Originalbeitrag
17. Oktober 2016


Taurus für Südkorea – Problematischer Selbstläufer

von Otfried Nassauer


Feierstunde in Schrobenhausen. Am 14.Oktober 2016 wurden Südkorea offiziell die ersten von etwa 170 schweren Marschflugkörper vom Typ Taurus KEPD 350K  übergeben. Der 2015 von der Bundesregierung genehmigte Export hatte sich verzögert, da die notwendige Reexport-Genehmigung der USA für eine Version des militärischen GPS-Ortungssystems auf sich warten ließ. Nun können die bestellten Marschflugkörper wie geplant 2016 und 2017 ausgeliefert werden. Den Wert bezifferte Matthias Machnig, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, in einem Schreiben an den Linken-Abgeordneten Jan van Aken mit 270 Millionen Euro. Quellen aus dem südkoreanischen Verteidigungsministerium und jüngsten Medienberichten zufolge beabsichtigt Südkorea, in Kürze noch ein zweites Los KEPD 350K zu beschaffen, das weitere 90 Flugkörper umfassen soll.

Das Exportgeschäft verdient besondere Beachtung. Der Lenkflugkörper vom Typ Taurus gehört zu den leistungsfähigsten Waffen seiner Klasse. Sowohl seine Reichweite von mehr als 500 Kilometern, die mit einem ergiebigeren Treibstoff noch einmal um 15% gesteigert werden kann, als auch seine Zielgenauigkeit und die Fähigkeit, selbst stabilste Ziele wie stark gehärtete Bunker zu zerstören zeichnen ihn aus. Der Flugkörper wiegt ca. 1,4 Tonnen und trägt einen mehr als 480 Kilogramm schweren konventionellen Penetratorsprengkopf vom Typ Mephisto (Multi Effect Penetrator High Sophisticated and Target Optimized). Dieser verfügt über eine Eindringhilfe, die mehr als vier Meter Stahlbeton durchschlagen kann. Mit einer Vorhohlladung kann sich die Waffe den Weg für den Hauptsprengkopf  selbst freigesprengen. Das als Programmable Intelligent Multi-Purpose Fuze (PIMPF)  bezeichnete intelligente Zündsystem erlaubt es, die Waffe erst in einem vorselektierbaren Hohlraum (z.B. dem dritten oder vierten Stockwerk eines Bunkers) zu zünden. Da in die Waffe eine weitgehend störresistente aus unterschiedlichen Technologien kombinierte Präzisionslenkung integriert wurde, hat sie angeblich eine mittlere Zielabweichung von nur 2-3 Metern und kann sogar punktgenau treffen. Schließlich wurde der Flugkörper entwickelt, um im tiefen Geländefolgeflug in einer Flughöhe von nur 35 oder 30 Metern sein Ziel anzusteuern und so auch leistungsfähige Luftverteidigungssystem durchdringen zu können. Dafür wurde der Taurus mit einem Triebwerk ausgestattet, das in Bodennähe mehr als doppelt soviel Schub (6,67kN) entwickelt wie der Antrieb der Tomahawk-Marschflugkörper aus den USA. Bei der Missionsplanung kann dem Marschflugkörper zudem ein für genau dieses Ziel optimiertes Endangriffsflugprofil einprogrammiert werden.

Die Bundeswehr hat im vergangenen Jahrzehnt 600 dieser von der Taurus Systems GmbH (MBDA Deutschland und  SAAB Dynamics) entwickelten Marschflugkörper beschafft. Später kaufte auch Spanien eine kleine Stückzahl. Mitentwickler Schweden überlegt derzeit, ob es ihn aufgrund der wachsenden Spannungen mit Russland in den kommenden Jahren doch noch beschaffen soll. Südkorea ist der nun der erste und bisher einzige Drittstaat außerhalb von NATO und EU, der ihn bestellt hat. 

In Südkorea soll der Marschflugkörper zunächst als Bewaffnung für schweren Jagdbomber vom Typ F-15K genutzt werden. Die technische Integration in dieses Flugzeug steht offenbar kurz vor dem Abschluss.

Exporte anderer Versionen des modular aufgebauten Waffensystems nach Südkorea sind zusätzlich in der Diskussion. Seoul überlegt, eine abgespeckte Variante mit knapp 400 Kilometern Reichweite, den KEPD350-2 (oder MR), als Bewaffnung für das leichtere koreanische Kampfflugzeug FA-50 zu beschaffen. Auf der Rüstungsmesse ADEX2015 wurde zudem das Modell einer bodengestützten Variante des Taurus vorgestellt, bei der der Marschflugkörper von einem LKW aus verschossen wird. Die Taurus Systems GmbH hat diese Version zusammen mit ihrem südkoreanischen Partner Lig Nex1 vorgeschlagen.

