Schon bald nach ihrer Aufstellung im Jahre 1956 verfügt die Bundeswehr - wie wohl fast
jede Armee dieser Welt - wieder über Landminen, eine billige und für probat gehaltene
Waffe. Schützen- oder Anti-Personenminen (AP-Minen) und Panzerabwehrminen (AT-Minen)
gehören - so das selten hinterfragte militärische Credo - zur Grundausstattung von
Armeen. Sie befähigen die Pioniere, Verteidigungsstellungen durch Minenfelder zu sichern,
den Gegner aufzuhalten, einen Angriff zu bremsen, gegnerische Bewegungen in eine günstige
Richtung zu kanalisieren. Landminen spielen aber in eingeschränktem Umfang auch in
anderen Truppenteilen eine Rolle - sie erlauben es, eigene Stellungen gegen unliebsame
Angriffe zu sichern.
Die Ausstattung der Bundeswehr mit Landminen hat sich seit Ende der
fünfziger Jahre - immer getrieben vom Fortschritt des technisch Möglichen und begrenzt
durch das finanziell Machbare - in mehreren Phasen vollzogen, die hier zunächst
vorgestellt und dann detailierter beschrieben werden sollen:
Die Aufstellungs- und Grundausstattungsphase
Ab Ende der fünfziger Jahre wurden handverlegbare Panzerabwehr- und Anti-Personenminen
der ersten Generation beschafft. Technologisch wird dabei bei den effektivsten, im Zweiten
Weltkrieg eingesetzten Minentypen angesetzt.
Übergang zu neuen Technologien
In den siebziger Jahren gehört die Bundeswehr - zusammen mit den US-Streitkräften - zu
den Armeen, die als erste fernverlegbare Minen einsetzen, um Personaleinsatz und
-gefährdung zu reduzieren und die Geschwindigkeit der Minenverlegung sowie deren
Flexibilität zu erhöhen. Diese Phase kann auch als technologische Feldversuchsphase für
die in den achtziger Jahren stark expandierende Streuminenentwicklung angesehen werden.
Die Rundumerneuerung der achtziger und neunziger Jahre
Entwicklung und Beschaffung von fernverlegbaren Landminen und mechanischen
Verlegesystemen, die in kürzester Zeit große Zahlen von Minen über kleine, mittlere und
große Entfernungen verbringen können, bestimmen den Charakter dieser Phase. Erweiterte
technische Möglichkeiten - vor allem bedingt durch miniaturisierte Elektronik und
verbesserte Sensoren sowie Veränderungen in der Einsatzkonzeption der Bundeswehr und der
NATO gehen Hand in Hand. Der Abschied von Vorstellungen einer linearen oder relativ
statischen Vorneverteidigung und die Hinwendung zu Vorstellungen des Kampfes in der ganzen
Tiefe des Gefechtes, also auch gegen Ziele tief hinter gegnerischen Frontlinien werden
kennzeichnend. Die Landmine wird nunmehr Mittel für alle Gefechtsarten, einschließlich
von Gegenangriff und Angriff. "Intelligente" oder "autonome" Munition
wird zum militärtechnischen Zukunftssymbol - gerade auch in der Bundeswehr.
2.1.
Landminen in den fünfziger und sechziger Jahren
Die Informationen über die Ausstattung der Bundeswehr mit Landminen in
den Gründerjahren sind eher spärlich. Eine bis in die Zeit der großen Koalition am Ende
der sechziger Jahre äußerst exzessive Geheimhaltung, der erst zusammen mit Gründung der
Bundeswehr und Wiederaufnahme der Rüstungsproduktion in der Bundesrepublik einsetzende
Aufbau eines militärischen und militärisch-industriellen Fachpublikationswesens, sowie
das in diesen Jahren vielfach auf die großen sicherheitspolitischen Debatten (Atomfrage,
Großwaffen-Beschaffungen und -skandale) konzentrierte öffentliche Interesse taten lange
ein Übriges, um den Wissensstand dürftig erscheinen zu lassen. Erst jüngste
Veröffentlichungen erlauben genauere Aussagen.
Ende der fünfziger Jahre begann die Bundeswehr mit der Beschaffung
ihrer ersten Schützen- und Panzerabwehrminen. Für beide Bereiche entschied man sich
zunächst - wie in vielen anderen Rüstungsbereichen auch - zur Lizenzproduktion
ausländischer Waffensysteme.
Die
Schützenpanzermine DM-11 AP
Als Anti-Personenmine fiel die Wahl zunächst auf ein Produkt der
schwedischen Firma LIAB (BMVg-IP-Stab, 1994) die metallose, d.h. amagnetische AP-Mine
DM-11. Sie wurde ab 1959 beschafft (Deutscher Bundestag, 1995e, S.2) und von der deutschen
Firma Diehl mit Sitz in Nürnberg/Röthenbach im Werk Mariahütte im Saarland in Lizenz
hergestellt (Bennecke, Schöner 1984, S.148) und bei der Bundeswehr bis 1964 zu Kosten von
19,2 Mio. DM in großer Stückzahl eingeführt (Deutscher Bundestag, 1995e, S.4). Die Zahl
der beschafften Minen wird von der Bundeswehr geheim gehalten, obwohl diese Minen 1994 aus
dem Bestand entfernt wurden. Aus der Tatsache aber, daß noch 1994 rund 1,27 Mio. dieser
Minen zur Vernichtung ausgesondert wurden (Deutscher Bundestag, 1995e, S.13) und aus der
Annahme, daß eine Mine dieser Technologie zu Beginn der sechziger Jahre einschließlich
aller Nebenkosten kaum mehr als 6 DM oder 6,50 DM gekostet haben dürfte, läßt sich
schätzen, daß der Beschaffungsumfang mehr als 3 Mio. Stück betragen haben dürfte.
Die Schützenmine DM-11 besteht fast gänzlich aus Plastik und
Sprengstoff. Sie wiegt nur 200 gr. Sie wirkt nach dem Prinzip der geballten Ladung und
enthält zwischen 110 und 120 gr Sprengstoff. Ihr Durchmesser beträgt 8,1 cm, ihre Höhe
lediglich 3,7 cm. Ausgelöst wird sie durch einen Druckzünder, der auf einen Druck von 5
bis 10 kg anspricht. Ihre Sprengkraft reicht aus, um auch an Fahrzeugen Schäden zu
verursachen. Da diese Mine metallos ist, kann sie mit Minensuchgeräten kaum gefunden
werden. Verlegt wird sie von Hand und zwar - solange die Einsatzregeln nicht verletzt
werden - ausschließlich durch ausgebildete Pioniere. Zur Ausbildung an dieser Mine werden
Übungsminen benutzt, die die Bezeichnung DM-18 tragen und mit einer Rauchladung benutzt
werden können (BITS, 1995, Datenblatt DM-11 AP).
Die
Panzerabwehrmine DM-11 AT
Als Panzerabwehrmine fiel die Wahl nach umfangreichen Versuchsreihen
auf ein Produkt der französischen Firma Alsetex, das bei der Bundeswehr ebenfalls unter
der Bezeichnung DM-11 eingeführt wurde. Hier wurde die deutsche Lizenzproduktion von der
Firma Verwertchemie Liebenau (Bennecke, Schöner, 1984, S.148) durchgeführt.
Die Beschaffung der DM-11 AT für die Bundeswehr erfolgte in den Jahren
1958-1962 zu Gesamtkosten in Höhe von 92,4 Mio. DM (Deutscher Bundestag, 1995e, S.5). Die
Zahl der beschafften Minen hält die Bundeswehr geheim, obwohl auch diese Minen im
vergangenen Jahr aus dem Bestand ausgesondert wurden. Die Kosten lassen aber erneut auf
eine sehr umfangreiche Beschaffung schließen. Geht man beispielsweise davon aus, daß
eine Mine dieser Technologie in damaliger Zeit kaum mehr als etwa 40 oder 45 DM gekostet
haben dürfte, so wäre zu folgern, daß mehr als 2 Mio. dieser Minen in Bundeswehrdepots
eingelagert wurden. Noch 1994 hatte die Bundeswehr rund 491.000 dieser Minen im Bestand,
als die Entscheidung fiel, diese zu vernichten (Deutscher Bundestag, 1995, S.13).
