Waffen für die Ukraine – Waffen aus der Ukraine?
von Otfried Nassauer
Auch wenn Barack Obama sich noch ziert, der Vorschlag hat
politisches Gewicht: Acht ehemals leitende Mitarbeiter seiner
Administration forderten ihn Anfang Februar auf, die Ukraine mit
Kriegswaffen zu beliefern. Drei Jahre lang solle Kiew für je eine
Milliarde Dollar Waffen aus den USA bekommen, um prorussische
Separatisten besser bekämpfen zu können.
In Deutschland traf diese Forderung auf wenig Gegenliebe.
Kanzlerin Angela Merkel hielt ihn für eine schlechte und
kontraproduktive Idee. Waffenlieferungen, so das Argument, seien Gift
für die Suche nach einer diplomatischen Lösung und
wahrscheinlich sogar Öl ins Feuer des Konfliktgeschehens.
Militärisch könne der Ukraine-Konflikt nicht gelöst
werden. Allerdings wurden auch Stimmen laut, die sich für
Waffenlieferungen an die Ukraine aussprachen. Sie betonen das
Selbstverteidigungsrecht der Ukraine oder befürworteten
Militärhilfe als Druckmittel, das Moskau zum Einlenken bewegen
soll.
Ein Argument, dass immer wieder für Waffenlieferungen ins
Feld geführt wird, ist der desolate Zustand der ukrainischen
Streitkräfte. Sie konnten den Separatisten in den vergangenen
Monaten oft nur wenig entgegensetzen. Ihre Offensiven endeten
wiederholt in Geländeverlusten. Veraltete und schlecht gewartete
Ausrüstung wurden wiederholt als Grund für ihre geringe
Kampfkraft genannt. Die Separatisten dagegen seien aufgrund der
Lieferungen schwerer Waffen aus Russland überlegen.
Diese Begründungslogik verdient einer näheren Betrachtung.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion erbte die Ukraine ein gewaltiges
Waffenarsenal. Dazu gehörten sage und schreibe mehr als 6.128
Kampfpanzer, mehr als 6.739 gepanzerte Kampffahrzeuge, über 3.591
schwere Artilleriesysteme, fast 1.648 Kampfflugzeuge und 271
Kampfhubschrauber. Ein Teil dieser Waffen, vor allem älteres
Material, musste aufgrund des Vertrages über konventionelle
Streitkräfte (KSE) verschrottet werden. Übrig blieb jedoch
noch immer mehr als genug, um Armee und Nationalgarde in der Ukraine
auszustatten: Der Vertrag erlaubte der Ukraine 4.080 Kampfpanzer, 5.050
gepanzerte Kampffahrzeuge, 4.040 großkalibrige
Artilleriegeschütze, 1.090 Kampfflugzeuge und 330
Kampfhubschrauber. Weit mehr, als deren Streitkräfte sinnvoll
einsetzen konnten.
2013 hatte die Ukraine nach Angaben des Internationalen Instituts
für Strategische Studien (IISS) in seiner Military Balance 2014
noch eine Armee von rund 130.000 Soldaten sowie 85.000
paramilitärische Kräfte mit rund 2.200 Kampfpanzern, rund
2.500 gepanzerten Kampffahrzeugen, über 1.900 schweren
Artilleriegeschützen und Mehrfachraketenwerfern, über 200
Kurzstreckenraketen, über 200 Kampfflugzeugen und 139
Kampfhubschraubern verfügt haben. Diese gewaltige Streitmacht muss
jedoch ein potemkinsches Dorf sein, wenn sie von einer
Freischärlertruppe mit einer Größe von maximal 30.000
Bewaffneten mit externer Großwaffen-Unterstützung in massive
Verlegenheit gebracht werden kann.
Die Ukraine beschritt neben der vertraglich erforderlichen
Zerstörung von Waffen schon bald einen zweiten Weg, um ihre
Waffenarsenale zu verkleinern. Es war der Rüstungsexport. Kiew
wurde nach dem Ende des Kalten Krieges zu einem der bedeutendsten
Waffenexporteure der Welt – sowohl im Blick auf den
zwischenstaatlichen Handel als auch im Bereich von Lieferungen mit
Schwarzmarktcharakter. Waffen aus der Ukraine waren günstig,
robust und vergleichsweise einfach zu handhaben.
Rüstungsverkäufe aus Armeebeständen und aus der
ukrainischen Industrieproduktion wurden so zu einer wesentlichen
Einnahmequelle für die Eliten der Ukraine. Das Stockholmer
Friedensforschungsinstitut SIPRI rechnete die Ukraine zeitweilig zu den
fünf wertmäßig größten
Rüstungsexportnationen. Kiew exportierte pro Jahr Kriegswaffen
für deutlich mehr als eine Milliarde Dollar und in einzelnen
Jahren mehr als Deutschland. Auch 2013 sah das Institut die Ukraine mit
einem Exportwert von mehr als einer halbe Milliarde Dollar noch unter
den zehn größten Rüstungslieferanten der Welt.
Die Größenordnungen, die seitens der Ukraine exportiert
wurden, sind gewaltig. Das zeigen bereits die offiziell
gemeldeten Zahlen. Die Ukraine hat an das Waffenregister der Vereinten
Nationen 1992 bis 2013 den Export von 1.438 Kampfpanzern, 1.800
gepanzerten Kampffahrzeugen, 467 großkalibrigen
Artilleriegeschützen und Raketenwerfern, 449 Kampfflugzeugen, 155
Kampfhubschraubern, 5.455 Raketen und Lenkflugkörpern und drei
Kriegsschiffen gemeldet.
Auch bei Kleinwaffen und den leichten Waffen erreichen ihre
Export-Meldungen an die Vereinten Nationen beträchtliche
Größenordnungen: Ausgeführt wurden allein in den Jahren
2007 bis 2013 nach offiziellen Angaben 92.854 Selbstladepistolen und
Revolver, 698.527 Gewehre und Karabiner, 237.709 Maschinenpistolen und
knapp 10.500 leichte und schwere Maschinengewehre. SIPRI
berichtete 2008 über offizielle Angaben der Ukraine zu
Kleinwaffenexporten im Zeitraum 2004-2007, die sich auf insgesamt
721.777 Waffen beliefen.
Schon die veröffentlichten Zahlen zeigen, dass mit den
exportierten Waffen leicht eine komplette Armee ausgestattet werden
könnte und sicher auch eine, die schlagkräftiger wäre,
als es die der Ukraine derzeit ist.
Zudem: Diese offiziellen Zahlen sind mit Sicherheit noch zu niedrig.
Für Großwaffensysteme und Kleinwaffen liegen für 2011
keine Berichte an die Vereinten Nationen vor. Bei den Kleinwaffen
meldete die Ukraine erst ab 2007 ihre Daten. Hier wird die Dunkelziffer
ukrainischer Exporte und die Rolle der Schwarzmarktgeschäfte
für besonders groß gehalten. Die Ukraine hat in der
Vergangenheit traurige Berühmtheit als Tatort substantiellen
Schwarzhandels mit Waffen und Kriegsmaterial erlangt. Stichwort
„Odessa-Connection“.
Bei den exportierten Waffen handelte es sich zunächst vorwiegend
um Überschusswaffen. Bald entdeckte die Elite der Ukraine jedoch,
dass sich durch den Verkauf modernerer Systeme aus dem Bestand der
Armee höhere Einnahmen erzielen ließen und somit auch mehr
Geld privatisiert werden konnte. Ein Blick in die Datenbestände
von SIPRI zeigt, dass die Ukraine nicht nur Altbestände verkauft,
sondern auch moderneres Gerät oder neu produzierte Systeme:
Kampfpanzer der Typen T-72, T-80 und T-84, gepanzerte Kampffahrzeuge
vom Typ BTR-4, Mehrfachraketenwerfer vom Typ Smerch, Jagdflugzeuge vom
Typ Mig-29, Luft-Luftraketen der Typen AA-10 und AA-11 oder
Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24.
Die Lieferungen erfolgten ohne Skrupel, gerade auch an Staaten, die
sich auf potentielle Waffengänge vorbereiteten: Georgien erhielt
den SIPRI-Daten zufolge unter Präsident Saakaschwili aus der
Ukraine bis in das Jahr 2008 z.B. 90 Kampfpanzer T-72, 17
Panzerhaubitzen, verschiedene mobile Flugabwehrraketensysteme,
Kampfhubschrauber, Panzerabwehrraketen und vieles andere mehr;
Bewaffnung, die die georgische Regierung irrigerweise 2008 glauben
ließ, sie sei nun militärisch stark genug, um die russischen
Kräfte ein für alle mal aus Südossetien zu vertreiben.
Saakaschwili berät heute den ukrainischen Präsidenten
Poroschenko.
Auch die Rebellen des späteren Südsudans erhielten
verdeckt Mehrfachraketenwerfer und mehr als 100 Kampfpanzer vom Typ
T-72 aus der Ukraine, die nach der Unabhängigkeit in den
Konflikten mit dem Sudan eingesetzt werden sollten. Die Ukraine hatte
sie als Exporte ins benachbarte Kenia deklariert. Der Schwindel flog
auf, als somalische Piraten einen der Transporte kaperten und das
Frachtschiff „Faina“ über Wochen festhielten.
Aserbaidschan, einer der beiden Kontrahenten im eingefrorenen Konflikt
um Bergkarabach, kaufte große Mengen Waffen in der Ukraine,
darunter Panzer, Panzerhaubitzen, Kampfhubschrauber und
Mig-29-Kampfflugzeuge. Zu den Empfängern der Waffenlieferungen aus
Kiew gehörten auch diverse despotische Regime in Afrika sowie
Länder mit hoher Korruption und immer wieder auch Staaten.
Die Daten zeigen auch, dass die Ukraine über viele Jahre
nur wenig tat, um ihre eigenen Streitkräfte zu modernisieren. Kiew
meldete nur geringe Waffenimporte an die Vereinten Nationen und auch
die SIPRI-Daten weisen nur marginale Einfuhren aus. Der
Investitionshaushalt der Streitkräfte ist gering und Kiew hat in
den letzten Jahren deutlich zu wenig Geld investiert, um seine
Streitkräfte auch nur ansatzweise regenerieren zu können.
Welche Fragen wirft das im Blick auf den Vorschlag auf, die
Ukraine mit modernen westlichen Waffen auszustatten? Zumindest zwei
sind relevant: Erstens: Gibt es irgendwelche Garantien, dass Waffen,
die an die Ukraine geliefert werden, dauerhaft dort verbleiben und
nicht erneut verkauft und zur privaten Bereicherung genutzt werden?
Wohl kaum. Schon deshalb muss der Vorschlag mit größter
Vorsicht betrachtet werden. Zweitens: Auch die derzeitigen
Machtstrukturen in der Ukraine werden in Kiew und den Regionen werden
von Oligarchen dominiert, die nicht selten schon in der Vergangenheit
vom Waffenhandel profitiert haben. Es gibt sie in allen Fraktionen. Der
Rüstungsexport als Geldquelle war ihnen bislang wichtiger als die
Fähigkeit der Ukraine zur Selbstverteidigung. Es gibt
Gründe, dass es sich künftig ändern sollte, aber eine
Garantie dass es sich ändert, gibt es nicht.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
|