BITS Report 95.1
Oktober 1995

Deutsche Landminen -

Eine Bestandsaufnahme

Otfried Nassauer und Thomas Küchenmeister

 

7.1. Die Problemlage
7.2. Die Konfliktpunkte
7.3.  Die Haltung der Bundesregierung
7.4. Die Wiener Konferenz und die Folgen

 

 

Am 8. Juni 1994 beschließt die Bundesregierung ein Exportmoratorium für Landminen mit dem folgenden Wortlaut: "Die Bundesregierung unterstützt die Resolution 48/75K vom 16. Dezember 1993 der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die sich für ein weltweites Moratorium hinsichtlich des Exports von Anti-Personenminen (Schützenabwehrminen) ausspricht. Die Bundesregierung beschließt, daß für einen Zeitraum von drei Jahren ab dem 1. Juli 1994 keine Genehmigung für den Export von Anti-Personenminen erteilt wird. Nur Lieferungen zu Prüf- und Ausbildungszwecken können vom Exportmoratorium ausgenommen werden." (AA, 1994b, S.1) Dieses Exportmoratorium gilt, so erläutert die Bundesregierung auf Anfrage, für die Minentypen DM-11 AP, DM-31 AP und AP-2 und schließt damit auch explizit Schützenabwehrminen ein, die metallhaltig sind oder über einen Selbstzerstörungsmechanismus verfügen. (Deutscher Bundestag, 1995k, S.5)

Am 12. Mai 1995 beschließt die Bundesregierung zudem zusammen mit den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein zeitlich nicht begrenztes Exportmoratorium, das "das vollständige Verbot der Ausfuhr von nichtdetektierbaren Anti-Personenminen und Anti-Personenminen ohne Selbstzerstörungsmechanismus nach jedweder Bestimmung sowie das Verbot der Ausfuhr aller sonstigen Arten von Anti-Personenminen in Staaten, die das (UN-)Übereinkommen von 1980 und das Protokoll Nr.2 des Übereinkommens noch nicht ratifiziert haben."(Europäische Union, 1995, S.4).

Und am 29. Juni 1995 fordert der Bundestag mit den Stimmen von Regierungsfraktionen und SPD die Bundesregierung auf, sich anläßlich der Überprüfungskonferenz für das UN-Waffenabkommen von 1980

"für ein weltweites Entwicklungs-, Produktions-, Export- und Einsatzverbot von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus und von metallosen Minen einzusetzen."

Darüberhinaus solle die Bundesregierung sich

"für ein weltweites Entwicklungs-, Produktions-, Export- und Einsatzverbot von Antipersonen-Minen und Sprengfallen" einsetzen. (Deutscher Bundestag, 1995h, S.1f.)

Diese Formulierung ist - auch vom formalen Aufbau des Antrages her - als zeitbezogen im Sinne von mittel- und längerfristig zu interpretieren.

In der Bundesrepublik werden seit Mitte oder Ende der sechziger Jahre keine metallosen Landminen mehr hergestellt. Die Bundeswehr hat seit 1994 keine metallosen Landminen mehr in ihren Beständen. In der Bundesrepublik wurden zu keinem Zeitpunkt fernverlegte Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus produziert. Zur Zeit werden keine Schützenminen produziert, die exportiert werden könnten. Es gibt seit etwa zwei Jahren keine Entwicklungsvorhaben für Schützenminen in der Bundesrepublik mehr.

 

7.1. Die Problemlage

Zwischen 100 und 200 Millionen Minen - so wird vermutet - lauern weltweit verstreut in weit über 60 Ländern auf ihre Opfer. Lediglich etwa 100.000 Minen wurden 1994 weltweit von der UNO und von Nichtregierungsorganisationen geräumt. Zwei bis fünf Millionen neue Minen werden jährlich verlegt (US-Department of State, 1993; The Arms Project, 1994; United Nations, General Assembly, 1994 S.2; ICRC, 1995, S.10). Landminen finden ihre Opfer vor allem in der Dritten Welt; schätzungsweise jedes dritte oder vierte Minenopfer ist ein Kind (UNICEF, 1995, Presseinfo vom 21.7.). Die Minenopfer leben vorrangig in Asien und Afrika, auf der Südhalbkugel der Erde. Die Produzenten und Exporteure der Ware Mine kommen dagegen vorzugsweise aus den Industrieländern der Nordhalbkugel (Vgl.: Johnson, Denny, 1993; The Arms Project, 1994.). Mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien kehrte der Minenkrieg mit all seinen grausamen Gesichtern auch nach Europa zurück. Alle Bemühungen, den millionenfachen Einsatz von Landminen zu verhindern oder substantiell einzuschränken, sind bislang gescheitert.

Auch das angesichts des Leidens von Menschen im Krieg geschaffene und 1983 in Kraft getretene "Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können", verkürzt, das UN-Waffenübereinkommen, konnte dies nicht verhindern. Zu diesem Übereinkommen gehört das sogenannte Landminenprotokoll (Bundesrat, 1992). Es wurde bis Mai 1995 von nicht mehr als 42 Staaten ratifiziert (Deutscher Bundestag, 1995i, S.2875), in etlichen Fällen erst jüngst, sodaß nunmehr 49 Staaten dem Protokoll beigetreten sind. Die Bundesrepublik ratifizierte das Abkommen 1993. Eine Überprüfung dieser Konvention soll nun im September dieses Jahres auf einer Konferenz in Wien vorgenommen werden, doch die Vorzeichen für eine Lösung der landminenbedingten humanitären Katastrophe stehen alles andere als günstig.

Die meisten Staaten, in denen Landminen produziert werden - einschließlich der Bundesrepublik - lehnen ein umfassendes Verbot von Landminen ab, wollen allenfalls ein begrenztes Einsatz- und vielleicht auch Exportverbot einfacher Anti-Personenminen zulassen. Im Gegensatz dazu fordern viele internationale Hilfsorganisationen, Menschenrechts- und Entwicklungshilfeorganisationen, zusammengeschlossen u.a. in der "Internationalen Landminen-Kampagne" (ILMK) und dem deutschen Initiativkreis "Für das Verbot von Landminen", ein weltweites Verbot der Produktion, des Exportes und der Anwendung aller Landminen. Sie fordern oft zudem die Umwidmung der Steuergelder, die heute für die Entwicklung und Beschaffung von Landminen ausgegeben werden, zugunsten der Rehabilitation und Entschädigung von Minenopfern.

 

7.2. Die Konfliktpunkte

Schon im Vorfeld der Wiener Konferenz wurde klar: Eine umfassende Ächtung bzw. ein Verbot des heimtückischen Waffensystems Mine soll es nach dem Willen der meisten minenproduzierenden Staaten nicht geben. Militärvertreter machten hier im Gegenteil deutlich, daß es auch künftig einen militärischen Bedarf an Anti-Personenminen geben werde (Bonsignore, 1994, S. 72). Verschärfte Regelungen für Panzerabwehrminen, ebenfalls Gegenstand der Regelungen des Minenprotokolls, wurden gar nicht erst diskutiert. Was sind die Problemfelder und die Argumente in der Debatte zwischen Nichtregierungsorganisationen und Regierungen?

1. Viele Regierungen argumentieren, daß bei der Wiener Konferenz eine zurückhaltende und schrittweise Verschärfung der Regelungen des Landminenprotokolls die einzig realistische Option sei. Es sei besser, den noch kleinen Kreis der Staaten, die diesem Protokoll beigetreten sind, zunächst zu erweitern. Schärfere Regelungen würden zaudernde Staaten vom Beitritt abhalten. Staatsminister Schäfer vom Auswärtigen Amt steht für eine typische Position. Mit den folgenden Worten wies er Forderungen, die Bundesregierung möge sich für ein Verbot von Landminen einsetzen, zurück: "Das größte Übel sind unbestreitbar die sogenannten Anti-Personenminen. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß sie vollkommen aus dem Waffenarsenal der Welt verbannt werden. Auf dem Weg dorthin brauchen wir zweierlei: Erstens Exportverbote für diese Waffe und zweitens strengere völkerrechtliche Beschränkungen des Mineneinsatzes. (...) Die Bundesregierung setzt sich zugleich für eine nachdrückliche Stärkung des Minenprotokolls zum UN-Waffenübereinkommen ein. Dabei geht es uns in erster Linie um die weltweite Geltung dieses Protokolls. Davon sind wir leider noch sehr weit entfernt. (...) Es ist nicht möglich, auf Grund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages 180 Staaten der Welt innerhalb kurzer Zeit zu einem Verbot aller Minen zu bewegen" (Deutscher Bundestag, 1995i, S.2875).

Dieses Argument kann Befürworter eines Landminenverbotes nicht überzeugen. Sie argumentieren: Die Industriestaaten nutzen dieses Argument lediglich als Schutzbehauptung, damit ihre Hochtechnologie- und Panzerabwehrminen nicht auch schon jetzt Gegenstand der Debatte werden. Die Bundesrepublik mag als Beispiel dienen: Sie hält gegenüber dem Bundestag daran fest, daß die Bundeswehr "auf Landminen als defensives Kampfmittel im Rahmen unserer mit den NATO-Partnern abgestimmten Verteidigungsplanung nicht generell verzichten" kann (AA, 1994a, S.3). Wären die Industriestaaten bereit, alle Minen zu ächten, dann wäre die Skepsis überflüssig, daß die Industriestaaten nur die Landminenproduktion der Staaten der Dritten Welt ächten wollen. Viele Staaten, die gar keine Minen produzieren, würden dann dem Protokoll vielleicht sogar schneller beitreten, wenn alle Landminen verboten werden würden.

2. Neue Beschränkungen wollen viele Regierungen lediglich für Schützenminen nicht aber für alle Landminen einführen. Sie argumentieren, daß Schützenminen die große Mehrheit der weltweit verlegten Minen ausmachen, und daß vor allem Schützenminen für den Tod und die Verstümmelung vieler Menschen verantwortlich sind. Auf ihr Verbot hinzuarbeiten, sei realistisch. Panzerminen und andere Minen gleich mit zu verbieten, stoße auf zu große Widerstände des Militärs in fast allen Ländern.

Die Befürworter eines Verbotes aller Landminen halten auch dies für ein vorgeschobenes Argument. Viele Militärs, die keinesfalls auf andere als Schützenminen verzichten wollen, leben und arbeiten vor allem auch in den Industriestaaten des Nordens. Wären sie zum Verzicht bereit, so wäre es auch leichter, die Staaten des Südens davon zu überzeugen, daß ein Verbot von Landminen wünschenswert ist. Mehr noch: Die Grenzen zwischen den einzelnen Minentypen sind teilweise schon heute fließend und können leicht zu technologischen Umgehungsversuchen führen. Für das Argument der fließenden Grenzen werden mehrere Beispiele genannt:

  • Viele Panzerminen besitzen einen Räumschutz gegen Räumversuche von Hand (Anti-Handling oder Anti-Lift-Einrichtung) oder sie können leicht mit einem solchen Mechanismus ausgestattet werden.
  • Viele Minen sind Mehrzweckminen, weil sie mit Wirkung gegen Fahrzeuge oder ungepanzerte Infrastrukturziele sowie Menschen entwickelt wurden. Ihre Bezeichnung als Anti-Fahrzeugminen, Anti-Materialminen oder einfach als Submunitionen dient der Verschleierung des weiterhin vorhandenen "Weichzieles" Mensch. Es wird kaum möglich sein, klare, einheitliche Definitionen festzulegen. Viele Staaten werden Antipersonen-Minen einfach anders einstufen, so, wie die USA ihre berühmte Claymore-Mine zur Munition umfirmiert haben. Schon mit kleinen technischen Änderungen lassen sich die diversen Vorschläge für ein Teilverbot des Einsatzes, des Exportes oder der Produktion von bestimmten Minentypen umgehen; manche Minen sind leicht wieder zu legalisieren. Umgehungsversuchen stünden somit Tor und Tür offen.
  • Und schließlich das Grundsatzargument: Unter humanitären Gesichtspunkten ist der Unterschied zwischen einer Schützenmine, die ein Kind beim Spielen tötet und einer Panzermine, die einen Schulbus mit 40 Kindern zerstört, nicht einzusehen. Die meisten Panzerminen können den Bus nicht von einem Panzer unterscheiden.

3. Die militärische Nützlichkeit und Notwendigkeit von Landminen ist umstritten. "Minen" - so die Auffassung in vielen Militärkreisen - "bieten sich ... als eines der billigsten und einfachsten Kampfmittel überhaupt an. Das Preis-Leistungsverhältnis ist bei Minen sehr hoch." (Preylowski, 1995, S.36 ff). Zwar seien Schützenminen - vor allem älterer Bauart - zugegebenermaßen von begrenzter militärischer Nützlichkeit und zugleich verantwortlich für die meisten Minentoten und -verletzten. Panzerminen dagegen seien von hohem militärischem Wert und unverzichtbar. Über die militärische Notwendigkeit moderner Schützenminen gehen die Meinungen auseinander.

Die Befürworter eines vollständigen Landminenverbotes argumentieren dagegen: Bislang gibt es kaum ernsthafte und unvoreingenommene Untersuchungen der Frage, wie sinnvoll oder notwendig der militärische Einsatz von Landminen eigentlich wirklich ist. Zwar sind einzelne Arbeiten zu der Frage des Nutzens und der Ersetzbarbeit von Schützenminen bekannt, gründliche und grundsätzliche Studien darüber, welche Vor- oder Nachteile ein genereller einseitiger oder allseitiger Verzicht auf Landminen hätte, sind zumindest in der öffentlichen Debatte nicht vorgelegt worden. Der "unverzichtbare Nutzen der Landmine" könnte also auch nur ein militärisches Credo sein, entstanden aus der Gewohnheit mit dieser Waffe zu denken und zu planen.

Es gibt allerdings auch Vertreter der militärischen Seite, die Landminen skeptisch gegenüberstehen. Ein ehemaliger Kommandeur der amerikanischen Marine-Infanterie, der General Alfred Gray, meint: "Wir bringen mehr Amerikaner mit unseren eigenen Minen um, als irgendjemanden sonst. Wir töten nie viele Feinde mit diesen Minen ... Was zum Teufel ist denn der Nutzen davon, all diese luftverlegbaren Minen zu verstreuen, wenn man selbst in der nächsten Woche oder im nächsten Monat durch dieses Gebiet hindurch muß. ... Mir ist kein einziger operativer Vorteil der massenweisen Landminenverlegung bekannt." (zit. nach US-Congressional Record, 4.8.1995, S.S-11424).

4. Zu einem Verbot von sogenannten "Billigminen" oder "Tretminen" sind vor allem viele Industrieländer bereit. Zugleich aber wollen sie modernste Landminen mit Selbstzerstörungs- oder Selbstneutralisierungsmechanismen von Verbotsregelungen ausnehmen (Hitchens, 1994). Sie argumentieren: Diese Minen seien nur eine begrenzte Zeit - Stunden, ein paar Tage, vielleicht einige Monate - scharf. Danach würden sie keine Gefahr mehr darstellen. Manche dieser Minen könnten sogar schon militärische von zivilen Zielen unterscheiden. Deswegen gebe es kaum Gründe, solche Minen zu verbieten.

Drei Argumente werden von den Befürwortern eines völligen Landminenverbotes entgegengehalten. Zum einen wird darauf verwiesen, daß zugegebenermaßen eine Fehlerquote von 10 -15% bei diesen Mechanismen existiert; in manchen Fällen ist die Fehlerquote sogar deutlich höher (McGrath, 1994). Das deutlichste Beispiel stellt vielleicht die berühmte sowjetisch-russische "Schmetterlingsmine" PFM-1S dar. Auch sie verfügt über einen Selbstzerstörungsmechanismus, der aber in zumindest einem Viertel aller Fälle nicht funktioniert. Sensoren, die der Unterscheidung zwischen gewollten und ungewollten Zielen dienen, stellen in diesem Kontext eine mögliche weitere Fehlerquelle dar (Bellero, 1985, S. 50ff.). Zum zweiten sei es zwar richtig, daß solche Fehlerquoten aus militärischer Sicht tolerabel sein könnten, weil sie keine ernsthafte Gefährdung der eigenen Truppen darstellen. Für die Frage einer späteren zivilen Nutzung aber seien diese Fehlerquoten inakzeptabel. Ein Feld, in dem sich 50 solcher Minen nicht selbst zerstört haben, habe genauso als vermint zu gelten wie ein Feld, in dem 500 klassische Minen liegen. Zum Dritten schließlich gehe ein solches Verbot einseitig und diskriminierend zu Lasten der Minenproduzenten in weniger entwickelten Ländern.

5. Umstritten ist, ob bei der Wiener Überprüfungskonferenz lediglich Einsatzbeschränkungen oder auch Export- und Produktionsverbote in das Landminenprotokoll aufgenommen werden sollen. Weitergehende Einsatzbeschränkungen für Anti-Personenminen, wie strengere Auflagen für den Einsatz von Anti-Personenminen ohne Selbstzerstörungsmechanismus oder verschärfte Kennzeichnungspflichten für Minenfelder werden von allen Vertretern der Industriestaaten gefordert. In der Frage von Exportverboten gibt es verschiedene Meinungen. Während etliche europäische Staaten zur Aufnahme von Exportbeschränkungen vor allem für einfache Schützenminen in das Minenprotokoll bereit sind, sind die USA und Großbritannien eher geneigt, eine solche Regelung gesondert - d.h. über eine Vereinbarung im Rahmen einer Gruppe von Lieferländern - zu diskutieren und dabei auch über Begrenzungen des Anteils von Schützenminen ohne Selbstzerstörung an den nationalen Beständen zu reden (AA, 1995, S.6).

Verfechter eines völligen Verbotes von Landminen argumentieren, daß lediglich ein generelles Verbot von Einsatz, Produktion und Export zu einer schnellen Verbesserung der Lage beitragen kann, weil allein ein solches Vorgehen das Problem an der Wurzel anpacke. Nur so könnten die Industriestaaten signalisieren, daß sie auch für sich selbst zu Einschnitten und Verzicht bereit sind. Sie verweisen zudem darauf, daß die unterschiedlichen westlichen Vorstellungen über den Weg zu Exportbeschränkungen leicht dazu führen können, daß solche Beschränkungen gar nicht oder erst viel später zustande kommen.

 

7.3. Die Haltung der Bundesregierung

Die 1994 entwickelten Vorschläge der Bundesregierung zur Verschärfung des Landminenprotokolls sind zurückhaltend. Die Bundesregierung will während der Wiener Überprüfungskonferenz für das UN-Waffenabkommen auf

  1. ein "Verbot des Einsatzes von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungs- oder Selbstneutralisierungsmechanismen",
  2. eine Geltung des Landminenprotokolls "auch für innerstaatliche Konflikte",
  3. die "Schaffung eines Verifikationsmechanismus und
  4. "ein Verbot des Einsatzes von metallosen Anti-Personenminen" hinwirken (AA, 1994a, S.3).
  5. Exportbeschränkungen oder -verbote bzgl. der o.g. Minentypen werden sicher auch angestrebt, auch wenn diese in der Quelle nicht erwähnt werden.

Die Haltung der Bundesregierung entspricht damit - bis auf wenige Variationen - der Position der meisten anderen westlichen Industriestaaten. Die von der Bundesregierung und den anderen Staaten der Europäischen Union initiierte Gemeinsame Aktion im Rahmen der Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, mithilfe derer ein gemeinsames Vorgehen der EU-Staaten in Wien erreicht werden soll, bewegt sich auf der gleichen Linie.

Die von der Bundesregierung genannten Ziele werden sich - so zeigte sich in der Konferenzvorbereitung - nicht alle verwirklichen lassen. Auf Schwierigkeiten trifft die Idee eines Verifikationsmechanismus. Exportverbote und - beschränkungen sind in der vorgeschlagenen Form - sie würden vor allem die Hersteller von klassischen Billigminen treffen - ebenfalls kaum durchsetzbar (vgl. AA, 1995, S.2).

Die Verhandlungsziele der Bundesregierung und die - in Rücksprache mit der Bundesregierung - entwickelten Forderungen des interfraktionellen Antrags der Regierungsfraktionen und der SPD an die Bundesregierung, sich während der Wiener Konferenz wie bereits erwähnt

"für ein weltweites Entwicklungs-, Produktions-, Export- und Einsatzverbot von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus und von metallosen Minen einzusetzen"

sowie darüberhinaus

"für ein weltweites Entwicklungs-, Produktions-, Export- und Einsatzverbot von Antipersonen-Minen und Sprengfallen" einzusetzen (Deutscher Bundestag, 1995h, S.1f.),

können gemeinsam bewertet werden. Beide Positionen sind sorgfältig um die aktuellen Minenkapazitäten der Bundeswehr und um die Vorstellungen der deutschen Minenhersteller "herumgeschrieben".

Sie implizieren kurz und mittelfristig keine Veränderungen der gegenwärtigen Minenaustattung der Bundeswehr. Die Bundeswehr hat seit 1994 keine metallosen Minen mehr im Bestand. Sie verfügt nicht über fernverlegbare Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus. Die MW-1-Submunition MUSA, die ggf. übereinstimmend mit der Deskription des Herstellers als solche interpretiert werden könnte, wurde als "Kampfmittel" definiert (Deutscher Bundestag, 1995k, S.6). Allenfalls, wenn längerfristig ein Verbot aller Anti-Personenminen durchsetzbar sein sollte, müßte neu nachgedacht werden. Mit den Zukunftsplanungen der Bundeswehr kollidiert dieses Vorgehen ebenfalls nicht.

Ähnliches gilt für die deutsche Minenindustrie. Typisch für die Haltung der deutschen Industrie dürfte deshalb die Reaktion der Firma Rheinmetall auf eine Anfrage der Autoren sein: "Rheinmetall teilt in allen Punkten die Einschätzung des BMVg bzw. der Bundesregierung," erklärte Pressesprecher Frank Vollmer und bestätigte zudem, daß sich aus den Exportmoratorien der EU und der Bundesregierung für Rheinmetall "keine Konsequenzen" ergeben. (Rheinmetall, 1995, S.1)

 

7.4. Die Wiener Konferenz und die Folgen

Das Ergebnis der Wiener Konferenz zur Überprüfung der UN-Waffenkonvention wird - im Hinblick auf das Landminenprotokoll - absehbar mager sein. Dazu tragen die westlichen Industriestaaten durch ihre Haltung nicht unwesentlich bei. Die Konferenz wird sich, wenn nicht noch kleine Wunder geschehen sollten, voraussichtlich auf folgende neue Mindeststandards einigen können:

  1. Die Kennzeichnungs-, Sicherungs- und Überwachungspflicht für Minenfelder mit Anti-Personenminen ohne Selbstzerstörungsmechanismus wird verschärft.
  2. Anti-Personenminen müssen künftig eine Mindestmetallmenge enthalten, um sie besser wieder auffinden zu können.
  3. Fernverlegbare Anti-Personenminen, die sich nicht selbst zerstören, werden verboten.
  4. Das Minenprotokoll findet künftig auch auf innerstaatliche Konflikte Anwendung.
  5. Die Pflicht, die Lage von Minenfeldern aufzuzeichnen und zum Informationsaustausch nach Beendigung des Konfliktes wird verbessert.
  6. Die Vertragsstaaten verpflichten sich zu gegenseitiger Hilfe bei der Minenräumung und bei der Erfüllung der im Minenprotokoll festgelegten technischen Standards für Minen, d.h. sie helfen sich bei der Realisierung der Forderung nach Mindestmetallmengen und Selbstzerstörungsmechanismen (vgl. United Nations, Conference on Disarmament, 1995; AA, 1995).

Wird dies der Wiener Minimalkonsens, so bleibt nur festzuhalten:

1. Die durch Landminen verursachte, weltweite Tragödie kann auf diese Weise nicht gestoppt werden. Allenfalls kann die Geschwindigkeit, mit der die globale Landminenkatastrophe wächst, etwas verlangsamt und/oder auf ein neues technologisches Niveau gehoben werden.

2. Diese Ergebnisse wären kein ernsthafter Versuch - und sei es schrittweise - zu einem Verbot von Landminen oder auch nur Anti-Personenminen zu gelangen. Hier manifestiert sich kein ernsthafter Wille, durch freiwillige, vertraglich vereinbarte Selbstbeschränkung das humanitäre Kriegsvölkerrecht zu einem wirksameren Schutz der Zivilbevölkerung weiterzuentwickeln.

3. Die Ausweitung des Anwendungsbereiches des Minenprotokolls auf innerstaatliche Konflikte ist zwar grundsätzlich positiv zu werten, wird sich aber in der Praxis aus zwei Gründen nur schwerlich bewähren. Zum einen wird diese Ausweitung von Regierungen beschlossen, deren innerstaatliche Gegner (ebenso wie viele betroffene Staaten) nicht mit am Verhandlungstisch sitzen. Sie dürfte zudem von vielen Regierungen als propagandistische Handhabe gegen ihre innerstaatlichen Gegner benutzt werden, denen man nunmehr einen Bruch von Völkerrecht vorwerfen kann, unabhängig davon, ob die diesen Vorwurf erhebende Regierung selbst das Minenprotokoll unterzeichnet hat oder nicht.

4. Die gegenseitige Verpflichtung der Vertragsparteien zu technologischer Hilfe bei der Erfüllung der im Minenprotokoll festgelegten technischen Standards bedarf einer besonderen Würdigung:

Diese Verpflichtung hat in der internationalen Rüstungskontrolle ein bedenkliches Vorbild - die im Atomwaffensperrvertrag enthaltene Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, den Nichtatomwaffenstaaten bei der Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu helfen. Wie diese ist die vorgesehene Verpflichtung im Minenprotokoll geboren aus der Befürchtung weniger entwickelter Staaten, durch das neue Minenprotokoll technologisch diskriminiert zu werden. Sie wollen keine vertragliche Bindung, die die Welt in "Habende" und "Habenichtse" unterscheidet. Damit gewinnt eine Kernaussage der Analyse in diesem Kapitel an Gewicht: Die Weigerung der westlichen Industriestaaten, über ein völliges Verbot von Landminen, einschließlich westlicher Hochtechnologieminen zu diskutieren, schlägt zurück in die Weigerung technologisch weniger entwickelter Staaten, ihre Billigminen zur Disposition zu stellen. Und wie im Falle des Atomwaffensperrvertrages und der Nukleartechnik: Die technologische Beistandsverpflichtung dürfte die Minenindustrien der Industriestaaten erfreuen. Ihre Exportchancen wachsen. Größer wird damit aber auch die Wahrscheinlichkeit, daß aus dieser Revision des Landminenprotokolls eine beschleunigte qualitative Aufrüstung der Staaten in der 3. Welt folgt.

Für die Bundesrepublik ergibt sich eine zusätzliche, politisch pikante Frage. Seit einigen Monaten argumentiert sie, daß sie erwägt, ihr auf drei Jahre befristetes Exportmoratorium für Landminen zu verlängern, nicht aber auf weitere Minentypen zu erweitern. Die Verlängerung des deutschen Exportmoratoriums kann an der Aufnahme der Verpflichtung zur Hilfeleistung bei der Einhaltung technischer Standards in das Landminenprotokoll scheitern. Die Bundesregierung müßte sich dann beispielsweise entscheiden, ob sie metallhaltige Anti-Personenminen und fernverlegbare Anti-Personenminen bzw. deren Technologie wieder exportiert, lediglich um der Verpflichtung des Landminenprotokolls nachzukommen.

Auf Nichtregierungsorganisationen, die sich in der Landminenfrage engagieren, kommt damit eine zeitlich weit über die Wiener Überprüfungskonferenz hinausreichende Aufgabe zu, gerade weil die dort möglichen "Fortschritte" sehr begrenzt ausfallen dürften. Wie so oft ist nun ein langer Atem erforderlich.

  • Anläßlich der Wiener Konferenz gilt es, vor allem darauf zu drängen, daß diese Konferenz mit einem Beschluß über eine weitere Überprüfungskonferenz in fünf Jahren endet.
  • Die Forderung nach einem völligen Verbot aller Landminen bleibt auch nach Wien wichtig und richtig. Sie ist der einzig gangbare Weg, will man die humanitäre Katastrophe, verursacht durch Landminen eindämmen und an der Wurzel bekämpfen. An dieser Aufgabe gilt es auch dann festzuhalten, wenn es bei der Konferenz doch noch zu einem Verbot von "Tretminen" kommen sollte.
  • Nichtregierungsorganisationen müssen verstärkt darauf aufmerksam machen, daß Landminen ein Entwicklungshindernis darstellen; sie können finanzielle Ressourcen für Minenräumprojekte und die Rehabilitation der Minenopfer einklagen.
  • Nichtregierungsorganisationen können den weltweiten Handel mit Landminen anprangern; sie können fordern, daß das UN-Waffenregister künftig auch den Handel mit Kleinwaffen erfaßt.
  • Und schließlich können Nichtregierungsorganisationen in den Industriestaaten des Nordens weiter öffentlichen Druck ausüben. Sie können darauf hinwirken, daß diese Staaten - jenseits des UN-Waffenabkommens - national oder multilateral mit substantiellen Schritten auf dem Wege zu einem vollständigen Verbot von Landminen vorausgehen. UNICEF hat dafür bereits im vergangenen Jahr einen Vorschlag am Beispiel der Bundesrepublik unterbreitet: Die Bundesregierung solle ein einseitiges Moratorium für die Entwicklung, Produktion und den Export von Landminen verkünden. Der Zeitpunkt für ein solches Vorgehen wäre günstig, denn zur Zeit gibt es nur sehr wenige Landminen-Vorhaben, die vertraglich gebunden sind.

 

Erlaubt oder nicht erlaubt?

Deutsche Minen und das voraussichtliche

Ergebnis der Wiener Konferenz

Mine

Typ

SD/SN

Fernver-

Metall

Aufhebe-

Aktueller

Einsatz

Export

legbar

gehalt

schutz

Status

verbot

verbot

DM 11

AP

nein

nein

nein

nein

Delaboriert

ja

ja

DM 31

AP

nein

nein

ja

nein

Bestand

nein

nein

DM 51

AP

nein

nein

ja

nein

Bestand

nein

nein

MUSA

AM/AP

ja

ja

ja

nein

Bestand

nein

nein

MUSPA

AM/AP

ja

ja

ja

nein

Bestand

nein

nein

DM 11

AT

nein

nein

nein

ja

Delaboriert

ja

ja

DM 21

AT

nein

nein

ja

ja

Bestand

nein

nein

DM 31

AT

ja

nein

ja

ja

Bestand

nein

nein

AT-1

AT

ja

ja

ja

ja

Delaboriert

nein

nein

AT-2

AT

ja

ja

ja

ja

Bestand

nein

nein

MIFF

AT

ja

ja

ja

ja

Bestand

nein

nein

PARM-1

AT

ja

nein

ja

nein

Pilotlos

nein

nein

PARM 2

AT

ja

nein

ja

nein

FuE

nein

nein

FVM

AT

ja

ja

ja

ja

FuE

nein

nein

Anm.: Die Bundeswehr verfügt über Sprengladungen mit denen die Panzerminen DM 11 und DM 21

gegen Aufnahme geschützt werden können. Quellen: BITS-Datenbank; Department of Defense (1995)

SD=Selbstzerstörungsmechanismus; SN=Neutralisierungsmechanismus; ã BITS 1995

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

<- Eine Seite zurück      /      Zum Anfang       /      Nächste Seite ->