BITS Report 95.1
Oktober 1995

Deutsche Landminen -

Eine Bestandsaufnahme

Otfried Nassauer und Thomas Küchenmeister

 

 

Minenexporte aus Deutschland? Sucht man auf diese Frage offizielle Antwort, so gleichen sich die Haltungen von Industrie und Bundesregierung. In der Regel werden nur jene Fakten öffentlich bestätigt, die bereits öffentlich bekannt sind. "Genehmigungen für Minenexporte hat es in der Vergangenheit nur in äußerst geringem Umfang gegeben", teilt das Auswärtige Amt auf Anfrage mit (AA, 1994b, S.2). Der Exportweltmeister Deutschland, ein Land ohne Minenexporte oder mit lediglich geringem, fast bedeutungslosem Minenexport? Auf den ersten Blick scheint es fast so zu sein.

Diverse Versuche, nachweisbaren deutschen Minenexporten auf die Spur zu kommen, verliefen zunächst im Sand. Landminenexporte aus der Bundesrepublik gehören bislang zu den besser gehüteten Geheimnissen. Doch es gibt auch deutliche Gegenindikationen.

1993: Die Bundeswehr rückt zu ihrem zweiten UN-Einsatz nach Somalia aus. Zum Reisegepäck der deutschen Soldaten gehört ein kleines, unscheinbares grünes Ringbuch. Titel: "Minenhandbuch Somalia". Somalia gilt als Einsatzgebiet mit hohem Minenrisiko. Den Bundeswehrsoldaten wird ein Erkennungshandbuch für Minen mitgegeben, das ihnen helfen soll, die in Somalia verwendeten Minen zu identifizieren und ohne Selbstgefährdung zu vernichten. Für manchen enthält das Büchlein eine kleine Überraschung. Gleich die erste abgebildete und laut Vorwort "zum jetzigen Zeitpunkt in Somalia aufgeklärte Mine" ist eine alte Bekannte, die Standard-Panzerabwehrmine der Bundeswehr, DM-11, gelblich braun. Achtung: "Minensuchgeräte zeigen nicht an", "Mine nicht berühren", "Mine darf nicht entschärft werden", "Mine kann gegen Aufnahme gesichert sein", "Mine ist durch oben aufgelegte Schlagladung zu räumen", "Nur für zum Räumen ausgebildete Pioniere" (Pionierschule, 1993). Irgendwie muß diese metallfreie und schwer auffindbare Mine nach Somalia gelangt sein.

Als das amerikanische Außenministerium 1993 seinen ersten Bericht über Landminen, Hidden Killers, veröffentlicht, tauchen weitere Hinweise auf, daß auch deutsche Minen zur weltweiten Minenverseuchung beitragen. Für Angola wird das Vorkommen der deutschen Mine DM-31 AP berichtet; möglich ist auch ein Vorkommen der DM-11 (US-Department of State, 1993, S.45). Und neben einer ganzen Reihe von Ländern, in denen noch immer deutsche Landminen aus dem zweiten Weltkrieg ihr tödliches Werk verrichten - in Libyen machen sie ein Gebiet der Größe der alten Bundesrepublik unnutzbar - werden Länder wie Äthiopien, Eritrea und Mauretannien genannt, in denen nicht näher bezeichnete Minen aus Deutschland gefunden worden sein sollen. Minen aus der ehemaligen DDR werden zudem aus vielen weiteren Ländern gemeldet.

Der Bundesregierung ist das Auffinden deutscher Minen in diesen Ländern unerklärlich. Befragt, welche Erkenntnisse sie besitze, wie Panzerabwehrminen DM-11 nach Somalia oder Anti-Personenminen DM-31 nach Angola gelangen konnten, lautet die Antwort: "Der Bundesregierung hat keine Informationen, wie die Minen nach Somalia (nach Angola) gelangen konnten." (Deutscher Bundestag, 1995k, S.3).

Neuerliche Hinweise auf mögliche deutsche Minenexporte ergeben sich auch aus der jüngst veröffentlichten Minendatenbank des amerikanischen Verteidigungsministeriums:

  • In Angola, Eritrea und Äthiopien soll die deutsche Schützenmine DM-11 im Einsatz sein.
  • In Sambia sollen die deutschen Schützenminen DM-11 und DM-31 genutzt werden.
  • In der Schweiz soll ebenfalls die deutsche Schützenmine DM-11 im Einsatz sein.
  • Schweden soll aus der Bundesrepublik die Panzerabwehrrichtmine PARM-1 erhalten haben (US-Department of Defense, 1995, Datensätze DM-11, DM-31 und PARM-1).

Die Schützenmine DM-11 - sie wird nach diesen Quellen immerhin in fünf Ländern gemeldet, lieferte der Hersteller, Diehl, nach eigenen Angaben "ausschließlich an die Bundeswehr". Die Minen "sind sämtlichst noch nachweisbar (jedes Stück) unter Bundeswehrverwahrung" (Diehl, 1994a). Eine schwer in allen Aspekten zu glaubende Firmeninformation. Die Angaben sind so widersprüchlich wie jene, die über den Produktionszeitraum dieser Mine gemacht werden: Während die Firma Diehl zunächst angibt, die Mine bis 1964 hergestellt zu haben (Diehl-Info, 1993), korrigiert man später, dies sei bis 1965 geschehen (Diehl, 1994a). Geliefert wurde die DM-11 an die Bundeswehr aber nur bis 1964 (Deutscher Bundestag 1995e, S.4). Und selbst noch 1968 gehörten zu den "wichtigsten Rüstungsprodukten der Firma" - so der Wehrdienst über einen Vortrag des damaligen Firmeninhabers Karl Diehl vor Bundestagsabgeordneten - "amagnetische Schützenminen" (Wehrdienst 161/1968). Die DM-11 ist eine amagnetische Schützenmine, die einzige, die in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 produziert wurde. Bis heute sind den Autoren folgende Exportfälle deutscher Landminen als gesichert bekannt geworden:

  1. Bis 1995 werden an Großbritannien 87.024 Panzerabwehrminen des Typs AT-2 und 3.108 Raketen für den MLRS-Werfer ausgeliefert (Wehrdienst 8/1993).
  2. Italien hat bis spätestens 1994 zusammen mit 100 Submunitionsdispenser MW-1 für die italienischen Tornados auch die Minen MIFF und MUSPA, sowie die Mine/Submunition MUSA erhalten, die alle zur Submunitionsbeladung der MW-1 gehören. Italien bestellte zumindest 30 MW-1 in einer Konfiguration zu der Minensubmunitionen gehört.(Wehrdienst 1071/1987).
  3. Finnland hat im vergangenen Jahr, eine größere Menge, wahrscheinlich deutlich mehr als 100.000 Panzerabwehrminen TM-62 aus NVA-Beständen erhalten.
  4. Am 17.9.1993 erhält die Firma Dynamit Nobel die Genehmigung, 20 Anti-Personenminen AP-2 Typ B zu Erprobungszwecken nach Holland zu exportieren. Nach Abschluß der Erprobung in Holland wird bei Dynamit Nobel die Entwicklung der fernverlegbaren Anti-Personenmine AP-2 eingestellt (Deutscher Bundestag, 1995k, S.3; Dynamit Nobel, 1995, S.1).
  5. Ende 1990, Anfang 1991 erhält Großbritannien im Rahmen der deutschen Golfkriegshilfe 4 Minenwerfer Skorpion und 15.000 Panzerabwehrminen AT-2 für den Skorpion. Die Minenwerfer und die Minen wurden zurückgegeben (Wehrdienst 1266/1991; Deutscher Bundestag, 1995k, S.4).
  6. Ebenfalls im Kontext des Golfkrieges erhält Israel ca. 100 verschiedene Minen aus dem Bestand der NVA zum Zwecke der technischen Erprobung und Auswertung (vgl. Nassauer, 1995, S.62).
  7. Die USA beziehen - im gleichen Kontext - 552 Minen der Typen PMP 2, TM 46 und TM 63 aus NVA-Beständen für Auswertungszwecke; später soll es weitere Lieferungen gegeben haben (vgl. Nassauer, 1995, S.63).
  8. Saudi-Arabien erhält 1986 20 Panzerabwehrminen (AA, 1994a, S.8).

 Angaben zu einer ganzen Reihe von weiteren Exporten liegen vor. Sie sind aber oft widersprüchlich oder lassen sich - aufgrund von angeblichen oder wirklichen Geheimhaltungserfordernissen - nicht eindeutig nach Minentyp, Empfängerland und deutschem Lieferanten zuordnen:

  • Das Bundesverteidigungsministerium teilte den Autoren mit, daß die Anti-Personenmine DM-31 AP auch bei den Streitkräften Großbritanniens, Dänemarks, Schwedens und Frankreichs genutzt wird bzw. wurde; Umfang und Jahr der Exporte werden nicht mitgeteilt (BMVg-IP-Stab, 1994, S.2). Das Auswärtige Amt dagegen will davon nichts gehört haben: "Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte für den Einsatz der Schützenabwehrmine DM-31 in den Streitkräften der genannten Länder vor. Minen dieses Typs wurden an die genannten Länder nicht exportiert. Über Lizenzfertigungen ist der Bundesregierung nichts bekannt." (Deutscher Bundestag, 1995k, S.3, Grammatikfehler im Original).
  • Zugleich verstrickt sich die Bundesregierung damit in einen Widerspruch, der sie politisch teuer zu stehen kommen kann: Lieferungen der Schützenminen DM-11 und DM-31 vor dem Jahre 1982 dürften nicht an vertragliche Klauseln über den Endverbleib dieser Minen im Empfängerland gebunden gewesen sein. Diese Regelung wurde erst 1982 mit den "Politischen Richtlinien" über den Export von Kriegswaffen eingeführt. Reexporte und durch solche begründete Vorkommen von Minen deutscher Produktion in Konfliktregionen der sogenannten 3. Welt könnten deshalb nicht ausgeschlossen werden, wenn eingeräumt würde, daß deutschen Minen dieser Typen auch in den Streitkräften anderer Länder eingesetzt wurden. Das BMVg nennt vier Länder, in denen die Anti-Personenmine DM-31 im Einsatz war bzw. ist. Das Außenministerium dagegen sagt, diese Minen seien weder exportiert noch in Lizenz produziert worden und erklärt somit allein die Bundesrepublik zum möglichen Herkunftsort der DM-31 AP, die in Staaten wie Angola gefunden wurden.
  • Die Bundesregierung erwähnt in einem Sachstandsbericht, daß die Firmen Dynamit Nobel, Diehl, Rheinmetall, Junghans, MBB/DASA, Eurometaal und KUKA Exportgenehmigungen überwiegend für Panzerabwehrminen erhalten haben und Minen in die USA, nach Kanada, Schweden, Großbritannien, Holland, Schweden und in die Schweiz geliefert wurden (AA, 1994a, S.8). Die Liste der Firmen, die Exportgenehmigungen erhielten, scheint sogar noch unvollständig zu sein, denn das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt, daß seit 1985 auch an andere als die genannten Firmen, Exportgenehmigungen für Landminen erteilt wurden (Deutscher Bundestag, 1995l, S.3).
  • Das Bundeswirtschaftsministerium teilte zudem mit, daß zwischen 1985 und 1990 fünf Genehmigungen sowie zwischen 1991 und 1995 sechs Genehmigungen für den Export von Landminenteilen (z.B. Zünder, Minengehäuse) erteilt wurden (Deutscher Bundestag, 1995l, S.5).
  • Die holländische Firma Eurometaal (AA, 1994a, S.8), die in Deutschland eine Niederlassung hat, erhielt die Genehmigung zur Ausfuhr von Minen, vermutlich nach Holland. Unbestätigten Informationen zufolge wurden vor ein oder zwei Jahren eine größere Menge Anti-Personenminen nach Holland geliefert.

Nach zusätzlichen Informationen zu solchen Aussagen befragt reagieren auch die Herstellerfirmen höchst zugeknöpft: Die Firma Rheinmetall Industrie GmbH teilt mit, "zu keinem Zeitpunkt Exportgenehmigungen für Minen beantragt" und demzufolge auch keine Genehmigungen erhalten zu haben. Der Widerspruch zwischen Außenministerium und Firma kann seitens der Autoren nicht geklärt werden. Nicht unerwähnt bleiben kann aber, daß Rheinmetall noch 1990 damit wirbt, das exklusive Auslandsvermarktungsrecht für die MW-1-Submunitionen MUSA und MUSPA zu besitzen (Rheinmetall, 1990) und daß Italien diese Minen zusammen mit dem Dispenser MW-1 gekauft hat.

Andere Firmen antworten gleich gar nicht oder speziell nicht auf diese Frage. Bei MBB-Schrobenhausen, Minenhersteller im Daimler-Benz-Konzern, wird auf eine schriftliche Antwort verzichtet; auf die telefonische Nachfrage wird seitens des Pressesprechers unüberhörbar geschwiegen. Die Firma Junghans antwortet ebenfalls nicht. Gleichermaßen verhält sich die Firma Diehl. Keine Antwort auch von der Fa. KUKA, Augsburg und von deren Muttergesellschaft IWKA.

Anzeigen der Firma KUKA, einer IWKA-Tochter, aber bieten von Anfang bis Mitte der achtziger Jahre Panzerabwehrminen feil. Dabei handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die von der IWKA in Oberndorf entwickelte und später bei Diehl für die Bundeswehr gefertigte Panzerabwehrmine DM-21. Noch bis 1983, ein Jahr nach Ende der Beschaffung der Bundeswehr, hat die IWKA Minengehäuse geliefert, ein klares Indiz, daß zumindest für die Abwicklung eines Exportauftrages nach Abwicklung der Fertigung für die Bundeswehr spricht. Unklar ist bis heute, wer diese Mine erhalten hat.

Aus den Angaben der Bundesregierung läßt sich der Umfang deutscher Landminenexporte nicht einmal abschätzen oder rekonstruieren. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums, dem nur Daten rückwirkend für die letzten 10 Jahre vorliegen, wurden zwischen 1985 und 1995 keine Genehmigungen für den Export von Anti-Personenminen jedoch 13 Genehmigungen für den Export anderer Landminen erteilt. 1985 bis 1990 soll die Lieferung von 262 Minen im Wert 414.248 DM, 1991-1995 die Lieferung von 45.139 Minen im Wert von rund 47 Mio. DM genehmigt worden sein. Alle Lieferungen, bis auf jene nach Saudi-Arabien, seien an NATO-Staaten erfolgt (Deutscher Bundestag, 1995l, S.2). Dies kann gleich in verschiedener Hinsicht nicht den Tatsachen entsprechen:

  1. die Genehmigung der Lieferung von 20 Anti-Personenminen AP-2 nach Holland wurde übereinstimmend vom Auswärtigen Amt und der liefernden Firma Dynamit Nobel bestätigt. Die Angabe des Wirtschaftsministeriums, daß keine Ausfuhrgenehmigungen für Anti-Personenminen identifiziert werden konnten, ist somit eindeutig falsch;
  2. die Genehmigung des Exportes von lediglich 45.139 Minen zwischen 1991 und 1995 ist höchst unglaubwürdig, soll doch allein Großbritannien bis Ende dieses Jahres mehr als 87.000 Landminen erhalten und hat doch Italien zudem Minensubmunition für die Mehrzweckwaffe MW-1 erhalten.

Auch die Angaben des Wirtschaftsministeriums über den Export von Landminenverlegetechnik erscheinen unvollständig. Zwischen 1985 und 1995 seien insgesamt 12 Genehmigungen für die Ausfuhr von Landminenverlegetechnik im Wert von 4,8 Mio. DM erteilt, 3 Genehmigungen im Wert von 0,6 Mio. DM betrafen die vorübergehende Ausfuhr solcher Güter (Deutscher Bundestag, 1995, S.3). Diese Angaben können den erheblich teureren Export der Minenraketen AT-2 nach Großbritannien und der Mehrzweckwaffe 1 nach Italien, beides Systeme zur Minenverlegung, nicht vollständig erfassen.

Als gesichert kann damit gelten: Im günstigsten Fall weiß die Bundesregierung nicht mehr, in welchem Umfang Landminen aus der Bundesrepublik exportiert wurden, wissen die einzelnen Ministerien nicht, was die anderen Ministerien wissen. Im ungünstigeren Fall will die Bundesregierung es nicht mehr so genau wissen.

Aus der Bundesrepublik wurden zumindest mehrere hunderttausend Minen in andere Staaten exportiert. Der Großteil der bis heute nachweisbaren Lieferungen ging in andere NATO-Staaten und in als unproblematisch erachtete neutrale Staaten Europa. Doch es gibt eine ganze Reihe weiterer Staaten, aus denen das Vorkommen deutscher Landminen berichtet wird. Auch wenn die Bundesregierung vorgibt, keine Kenntnis zu haben, wie diese Minen dorthin gelangt sein können und deutsche Minenproduzenten zudem oft darauf verweisen, mit ihren "Produkten" nicht für das Landminenproblem verantwortlich zu sein, steht fest: Deutsche Minen sind - wie auch immer - in die Dritte Welt gelangt und dort im Einsatz.

 

 

<- Eine Seite zurück      /      Zur ersten Seite       /      Nächste Seite ->