Originalbeitrag
07. April 2018


Rüstungsexport: Die Boxer-Brexit-Lücke

von Otfried Nassauer
unter Mitarbeit von Christopher Steinmetz


Am Ostersamstag gab das britische Verteidigungsministerium bekannt, Großbritannien werde dem deutsch-niederländischen Programm zum Bau von Radpanzern des Typs Boxer wieder beitreten. Die Briten waren bereits in der Entwicklungsphase zwischen 1999 und 2003 an diesem Rüstungsvorhabens beteiligt, verließen es dann aber. Jetzt wollen sie wieder mitmischen. Es ist ein wirtschaftlich attraktiver Plan mit Haken, Ösen und dem Potential, die Rüstungsexportpolitik Deutschlands und der Europäischen Union auszuhebeln.

Auf den ersten Blick haben die Hersteller des Boxers, die Rheinmetall AG und Krauss Wegmann, damit binnen weniger Wochen einen dritten lukrativen Export-Coup gelandet. Im Februar gab Slowenien bekannt, es wolle sein erstes NATO-kompatibles Bataillion mit Radpanzern des Typs Boxer ausstatten und über den Kauf von zunächst etwa 50 Fahrzeugen verhandeln. Mitte März verkündete Australien, eine mehrjährige Vergleichserprobung habe ergeben, dass der Boxer das beste Angebot darstelle und jetzt exklusiv über den Kauf von 211 Fahrzeugen dieses Typs für rund 3,3 Mrd. € (5,2 Mrd. AUD) verhandelt werden soll. 

Ende März nun die Entscheidung der Briten: Großbritannien wird die Beschaffung eines neuen mechanisierten Infanteriefahrzeugs (MIV) nicht mehr international im Wettbewerb ausschreiben, sondern direkt über den Kauf des Boxers verhandeln. Die Gespräche werden mit der OCCAR als multinationale Programmmanagementbehörde und der industrieseitigen Gemeinschaftsfirma ARTEC GmbH geführt. Auch wenn das britische Verteidigungsministerium bislang keine konkreten Stückzahlen genannt hat - es geht um einen großes Geschäft. Großbritannien will mehrere Hundert Fahrzeuge beschaffen. Mal sprechen Experten von 500 benötigten Fahrzeugen, mal von bis zu 900. Das klingt wirtschaftlich verlockend, denn 900 Fahrzeuge sind deutlich mehr als jene knapp 700 Boxer, die bislang von Deutschland (403), Litauen (88) und den Niederlanden (200) vertraglich fest vereinbart wurden. Die Briten könnten auf Anhieb sogar der bislang größte Boxer-Kunde werden.

Das hat natürlich einen Preis. Großbritannien will den Boxer selbst und mit einem möglichst hohen britischen Fertigungsanteil bauen. Rheinmetall, der mit 64% wichtigste Anteilseigner an der Boxer-Gemeinschaftsfirma ARTEC GmbH, ist London bei seinem Angebot bereits entgegengekommen. Rund 1.000 Arbeitsplätze sollen entstehen. Neben einer eigenen Endmontagelinie sollen auch viele Komponenten von britischen Firmen wie Thales UK, BAe oder Raytheon UK hergestellt werden. Rund 60% der Wertschöpfung sollen in Großbritannien erwirtschaftet werden. "British by Birth" sei der Boxer, warb der deutsche Konzern und lackierte sogar einen Boxer mit dem Union Jack, um den Kunden in London zu gewinnen.

"British by Birth", die Beteiligung Großbritannien an der Entwicklung de Boxers, will das britische Verteidigungsministerium in den jetzt anstehenden Verhandlungen mit der multinationalem Beschaffungsorganisation OCCAR und der ARTEC GmbH in einen weiteren Vorteil ummünzen. Großbritannien will wieder vollwertiges Mitglied des Boxerprogramms werden, über umfänglichen Zugriff auf die Technologierechte an dem Radpanzer verfügen und das Recht haben, den Boxer eigenständig zu exportieren und möglicherweise auch eigene Versionen zu offerieren.


Der Boxer - Ein Mehrzweckpanzer

Der achträdrige Radpanzer Boxer ist eine gepanzertes Mehrzweckkampffahrzeug für den Einsatz auf Straßen und im Gelände. Vielseitig nutzbar macht ihn vor allem sein zweiteiliger Aufbau. Das fast acht Meter lange, knapp drei Meter breite Radfahrzeug kann sehr unterschiedliche Missionsmodule tragen, die zu jeder Zeit und überall binnen einer Stunde ausgewechselt werden können. An das Fahrzeug können zudem je nach Bedarf unterschiedlich leistungsfähige Schutzmodule angebracht werden. 

Es kann deshalb in vielen verschiedenen Versionen und Rollen eingesetzt werden. Genutzt werden kann der Boxer als geschütztes Sanitätsfahrzeug, als Truppentransporter, Transport- oder Kommandofahrzeug, sowie als Pionier- und Infanteriekampffahrzeug. Er kann mit bemannten und unbemannten Gefechtstürmen mit Maschinengewehren, Granatwerfern oder Maschinenkanonen ausgestattet werden. Rheinmetall entwickelt zudem eine 120mm-Kannone (L47LLR) für solche Fahrzeuge und selbst als Träger für den Turm einer 155mm-Haubitze fährt bereits ein Versuchsexemplar. Weitere Missionsmodule können je nach Kundeninteresse und Einsatzzweck entwickelt werden. Das hohe Eigenschutzniveau und ein demzufolge hohes Gewicht tragen zu einem stattlichen Preis von mehr als 3 Mio. €. bei.


Wird Großbritannien wieder in seine alten Rechte eintreten, könnte es alte Regelungen, die schon bei der Gründung des Programms für künftige Exporte vereinbart wurden, wieder nutzen. Vorbild könnte der Eurofighter sein, den die Briten seit Jahren erfolgreich in Ländern wie Saudi Arabien vermarkten. Zwischenstaatlichen Dokumente aus der Gründungsphase des Programms geben jedem Partnerstaat das Recht, das gemeinsam entwickelte Produkt zu exportieren und erschweren es zugleich anderen Partnerstaaten, den Export in ein umstrittenes  Drittland zu blockieren. Die Regeln beim Eurofighter beschrieb die Bundesregierung auf Anfrage im Bundestag 2006 wie folgt: "Die zwischen den Eurofighter-Partnerländern Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien im Oktober 1986 geschlossene Regierungsvereinbarung legt fest, dass die Partner den Verkauf der gemeinsam entwickelten Produkte durch ein anderes Partnerland nicht behindern dürfen. Sollte ein Land die Zulieferung seines Lieferanteils nicht genehmigen, ist es verpflichtet, dem anderen Land die Errichtung einer alternativen Bezugsquelle zu ermöglichen und ggf. zu finanzieren.“ Eine analoge Regelung für den Boxer würde der Bundesregierung die Verhinderung einer Lieferung von Boxern aus der britischen Endfertigung auf die arabische Halbinsel praktisch unmöglich machen.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Noch ist Großbritannien Mitglied der EU. Deshalb kann deutsche Technologie aufgrund der sogenannten Verbringungsrichtlinie der EU vereinfacht nach Großbritannien geliefert werden. Sie wird "verbracht", nicht "exportiert". Das Ergebnis ist zwar identisch, hat aber Konsequenzen für das Genehmigungsverfahren der Exporte: zertifizierte Firmen brauchen keine Exportgenehmigung für einen solchen Transfer innerhalb der EU. Zertifizierte Firmen wie Rheinmetall oder KMW kontrollieren die Zulässigkeit ihrer Verbringungsgeschäfte praktisch selbst. Zudem kann eine vorab erteilte Allgemeingenehmigung der Bundesregierung für den Technologietransfer genutzt werden, mit der Exporte innerhalb der EU erleichtert und entbürokratisiert wurden. Die Mitsprache- und Kontrollrechte der Bundesregierung bei der  Technologieverbringung innerhalb der EU sind deutlich kleiner als bei Exporten in andere Länder.

Da Großbritannien aus der EU austreten will, ist seit einiger Zeit vermehrt von Technologieverbringungen nach Großbritannien zu hören. Darin spiegelt sich offenbar die Hoffnung der Industrie, Exporte künftig wahlweise nach den Regeln eines EU-Landes oder  nach britischen Regeln anbieten zu können. Diese Option dürfte auch für den Boxer interessant sein - grade wenn es um zahlungskräftige, aber in Deutschland genehmigungspolitisch umstrittene Länder des Nahen und Mittleren Ostens oder Asiens geht. 

Zu den "Verlierern" einer solchen Entwicklung würden aber auch die ARTEC GmbH und die Zulieferindustrie in Deutschland gehören. Heute ist die ARTEC GmbH nach eigener Auskunft "Anlaufstelle für alle Exportfragen im Hinblick auf den Boxer".  Sie bekommt mit einer Boxerfertigung in Großbritannien, die eigenständig exportieren darf, schlagkräftige Konkurrenz. Im Gegensatz zu Deutschland zeigt Großbritannien häufig die Bereitschaft, Rüstungsexporte als zwischenstaatliche Regierungsgeschäfte (government to govenrment) zu vereinbaren. Viele zahlungskräftige Länder in der MENA-Region präferieren solche Geschäfte, weil sie ihre Rüstungsimporte dann als "Rund-um-Sorglos-Geschäfte" organisieren können. Hinzu kommt ein Folgeeffekt: Bei solchen Geschäften entscheidet der liefernde Staat über die Auswahl und Beteiligung von Zulieferfirmen. Für die deutschen Zulieferer des Boxer-Programms kann das ein gravierender Nachteil sein.  

Für den weltweiten Exporterfolg des Radpanzers Boxer öffnet sich dagegen wohl eher ein britisches Hintertürchen, groß genug für einen 38-Tonner. 


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS