Originalbeitrag
05. Dezember 2018


Nachrichten aus Drehtür und Nebel - Saudi-Arabien greift nach Südafrikas Rüstungstechnik

von Otfried Nassauer


Dr. Andreas Schwer ist ein erfahrener Rüstungsmanager. Erste Sporen verdiente er sich beim deutsch-französischen Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus. Später ging er zu Rheinmetall, leitete dort den Geschäftsbereich für Kampffahrzeuge und das internationale Geschäft. Schließlich betrat er erneut die Drehtür, um Ende 2017 Vorstandsvorsitzender von SAMI, der Saudi Arabian Military Industries, zu werden. Das ist eine 2017 gegründete staatliche Holding, die bis 2030 dazu beitragen soll, dass das sunnitische Königreich seinen Rüstungshaushalt verstärkt im eigenen Lande bleibt. Die Hälfte aller Beschaffungsausgaben sollen dann bei der saudischen Rüstungsindustrie ausgegeben werden. Heute sind es nur zwei Prozent. SAMI soll bis dahin zu einer der 25 größten Rüstungsfirmen der Welt aufsteigen. So fordert es der neue starke Mann im Königreich, Mohammed bin Salman, Kronprinz und zugleich Verteidigungsminister, in der "Vision 2030".(S.48ff) MbS, so der Spitzname, will, dass Saudi-Arabien unabhängiger von Lieferungen aus dem Ausland wird und sich selbst mit vielen Rüstungsgütern versorgen kann. Um dieses Ziel zu erreichen, nimmt Saudi-Arabien viel Geld in die Hand, das SAMI unter Führung von Andreas Schwer investieren darf, um Gemeinschafsfirmen, Beteiligungen und Technologie zu erwerben und eigene Entwicklungs- und Produktionsstätten zu errichten.

Derzeit ist SAMI in vier Geschäftsbereiche gegliedert: Luftfahrtsysteme, Landsysteme, Verteidigungselektronik und den Sektor Waffe & Munition. Hinzu kommen Gemeinschaftsfirmen z.B. für die Wartung von Flugzeugen und Hubschraubern mit Boeing und für den Bau von Korvetten mit dem spanischen Marinekonzern Navantia.

Ein besonderes Augenmerk gilt in Saudi-Arabien offenbar den Beziehungen zu Südafrika. Bei einem Besuch des neuen südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa in Saudi-Arabien im Juli signalisierte die saudische Seite ihre Bereitschaft bis zu 10 Mrd. Dollar im kriselnden Südafrika zu investieren. Ende November gab es ein weiteres Treffen am Rande des G20-Gipfels in Argentinien.

Neben einer verstärkten Zusammenarbeit im Energiesektor gilt offenbar der rüstungsindustriellen Kooperation ein besonderes Augenmerk. Bereits während des Besuchs von Ramaphosa im Juli wurde eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich unterzeichnet. Im September 2018 beteiligte sich SAMI an der Afrikanischen Luftfahrt- und Verteidigungsmesse (AAD2018) in Südafrika. SAMI wolle eine Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen, so Schwer damals: "Wir wollen in Südafrikas Rüstungsindustrie investieren und mithelfen, um Entwicklungsprojekte zu finanzieren, die aufgrund von Geldmangel stecken geblieben sind. Wir wollen sowohl die Entwicklung als auch die Herstellung in beiden Ländern anstreben und nicht nur Technologie aus Südafrika nach Saudi-Arabien transferieren. Dieses Vorgehen nutzt beiden Ländern." Der Idee sei es, "gemeinsam Technologierechte zu entwickeln und den Rüstungsmarkt in Saudi-Arabien für südafrikanische Firmen zu öffnen", so Schwer.

Inzwischen hat SAMI Südafrika offenbar erste, konkretere Angebote gemacht. Die saudische Holding will nach Medienberichten bis zu einer Milliarde Dollar in den staatlichen südafrikanischen Rüstungskonzern Denel investieren, der in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten steckt. Zum Kern des Angebots zählt offenbar eine Beteiligung von SAMI an der deutsch-südafrikanischen Gemeinschafsfirma Rheinmetall Denel Muntion. Das ist das derzeit wirtschaftlich erfolgreichste Unternehmen, an dem Denel einen Anteil von 49 Prozent hält und der operativ von dem deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall AG geführt wird.

Der Griff nach dem südafrikanischen Anteil an RDM wirkt auf den ersten Blick verlockend. Schwer kennt die Firma aus seiner Zeit bei Rheinmetall gut. Er weiß, dass RDM Gewinn macht, eine exzellente operative Marge aufweist und Aufträge abarbeitet, die sicherstellen, dass dies auch in den nächsten Jahren so bleibt. Große Aufträge aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi Arabien und auch Katar spielen dabei eine wesentliche Rolle. Für Denel ist der Anteil an RDM eine wichtige Einnahmequelle, ohne die es um den südafrikanischen Konzern noch deutlich schlechter stünde als derzeit erkennbar. Schwer weiß auch, dass RDM über viele technologische Eigenentwicklungen und intellektuellen Eigentumsrechte, sogenannte IPRs, verfügt. RDM kann Munition und Munitionsbestandteile aus Südafrika in alle Welt exportieren ohne Genehmigungen aus Deutschland zu benötigen. Saudi-Arabien ist für RDM einer der wichtigsten Kunden, weil das Königreich am Golf von RDM zwischen 2012 und 2016 eine Munitionsfabrik geliefert bekam, deren Betrieb in den kommenden Jahren umfangreiche Zulieferungen und technische Unterstützung aus Südafrika erfordert. Schließlich weiß Schwer auch, dass RDM in der Lage ist, eigene Munitionsfamilien zu entwickeln, also neue Technologierechte zu schaffen.

Für SAMI wäre RDM also ein interessanter Partner, mit dem man gemeinsam neue Projekte entwickeln, Technologierechte schaffen und Fachpersonal ausbilden kann. RDM tut all dies bereits in Südafrika, hat entsprechende Strukturen aufgebaut. In Saudi-Arabien dagegen muss diese erst entstehen, allein schon, um die Munitionsfabrik in Al-Kharij auf Dauer erfolgreich betreiben zu können und eine größere Unabhängigkeit von ausländischen Lieferungen zu erreichen. Schließlich kommt noch hinzu, dass Andreas Schwer auch den Geschäftsführer von RDM, Norbert Schulze, aus der Zusammenarbeit bei Rheinmetall seit Jahren kennt.

An dieser vorteilhaften Einschätzung dürfte auch der schwere Explosionsunfall nichts geändert haben, der im September acht Mitarbeiter von RDM das Leben gekostet und ein wichtiges Produktionsgebäude komplett zerstört hat. Dieser hat zwar dazu geführt, dass RDM in der zweiten Jahreshälfte 2018 Aufträge im geschätzten Wert von 30 Mio. € nicht abarbeiten konnte. Vielleicht aber kommt der Unfall dem Vorhaben und Angebot Schwer's sogar entgegen, weil die Folgen des Unglücks das wirtschaftliche Ergebnis von RDM auf mittlere Sicht belasten könnten, wenn es Rheinmetall nicht gelingt, rasch geeignete Ersatzlieferungen für die zerstörte Produktion zu organisieren.

Anders dürfte die Lage bei Denel eingeschätzt werden. Denel steckt zwar schon länger in einer tiefen Krise und hat erhebliche Probleme, genug Betriebskapital selbst für Gewinn versprechende Entwicklungen und Aufträge aufzutreiben. Mittlerweile wurden jedoch große Teile des der Regierung Zuma verpflichteten Managements und des Aufsichtsrates ausgetauscht. Die neue Führung macht sich mit den ererbten Problemen vertraut, hat erste Schritte zu Verbesserung der Lage unternommen und hofft vor allem auf finanzielle Unterstützung seitens des Eigentümers, also des südafrikanischen Staates.

Das Angebot von SAMI in Südafrika zu investieren erscheint also einerseits vielleicht verlockend, andererseits aber auch wahrscheinlich als ein Tropfen auf den heißen Stein, weil eine erfolgversprechende Restrukturierung von Denel vermutlich deutlich teurer würde. Zudem interessiert sich SAMI scheinbar vorrangig für einige Rosinen aus dem Kuchen von Denel. Es bietet an, die Denel-Anteile von RDM zu übernehmen und eine Grundauslastungsgarantie durch Exporte nach Saudi-Arabien geben. Zudem will es angeblich dabei zu helfen, erfolgversprechende Flugkörperprojekte beschleunigt voranzutreiben, die bei Denel Dynamics angesiedelt sind. Hier geht es um Luftverteidigungsraketen, Luft-Boden-Flugkörper  und Anbausätze, mit denen aus freifallenden Standard-Bomben Präzisionswaffen gemacht werden können.

Rheinmetall wollte sich zu der Möglichkeit, bei RDM künftig mit einem neuen Miteigentümer konfrontiert zu sein, zunächst nicht äußern. Dies sei eine Angelegenheit des südafrikanische Staates. Zugleich dürfte es aber auch noch eine weitere wichtige Ursache für diplomatische Zurückhaltung geben. 2018 ist das mit Saudi-Arabien im Konflikt liegende Katar in den Kreis der wirtschaftlich wichtigen Kunden von RDM aufgerückt.

Während RDM bislang lediglich einen vergleichsweise kleinen, aber lukrativen Unterauftrag zur Lieferung von 155mm-Artilleriegeschossen im Kontext des deutsch-katarischen Geschäfts über die Panzerhaubitze 2000 verbuchen konnte, war man 2018 bei gleich zwei größeren Geschäften wahrscheinlich mit von der Partie. Zum einen vermeldete die Rheinmetall AG den Eingang einen über dreieinhalb Jahre laufenden Großauftrag über Artillerie- und Panzermunition im Wert von rund 380 Mio. € aus der MENA-Region, der aus Katar gekommen sein dürfte, das neben den Haubitzen auch Leopard-Panzer gekauft hat. Zum anderen haben Rheinmetall und die katarische Holding Barzan, die ähnliche Aufgaben erfüllt wie SAMI in Saudi-Arabien, im Frühjahr 2018 die Gründung eines Joint Venture namens RBAT, Rheinmetall Barzan Advanced Technologies, bekannt gegeben. Das Joint Venture soll unter anderem eine umfassende Zusammenarbeit im Munitionsbereich ermöglichen. RBAT soll eine Munitionsfabrik in Katar aufbauen, in der Mittel- und Großkalibermunition sowie Raketen und Bomben für die Luftwaffe hergestellt werden können. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem katarischen Staat und RBAT wurde unterzeichnet.[ 1 ]

Für Rheinmetall und die Katargeschäfte entsteht also eine veränderte Ausgangslage, sollte Saudi Arabien nicht nur Kunde, sondern auch Miteigentümer bei RDM werden und diese Rolle nutzen, um auf die Geschäftsbeziehungen zwischen RDM und Doha Einfluss zu nehmen. Beide, Rheinmetall und Katar, haben nach Angaben südafrikanischer Medien zudem eigene Angebote für ein stärkeres wirtschaftliches Engagement bei RDM bzw. Denel vorgelegt. Die südafrikanischen Regierung hat auf diese bislang nicht positiv reagiert. Man darf gespannt sein, ob das bei dem Angebot von SAMI anders sein wird. Andreas Schwer hofft jedenfalls, schon Ende dieses Jahres erste Vereinbarungen in Südafrika abschließen zu können. Und für die südafrikanische Regierung, die weiß, dass ein Großteil der Rüstungsexporte von Denel schon heute mit Saudi-Arabien abgewickelt wird, dürfte dies die Entscheidung noch kniffliger machen.


Fußnote:

[ 1 ] RBAT unterzeichnete zudem eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit der in der Türkei angesiedelten Firma BMC über die Zusammenarbeit im Bereich gepanzerter Fahrzeuge. An BMC hält Katar einen wesentlichen Anteil. Diese Firma wurde in der Türkei mit der Serienproduktion des künftigen Kampfpanzers Altay und der Entwicklung eines eigenständigen Motors für diesen Panzer beauftragt. Für dieses Vorhaben wünscht die Türkei eine technologische Zusammenarbeit mit Rheinmetall und zu diesem Zweck wurde bereits 2016 ein Joint Venture mit dem Namen RBSS (Rheinmetall BMC Savunma Sayaniy) in der Türkei gegründet, an dem zudem die malayische Etika Strategi SDN BHD beteiligt ist. Damals bei Rheinmetall zuständig für dieses Vorhaben: Dr. Andreas Schwer.

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS