Falsche Rüstungsexportberichte – Das Beispiel Mexiko
von Otfried Nassauer
Die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung enthalten
möglicherweise gravierende Fehler und Lücken. Gleiches gilt
für die Berichte der Bundesregierung der Bundesregierung über
die Exporte von kleinen und leichten Waffen an das
Rüstungsexportregister der Vereinten Nationen. Das ergibt sich aus
einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des
Bundestagsabgeordneten Hans Christian Ströbele vom 3.Februar 2015
an einem konkreten Beispiel.
Der Schwarzwälder Kleinwaffenhersteller Heckler &
Koch hat deutlich mehr G36-Sturmgewehre nach Mexiko geliefert, als die
Bundesregierung in der Vergangenheit berichtet hat. Rund 10.100 Gewehre
wurden nach Mexiko ausgeführt, so die Daten aus dem
Kriegswaffenbuch zu dieser Waffe. Das sind rund 1.400 Sturmgewehre mehr
als bislang in den amtlichen Statistiken aufgeführt. Eine
bemerkenswerte Differenz. Im Kriegswaffenbuch müssen die Details
zum Verbleib jedes einzelnen Gewehrs dokumentiert werden.
Aus den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung ist
dagegen nur zu entnehmen, dass die Bundesregierung von 2003 bis heute
den Export von insgesamt nur 8.769 Gewehren mit
Kriegswaffenlistennummer nach Mexiko genehmigt hat. Sturmgewehre des
Typs G36 gehören in diese Kategorie, allerdings auch andere
Gewehre, die exportiert worden sein könnten. Aus den Meldungen
über Kleinwaffenlieferungen an das Rüstungsexportregister der
Vereinten Nationen kann man erfahren, dass aus Deutschland in den
Jahren seit 2006 8.710 Sturmgewehre nach Mexiko geliefert worden sein
sollen. Beide Angaben sind erheblich niedriger als die Angaben Mexikos
über den Import von Gewehren des Typs G36. 2011 beantworteten die
mexikanischen Behörden eine Anfrage, wie viele G36 Mexiko
eingeführt habe. Es waren 10.082 Gewehre dieses Typs.
Mit den mexikanischen Angabe konfrontierte der Abgeordnete
Stefan Liebich 2013 die Bundesregierung. Damals teilte das
Wirtschaftsministerium lediglich mit, man führe keine Statistiken
über die Importe anderer Staaten und können deshalb nur
mutmaßen, dass sich die Abweichung aus einer bereits im Dezember
2005 erteilten Genehmigung ergebe, die in Liebichs auf die Jahre 2006
bis 2008 begrenzten Anfrage außen vor geblieben sei. Es sah
offenbar keinen Anlass, seine eigenen Angaben noch einmal zu
prüfen und zu korrigieren.
Nun erweisen sich diese Angaben als falsch. Selbst wenn man
alle bis zu der Antwort auf Ströbeles Anfrage gemachten Angaben
der Bundesregierung über Exportgenehmigungen für Gewehre
addiert, wird in den deutschen Statistiken über rund 1.400 nach
Mexiko exportierte Gewehre keinerlei Angabe gemacht. Die mexikanischen
Angaben entsprechen dagegen in etwa der Realität. Der Widerspruch
wurde über Jahre durch unvollständige oder gar falsche
Angaben aus Deutschland verursacht.
In Mexiko wird etwa die Hälfte der deutschen Sturmgewehre
in vier Bundesstaaten eingesetzt, in die sie nicht geliefert werden
durften. Vor wenigen Monaten wurden mindestens 36 Waffen des Typs G36
bei der lokalen Polizei von Iguala im Bundesstaat Guerrero
sichergestellt, um zu überprüfen, ob sie bei der einer
skandalösen Entführung und Ermordung von von mehr als 43
Studenten im September 2014 benutzt wurden.
Der Fall verweist auf ein möglicherweise sehr viel
größeres Problem: Die statistischen Daten über deutsche
Rüstungsexporte könnten korrumpiert und damit
unzuverlässig und falsch sein. Mit den Zahlen zu den G36-Exporten
nach Mexiko liegt dafür jetzt ein konkretes Beispiel vor. Zu
prüfen bleibt, ob dies ein Einzelfall ist oder ob Parlament und
Öffentlichkeit auch bei anderen Waffenexporten falsch informiert
wurden.
Die Ursachen der Fehlinformation müssen aufgeklärt
werden. Warum ergibt sich aus den detaillierten Angaben des
Kriegswaffenbuchs eine deutlich höhere Zahl nach Mexiko
exportierter G-36 Gewehre als aus den Angaben gegenüber den
Vereinten Nationen und den Rüstungsexportberichten der
Bundesregierung? Es darf nicht vorkommen, dass diese Daten nicht
übereinstimmen. Bei allen Angaben handelt es sich um offizielle
Angaben aus dem Wirtschaftsministerium und der diesem Ministerium
unterstellten zuständigen Bundesbehörde, dem BAFA.
Aufgeklärt werden muss auch, ob die über Jahrzehnte
geübte Praxis minimaler Information von Parlament und
Öffentlichkeit zu Rüstungsexportgeschäften dazu
geführt hat, dass sich solche gravierenden „Fehler“
einschleichen konnten. Wo zeigen sich solche und ähnliche
Fehlangaben? Bei komplexen Geschäften, in deren Verlauf es viele
Veränderungen gab? Bei Geschäften, die „heikel“
waren? Bei Exporten bestimmter Firmen oder bei besonders umstrittenen
Exporten? Wurden Daten im Zusammenspiel zwischen Behörden und
Industrie „manipuliert“? Und von wem in wessen Interesse?
All das bedarf nun einer Klärung. Schon ein einziger
„Einzelfall“ müsste dazu Anlass sein.
Die Bundesregierung hat dem Bundestag im vergangenen Jahr
zugesagt, über Rüstungsexporte transparenter und umfassender
zu informieren. Kurz darauf hat das Bundesverfassungsgericht
bestätigt, dass dem Parlament ein umfassenderes Recht auf
Information über abschließend genehmigte
Rüstungsexporte zusteht als es der langjährigen Praxis aller
Bundesregierungen entsprach. Nun muss es im Interesse des Parlamentes
liegen, diese Informationen einzufordern und darüber hinaus auch
zu klären, ob die mangelnde Transparenz in der Vergangenheit dazu
geführt hat, dass gegenüber dem Bundestag falsche oder
unvollständige Angaben gemacht wurden. Der geschilderte Fall zeigt
diese Notwendigkeit auf.
Hans Christian Ströbele reagierte jedenfalls wenig
überrascht. Sein Kommentar: "Jetzt hat das Versteckspiel der alten
Geheimniskrämer im Ministerium und in der Bürokratie endlich
mal ein Ende.“
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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