Die Bundesregierung betrachtet Rüstungsexporte nach Südkorea in der Regel als ähnlich unproblematisch wie Lieferungen an Australien oder Japan und genehmigt sie deshalb meist, obwohl es zwischen Süd- und Nordkorea immer wieder Spannungen und gelegentlich auch militärische Scharmützel gibt. Medienmeldungen haben jedoch in den letzten  Monaten wiederholt deutlich gemacht, dass der Export dieser Marschflugkörper geeignet sein könnte, die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel zu verstärken.

Die „Welt“ beschrieb Taurus im Sommer als Teil einer „Tötungskette“, die Südkorea aufbaut, um den nordkoreanische Diktator Kim Yong Un und seine Führungsmannschaft persönlich ausschalten zu können. Medien in Südkorea betonten, dass die südkoreanischen F-15K mit dieser Waffe Ziele in der nordkoreanischen Hauptstadt Pyongyang bereits bekämpfen können, während sie noch über ihrer Heimatbasis in Daejeon kreisen, die mehr als 160 Kilometer südlich von Seoul liegt. Die Fähigkeit, mit diesen Marschflugkörpern die nordkoreanischen Atomanlagen in Yongbang oder die Raketenanlagen Nordkoreas anzugreifen wird ebenfalls  immer wieder erwähnt. Die nordkoreanische Botschaft in Russland griff deshalb zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie forderte die Bundesregierung vor einigen Monaten öffentlich auf, von dem Exportvorhaben Abstand zu nehmen, da die koreanische Halbinsel als Spannungsgebiet zu betrachten sei.

Das sollte nicht der einzige Anlass für Nachdenklichkeit in Berlin sein. Der Export von schweren Marschflugkörpern des Typs Taurus ist auch rüstungskontrollpolitisch problematisch und zwar gleich in zweierlei Hinsicht. 

Zum einen wird das Missile Technology Control Regime (und damit auch der Hague Code of Conduct) durch diesen Export tangiert, in dem sich 34 Staaten, darunter Deutschland und Südkorea, dazu verpflichtet haben, Flugkörperexporte dann besonders restriktiv zu handhaben, wenn diese als Trägersysteme für einen Sprengkopf mit 500 Kilogramm Gewicht über mehr als 300 Kilometer Reichweite genutzt werden können. Offiziell wiegt der Sprengkopf des Taurus zwar ein paar Kilo weniger, dafür aber ist die Reichweite deutlich größer als 300 Kilometer. Selbst die kleinere Taurus-Version mit 350-400 Kilometer Reichweite dürfte das Regime noch tangieren.

Der Export einer bodengestützten Variante des Taurus-Marschflugkörpers dürfte ein noch gravierenderes Problem darstellen. Er würde die Regelungen des INF-Vertrages berühren, weil der Flugkörper mehr als 500 Kilometer Reichweite hat. Deutschland hat den bilateralen INF-Vertrag zwischen Moskau und Washington, der beiden Staaten bodengestützte Trägersysteme mit Reichweiten von 500-5.500 Kilometer seit 1987 verbietet und in den 1980er Jahren den Streit um die sogenannte Nachrüstung beendete, zwar nicht unterzeichnet. Es war aber am Zustandekommen dieses Vertrages nich unwesentlich beteiligt. Die Bundeswehr verzichtete damals auf ihre Pershing-Ia-Raketen, weil diese mehr als 500 Kilometer Reichweite aufwiesen und machte damit den Weg für die sogenannte doppelte Null-Lösung frei. Gemeint war damit die Einbeziehung von Raketen mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern. Die Existenz einer bodengestützten Version des Taurus tangiert also die Regelungen des Vertrags. 

Unter den INF-Vertrag fallen Trägersysteme dieser Reiweite unabhängig davon, ob sie atomare Sprengköpfe tragen oder nicht. Die USA werfen Russland schon seit einigen Jahren vor, den INF-Vertrag durch die Entwicklung und Erprobung eines bodengestützten Marschflugkörpers mit mehr als 500 Kilometer Reichweite zu verletzen. In diese Streitigkeit könnte Deutschland durch eine bodengestützte Version des Taurus-Flugkörpers ziemlich leicht hineingezogen werden – auch dann, wenn es nur darum geht, eine solche Waffe in ein Land zu exportieren, dass durch den INF-Vertrag nicht gebunden ist. Da der INF-Vertrag aber im deutschen Interesse liegt, muss sich die Bundesregierung fragen, ob sie mit einem solchen Exportgeschäft nicht ihren eigenen Interessen schaden würde.



ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS