Rüstungsexport: Die Boxer-Brexit-Lücke
von Otfried Nassauer
unter Mitarbeit von Christopher Steinmetz
Am Ostersamstag gab das britische Verteidigungsministerium bekannt,
Großbritannien werde dem deutsch-niederländischen
Programm zum Bau von Radpanzern des Typs Boxer wieder beitreten. Die
Briten waren bereits in der Entwicklungsphase zwischen 1999 und 2003 an
diesem Rüstungsvorhabens beteiligt, verließen es
dann aber. Jetzt wollen sie wieder mitmischen. Es ist ein
wirtschaftlich attraktiver Plan mit Haken, Ösen und dem
Potential, die Rüstungsexportpolitik Deutschlands und der
Europäischen Union auszuhebeln.
Auf den ersten Blick haben die Hersteller des Boxers,
die Rheinmetall AG und Krauss Wegmann, damit binnen weniger Wochen
einen dritten lukrativen Export-Coup gelandet. Im Februar gab Slowenien
bekannt, es wolle sein erstes NATO-kompatibles Bataillion mit
Radpanzern des Typs Boxer ausstatten und über den Kauf von
zunächst etwa 50 Fahrzeugen verhandeln. Mitte März
verkündete Australien, eine mehrjährige
Vergleichserprobung habe ergeben, dass der Boxer das beste Angebot
darstelle und jetzt exklusiv über den Kauf von 211 Fahrzeugen
dieses Typs für rund 3,3 Mrd. € (5,2 Mrd. AUD)
verhandelt werden soll.
Ende März nun die Entscheidung der Briten:
Großbritannien wird die Beschaffung eines neuen
mechanisierten Infanteriefahrzeugs (MIV) nicht mehr international im
Wettbewerb ausschreiben, sondern direkt über den Kauf des
Boxers verhandeln. Die Gespräche werden mit der OCCAR als
multinationale Programmmanagementbehörde und der
industrieseitigen Gemeinschaftsfirma ARTEC GmbH geführt. Auch
wenn das britische Verteidigungsministerium bislang keine konkreten
Stückzahlen genannt hat - es geht um einen großes
Geschäft. Großbritannien will mehrere Hundert
Fahrzeuge beschaffen. Mal sprechen Experten von 500 benötigten
Fahrzeugen, mal von bis zu 900. Das klingt wirtschaftlich verlockend,
denn 900 Fahrzeuge sind deutlich mehr als jene knapp 700 Boxer, die
bislang von Deutschland (403), Litauen (88) und den Niederlanden (200)
vertraglich fest vereinbart wurden. Die Briten könnten auf
Anhieb sogar der bislang größte Boxer-Kunde werden.
Das hat natürlich einen Preis. Großbritannien will
den Boxer selbst und mit einem möglichst hohen britischen
Fertigungsanteil bauen. Rheinmetall, der mit 64% wichtigste
Anteilseigner an der Boxer-Gemeinschaftsfirma ARTEC GmbH, ist London
bei seinem Angebot bereits entgegengekommen. Rund 1.000
Arbeitsplätze sollen entstehen. Neben einer eigenen
Endmontagelinie sollen auch viele Komponenten von britischen Firmen wie
Thales UK, BAe oder Raytheon UK hergestellt werden. Rund 60% der
Wertschöpfung sollen in Großbritannien
erwirtschaftet werden. "British by Birth" sei der Boxer, warb der
deutsche Konzern und lackierte sogar einen Boxer mit dem Union Jack, um
den Kunden in London zu gewinnen.
"British by Birth", die Beteiligung Großbritannien an der
Entwicklung de Boxers, will das britische Verteidigungsministerium in
den jetzt anstehenden Verhandlungen mit der multinationalem
Beschaffungsorganisation OCCAR und der ARTEC GmbH in einen weiteren
Vorteil ummünzen. Großbritannien will wieder
vollwertiges Mitglied des Boxerprogramms werden, über
umfänglichen Zugriff auf die Technologierechte an dem
Radpanzer verfügen und das Recht haben, den Boxer
eigenständig zu exportieren und möglicherweise auch
eigene Versionen zu offerieren.
Der Boxer - Ein
Mehrzweckpanzer
Der achträdrige Radpanzer Boxer ist eine
gepanzertes Mehrzweckkampffahrzeug für den Einsatz auf
Straßen und im Gelände. Vielseitig nutzbar macht ihn
vor allem sein zweiteiliger Aufbau. Das fast acht Meter lange, knapp
drei Meter breite Radfahrzeug kann sehr unterschiedliche Missionsmodule
tragen, die zu jeder Zeit und überall binnen einer Stunde
ausgewechselt werden können. An das Fahrzeug können
zudem je nach Bedarf unterschiedlich leistungsfähige
Schutzmodule angebracht werden.
Es kann deshalb in vielen verschiedenen Versionen und
Rollen eingesetzt werden. Genutzt werden kann der Boxer als
geschütztes Sanitätsfahrzeug, als Truppentransporter,
Transport- oder Kommandofahrzeug, sowie als Pionier- und
Infanteriekampffahrzeug. Er kann mit bemannten und unbemannten
Gefechtstürmen mit Maschinengewehren, Granatwerfern oder
Maschinenkanonen ausgestattet werden. Rheinmetall entwickelt zudem eine
120mm-Kannone (L47LLR) für solche Fahrzeuge und selbst als
Träger für den Turm einer 155mm-Haubitze
fährt bereits ein Versuchsexemplar. Weitere Missionsmodule
können je nach Kundeninteresse und Einsatzzweck entwickelt
werden. Das hohe Eigenschutzniveau und ein demzufolge hohes Gewicht
tragen zu einem stattlichen Preis von mehr als 3 Mio. €. bei.
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Wird Großbritannien wieder in seine alten
Rechte eintreten, könnte es alte Regelungen, die schon bei der
Gründung des Programms für künftige Exporte
vereinbart wurden, wieder nutzen. Vorbild könnte der
Eurofighter sein, den die Briten seit Jahren erfolgreich in
Ländern wie Saudi Arabien vermarkten. Zwischenstaatlichen
Dokumente aus der Gründungsphase des Programms geben jedem
Partnerstaat das Recht, das gemeinsam entwickelte Produkt zu
exportieren und erschweren es zugleich anderen Partnerstaaten, den
Export in ein umstrittenes Drittland zu blockieren. Die
Regeln beim Eurofighter beschrieb die Bundesregierung auf Anfrage im
Bundestag 2006 wie folgt: "Die zwischen den
Eurofighter-Partnerländern Deutschland,
Großbritannien, Italien und Spanien im Oktober 1986
geschlossene Regierungsvereinbarung legt fest, dass die Partner den
Verkauf der gemeinsam entwickelten Produkte durch ein anderes
Partnerland nicht behindern dürfen. Sollte ein Land die
Zulieferung seines Lieferanteils nicht genehmigen, ist es verpflichtet,
dem anderen Land die Errichtung einer alternativen Bezugsquelle zu
ermöglichen und ggf. zu finanzieren.“ Eine analoge
Regelung für den Boxer würde der Bundesregierung die
Verhinderung einer Lieferung von Boxern aus der britischen Endfertigung
auf die arabische Halbinsel praktisch unmöglich machen.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Noch ist Großbritannien
Mitglied der EU. Deshalb kann deutsche Technologie aufgrund der
sogenannten Verbringungsrichtlinie der EU vereinfacht nach
Großbritannien geliefert werden. Sie wird "verbracht", nicht
"exportiert". Das Ergebnis ist zwar identisch, hat aber Konsequenzen
für das Genehmigungsverfahren der Exporte: zertifizierte
Firmen brauchen keine Exportgenehmigung für einen solchen
Transfer innerhalb der EU. Zertifizierte Firmen wie Rheinmetall oder
KMW kontrollieren die Zulässigkeit ihrer
Verbringungsgeschäfte praktisch selbst. Zudem kann eine vorab
erteilte Allgemeingenehmigung der Bundesregierung für den
Technologietransfer genutzt werden, mit der Exporte innerhalb der EU
erleichtert und entbürokratisiert wurden. Die Mitsprache- und
Kontrollrechte der Bundesregierung bei der
Technologieverbringung innerhalb der EU sind deutlich kleiner als bei
Exporten in andere Länder.
Da Großbritannien aus der EU austreten will, ist seit einiger
Zeit vermehrt von Technologieverbringungen nach
Großbritannien zu hören. Darin spiegelt sich
offenbar die Hoffnung der Industrie, Exporte künftig wahlweise
nach den Regeln eines EU-Landes oder nach britischen Regeln
anbieten zu können. Diese Option dürfte auch
für den Boxer interessant sein - grade wenn es um
zahlungskräftige, aber in Deutschland genehmigungspolitisch
umstrittene Länder des Nahen und Mittleren Ostens oder Asiens
geht.
Zu den "Verlierern" einer solchen Entwicklung würden aber auch
die ARTEC GmbH und die Zulieferindustrie in Deutschland
gehören. Heute ist die ARTEC GmbH nach eigener Auskunft
"Anlaufstelle für alle Exportfragen im Hinblick auf den
Boxer". Sie bekommt mit einer Boxerfertigung in
Großbritannien, die eigenständig exportieren darf,
schlagkräftige Konkurrenz. Im Gegensatz zu Deutschland zeigt
Großbritannien häufig die Bereitschaft,
Rüstungsexporte als zwischenstaatliche
Regierungsgeschäfte (government to govenrment) zu vereinbaren.
Viele zahlungskräftige Länder in der MENA-Region
präferieren solche Geschäfte, weil sie ihre
Rüstungsimporte dann als "Rund-um-Sorglos-Geschäfte"
organisieren können. Hinzu kommt ein Folgeeffekt: Bei solchen
Geschäften entscheidet der liefernde Staat über die
Auswahl und Beteiligung von Zulieferfirmen. Für die deutschen
Zulieferer des Boxer-Programms kann das ein gravierender Nachteil
sein.
Für den weltweiten Exporterfolg des Radpanzers Boxer
öffnet sich dagegen wohl eher ein britisches
Hintertürchen, groß genug für einen
38-Tonner.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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