wird. Verifizierbare Meldungen über erfolgreiche Exportgeschäfte dieser Waffe finden sich jedoch bislang nicht. 

Dagegen besteht Anlass anzunehmen, dass  die allermeisten der nur typenunspezifisch als Maschinenpistole ausgewiesenen Exportwaffen ebenfalls MP5 waren. Wiederholt berichtet die Türkei in ihren UNROCA-Meldungen für ein und dasselbe Empfängerland, dass in einem Jahr MP5 und in einem anderen nicht identifizierte Maschinenpistolen aus der Türkei geliefert wurden. Dann liegt es nahe, dass erneut Versionen der MP5 geliefert wurden. Das kann zumindest vor 2014 als sicher gelten, als neben der MP5 in der Türkei noch keine andere Maschinenpistole produziert wurde. Es trifft zudem für etliche größere Bestellungen aus Ländern wie Vietnam, Marokko, Thailand oder der Ukraine und Belarus zu. In diesen Fällen dürfte es sich bei den gelieferten Maschinenpistolen ohne Typbezeichnung um MP5 gehandelt haben.

Etliche Empfängerländer waren zudem bereits Kunden bei Heckler & Koch bevor sie erstmals bei MKEK in der Türkei bestellten. Hier spiegelt sich möglicherweise die restriktiver werdende deutsche Kleinwaffenexportpolitik der letzten 15 Jahre. Allerdings resultieren daraus auch ine kritische Folgefragen: Hat sich sich die Türkei an ihre Endverbleibszusagen aus dem Jahr 1983 gehalten? Wenn nein, was tat die Bundesregierung, um dies zu überprüfen bzw. die Einhaltung sicherzustellen? Und: Könnte und würde Heckler & Koch seine derzeitige „Grüne Länder Strategie“ auch dann umsetzen, wenn die Türkei nicht viele der  gelben und roten Länder beliefern würde? Gilt das auch  im Blick auf Länder wie Belarus, gegen das die EU 2006 erste Sanktionen einführte und für das seit 2011 sogar ein Waffenembargo der EU in Kraft ist. Die Türkei muss sich daran nicht halten. Sie gehört der EU nicht an. 

Was wurde aus der seitens der Türkei eingegangenen Verpflichtung, die MP5 „nur für den Eigenbedarf“ zu produzieren und nicht zu exportieren, über die die Bundesregierung dem Bundestag 1992 und 1995 berichtete? Von einer nachträglichen Erweiterung der MKEK erteilten Herstellungslizenz um eine Handels- und Verkaufslizenz durch Heckler & Koch scheint auch die Bundesregierung keine Kenntnis zu haben. Sie hat eine solche Erweiterung der alten Lizenz nie erwähnt. Somit verstößt die Türkei wahrscheinlich regelmäßig gegen ihre Verpflichtungen und Deutschland nimmt diese Verstöße, obwohl amtlich publiziert, einfach nicht zur Kenntnis oder sieht über den bekannten Verstoß geflissentlich hinweg.  Da zugleich die bereits erteilte Zustimmung zum Abschluss des Lizenzvertages zwischen HK und MKEK scheinbar nicht widerrufen werden kann, müsste im Fall der Türkei nicht zumindest Anwendung finden, was die „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 explizit für den Fall von Verstößen gegen Endverbleibsverpflichtungen vorgeben: Einem Empfängerland, das seine Verpflichtungen zum Endverbleib nicht einhält, werden solange keine neuen Exportgenehmigungen erteilt bis es als gesichert gilt, dass dieses Land seine Verpflichtungen zum Endverbleib künftig tatsächlich einhalten wird.

Um nicht zu einem solchen Schritt gezwungen zu sein und keine diplomatischen Verstimmungen zu riskieren, könnte aus Sicht der Bundesregierung praktikabler erscheinen, einfach ganz wegzuschauen und Unwissen vorzuschützen. Dies ist scheinbar gängige Praxis bei Verdachtsfällen. Die Bundesregierung könnte auch argumentieren, dass die Politischen Grundsätze keine rechtliche, sondern nur politische Bedeutung haben, also keine Rechtsgrundlage darstellen. Bequemer und weniger selbstoffenbarend ist die erste Option. Die Bundesregierung behauptet meist, über keine (eigenen) Erkenntnisse zu Vorgängen im Ausland zu verfügen. Dies ist sogar bei Informationsanfragen eher grundsätzlicher Natur immer wieder der Fall. Ein Beispiel: Noch im Sommer 2020 beantwortete sie eine Anfrage, ob die Türkei weiterhin G3- oder HK33-Gewehre oder MP5-Maschinenpistolen in Lizenz produziere, lapidar wie folgt: „Die Bundesregierung hat keine Kenntnis davon, ob die angegebenen Waffen noch gefertigt werden.“ Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagt der Volksmund zu einer solchen Vorgehensweise. 

Das Problem der deutschen Kriegs- und Kleinwaffenherstellungslizenzen für die Türkei ist jedoch keineswegs ausgestanden. Bis in das Jahr 2019 sind MP5-Lieferungen aus der Türkei aktenkundig. Ein Ende solcher Lieferungen ist nicht Sicht und noch ist auch offen, wie Ankara seine Lizenzproduktionen in Deutschland entwickelter Waffen künftig für Exporte nutzen wird. Dies betrifft einen weiteren Fall: das Sturmgewehrs HK33. Die Rechte daran hält ebenfalls Heckler & Koch. Die Firma erlaubte 1998/99 nach Zustimmung der Bundesregierung dem langjährigen Partner MKEK in der Türkei den Aufbau einer eigenen Fertigung. Auch im Blick auf diese Lizenz stellen sich altbekannte Fragen: Was erlaubt sie dem türkischen Lizenzbauer im Blick auf Exporte aus der Türkei und wird sich Ankara auf Dauer an diesbezüglich vereinbarten Exportbeschränkungen halten?



Nachtrag                                                                                          29.September 2020

In Kooperation mit dem Handelsblatt haben wir Heckler & Koch Fragen zu den Exporten von Maschinenpistolen des Typs MP 5 aus der Türkei gestellt. Die Antwort der Firma trug zur Klärung noch offener  Sachverhalte bei. Deshalb fassen wir diese hier ergänzend zusammen. 

Die 1983 erteilte Lizenz zum Nachbau der MP5 durch die Türkei enthielt  kein (Re)Exportrecht, wurde später nicht  um ein solches erweitert. H&K bezieht keine Lizenzzahlungen mehr aus diesen Geschäft und hält fest:. „Nein, durch die Lizenzvereinbarung sind diese Exporte nicht abgedeckt. (...) Was eine Bewertung dieser Exporte vor dem geschilderten Hintergrund betrifft, so wenden Sie ich dazu bitte an die Bundesregierung.“ Zudem macht H&K Sprecher Marco Seliger darauf aufmerksam, dass die Türkei mit diesen Reexporten auch gegen ihre Verpflichtungen aus dem Wassenaar Abkommen von 1995 verstoßen dürfte.

Ein  Wermutstropfen: Die Lizenz für die Türkei aus dem Jahr 1983 war nicht zeitlich befristet. Es ist also damit zu rechen , dass die Türkei auch in den kommenden Jahren weiter Maschinenpistolen dieses Typs reexportiert und die Grüne-Länder-Strategie von Heckler und Koch aktiv unterläuft.

Anhang 1
Türkische Exporte von Maschinenpistolen 2006-2019 - 43 Empfängerländer 

Empfänger

Jahr

Stückzahl

Typ MP5

MPs ohne Typangabe

Summe

Österreich

2006

2

1xMP5K +1xMP5A3



Brasilien

2006

1

1xMP5A5



Ecuador

2006

2

1xMP5K+1xMP5A3



Georgien

2006

10

MP5KA4



Irak

2006

3

MP5K



Marokko

2006

50

MP5A3



Polen

2006

6

1xMP5K +5xMP5A3



Thailand

2006

13

10xMP5A5+3xMP5A4



Venezuela

2006

30

15xMP5K+15xMP5A3



Aserbaidschan

2007

170

MP5K, MP5A3



Belarus

2007

85

MP5SD3, MP5A3



Ecuador

2007

25

MP5K, MP5A3



Israel

2007

24

MTS3



Malaysia

2007

250

MP5A3



Philippinen

2007

4

Je 1 MP5KA4, K,A5 + SD6



Saudi-Arabien

2007

100

MP5K



USA

2007

50

MP5A3



Georgien

2008

6


SMG


Honduras

2008

16


SMG


Philippinen

2008

40


SMG


Kein Bericht

2009





Marokko

2010

506


SMG


Philippinen

2010

1


SMG


Sao Tome

2010

40+100+

100


SMG


Saudi-Arabien

2010

125


SMG


Thailand

2010

2


SMG


Vietnam

2010

200


SMG


Kein Bericht

2011





Argentinien

2012

5


SMG


Gabun

2012

96


SMG


Georgien

2012

45


SMG


Marokko

2012

150


SMG


Serbien

2012

10


SMG


Thailand

2012

10


SMG


Turkmenistan

2012

1


SMG


Venezuela

2012

80


SMG


Vietnam

2012

1610


SMG


Bahrain

2013

2


SMG


Belarus

2013

396


SMG


Kasachstan

2013

133


SMG


Polen

2013

1


SMG


Thailand

2013

70


SMG


Ukraine

2013

200


SMG


VAE

2013

48


SMG


Kein Bericht

2014





Kein Bericht

2015





Albanien

2016

5


SMG


Belarus

2016

59

MP5A3



Kasachstan

2016

6

MP5A3



Pakistan

2016

2


SMG


Panama

2016

50

MP5A3



Senegal

2016

51


SMG


VAE

2016

1


SMG


Vietnam

2016

915

MP5A3



Marokko

2017

150

MP5A5



Thailand

2017

80

MP5A5



Ukraine

2017

460

300 MP5A5, 150MP5 MTSA3. 10MP5K




Vietnam

2017

1000

MP5A5



DR Kongo

2018

10

MP5MTSA3



Haiti

2018

10


SMG


Indonesien

2018

1


SMG


Katar

2018

750


SMG


Sudan

2018

35


SMG


Vietnam

2018

2x491

MP5A3



Bangladesch

2019

2


SMG


Bulgarien

2019

750


SMG


China

2019

639


SMG


Äquatorial-Guinea

2019

350


SMG


Jordanien

2019

10


SMG


Oman

2019

1


SMG


Ukraine

2019

2165


SMG


Vietnam

2019

400


SMG








Bekannte Gesantstückzahl





20.702

 Quelle: Berichte der Türkei an das UN Waffenregister UNROCA 2006-2019, im Internet: https://www.unroca.org/ Dort bitte zunächst Turkey als Land wählen und anschließend die Kategorie der jährlichen „National Reports“.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS