US - Atomwaffen in Deutschland und Europa
von Otfried Nassauer
Die USA lagern einen Teil ihrer aktiven Atomwaffen in Europa. Nach Schätzungen von
Experten handelt es sich derzeit um rund 350 nukleare Bomben der Typen B-61-3 und B61-4.
Diese Waffen sind für NATO-Aufgaben und den Einsatz durch Jagdbomber der USA sowie
einiger europäischer Nationen vorgesehen, die sich an der nuklearen Teilhabe der NATO
beteiligen. Dies sind derzeit Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande und die
Türkei.
Eingesetzt werden dürfen die US-Atomwaffen nur, wenn der US-Präsident den Einsatz
freigegeben hat und auf einem gesonderten amerikanischen Befehlsweg der Freigabecode für
die Sicherheitssysteme eingegangen ist. Die USA behalten sich auf nationaler Ebene das
Recht vor, ihre in Europa gelagerten Atomwaffen auch zur Unterstützung des für den Nahen
und Mittleren Osten zuständigen, regionalen Oberkommandos CENTCOM einzuplanen.
In Deutschland können derzeit noch bis zu 44 nukleare Bomben in Büchel, dem Standort
des Jagdbombergeschwaders 33 der Bundeswehr, gelagert werden. Es ist mittlerweile der
einzige aktive Lagerort in Deutschland. Vorhanden sind vermutlich nur rund 20 Waffen. Bis
2004 wurden außerdem bis zu 130 Atomwaffen auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein Air Base
gelagert. Mit diesen Waffen konnte man einerseits die anderen Atomwaffenstandorte in
Europa verstärken. Andererseits lagerten dort Atombomben mit denen reaktivierbare
Lagermöglichkeiten für bis zu 44 Atombomben auf dem Fliegerhorst Nörvenich
(Jagdbombergeschwader 31) wieder in Betrieb genommen werden konnten. Die
Atomwaffenlagerstätten in Nörvenich wurde 1997 vorläufig außer Dienst gestellt.
Nörvenich ist wohl auch künftig nicht mehr als Atomwaffenstandort vorgesehen, da die
nuklearfähigen Tornado-Jagdbomber in den kommenden Jahren durch nichtnuklearfähige
Kampfflugzeuge vom Typ Eurofigther ersetzt werden.
Die Nuklearwaffenlagerstätten in Ramstein wurden wegen der umfangreichen Bauarbeiten
auf diesem Flugplatz er soll viele Aufgaben der Rhein-Main-Airbase übernehmen und
als wichtigste logistische Drehscheibe der U.S.-Luftwaffe in Europa fungieren aus
Sicherheitsgründen 2004 geräumt. Nach Abschluss der Arbeiten kehrten die Waffen nicht
mehr nach Ramstein zurück. Für Ramstein und ebenso für Spangdahlem, den zweiten
US-Flugplatz, der logistische Aufgaben der Rhein-Main-Airbase übernahm, sind ausweislich
der Dienstvorschriften der US-Luftwaffe in Europa vorläufig künftig keine Nuklearen
Sicherheitsinspektion (Nuclear Surety Inspections) mehr geplant. Solche Inspektionen sind
Nuklearwaffenlagerorten Pflicht.
Europaweit gibt es in sechs Ländern aktive Lagermöglichkeiten an sieben Standorten
für maximal 480 Atomwaffen. Es ist davon auszugehen, dass an jedem Standort ein Magazin
für Ausbildungszwecke benutzt wird und deshalb mit Trainingswaffen bestückt wird. Auch
in den anderen Vaults befinden sich weniger Waffen als diese theoretisch aufnehmen
können. Reaktiviert werden können maximal fünf weitere Standorte für 332 Waffen.
Die Nuklearwaffen werden in geschützten unterirdischen Magazinen, sogenannten Weapons
Storage Vaults (Grüften siehe Photo) aufbewahrt, die in den Boden von
Flugzeugschutzbauten auf ausgewählten Fliegerhorsten eingebaut wurden. Jedes Magazin kann
maximal vier Waffen aufnehmen und wird mit spezieller Technik fernüberwacht.
Für die Wartung und den Zugang zu den Atomwaffen sind an den Standorten der vier
europäischen NATO-Streitkräfte jeweils 130-140 US-Spezialisten zuständig. Sie tun in
vier speziellen Einheiten Dienst, den Munition Support Squadrons (701.-704. MUNSS). Die
vier Squadrons unterstehen der 38. Munitions Maintenance Group (MMG) in Spangdahlem, die
ihrerseits Teil der 38. Combat Support Wing in Sembach/Ramstein ist. Diese insgesamt rund
550 Soldaten sind auch dafür zuständig, dass nie ein einzelner Soldat oder gar ein
Europäer ohne Begleitung durch US-Soldaten Zugang zu einer Atomwaffe bekommt. Die
Fliegerhorste, auf denen Atomwaffen stationiert sind, haben zudem eine zusätzliche
Wachmannschaft. Bei der Bundeswehr heißt diese Luftwaffensicherungsstaffel "S"
- wie Sonderwaffen.
Die Bomben vom Typ B-61 verfügt über relativ moderne Sicherungssysteme und eine
variable Sprengkraft von bis zu 45 Kilotonnen (Modell 3) bzw. bis zu 170 Kilotonnen
(Modell 4). Letzteres entspricht mehr als der 13-fachen Zerstörungskraft der
Hiroshima-Bombe.
Lange wurde angenommen, dass auch Bomben des Typs Die B-61-10 in Europa gelagert
werden. Dieser Nuklearwaffentyp wurde Ende der achtziger Jahre aus den nicht mehr
benötigten Sprengköpfen der Mittelstreckenrakete Pershing-II-Rakete entwickelt, die
aufgrund des Vertrages über den Abbau landgestützter, atomarer Mittelstreckenwaffen von
1987 (INF-Vertrag) abgezogen worden waren. Durch eine Veröffentlichung des
US-Energieministeriums wurde im Juli 2005 bekannt, dass diese Waffen nicht wie
angenommen - Bestandteil des aktiven Atomwaffenbestandes der USA sind und deswegen auch
nicht in Europa stationiert wurden.
Seit dem Ende des Kalten Krieges haben die US-Nuklearwaffen in Europa vor allem eine
politisch-psychologische Funktion. Sie sind ein Zeichen dafür, dass die NATO-Staaten
diesseits und jenseits des Atlantiks sich unter keinen Umständen auseinanderdividieren
lassen und die Risiken ebenso wie die Verantwortung gemeinsam tragen wollen, die mit
Nuklearwaffen verbunden sind. Ihre militärische Funktion haben diese Waffen weitgehend
verloren, da die Ziele, gegen die sie ursprünglich eingesetzt werden sollten, heute keine
Ziele mehr sind. Für neue Ziele, die seit Ende des Kalten Krieges Aufnahme in die
Planungen fanden, sind diese Waffen oft militärisch schlechter geeignet als moderne
konventionelle Waffen. Politische Bestrebungen Washingtons, den Waffen in Europa neue
Rollen bei der Abschreckung und Bekämpfung der Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen zuzuweisen, sind bislang bei den meisten europäischen
NATO-Staaten nicht auf Gegenliebe gestoßen. Allerdings planen die USA ihre in Europa
gelagerten Atomwaffen auf nationaler Ebene auch für Einsätze außerhalb des
NATO-Gebietes, z.B. im Mittleren Osten mit ein.
Die Zahl der nuklearen Waffen und der Standorte, an denen sie in Europa gelagert
werden, wurde seit 1991 deutlich reduziert. Verblieben zunächst etwa 1400 Bomben in
Europa, so wurde diese Zahl zunächst auf etwa 700, dann auf 480 verringert. Reduzierungen
wurden meist erst bekannt, nachdem sie stattgefunden hatten. Die Möglichkeit einer
erneuten Reduzierungsrunde kündigte NATO-Oberbefehlshaber James L. Jones, überraschend
im März 2004 an. Details nannte er allerdings nicht. Erst zwischen 2005 und 2007 wurde
deutlich, dass mit dem Abzug der Atomwaffen aus Ramstein tatsächlich eine weitere
Reduzierung vorgenommen wurde. Eines der wichtigsten Beratergremien des Pentagons, das
Defense Science Board, empfahl fast gleichzeitig den völligen Verzicht auf diese Waffen.
Auch der Bereitschaftsstatus der Jagdbombergeschwader, die die Waffen einsetzen
können, wurde deutlich reduziert. Während des Kalten Krieges waren atomar
aufmunitionierte Jagdbomber noch in Sofortbereitschaft (Quick Reaction Alert, QRA) und
konnten binnen Minuten abheben, so würde es heute nach Angaben der NATO Monate dauern,
bis die volle Einsatzbereitschaft wieder erreicht würde. Dies lässt darauf schließen,
dass auch der Einsatz atomarer Waffen, der früher regelmäßig auf den
Luft-Boden-Schießplätzen Nordhorn und Siegenburg geübt wurde, heute nur noch selten
oder vielleicht gar nicht mehr trainiert wird.
Die "nukleare Teilhabe" der nicht-nuklearen NATO-Staaten ist politisch
umstritten. Sie würde es im Kriegsfall ermöglichen, dass Piloten aus einem
nicht-nuklearen Staat, der Mitglied des Nichtverbreitungs- bzw. Atomwaffensperrvertrages
(NVV) ist, Atomwaffen einsetzen. Dies wird von der Mehrheit der NVV-Vertragsstaaten, den
Nichtpaktgebundenen, als Vertragsverletzung betrachtet.
Die Nuklearwaffenlager der NATO im Juli 2007 [1]
Flugplatz |
Land |
Unterflur-
magazine |
Waffen
gelagert
(geschätzt) |
Waffen
lagerbar
(max) |
Einheiten
und Status |
Buechel |
D |
11 |
20 |
44 |
Jabo-Geschwader 33 der Bundeswehr mit Tornado-Flugzeugen,
Nuklearwaffenlager aktiv; Wacheinheit der USAF: 702 MUNSS (ehem. 817.MUNSS) |
Ramstein |
D |
54* |
0
(ehem.130) |
0
(216) |
86. Lufttransportgeschwader, USAF mit C-130-Transportern,
früher für Nuklearwaffentransporte in Europa zuständig |
Kleine Brogel |
BE |
11 |
20 |
44 |
10. Taktisches Geschwader der Belgischen Luftwaffe mit F-16
Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv; Wacheinheit der USAF: 701 MUNSS (ehem.52.MUNSS) |
Volkel |
NL |
11 |
20 |
44 |
1. Jagdbombergeschwader der Holländischen Luftwaffe mit F-16
Flugzeugen. Aktiv. Wach-einheit der USAF: 703. MUNSS (ehem. 752.MUNSS) |
Lakenheath |
UK |
33 |
110 |
132 |
48. Jagdbombergeschwader der US-Luftwaffe mit
F-15E-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv |
Aviano |
IT |
18 |
50 |
72 |
31. Jagdbombergeschwader der US-Luftwaffe mit F-16
Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv |
Ghedi-Torre |
IT |
11 |
40 |
44 |
6. Geschwader der Italienischen Luftwaffe mit
Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv. Wacheinheit der USAF: 704. MUNSS (ehem.
31.MUNSS) |
Araxos
(geschlossen) |
GR |
6 |
0 |
0
(24) |
116. Geschwader der Griechischen Luftwaffe mit A-7E
Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv. Wacheinheit der USAF: 731.MUNSS
(2001 geschlossen) |
Incirlik |
TR |
25 |
90 |
100 |
Rotierende Einheiten der US-Luftwaffe, Nuklearwaffenlager
aktiv |
Memmingen |
D |
0
(11) |
0 |
0
(0) |
Ehem. Jabo-Geschwader 34 der Bundeswehr mit
Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv Standort 2003 aufgelöst. |
Noervenich |
D |
11 |
0 |
0
(44) |
Jabo-Geschwader 31 mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager
inaktiv, keine Wacheinheit der USAF, Geschwader soll ab 2007 auf nicht-nukleare
Eurofighter umgerüstet werden |
Murted/Akinci |
TR |
6 |
0 |
0
(24) |
4. Geschwader der Türkischen Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen,
Nuklearwaffenlager inaktiv. keine Wacheinheit der USAF |
Balikesir |
TR |
6 |
0 |
0
(24) |
9. Geschwader der Türkischen Luftwaffe mit F-16-Flugzeugen,
Nuklearwaffenlager inaktiv. keine Wacheinheit der USAF |
Spangdahlem |
D |
0 |
0 |
0
(0) |
52. Taktisches Geschwader der USAF mit F-16 (ehem F-16C/D;
jetzt F-16 CJ Wild Weasel-Version); 38.Munitions Maintenance Group, seit 24.7.04
europaweit zuständig für MUNSS. (ehemals Aufgabe der 52.) |
Gesamt: ** |
NATO |
120 akt.
+83 inakt. |
350 |
480 akt.
332inakt. |
|
* plus ein weiteres Magazin für Ausbildungs- und
Übungszwecke.
** Diese Zahlen sind theoretische Maximalwerte. Sie können nur erreicht werden,
wenn alle Vaults, auch jene für Trainingszwecke, voll belegt werden. Sie gehen davon aus,
dass alle inaktiven Vaults noch vorhanden sind und reaktiviert werden könnten. Lediglich
die Vaults in Memmingen wurden abgezogen, weil sie wohl ausgebaut wurden, als der
Flugplatz aufgegeben wurde. Die Zahl der wirklich gelagerten Waffen ist wahrscheinlich
deutlich geringer. Informierte und adaptierte Schätzungen auf Basis einer internen
U.S.-Quelle aus dem Jahr 2004 gehen von rund 350 in Europa gelagerten Waffen aus.
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Blaue Markierungen bedeuten inaktive
Nuklearwaffenlager, braune Markierungen aktive Lager. |
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Das Foto zeigt eine Gravitationsbombe des Typs B-61. Bei dem Flugzeug im Hintergrund
handelt es sich um eine F-16. (Foto: USAF) |
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B-61 Bombe während einer Nuklearen Sicherheitsinspektion in Aviano (Foto: USAF) |
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ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
|
Material:
1USAF Electronic Systems Center,
Cryptologic Systems Group: WS3 Sustainment Program, Hanford Airforce Base, 3.3.2000;
Department of the US Air Force, 11th Wing, Information obtained under the Freedom of
Information Act by Joshua Handler, Princeton University, released 01/30/1998; Department
of the US Air Force, Headquarters US Air Forces in Europe, Information obtained under the
Freedom of Information Act by Joshua Handler, released 12/02/1997; Der Spiegel, No. 16/98,
04/13/98, p.135; USAF Electronic Systems Center: Press Release, Hanscom AFB, 18.7.1995;
USAF Electronic Systems Center: Communication to BASIC, Hanscom, 20.11.1996; US Congress,
House Defense Appropriations Subcommittee, DoD Appropriations for FY 1987, Part 5, p.216;
US Congress, House Defense Appropriations Subcommittee, DoD Appropriations for FY 1990,
part 7, p.479; Institut für Internationale Politik: Die Atomare Planung der NATO nach dem
Ende des Kalten Krieges, Wuppertal, 1990; Hans M. Kristensen: Nuclear Weapons in Europe,
Natural Ressources Defense Council, Washington DC, February 2005.
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