Deutsche Landminen - Eine Bestandsaufnahme Otfried Nassauer und Thomas Küchenmeister
Minenexporte aus Deutschland? Sucht man auf diese Frage offizielle Antwort, so gleichen sich die Haltungen von Industrie und Bundesregierung. In der Regel werden nur jene Fakten öffentlich bestätigt, die bereits öffentlich bekannt sind. "Genehmigungen für Minenexporte hat es in der Vergangenheit nur in äußerst geringem Umfang gegeben", teilt das Auswärtige Amt auf Anfrage mit (AA, 1994b, S.2). Der Exportweltmeister Deutschland, ein Land ohne Minenexporte oder mit lediglich geringem, fast bedeutungslosem Minenexport? Auf den ersten Blick scheint es fast so zu sein. Diverse Versuche, nachweisbaren deutschen Minenexporten auf die Spur zu kommen, verliefen zunächst im Sand. Landminenexporte aus der Bundesrepublik gehören bislang zu den besser gehüteten Geheimnissen. Doch es gibt auch deutliche Gegenindikationen. 1993: Die Bundeswehr rückt zu ihrem zweiten UN-Einsatz nach Somalia aus. Zum Reisegepäck der deutschen Soldaten gehört ein kleines, unscheinbares grünes Ringbuch. Titel: "Minenhandbuch Somalia". Somalia gilt als Einsatzgebiet mit hohem Minenrisiko. Den Bundeswehrsoldaten wird ein Erkennungshandbuch für Minen mitgegeben, das ihnen helfen soll, die in Somalia verwendeten Minen zu identifizieren und ohne Selbstgefährdung zu vernichten. Für manchen enthält das Büchlein eine kleine Überraschung. Gleich die erste abgebildete und laut Vorwort "zum jetzigen Zeitpunkt in Somalia aufgeklärte Mine" ist eine alte Bekannte, die Standard-Panzerabwehrmine der Bundeswehr, DM-11, gelblich braun. Achtung: "Minensuchgeräte zeigen nicht an", "Mine nicht berühren", "Mine darf nicht entschärft werden", "Mine kann gegen Aufnahme gesichert sein", "Mine ist durch oben aufgelegte Schlagladung zu räumen", "Nur für zum Räumen ausgebildete Pioniere" (Pionierschule, 1993). Irgendwie muß diese metallfreie und schwer auffindbare Mine nach Somalia gelangt sein. Als das amerikanische Außenministerium 1993 seinen ersten Bericht über Landminen, Hidden Killers, veröffentlicht, tauchen weitere Hinweise auf, daß auch deutsche Minen zur weltweiten Minenverseuchung beitragen. Für Angola wird das Vorkommen der deutschen Mine DM-31 AP berichtet; möglich ist auch ein Vorkommen der DM-11 (US-Department of State, 1993, S.45). Und neben einer ganzen Reihe von Ländern, in denen noch immer deutsche Landminen aus dem zweiten Weltkrieg ihr tödliches Werk verrichten - in Libyen machen sie ein Gebiet der Größe der alten Bundesrepublik unnutzbar - werden Länder wie Äthiopien, Eritrea und Mauretannien genannt, in denen nicht näher bezeichnete Minen aus Deutschland gefunden worden sein sollen. Minen aus der ehemaligen DDR werden zudem aus vielen weiteren Ländern gemeldet. Der Bundesregierung ist das Auffinden deutscher Minen in diesen Ländern unerklärlich. Befragt, welche Erkenntnisse sie besitze, wie Panzerabwehrminen DM-11 nach Somalia oder Anti-Personenminen DM-31 nach Angola gelangen konnten, lautet die Antwort: "Der Bundesregierung hat keine Informationen, wie die Minen nach Somalia (nach Angola) gelangen konnten." (Deutscher Bundestag, 1995k, S.3). Neuerliche Hinweise auf mögliche deutsche Minenexporte ergeben sich auch aus der jüngst veröffentlichten Minendatenbank des amerikanischen Verteidigungsministeriums:
Die Schützenmine DM-11 - sie wird nach diesen Quellen immerhin in fünf Ländern gemeldet, lieferte der Hersteller, Diehl, nach eigenen Angaben "ausschließlich an die Bundeswehr". Die Minen "sind sämtlichst noch nachweisbar (jedes Stück) unter Bundeswehrverwahrung" (Diehl, 1994a). Eine schwer in allen Aspekten zu glaubende Firmeninformation. Die Angaben sind so widersprüchlich wie jene, die über den Produktionszeitraum dieser Mine gemacht werden: Während die Firma Diehl zunächst angibt, die Mine bis 1964 hergestellt zu haben (Diehl-Info, 1993), korrigiert man später, dies sei bis 1965 geschehen (Diehl, 1994a). Geliefert wurde die DM-11 an die Bundeswehr aber nur bis 1964 (Deutscher Bundestag 1995e, S.4). Und selbst noch 1968 gehörten zu den "wichtigsten Rüstungsprodukten der Firma" - so der Wehrdienst über einen Vortrag des damaligen Firmeninhabers Karl Diehl vor Bundestagsabgeordneten - "amagnetische Schützenminen" (Wehrdienst 161/1968). Die DM-11 ist eine amagnetische Schützenmine, die einzige, die in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 produziert wurde. Bis heute sind den Autoren folgende Exportfälle deutscher Landminen als gesichert bekannt geworden:
Angaben zu einer ganzen Reihe von weiteren Exporten liegen vor. Sie sind aber oft widersprüchlich oder lassen sich - aufgrund von angeblichen oder wirklichen Geheimhaltungserfordernissen - nicht eindeutig nach Minentyp, Empfängerland und deutschem Lieferanten zuordnen:
Nach zusätzlichen Informationen zu solchen Aussagen befragt reagieren auch die Herstellerfirmen höchst zugeknöpft: Die Firma Rheinmetall Industrie GmbH teilt mit, "zu keinem Zeitpunkt Exportgenehmigungen für Minen beantragt" und demzufolge auch keine Genehmigungen erhalten zu haben. Der Widerspruch zwischen Außenministerium und Firma kann seitens der Autoren nicht geklärt werden. Nicht unerwähnt bleiben kann aber, daß Rheinmetall noch 1990 damit wirbt, das exklusive Auslandsvermarktungsrecht für die MW-1-Submunitionen MUSA und MUSPA zu besitzen (Rheinmetall, 1990) und daß Italien diese Minen zusammen mit dem Dispenser MW-1 gekauft hat. Andere Firmen antworten gleich gar nicht oder speziell nicht auf diese Frage. Bei MBB-Schrobenhausen, Minenhersteller im Daimler-Benz-Konzern, wird auf eine schriftliche Antwort verzichtet; auf die telefonische Nachfrage wird seitens des Pressesprechers unüberhörbar geschwiegen. Die Firma Junghans antwortet ebenfalls nicht. Gleichermaßen verhält sich die Firma Diehl. Keine Antwort auch von der Fa. KUKA, Augsburg und von deren Muttergesellschaft IWKA. Anzeigen der Firma KUKA, einer IWKA-Tochter, aber bieten von Anfang bis Mitte der achtziger Jahre Panzerabwehrminen feil. Dabei handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die von der IWKA in Oberndorf entwickelte und später bei Diehl für die Bundeswehr gefertigte Panzerabwehrmine DM-21. Noch bis 1983, ein Jahr nach Ende der Beschaffung der Bundeswehr, hat die IWKA Minengehäuse geliefert, ein klares Indiz, daß zumindest für die Abwicklung eines Exportauftrages nach Abwicklung der Fertigung für die Bundeswehr spricht. Unklar ist bis heute, wer diese Mine erhalten hat. Aus den Angaben der Bundesregierung läßt sich der Umfang deutscher Landminenexporte nicht einmal abschätzen oder rekonstruieren. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums, dem nur Daten rückwirkend für die letzten 10 Jahre vorliegen, wurden zwischen 1985 und 1995 keine Genehmigungen für den Export von Anti-Personenminen jedoch 13 Genehmigungen für den Export anderer Landminen erteilt. 1985 bis 1990 soll die Lieferung von 262 Minen im Wert 414.248 DM, 1991-1995 die Lieferung von 45.139 Minen im Wert von rund 47 Mio. DM genehmigt worden sein. Alle Lieferungen, bis auf jene nach Saudi-Arabien, seien an NATO-Staaten erfolgt (Deutscher Bundestag, 1995l, S.2). Dies kann gleich in verschiedener Hinsicht nicht den Tatsachen entsprechen:
Auch die Angaben des Wirtschaftsministeriums über den Export von Landminenverlegetechnik erscheinen unvollständig. Zwischen 1985 und 1995 seien insgesamt 12 Genehmigungen für die Ausfuhr von Landminenverlegetechnik im Wert von 4,8 Mio. DM erteilt, 3 Genehmigungen im Wert von 0,6 Mio. DM betrafen die vorübergehende Ausfuhr solcher Güter (Deutscher Bundestag, 1995, S.3). Diese Angaben können den erheblich teureren Export der Minenraketen AT-2 nach Großbritannien und der Mehrzweckwaffe 1 nach Italien, beides Systeme zur Minenverlegung, nicht vollständig erfassen. Als gesichert kann damit gelten: Im günstigsten Fall weiß die Bundesregierung nicht mehr, in welchem Umfang Landminen aus der Bundesrepublik exportiert wurden, wissen die einzelnen Ministerien nicht, was die anderen Ministerien wissen. Im ungünstigeren Fall will die Bundesregierung es nicht mehr so genau wissen. Aus der Bundesrepublik wurden zumindest mehrere hunderttausend Minen in andere Staaten exportiert. Der Großteil der bis heute nachweisbaren Lieferungen ging in andere NATO-Staaten und in als unproblematisch erachtete neutrale Staaten Europa. Doch es gibt eine ganze Reihe weiterer Staaten, aus denen das Vorkommen deutscher Landminen berichtet wird. Auch wenn die Bundesregierung vorgibt, keine Kenntnis zu haben, wie diese Minen dorthin gelangt sein können und deutsche Minenproduzenten zudem oft darauf verweisen, mit ihren "Produkten" nicht für das Landminenproblem verantwortlich zu sein, steht fest: Deutsche Minen sind - wie auch immer - in die Dritte Welt gelangt und dort im Einsatz.
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