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06. Februar 2015


Falsche Rüstungsexportberichte – Das Beispiel Mexiko

von Otfried Nassauer


Die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung enthalten möglicherweise gravierende Fehler und Lücken. Gleiches gilt für die Berichte der Bundesregierung der Bundesregierung über die Exporte von kleinen und leichten Waffen an das Rüstungsexportregister der Vereinten Nationen. Das ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Hans Christian Ströbele vom 3.Februar 2015 an einem konkreten Beispiel.

Der Schwarzwälder Kleinwaffenhersteller Heckler & Koch hat deutlich mehr G36-Sturmgewehre nach Mexiko geliefert, als die Bundesregierung in der Vergangenheit berichtet hat. Rund 10.100 Gewehre wurden nach Mexiko ausgeführt, so die Daten aus dem Kriegswaffenbuch zu dieser Waffe. Das sind rund 1.400 Sturmgewehre mehr als bislang in den amtlichen Statistiken aufgeführt. Eine bemerkenswerte Differenz. Im Kriegswaffenbuch müssen die Details zum Verbleib jedes einzelnen Gewehrs dokumentiert werden.

Aus den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung ist dagegen nur zu entnehmen, dass die Bundesregierung von 2003 bis heute den Export von insgesamt nur 8.769 Gewehren mit Kriegswaffenlistennummer nach Mexiko genehmigt hat. Sturmgewehre des Typs G36 gehören in diese Kategorie, allerdings auch andere Gewehre, die exportiert worden sein könnten. Aus den Meldungen über Kleinwaffenlieferungen an das Rüstungsexportregister der Vereinten Nationen kann man erfahren, dass aus Deutschland in den Jahren seit 2006 8.710 Sturmgewehre nach Mexiko geliefert worden sein sollen. Beide Angaben sind erheblich niedriger als die Angaben Mexikos über den Import von Gewehren des Typs G36. 2011 beantworteten die mexikanischen Behörden eine Anfrage, wie viele G36 Mexiko eingeführt habe. Es waren 10.082 Gewehre dieses Typs.  

Mit den mexikanischen Angabe konfrontierte der Abgeordnete Stefan Liebich 2013 die Bundesregierung. Damals teilte das Wirtschaftsministerium lediglich mit, man führe keine Statistiken über die Importe anderer Staaten und können deshalb nur mutmaßen, dass sich die Abweichung aus einer bereits im Dezember 2005 erteilten Genehmigung ergebe, die in Liebichs auf die Jahre 2006 bis 2008 begrenzten Anfrage außen vor geblieben sei. Es sah offenbar keinen Anlass, seine eigenen Angaben noch einmal zu prüfen und zu korrigieren. 

Nun erweisen sich diese Angaben als falsch. Selbst wenn man alle bis zu der Antwort auf Ströbeles Anfrage gemachten Angaben der Bundesregierung über Exportgenehmigungen für Gewehre addiert, wird in den deutschen Statistiken über rund 1.400 nach Mexiko exportierte Gewehre keinerlei Angabe gemacht. Die mexikanischen Angaben entsprechen dagegen in etwa der Realität. Der Widerspruch wurde über Jahre durch unvollständige oder gar falsche Angaben aus Deutschland verursacht.

In Mexiko wird etwa die Hälfte der deutschen Sturmgewehre in vier Bundesstaaten eingesetzt, in die sie nicht geliefert werden durften. Vor wenigen Monaten wurden mindestens 36 Waffen des Typs G36 bei der lokalen Polizei von Iguala im Bundesstaat Guerrero sichergestellt, um zu überprüfen, ob sie bei der einer skandalösen Entführung und Ermordung von von mehr als 43 Studenten im September 2014 benutzt wurden. 

Der Fall verweist auf ein möglicherweise sehr viel größeres Problem: Die statistischen Daten über deutsche Rüstungsexporte könnten korrumpiert und damit unzuverlässig und falsch sein. Mit den Zahlen zu den G36-Exporten nach Mexiko liegt dafür jetzt ein konkretes Beispiel vor. Zu prüfen bleibt, ob dies ein Einzelfall ist oder ob Parlament und Öffentlichkeit auch bei anderen Waffenexporten falsch informiert wurden. 

Die Ursachen der Fehlinformation müssen aufgeklärt werden. Warum ergibt sich aus den detaillierten Angaben des Kriegswaffenbuchs eine deutlich höhere Zahl nach Mexiko exportierter G-36 Gewehre als aus den Angaben gegenüber den Vereinten Nationen und den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung? Es darf nicht vorkommen, dass diese Daten nicht übereinstimmen. Bei allen Angaben handelt es sich um offizielle Angaben aus dem Wirtschaftsministerium und der diesem Ministerium unterstellten zuständigen Bundesbehörde, dem BAFA. 

Aufgeklärt werden muss auch, ob die über Jahrzehnte geübte Praxis minimaler Information von Parlament und Öffentlichkeit zu Rüstungsexportgeschäften dazu geführt hat, dass sich solche gravierenden „Fehler“ einschleichen konnten. Wo zeigen sich solche und ähnliche Fehlangaben? Bei komplexen Geschäften, in deren Verlauf es viele Veränderungen gab? Bei Geschäften, die „heikel“ waren? Bei Exporten bestimmter Firmen oder bei besonders umstrittenen Exporten? Wurden Daten im Zusammenspiel zwischen Behörden und Industrie „manipuliert“? Und von wem in wessen Interesse? All das bedarf nun einer Klärung. Schon ein einziger „Einzelfall“ müsste dazu Anlass sein.

Die Bundesregierung hat dem Bundestag im vergangenen Jahr zugesagt, über Rüstungsexporte transparenter und umfassender zu informieren. Kurz darauf hat das  Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass dem Parlament ein umfassenderes Recht auf Information über abschließend genehmigte Rüstungsexporte zusteht als es der langjährigen Praxis aller Bundesregierungen entsprach. Nun muss es im Interesse des Parlamentes liegen, diese Informationen einzufordern und darüber hinaus auch zu klären, ob die mangelnde Transparenz in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass gegenüber dem Bundestag falsche oder unvollständige Angaben gemacht wurden. Der geschilderte Fall zeigt diese Notwendigkeit auf. 

Hans Christian Ströbele reagierte jedenfalls wenig überrascht. Sein Kommentar: "Jetzt hat das Versteckspiel der alten Geheimniskrämer im Ministerium und in der Bürokratie endlich mal ein Ende.“



ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS