Mit Hochgeschwindigkeit zum Verbot von Atomwaffen
von Otfried Nassauer
Nach nur zwei Verhandlungsrunden einigten sich heute 122
der Staaten dieser Welt in New York auf den Text eines Vertrags
über das Verbot atomarer Waffen (hier die deutsche Fassung). Das ging schneller als erwartet,
denn noch ist es nicht einmal ein ganzes Jahr her, dass die
Vollversammlung der Vereinten Nationen das Mandat zu diesen
Gesprächen erteilt hatte.
Der Vertrag verbietet seinen Mitgliedsstaaten die Entwicklung, das
Testen, die Produktion, den Erwerb und Besitz sowie die Lagerung und
den Einsatz und die Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen und anderen
nuklearen Explosionskörpern. Er untersagt auch die direkte
oder indirekte Weitergabe der Kontrolle über Nuklearwaffen,
deren Lagerung auf dem Territorium der Vertragsmitglieder, sowie jede
direkte oder indirekte Unterstützung bei der Verletzung der in
dem Vertrag ausgesprochenen Verbote.
Während der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die am
20.September 2017 beginnt, soll der Vertrag zur Unterzeichnung
ausgelegt werden. Sobald ihn 50 Staaten ratifiziert haben, tritt er
binnen 90 Tagen in Kraft.
Der Atomwaffenverbotsvertrag wurde von einer Koalition der Willigen aus
dem Kreis der nicht-nuklearen Staaten ausgehandelt. Treibende
Kräfte waren unter anderem Österreich, Mexiko,
Neuseeland und Südafrika. Alle Nuklearwaffenstaaten und fast
alle europäischen Staaten blieben den Verhandlungen fern.
Lediglich Irland, Liechtenstein, Österreich, Malta, Schweden,
die Schweiz, der Vatikan und Zypern stimmten mit Ja. Die Niederlande,
deren Parlament die Regierung zur Teilnahme aufgefordert hatte, gaben
als einziger Verhandlungsteilnehmer eine Nein-Stimme ab. Singapur
enthielt sich.
Die US-Regierung unter Barack Obama hatten ihre Verbündeten
schon vor der Abstimmung über das Mandat im Herbst 2016
aufgefordert, solche Verhandlungen abzulehnen. In einem mehrseitigen
Schreiben der US-Botschaft bei der NATO wurden
die europäischen NATO-Staaten eindringlich davor gewarnt, der
nukleare Schutz Washingtons für seine Verbündeten in
Europa und im Pazifikraum könne durch einen solchen Vertrag
delegitimert oder rechtswidrig und somit gefährdet werden.
Diesem Druck beugte sich ein Großteil der Staaten und
argumentierte, ein solcher Vertrag sei das falsche Mittel zum falschen
Zeitpunkt, um Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung zu
erreichen. Auch die Bundesregierung entsandte keine
Verhandlungsdelegation.
Konkrete, praktische Schritte zu einer Abschaffung nuklearer Waffen in
naher Zukunft wird der jetzt ausgehandelte Vertrag mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht zur Folge haben. Alle Nuklearwaffenstaaten
arbeiten derzeit an der Modernisierung oder sogar an einem Ausbau ihrer
Potentiale. Der Nuklearwaffenverbotsvertrag wird deshalb in den
nächsten Jahren vor allem als politisches Druckinstrument zur
Delegtimierung nuklearer Waffen und der nuklearen Abschreckung Wirkung
entfalten.
Diese Wirkung des Vertrages sollte keinesfalls unterschätzt
werden. Nicht einmal das Schreiben der USA an ihre Verbündeten
tat dies. Sie steht in einem direkten Zusammenhang und in
Wechselwirkung mit einem anderen nuklearen
Rüstungskontrollvertrag, dessen große Bedeutung
gerade jene nuklearen und nicht-nuklearen Staaten immer wieder
hervorheben, die jetzt die Verhandlungen boykottiert oder abgelehnt
haben: Dem Atomwaffensperrvertrag oder nuklearen
Nichtverbreitungsvertrag (NVV).
Der 1970 in Kraft getretene NVV beruht im Grunde auf einem
Geschäft auf Gegenseitigkeit. Während er den
fünf damaligen Nuklearwaffenstaaten den Besitz nuklearer
Waffen vorläufig zugesteht, mussten sie den nicht-nuklearen
Staaten das Versprechen geben, sich ernsthaft um die völlige
Abschaffung dieser Waffen zu bemühen. Die nicht-nuklearen
Staaten versprachen im Gegenzug ihrerseits, sich keine Nuklearwaffen
zuzulegen und sich vorübergehend mit einem
völkerrechtlich verbindlichen Vertragswerk zwischen
Ungleichen, den rechtmäßigen „Haves und
Have Nots“, abzufinden. Völkerrechtliche
Verträge sind im Normalfall Abkommen, die gleiche Rechte und
gleiche Pflichten für alle Vertragsparteien enthalten.
Der NVV sollte deshalb nach 25 Jahren von den Mitgliedern
überprüft werden. Sie sollten über die
Zukunft und weitere Gültigkeit des Vertrages befinden. Diese
Überprüfung fand 1995 statt. Das war ein
ausgesprochen günstiger Zeitpunkt für die
Nuklearwaffenstaaten. Das nur wenige Jahre zurückliegende Ende
des Kalten Krieges und die dadurch möglich gewordenen atomaren
Abrüstungsschritte ließen für die
Folgejahre deutliche Abrüstungsschritte bei den nuklearen
Potentialen erwarten. Gegen eine zeitlich unbegrenzte und nicht an
Bedingungen geknüpfte Verlängerung des NPT regte sich
deshalb kein großer Widerstand.
10 Jahre später wendete sich das Blatt erneut. Die
NVV-Überprüfungskonferenz 2005 konnte sich nicht mehr
auf ein Abschlussdokument einigen und die Regierung George W. Bushs
verweigerte zudem einer Aktualisierung oder Weiterführung der
2000 vereinbarten konkreten Schritte zur Zukunft der nuklearen
Rüstungskontrolle ihre Zustimmung. Die Konferenz endete
deshalb ergebnislos. Erstmals wurden Befürchtungen laut, die
Nuklearwaffenstaaten könnten die bedingungslose und zeitlich
unbegrenzte Velängerung des NVV als unbegrenzte Legitimation
ihres nuklearen Sonderstatus interpretieren und daraus ein
eternalisiertes Recht auf die Unterscheidung zwischen Haves und Have
Nots ableiten.
Die Überprüfungskonferenzen 2010 und 2015 vertieften
dieses Mißtrauen. Zwar war die Vision einer atomwaffenfreien
Welt durch US-Präsident Barack Obama 2009 wiederbelebt worden,
zugleich aber wurden bei allen Atommächten Planungen zur
Modernsierung ihrer Nuklearwaffen erkennbar, die auf eine Beibehaltung
ihrer Kernwaffenpotentiale bis weit in die zweite Hälfte des
21. Jahrhunderts hindeuteten. Auch die Hoffnungen auf bereits geplante
Gespräche über die Zukunft nuklearer Waffen im Nahen
und Mittleren Osten zerschlugen sich. Der Abrüstungsteil jenes
Geschäftes auf Gegenseitigkeit im NVV drohte zu einem leeren
Versprechen für die ferne Zukunft zu werden. Die Bereitschaft,
verbesserte Instrumente zur Durchsetzung der Nichtverbreitung zu
akzeptieren sank ebenfalls.
Schon 2013 begann ein erster Versuch, aus dem sich abzeichnenden
Dilemma auszubrechen. Die sogenannte „Humanitären
Initiative“ stellte die Legitimität nuklearer Waffen
aus der Perspektive des humanitären Völkerrechts in
Frage. Federführend agierten dabei Länder wie
Österreich, Mexiko oder Südafrika und eine Vielzahl
von Nichtregierungsorganmisationen, die sich in dem weltweiten
Bündnis IACN zusammen fanden. Bei der NVV-
Überprüfungskonferenz 2015 trugen 159 Staaten, also
mehr als drei Viertel aller Staaten der Welt, eine gemeinsame
Stellungnahme mit, in der es
hieß: „Es ist im Interesse des nackten
Überlebens der Menschheit, dass nukleare Waffen nie wieder
eingesetzt werden, unter welchen Umständen auch immer. (...)
Der einzige Weg um zu garantieren, dass Nuklearwaffen nie wieder
eingesetzt werden, besteht darin, sie vollständig
abzuschaffen.“ Zu jenen Staaten, die diese Stellungnahme
nicht mittrugen, gehörten die Nuklearwaffenstaaten und fast
alle NATO-Staaten, darunter Deutschland. Aus dem Entwurf für
ein
Abschlussdokument der Überprüfungskonferenz 2015 war
deutliche Unzufriedenheit der nicht-nuklearen NVV-Mitglieder mit den
derzeit erreichbaren Fortschritten bei nuklearer Abrüstung zu
entnehmen. Sie mündete in einer Aufforderung an die
Generalversammlung der Vereinten Nationen im Herbst 2015 eine
unbefristete Arbeitsgruppe einzusetzen, die Vorschläge
dafür erarbeiten sollte, wie durch multilaterale Verhandlungen
mehr Fortschritt im Bereich atomarer Abrüstung erreicht werden
könnten. Das Abschlussdokument der
Überprüfungskonferenz 2015 wurde nicht angenommen.
Auch unter Präsident Obama endete damit erstmals eine solche
Konferenz ergebnislos.
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen kann
Beschlüsse mit Mehrheit fassen. Sie setzte auf diesem Weg noch
im gleichen Jahr die unbefristete Arbeitsgruppe ein. Diese erarbeitete
binnen eines Jahres eine Vielzahl von Vorschlägen und
präsentierte ihren Abschlussbericht bei
der UN-Vollversammlung im Herbst 2016. Dort wurde erneut mit Mehrheit
der Vorschlag aufgegriffen, Verhandlungen über einen Vertrag
zum Verbot nuklearer Waffen ein Mandat zu erteilen. Dieser
Vertragsentwurf liegt nun vor.
Zu seinen Wirkungen kann übrigens auch eine
Stärkung der Bemühungen um die Nichtverbreitung
atomarer Waffen gehören. Ein Anzeichen dafür ist,
dass auch der Iran dem Vertragsentwurf zugestimmt hat.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
|