Siegmar Gabriel und die Leoparden
Versuch einer Sachstandsklärung
von Otfried Nassauer
Über die ‚Bild am Sonntag’ ließ
Wirtschaftsminister Gabriel vor knapp einer Woche durchblicken, dass
Saudi-Arabien keine Leopard-Panzer erhalten soll. Weder aus
Deutschland, noch aus Spanien, wo diese in Lizenz produziert werden
können. Dafür seien deutsche Zulieferungen und deutsche
Genehmigungen erforderlich, die es nicht geben werde. Die Nachricht
lässt aufhorchen, weil sie ein lange umstrittenes
Export-Geschäft betrifft.
Saudi Arabien wolle bis zu 800 der deutschen Panzer kaufen und habe
dafür bis zu 18 Milliarden Euro bereitgestellt, weiß die
BamS aus saudischen Quellen zu berichten. Das entspräche
rechnerisch einem Preis von 22,5 Mio. € pro Panzer. Allerdings
inklusive Ausbildung, Wartung und Ersatzteilausstattung. Und vermutlich
auch inklusive der landesüblichen Zusatzkosten für
geschäftsdienliche Zahlungen, vulgo Korruption. Im März
dieses Jahres, so die BamS, habe sich Saudi-Arabien mit Spanien
geeinigt, zunächst ein erstes Los von 150 Leopard 2A7plus zu
beschaffen. Dieser Vertrag tritt aber nur in Kraft, wenn die
Bundesregierung die erforderlichen Genehmigungen zusagt. Und nun ein
Berliner „Njet!“?
Was ist dran? An dem Geschäft und an der Genehmigung, die jetzt
verweigert werden soll, obwohl der Bundessicherheitsrat dem
Geschäft auf eine vorläufige Anfrage doch schon im Juni 2011
sein „grünes Licht“ signalisiert haben soll. Dazu
gehört ein Blick in die Geschichte.
Die Vorgeschichte
Die große
Koalition unter Führung von Kanzlerin Merkel (CDU) und
Außenminister Steinmeier (SPD) traf 2008 eine folgenschwere
Entscheidung: Sie beantwortete eine Voranfrage für einen Panzer-
und Haubitzenexport auf die arabische Halbinsel positiv. Katar
interessierte sich für modernste Leopard-Panzer und deutsche
Panzerhaubitzen vom Typ PzH 2000. Wenn Israel keinen Widerspruch
einlege, dürfe geliefert werden, entschied der
Bundessicherheitsrat – auf damals sozialdemokratischen Vorschlag.
Aus Israel kam kein Nein. Die bislang prinzipiell ablehnende Haltung
Deutschlands gegen Panzerlieferungen auf die arabische Halbinsel war
aufgebrochen. Künftig, so wurde zugleich festgelegt, seien
Lieferungen auf die arabische Halbinsel kein Tabu mehr, sondern
Gegenstand von Entscheidungen im Einzelfall.
Die saudische Regierung, seit mehr als 30 Jahren an Leopard-Panzern
interessiert, nahm dies zur Kenntnis und verstand es als Einladung, ihr
Interesse erneut zu bekunden. Saudi Arabien wandte sich an Spanien. Von
Monarchie zu Monarchie machten die Saudis spätestens 2010 ein
verlockendes Angebot: Madrid solle für Saudi-Arabien
Leopard-Panzer in Lizenz bauen, liefern, warten und versorgen. Ein
Regierungsgeschäft, bei dem der saudische Staat die Panzer vom
spanischen kauft und dieser sie bei der Industrie fertigen lässt.
Ein gutes Geschäft mit langer Laufzeit und deutlich
größerem Volumen als ein simpler Panzerkauf bei der
Industrie. Zunächst war von etwa 200 bis 270 Panzer für 3
Milliarden Euro die Rede, später sickerte aus saudischen Quellen
in der Bild-Zeitung durch, langfristig benötige Saudi-Arabien
sogar 600-800 Panzer.
Die Anfrage in Spanien brachte Deutschland gleich mehrfach ins
Spiel: Spanien stellt eine ältere Version des Leopard-Panzers her,
den Leopard 2E. Dieser entspricht in etwa dem Leopard 2A5. Um modernere
Versionen wie den Leopard 2A6, 2A6M oder die modernste Variante Leopard
2A7plus herstellen zu können, benötigt der spanische
Hersteller, Santa Barbara Sistemas, zusätzliche Lizenzen und
Herstellungsunterlagen. Für die spanische Endmontage liefert die
deutsche Industrie zudem wichtige Komponenten zu. Auch deren Export
muss genehmigt werden. Spanien darf keine Leopard-Panzer ohne Billigung
deutscher Behörden an ein Drittland verkaufen und muss die
deutschen Rechte an der Technologie schützen. Denn der
Lizenzhersteller Santa Barbara Sistemas gehört seit 2001 dem
US-Konzern General Dynamics und der baut das wichtigste
Konkurrenzmodell des Leopard-Panzers, den M1A2 Abrams.
Hinzu kam, dass auch der deutsche Hersteller des Leopard,
Krauss Maffei Wegmann (KMW), damals ein starkes Interesse haben musste,
einen Teil des Auftrags abzuarbeiten. KMW brauchte dringend einen
Kunden, um seine Leopard-Produktion aufrecht zu erhalten und vor allem,
um die Serienproduktion der neuen Version beginnen zu können. Ein
zweiter potentieller Käufer - neben Katar – das war also
eine sehr interessante Option.
Schon 2010 begann der Geschäftsführer von KMW, Frank
Haun, aus Saudi Arabien ein blaues Land auf seiner Weltkarte zu machen.
Haun zeigte diese Karte gelegentlich seinen Gästen. Blaue
Länder seien jene, in die er liefern dürfe, gelbe jene, in
die er vielleicht liefern dürfe und die roten, das seien jene
Länder, in die Lieferungen verboten seien. Saudi Arabien war
früher ein rotes Land. Es sollte möglichst schnell zu einem
gelben oder gar blauen werden.
Bis Mitte 2011 gelang es Haun, erste Voraussetzungen zu
schaffen. Er hatte in den wichtigen deutschen Ministerien
antichambriert und dafür geworben, dass die zuständigen
Minister sich einem Export nach Saudi-Arabien nicht grundsätzlich
in den Weg stellen sollten. Lieferungen auf die arabische Halbinsel
seien ja nun im Prinzip genehmigungsfähig. Er wollte ein
„grünes Licht“ der Regierung für Gespräche
über eine Leopard-Lieferung nach Saudi-Arabien erreichen. Da Haun
zum damaligen Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, ob die Lieferung
letztlich aus Spanien, Deutschland oder gar aus beiden Ländern
erfolgen würde, dürften seine Beschreibung des potentiellen
Geschäftes und seine erste Anfrage noch recht allgemein gehalten
gewesen sein. Am 27. Juni 2011 gab ihm der Bundessicherheitsrat das
erhoffte grüne Licht. „Zustimmung“ notierte das
Protokoll. Zwei Wochen später bekam DER SPIEGEL Wind davon und
berichtete einige Monate später im Einzelnen wie es dazu gekommen
war. Unklar blieb trotzdem, wie das „grüne Licht“ im
Einzelnen aussah und wofür Haun es bekommen hatte.
Teils lag das daran, dass Frank Haun immer bestritten hat, dass KMW
überhaupt eine Voranfrage oder einen Genehmigungsantrag für
umfangreiche Panzerlieferungen an Saudi Arabien gestellt habe. Der BSR
fasst aber nur Beschlüsse, wenn ihm eine etwas zur Entscheidung
vorliegt. Irgendetwas muss also im Juni 2011 zu entscheiden gewesen
sein.
Ein Jahr später, 2012, war KMW im Besitz einer Genehmigung
für die vorübergehende Ausfuhr eines Leopard-Panzers zur
„Vorführung“ in Saudi-Arabien. Ein nach saudischen
Vorstellungen von KMW umgerüsteter Leopard 2A6 aus
niederländischem Bestand wurde unter Mitwirkung eines
Stabsoffiziers der Bundeswehr in Saudi-Arabien vorgeführt. Denkbar
ist es deshalb auch, dass die Bundesregierung im Kontext einer
Voranfrage oder des Antrags auf Genehmigung der vorübergehenden
Ausfuhr für den Vorführpanzers über den möglichen,
künftigen Panzerdeal mit Saudi-Arabien informiert wurde. Da die
Vorführung genehmigt wurde, konnte Haun dies als
„grünes Licht“ für weitere Gespräche
über einen späteren Panzerexport nach Saudi-Arabien
interpretieren und trotzdem Meldungen dementieren, er habe bereits eine
Voranfrage für ein späteres Panzer-Panzerexportgeschäft
gestellt.
Sein Vorgehen hätte dann gewisse Ähnlichkeiten mit einem
Vorgang, der mehr als 10 Jahre zurücklag. Auch damals deutete sich
ein in der deutschen Öffentlichkeit höchst umstrittener
Export von Leopard-2-Panzern an. Hunderte Türkei geliefert werden,
ihr Einsatz in den Kurdengebieten drohte. Auch damals ging es abgeblich
zunächst nur um eine vorübergehende Ausfuhr eines einzelnen
Panzers zu Erprobungszwecken.
Als der möglich Export der Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien
öffentlich wurde, wurde er schnell zum Symbol einer
öffentlichen Auseinandersetzung über die Zukunft der
deutschen Rüstungsexportpolitik. Der Streit wurde 2012 durch
saudische Anfragen nach Transportpanzern des Typs Boxer,
geschützte ABC-Abwehrfahrzeuge vom Typ Dingo und Patrouillenbooten
der Lürssen-Werft immer intensiver. Zusätzlich angeheizt
wurde die Diskussion durch Reden von Kanzlerin Merkel, in denen sie
sich für die „Ertüchtigung“ befreundeter
Regionalmächte aussprach, die bei Konflikten im westlichen
Interesse stabilisierend aktiv werden könnten. Merkel
erklärte die Lieferung von Waffen in solche Staaten für
richtig. Die sogenannte Merkel-Doktrin.
Doch für das Wahljahres 2013 waren die Interessen der Kanzlerin
bald anders gelagert. Weitere Anlässe für eine kontroverse
Diskussionüber deutsche Rüstungsexporte sollten nun vermieden
werden. Beue Exportvorhaben nach Saudi-Arabien wurden schon Ende 2012
im Bundessicherheitsrat lieber vertagt als entschieden. Auch KMW beugte
sich dem Stillhaltewunsch der Kanzlerin und zeigte Zurückhaltung.
So wurden erneute Umbauwünsche Saudi-Arabiens für das
Leopard-2-Modell zunächst nicht technisch umgesetzt, der Panzer
wurde nicht erneut in Saudi-Arabien vorgeführt und die
Gespräche mit Spanien über das weitere Vorgehen gerieten ins
Stocken. Auch eine für die Zeit kurz nach der Bundestagswahl
angedachte Reise Hauns mit spanischen Regierungsvertretern nach Riad
fand zunächst nicht statt. Die Regierungsbildung in Deutschland
benötigte Zeit und mit Siegmar Gabriel übernahm ein
SPD-Politiker das zuständige Wirtschaftsministerium, der Merkels
Kurs in Sachen Leopard-Export nach Saudi-Arabien vor der Wahl scharf
kritisiert hatte: „Stoppen Sie diese Irrfahrt!“, hatte
Gabriel der Kanzlerin von den Oppositionsbänken aus zugerufen.
Möglich ist auch, dass zusätzlich industriepolitische
Komplikationen in Spanien auftraten. Spanischen Quellen zufolge hatte
KMW darüber nachgedacht, den spanischen Lizenzhersteller des
Leopard, Santa Barbara Sistemas, aufzukaufen, falls das Geschäft
mit Saudi-Arabien zustande käme. Das hätte die Option
eröffnet, den Leopard dauerhaft in Spanienzu produzieren. Dazu
hätte sich KMW aber mit seinem wichtigsten Konkurrenten, dem
amerikanischen Konzern General Dynamics einigen müssen, für
den Santa Barbara ein wichtiger Bestandteil seines
Europa-Geschäftes ist. Zur Erinnerung: Als Santa Barbara 2001
privatisiert wurde, hatte auch KMW geboten, war den Amerikaner aber
letztlich unterlegen. Mit dem Saudi-Arabien-Geschäft im
Rücken hätte ein neuer Anlauf also zumindest interessant sein
können. Allerdings konnte es keineswegs als sicher gelten, dass
General Dynamics zum Verkauf bereit gewesen wäre, denn bislang ist
der US-Konzern der wichtigste Panzerlieferant Saudi-Arabiens.
Im April 2013 änderte sich die Lage für KMW. Mit Katar wurde
ein Vertrag über die Lieferung von 62 Leopard 2A7plus und 24
Panzerhaubitzen 2000 abgeschlossen. Dieses Geschäft lastet
einen Teil der deutschen Fertigungskapazitäten bei KMW und seinen
Zulieferern vorläufig aus und reduziert somit auch die
Möglichkeit, zusätzlich Panzer für Saudi-Arabien in
Deutschland zu fertigen.
Beides, eine veränderte Einschätzung der Möglichkeiten
Santa Barbara zu übernehmen und das Geschäft mit Katar, das
die Existenz und Fortentwicklung des Kampfpanzerbaus bei KMW
vorläufig garantierte, könnte in der Firma veränderte
Prioritäten zur Folge gehabt haben. Die Zukunft der
Panzerproduktion in Deutschland war vorläufig abgesichert. Das
Hauptaugenmerk könnte sich deshalb auf das noch unabgesicherte
Segment der leichteren gepanzerten Radfahrzeuge verschoben haben.
Mit dem GTK-Boxer ist KMW gemeinsam mit Rheinmetall auch in
diesem Segment mit einem modernen und leistungsfähigen, aber auch
vergleichsweise schweren und teuren Fahrzeug vertreten. Deutschland und
die Niederlande haben 2006 zusammen 472 Boxer bestellt, 200 für
die Königlich Niederländische Armee und 272 für die
Bundeswehr. Diese Fahrzeuge laufen derzeit zu. Bleibt alles im Plan, so
wird Produktion bei KMW 2014/15 und die bei Rheinmetall etwa ein Jahr
später enden. Was aber käme danach?
Geplant war, dass sich an die Erstbeschaffung des Boxers in
Deutschland der Kauf eines zweiten Loses anschließen sollte. Doch
das wird sich deutlich verzögern, wenn es überhaupt noch
kommt. Erst im nächsten Jahrzehnt soll jetzt das Gros der
Fuchs-Panzer bei der Bundeswehr ausgemustert werden. Die
Bundeswehrreform reduziert den Bedarf und knappe finanzielle Ressourcen
stellen das 2. Los des Boxers terminlich oder sogar ganz infrage.
Auf die deutschen Hersteller und ihre Zulieferer kommt also
eine Auslastungslücke zu. Soll der Boxer durchgängig weiter
produziert werden, so müssten bis etwa 2014/15 erste Exporte
eingeworben werden. Sonst käme die Produktionslinie zumindest
vorübergehend zum Stillstand. Vor diesem Hintergrund bekam eine
weitere Anfrage Saudi Arabiens möglicherweise höhere
Dringlichkeit und Aktualität.
Die Königliche Garde Saudi-Arabiens hat Interesse am
Boxer gezeigt. Die Elitetruppe hat die Größe eines Regiments
und besteht aus drei leichten Infanterie-Bataillonen. Dafür werden
etwas mehr als 200 Boxer benötigt. KMW weiß von dem
saudischen Interesse mindestens seit zwei Jahren. Bereits im Herbst
2012 lag dem Bundessicherheitsrat eine entsprechende Voranfrage vor.
Diese wurde aber nicht entschieden sondern vertagt. Nach Bundestagswahl
und Regierungsbildung wird der Vorgang wohl wieder auf den Tisch
kommen. Vielleicht bereits bei der derzeit für Anfang Mai
geplanten ersten Sitzung in der neuen Legislaturperiode. Es kann
durchaus sein, dass industriepolitische Gründe und
Firmeninteressen derzeit ein Exportgeschäft für den Boxer als
wichtiger erachten als einen Leopard-Export nach Saudi Arabien.
Ist der Leopard-Export damit aus Sicht von KMW gestorben?
Vermutlich nicht. Vor allem nicht längerfristig. KMW hat die
Aushandlung des Vertrages zwischen der spanischen und der saudischen
Regierung weiter unterstützt und begleitet. Firmenvertreter waren
deshalb erneut in Saudi-Arabien und das Inkrafttreten des Vertrages ist
vorläufig nur davon abhängig, ob die Bundesregierung Spanien
die erforderlichen Genehmigungen erteilt. Die Regierungen Spaniens und
Saudi-Arabiens werden sich dafür wohl noch stark machen. Saudi
Arabien kann dabei auf das Geschäft mit Katar verweisen. Auch
Katar ist keien westliche Demokratie und wird teilweise mit noch
härterer Hand regiert als Saudi Arabien
Gabriels Nein
Bundeswirtschaftsminister Siegmar Gabriel hat sich deutlich
positioniert und klar gemacht, dass er einer Exportgenehmigung für
Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien nicht zustimmen würde. Sein
Ministerium ist zuständig, er ist der Parteivorsitzende des
kleineren Koalitionspartners und zugleich Vizekanzler. Man könnte
also meinen: Ohne ihn geht in der Koalition nichts, deshalb ist der
Leopard-Export nun endgültig gescheitert. Ganz klar ist trotzdem
nicht, was Gabriels Nein letztlich bedeutet.
In der laufenden Legislaturperiode hat es bislang keine
Sitzung des Bundessicherheitsrates gegeben. So Gabriel vor der
Bundespressekonferenz in dieser Woche. Lediglich der
Vorbereitungsausschuss der Staatssekretäre hat bereits getagt und
Beschlüsse gefasst. Es kann also noch keine neue Beschlusslage des
Sicherheitsrates geben. Es gilt weiter, was 2008 und 2011 beschlossen
wurde.
Über das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien muss also als
Einzelfall entschieden werden, einem prinzipiellen Nein unterliegt es
nicht. Das ist die Beschlusslage aus dem Jahr 2008. Was genau 2011
beschlossen wurde, ist nicht im Detail bekannt. Wurde damals auf eine
Voranfrage zu einem größeren Leopard-Export aus Deutschland
und/oder Spanien mit einem grünen Licht in verwaltungsrechtlich
verbindlicher Form reagiert? Oder wurde im Rahmen einer anderen
Entscheidung, z.B. über die geplante zeitweilige Ausfuhr eines
Panzers zur Testzwecken nach Saudi Arabien ein mögliches
größeres Exportgeschäft in dieses Land lediglich zur
Kenntnis genommen?
Wäre das erste der Fall, so könnte Gabriels Ankündigung
im Extremfall massiven Streit in der Koalition bedeuten. Dann
jedenfalls, wenn Angela Merkel als Kanzlerin auf der KMW gegebenen
Zusage beharren würde und sich gegenüber Gabriel aufgrund
ihrer Weisungsbefugnis durchsetzt. Dann käme es zu einer ernsten
Koalitionskrise. Das ist theoretisch denkbar, aber kaum wahrscheinlich.
Anders lägen die Dinge, wenn das große Exportvorhaben nach
Saudi-Arabien 2011 nur im Kontext einer anderen Entscheidung zur
Kenntnis genommen und dabei implizit von einer Billigung ausgegangen
werden konnte – zum Beispiel im Kontext des Testpanzers. Dann
könnte Gabriel argumentieren, dass eine Zustimmung in der Sache
noch aussteht und diese mit ihm nicht zu machen sei. Befürworter
und Industrie könnten ihm dann kaum vorwerfen, einmal gegebene
Zusagen zu brechen.
Schließlich ist nicht auszuschließen, dass auch die
kurzfristige Interessenlage von KMW heute eine andere ist als vor zwei
Jahren. Wenn es KMW heute wichtiger wäre, die Genehmigung oder ein
grünes Licht zum Beispiel für einen Boxer-Export nach
Saudi-Arabien zu erhalten als das Leopard-Geschäft weiter zu
verfolgen, dann könnte sich Gabriels Nein ebenfalls durchsetzen.
Allerdings könnte der Minister dann vor der Frage stehen, wie viel
ihn sein Nein, also die Einhaltung eines Wahlversprechens, wert ist.
Nicht ausgeschlossen ist, dass er mit einem „Ja“ zu anderen
Saudi-Arabien-Exporten dafür bezahlen muss. Die SPD hat bereits
signalisiert, dass sie dem milliardenschweren Export von
Patrouillenbooten nach Saudi-Arabien durch die Firma Lürssen
zustimmt. Weiter offen, weil vom Bundessicherheitsrat vor der
Bundestagswahl nur vertagt, sind die Entscheidungen über die
saudischen Wünsche nach dem Boxer und nach ABC-Abwehrfahrzeugen
vom Typ Dingo. Bei beiden wäre KMW mit von der Partie. Seine
Haltung zu diesem Projekten ließ Gabriel bisher nicht
durchsickern. In der Politik ist es jedoch nicht unüblich, eine
gute Nachricht öffentlich zu machen und die dazugehörige
schlechte zu verschweigen.
Rüstungsexportgegner und Friedensbewegung haben gegen den Export
der Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien mit dem Slogan „Legt
den Leo an die Kette!“ wirksam und bislang wohl auch in der Sache
erfolgreich protestiert. Soll dieser Erfolg keine Eintagsfliege werden,
so wäre ihnen zu raten, ihren Slogan schnell zu erweitern:
„Legt den Leo an die Kette! - Und den Boxer an die
Leine!“
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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