Bei der DM-11 handelt es sich um eine ebenfalls fast völlig metallose
Mine von 30 cm Durchmesser, 9,5 cm Höhe und 7,4 kg Gewicht. Die Mine besteht aus einem
Glaswolle-Sprengstoffgemisch, sodaß 7 kg Sprengstoff in ihr Platz finden. Sie verfügt
über zwei Zündkanäle an der Seite und im Boden; ausgelöst wird sie normalerweise durch
den Druckzünder DM 46, wenn ein Panzer mit seiner Kette darüber fährt. Der notwendige
Druck beträgt bei senkrechter Belastung 150 kg, bei ruckartiger oder bei Belastungen der
Ränder liegt er niedriger, manchmal nur bei 90 kg. Möglich ist aber auch eine Verwendung
des Entlastungszünders DM-39 oder des Zugzünders DM-77, die in die zusätzlichen
Zündkanäle eingeschraubt werden können. In der Regel wird die Mine offen verlegt. Gegen
Räumung kann die DM-11 durch einen Aufhebeschutz, also einen Sprengsatz, der z.B. unter
der Mine plaziert ist, gesichert werden. Die Mine muß von Hand verlegt werden, da sie
nach Einbau des Zünders "nicht mehr handhabungssicher" ist (o.Verf. 1973,
S.416). Dies ist konstruktionsbedingt. Der Druckdeckel der Mine ist nicht - wie bei vielen
anderen Panzerminen - federnd gelagert, sondern mit dem Minenkörper aus einem Stück
gefertigt. Bei Überfahrt eines Panzers führt der Druck der Kette dazu, daß eine
Bruchnut unter dem Druckdeckel bricht und dieser auf den Zünder schlägt und somit die
Mine zur Explosion bringt. Ist die Bruchnut aber einmal angebrochen, zum Beispiel durch
eine Belastung, die zur Auslösung der Mine nicht groß genug war, so reicht danach ein
wesentlicher geringerer Druck, um die Mine auszulösen. Von außen ist dies nicht
festzustellen. Die Panzermine wird "eine etwas zu groß geratene Schützenmine"
(o.Verf. 1973, S.418). Dieses Problem scheint auch die später geplante Nachrüstung mit
einem geänderten Zünder nicht gelöst zu haben, denn noch 1988 weist ein Mitarbeiter des
Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung unter dem zwiespältigen Stichwort
Räumresistenz darauf hin, daß eine "eine angebrochene Bruchnut (...) aus einer
metallfreien PzMi (Panzermine) eine metallfreie Schützenmine werden" läßt
(Müller, 1988, S.3). Zu Ausbildungszwecken wird die Übungspanzerabwehrmine DM-18 mit dem
Übungszünder DM-36 verwandt. Eine Rauchladung für die Übungsmine ist vorhanden (BITS,
1995, Datenbankblatt DM-11, Pionierschule, 1993, Blatt DM-11, o. Verf., 1973,
S.417).
Die
Schützenmine DM 31 AP
Bei den Industriewerken Karlsruhe, IWK (später Industriewerke
Karlsruhe Augsburg, IWKA), begannen dagegen bereits früh Minenprojekte auf deutscher
Technologiebasis. Die IWK meldeten bereits am 17. Dezember 1958 ein Springminengehäuse
für eine Anti-Personenmine zum Patent an (Deutsches Patentamt, 1962). Ab 1962 wurde in
Verantwortung dieser Firma die Anti-Personenmine DM-31 hergestellt und an die Bundeswehr
bis 1967 ausgeliefert. Diese Beschaffung kostete 49,2 Mio. DM (Deutscher Bundestag, 1995e,
S.5). Die Bundeswehr hält auch hier die Zahl der beschafften Minen geheim. Nach Angaben
der Bundestagsabgeordneten Angelika Beer hält die Bundesregierung aber lediglich unter
Verschluß, daß sie selbst nicht mehr weiß, wieviele dieser Minen einmal beschafft
wurden.
Nach Schätzungen der Autoren dürfte die beschaffte Menge etwa 1 bis
1,5 Millionen Minen betragen haben, nimmt man an, daß eine solche Mine zur damaligen Zeit
zwischen 30 und 45 DM gekostet haben dürfte. Der heutige Bundeswehrbestand an DM-31 AP
dürfte aber deutlich niedriger sein, da im Rahmen der Munitionsüberwachung in den
vergangenen fast dreißig Jahren sicher zwischen der Hälfte und zwei Dritteln der
ursprünglich beschafften Minen ausgesondert oder abgegeben wurden. Die Autoren schätzen
den heute noch vorhandenen Bundeswehrbestand konservativ auf 350.000 bis 400.000
DM-31.
Die DM-31 ist eine Spring- und Splittermine. Wird sie ausgelöst, so
wird sie durch Explosion einer Ausstoßladung in eine Höhe von 1 bis 1,2 Meter
geschossen. Ein Verzögerungszünder für die Hauptladung sorgt dafür, daß sie erst dann
explodiert und dabei 300-400 Metallsplitter verschießt. Bis auf mindestens 15 Meter
Entfernung - manche Quellen gehen auch von bis zu 27 Meter aus - wirkt die Mine tödlich.
Bis zu Entfernungen von 60 Meter werden noch Verletzungen hervorgerufen. Der Wirkradius
der Splitter beträgt bis zu 100 Meter.
Technisch greift die DM-31 auf eine der gefürchtetsten Minen der
Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zurück, die Splitter-Mine 35 (Tresckow, 1975, S.399;
Bergerhoff, 1957, S.H15; Gander, o.J., S.358). Diese wurde weiterentwickelt und nun für
die Bundeswehr beschafft. Dabei handelt es sich um eine zylinderförmige Mine von 10,2 cm
Durchmesser und 13,6 cm Höhe. Der Zündkanal liegt innen und ist von rund 500 gr
Sprengstoff umgeben. Die Stahlsplitter befinden sich an der inneren Seite der
Minengehäusewand. Das Gesamtgewicht der Mine beträgt ohne Zünder etwas mehr als 4 kg.
Ausgelöst wird die Mine über einen Druck- und Zugzünder vom Typ DM-56, der in
verschiedenen Versionen gefertigt wurde. Manche Quellen erwähnen auch einen elektrischen
Zünder (DM-29). Für Ausbildungszwecke wird eine Übungsmine mit der Bezeichnung DM-28
eingesetzt, für die eine Rauchladung verfügbar ist. Die Mine kann also als Tret- oder
Stolperdrahtmine und als Beobachtungsmine eingesetzt werden (BITS, 1995, Datenbanksatz
DM-31; Tresckow, 1975, S.400).
Die DM-31 AP ist darüber hinaus ein gutes Beispiel für die
Schwierigkeiten, Daten über die frühen Jahre der Minenproduktion in der Bundesrepublik
zu erurieren. Nachfragen der Autoren beim Bundesverteidigungsministerium in Bonn ergaben
lediglich, daß "die Schützenabwehrmine DM-31 (...) von einer deutschen Firma
entwickelt und für die Bundeswehr beschafft" wurde (BMVg-IP-Stab, 1994). Die Firma
Diehl, der die Mine durch die Fachbücher des britischen Jane's Verlages als Produkt
zugewiesen wird (Jane's Military Logistics, 1989, S. 209), äußerte, daß die
Produktbezeichnung IWK-185 in der Beschreibung nicht für Diehl, sondern für eine andere
Firma stehe (Diehl, 1994a, S.1). Sie steht für die IWK, die Industriewerke Karlsruhe,
heute IWKA. Bei der IWKA war zunächst nur zu erfahren, daß es sich nicht feststellen
lasse, ob und wo diese Mine von der IWKA produziert wurde" (Telefonat Thomas
Küchenmeister, Mai 1994). Eine ausführliche Literaturrecherche erbrachte schließlich
die Industriewerke Karlsruhe als Produzent und Entwickler der Mine ans Licht. Mittlerweile
erinnert man sich bei der IWKA auch offiziell wieder daran, daß man zumindest Gehäuse
für Minen hergestellt hat (Lübecker Nachrichten, 23.9.95).
Minen auch
beim Bundesgrenzschutz
Auch der Bundesgrenzschutz besaß seit den fünfziger Jahren Landminen,
vermutlich im Zusammenhang seiner Rolle, die Bundeswehr bei der Landesverteidigung zu
unterstützen. Zwischen 1958 und 1974 verfügte der BGS über eine unbekannte Zahl von
Panzerminen DM-11 und Anti-Personenminen DM-31 sowie die zugehörigen Zünder. Diese
wurden 1974 an die Bundeswehr abgegeben bzw. zerstört. Zu diesem Zeitpunkt hatte der BGS
noch 6.381 Panzerabwehrminen DM-11 und 4.948 Schützenabwehrminen DM-31 in seinem Bestand
(Deutscher Bundestag, 1995d, S.1-2). Möglich ist, daß diese Regierungsangaben
unvollständig sind. Auf Anfrage der Autoren wurde vom BMVg noch 1994 mitgeteilt, daß
sich auch Anti-Personenminen vom Typ DM-11 in den BGS-Beständen befanden (BMVg 1994).
Mine oder
nicht? Der Sprengkörper DM 39
Die Bundeswehr verfügt - unklar ist seit wann und in welchen
Stückzahlen - über "Sprengkörper 300 Gramm mit Entlastungszünder, die zur
Sicherung gegen Aufnahme von Panzerabwehrminen der Modelle DM-11 und DM-21
vorgesehen" sind (Deutscher Bundestag, 1995e, S.4). Im Klartext: Die bei der
Bundeswehr eingeführten "Sprengkörper" werden außerhalb der Bundesrepublik
als Anti-Personenminen bezeichnet (US-Department of Defense, 1995, Datensatz DM-39).
Die offizielle Bezeichnung der "Sprengkörper" lautet DM-39
und DM-39 A1. Ersterer hat ein Plastikgehäuse, der zweite ein Metallgehäuse. In diese
sind je 300 gr Sprengstoff aus einem Gemisch von TNT und RDX eingegossen. Der
Sprengkörper hat einen Durchmesser von 10 cm und eine Höhe von 4 cm und verfügt über
einen Entlastungszünder, sowie einen zweiten Zündkanal an der Unterseite. Die
Metallvariante wiegt 480 gr (BITS, 1995, Datenblatt DM-39; US-Department of Defense,
Datensatz DM-39).
In der Regel wird die DM-39 unter einer Panzerabwehrmine verlegt. Wird
versucht, die Panzermine wegzuräumen, so tritt der Entlastungszünder der DM-39 in
Funktion und bringt diese zur Explosion. Die Detonationsstärke reicht aus, die Panzermine
zu zünden.
Die
Minenausstattung der ersten Generation
Mit ihrer Grundausstattung, bestehend aus den Minentypen DM-11 AT,
DM-11 AP und DM-31 AP verfügte die Bundeswehr seit den sechziger Jahren über für diese
Zeit technologisch ausgesprochen hochwertige Munitionstypen. Nach Abschluß der
Beschaffung dieser Grundausstattung, im Jahr 1967, verfügte die Bundeswehr in ihren
Depots vermutlich über deutlich mehr als 6 Mio. Landminen, ein nicht unerheblicher
Vorrat.
Mit den Typen DM-11 AT und DM-11 AP besaß sie entsprechend der
militärischen Qualitätskriterien der fünfziger und sechziger Jahre hochwertige, völlig
metallfreie Schützenabwehr- und Panzerabwehrminen. Mit der DM-31 war zudem eine
metallhaltige, wiederauffindbare und vielseitig verwendbare weitere Mine zur Hand. Die
Auswahl dieser weit entwickelten Minentechnologien bei der Bundeswehr dürfte nicht
zuletzt aber auch auf den umfangreichen Erfahrungen mit Minenentwicklungen zu Zeiten des
Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges fußen (vgl. Hahn, 1986, S.123-132).
Auch die Tatsache, daß die DM-11 (AP) und die DM-11 (AT) noch bis 1994
in den Beständen der Bundeswehr in großer Stückzahl zu finden waren, spricht dafür,
daß - trotz aller später aufkommenden Kritik an Minentypen dieser Technologie - für die
damalige Zeit erstklassige, weil besonders wirksame Technik gekauft wurde. Diese Sicht
wird durch die Beobachtung unterstützt, daß die Bundeswehr diese Minen geraume Zeit nach
Ende des Kalten Krieges und zudem erst im Kontext der breiten öffentlichen Kritik gerade
an metallfreien, kaum auffindbaren Minen sowie der Diskussion über ein erweitertes oder
völliges Verbot von Landminen außer Dienst gestellt hat.
Die Anti-Personenmine DM-31 (AP) soll auch künftig bei der Bundeswehr
im Einsatz bleiben (Deutscher Bundestag, 1995e, S. 13). In den späten achtziger Jahren
wurde für sie eine Kampfwertsteigerung bzw. Weiterentwicklung (bezeichnet als DM-41)
eingeleitet, zu der die Entwicklung eines elektronischen Zünders durch die Firma
Honeywell Regelsysteme (Heckmann, 1990, S.47) gehörte; dieses Vorhaben ist wieder
eingestellt.
In den frühen Operationskonzepten der Bundeswehr (aber auch der NATO)
spielten Minen eine relativ nachgeordnete, unterstützende Rolle für die allgemeine
Verteidigungsplanung. In ihrer Funktion als Sperrmittel war ihnen bei der Verlangsamung
eines angenommenen gegnerischen Angriffs und bei der Verweigerung geeigneten, unwegsamen
Geländes eine Rolle zugewiesen, deren deutlichster Ausdruck sich Ende der sechziger,
Anfang der siebziger Jahre in der deutsch-amerikanischen Kontroverse über eine
amerikanische "Sonderwaffe" auf deutschem Boden, die "Atomminen"
niederschlug: Zeit zu gewinnen, Geländeverluste zu vermeiden, dem Gegner hohe Verluste
zuzufügen und eine frühzeitige Niederlage konventioneller Verteidigungsoperationen zu
verhindern.
2.2. Von der
Handhabung zum Raketenwerfer - Die siebziger und frühen achziger Jahre
Mit dem Jahr 1967 war die Grundausstattung der Bundeswehr mit Landminen
zunächst abgeschlossen. Ein moderner, großer Lagerbestand war verfügbar. Neu- und
Nachbeschaffungen waren in naher Zukunft nicht erforderlich. Der Schwerpunkt der
Weiterentwicklung des Minenpotentials der Bundeswehr verlagerte sich deshalb in den
siebziger Jahren ausgehend von dem hohen verfügbaren technologischen Niveau auf die
Forschung und Entwicklung neuer Minentypen und neuer Formen des Mineneinsatzes.
Neue
Entwicklungen - Die Panzerabwehrmine DM-21
Die Industriewerke Karlsruhe (IWK) begannen mit der Entwicklung einer
verbesserten Anti-Panzermine, und schufen damit auch bei AT-Minen die Voraussetzung für
eine künftige, lizenzlose Minenproduktion in der Bundesrepublik. Als "Panzermine
II" wurde eine etwa 10 kg schwere Mine mit Metallgehäuse entwickelt, die allen
Bedürfnissen und militärischen Forderungen entsprechen sollte. Sie verfügte über einen
Zünder mit einer Sicherung, die dafür sorgte, daß die Mine erst 5 Minuten nach dem
Verlegen scharf wurde und war zudem wiederaufnehmbar (Matourek, 1983a, S.161). Sie konnte
in geschärftem Zustand aus einem tieffliegenden Hubschrauber abgeworfen werden (Treskow,
1975, S.399). Mit ihrem neuartigen Druckzünder, einer Kippdeckelkonstruktion, die auf
darüber fahrende Fahrzeuge, nicht aber auf den genau senkrecht auftreffenden Druck, z.B.
der Druckwelle einer Atombombenexplosion anspricht, stellte sie "beinahe eine
Idealmine dar, denn sie entsprach in fast allen Punkten den damaligen an eine
"high-kill-Mine" zu stellenden Forderungen" (Tresckow, 1975, S.397).
Innerhalb der NATO neu vereinbarte, einheitliche technische Standards
für Landminen machten es notwendig, die Konstruktion der Mine und ihres Zünders noch
einmal zu überarbeiten, so daß sie nicht, wie ursprünglich geplant, bereits in den
siebziger Jahren beschafft werden konnte.
Als Panzerabwehrmine DM-21 wurde diese IWK-Entwicklung in den Jahren
1980-1982 für die Bundeswehr beschafft. Hergestellt wurde die Mine von der Firma Diehl,
vermutlich wiederum in Mariahütte. Die Kosten für die Beschaffung beliefen sich auf 88,1
Mio. DM (Deutscher Bundestag, 1995e, S.3). Über den Umfang der Beschaffung liegen keine
Angaben vor, jedoch ist aufgrund der aufwendigen Konstruktion damit zu rechnen, daß von
dieser recht teuren Mine keine allzu großen Stückzahlen beschafft wurden. Für diese
Annahme spricht auch, daß die Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt sicher noch über hohe
Bestände der DM-11 AT verfügte und zu dieser vor allem eine wiederaufnehmbare,
handhabungssicherere Ergänzungsmine suchte, nicht aber eine neue
Standard-Panzerabwehrmine. Zudem dürften zu diesem Zeitpunkt bereits erste Planungen für
die ab Mitte der achtziger Jahre anlaufende Beschaffung mechanisch verlegbarer Panzerminen
existiert haben. Geht man davon aus, daß die DM-21 zu Beginn der achtziger Jahre etwa die
halb soviel kostete wie die einige Jahre später beschaffte, technisch komplexere
Panzerabwehrmine DM-31, so wäre ein Stückpreis von maximal 600 DM zu kalkulieren und
somit ein Beschaffungsumfang von mindestens 150.000 Minen anzunehmen.
Wie es zu dem firmenseitigen Wechsel - Entwicklung durch die IWK,
Produktion durch die Firma Diehl - kam, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich spielte dabei
eine Rolle, daß die IWK nach Firmenangaben die DM-21 in Oberndorf entwickelt hat (o.Verf.
1977, S.83), wo man im Besitz des Gewehr- und Kanonenherstellers Mauser-Werke Oberndorf
war. Bei diesem Unternehmen wurde in Anfang der siebziger Jahren die Munitionsentwicklung
der IWK-Gruppe konzentriert, indem die Karlsruher Entwicklungsabteilung nach Oberndorf
verlegt wurde. Im Jahre 1979, also kurz vor Beginn der Serienfertigung für die DM-21,
verkauften die Industriewerke die Firma Mauser zusammen mit anderen Anteilen der
Rüstungsproduktion an die Firma Diehl (FAZ, 26.2.1979, S.11). Dabei ging auch die
Munitionsentwicklung an Diehl über.
Bei der DM-21 handelt sich um eine durch Überfahrt eines Fahrzeugs
ausgelöste Panzermine von 9 kg Gewicht (ohne Zünder) mit Aluminiumgehäuse. Sie enthält
eine Hauptladung von 5 kg TNT sowie Verstärkungsladungen und den Zünder. Die Mine kann -
wie sich nach der Umkonstruktion herausstellte, auch aus mehr als 10 Meter Höhe von
Hubschraubern aus verlegt werden. Sie hat einen Durchmesser von 30 cm und eine Höhe von
9,8 cm. Ihre Kippdeckel-Zünderkonstruktion reagiert erst auf einen erheblichen Druck:
mehr als 180 kg sind erforderlich. Ein freier Zündkanal am Unterboden ist vorhanden, der
für die Ausbringung zusammen mit einem Räum- und Aufhebeschutz (DM-39) genutzt werden
kann (BITS, 1995, Datenbanksatz DM-11 AT, Müller, 1988, S.3; Treskow, 1975, S.397).
Mehrfachraketenwerfer
LARS und Panzerabwehrmine AT-1
Die siebziger Jahre sind in der Minenausstattung der Bundeswehr auch
Vorbote des Übergangs zu einer deutlich veränderten Minenkriegführung. Nach
Entwicklungsarbeiten, die bis in das Jahr 1956 zurückreichen (o.Verf., 1981, S.58),
führt die Bundeswehr 1970 ein Waffensystem ein, das in den folgenden Jahren den
Minenkampf in der Bundeswehr deutlich beeinflussen sollte: Den Mehrfachraketenwerfer LARS,
das Leichte Artillerie-Raketen-System.
Bis zum Jahre 1972 laufen bei der Bundeswehr insgesamt 209 Werfer zu,
die mit je 36 Abschußrohren ausgestattet sind. Ursprünglich sind die Raketenwerfer auf
einem Magirus-Lkw-Chassis montiert, später werden sie auf MAN-Lkws ummontiert. Diese
Werfer kosten 77,2 Mio. DM (Deutscher Bundestag, 1995e, S.9). Raketen zum Verschuß von
Splitter- und Nebelgefechtsköpfen werden als erste beschafft.
Doch zeitgleich werden bereits der Sprengkopf "Pandora" und
andere Teile für eine Minenrakete für den LARS-Werfer bei Dynamit Nobel entwickelt. Acht
AT-1 Minen mit Wirkung gegen Panzer und Fahrzeuge passen in den Sprengkopf der Rakete,
eine ebenfalls von Dynamit Nobel entwickelte Minenverteileinheit ermöglicht es, daß der
Raketensprengkopf noch in der Luft zerlegt werden kann und die Minen freigesetzt werden
können. 36 Rohre mit je 8 Minen - das bedeutet, daß ein einziger Werfer binnen nur 18
Sekunden 288 Minen über Entfernungen von 6 bis 14 km verschießen kann
(Schröder-Hohensee, 1979, S.119). Eine Batterie von 8 LARS verschießt 2.304 AT-I Minen
(Ministerrat der DDR (1988) S.3/16) mit ihren 288 Raketen einer Salve, die binnen
lediglich 20 Sekunden abgefeuert wird (Mischke, 1974, S.24). Eine gewaltige Feuerkraft,
die es erlaubt, ein Panzerbatallion mit 50 Panzern, die sich auf eine Fläche von vier
Quadratkilometern verteilen, mittels 350 LARS Raketen in Minutenschnelle so mit einem
riesiges Minenfeld zu umgeben, daß das Batallion es nicht mehr umfahren kann und ca. 40%
seiner Panzer verliert (ebd. S.25). Nur 15 bis 20 Minuten werden benötigt, um den
Raketenwerfer neu zu laden (Petersen, 1979, S.614).
Die AT-1 ist eine Stabmine und gehört zu den Streuminen der 1.
Generation. Sie ist 32,5 cm lang, ca. 7,5 cm breit und 10 cm hoch. Das Gehäuse besteht
aus Plastik, bei einem Gesamtgewicht von 1,45 kg enthält sie 1 kg Sprengstoff. Die Mine
wird von einem mechanischen Vibrations-Summationszünder ausgelöst, der auf den
dauerhaften Druck reagiert, den Fahrzeuge bei Überfahren auslösen. Sie verfügt über
eine Aufhebesperre, einen Selbstzerstörungsmechanismus. Die Sprengladung ist stark genug,
das Fahrwerk gepanzerter Fahrzeuge zu zerstören (BITS, 1995, Datenbankblatt AT-1,
Petersen, 1979, S.611; Held, 1986, S.246).
Mit Einführung der Minenrakete für LARS verfügt die Bundeswehr zum
Ende der siebziger Jahre als erstes europäisches NATO-Land über eine artilleriegestütze
Minenverlegetechnik. Militärexperten bescheinigten bereits damals nicht nur der
amerikanischen, sondern auch der deutschen Industrie für den Bereich der Streuminen, der
"scatterable mines", eine internationale Vormachtstellung (White, N.M., 1979, S.
10-23). Streuminen werden zwei Vorteile nachgesagt: Zum einen lassen sie sich erheblich
schneller und flexibler verlegen. Zum anderen: Fernverlegbare Minensperren werden als
erheblicher Gewinn für die eigenen militärischen Operationen betrachtet. Erstmals
können nun Minensperren auch an Orten verlegt werden, an denen der Einsatz von Pionieren
zu gefährlich oder gar nicht möglich ist, z.B. in unmittelbarer Feindnähe oder hinter
den feindlichen Linien. Die Einführung der Werfertechnologien bzw. die Fernverlegbarkeit
von Minen läßt erstmals auch die Hinwendung zu offensiven und gegenoffensiven Optionen
in der Taktik des Minenkampfes erkennen.
Die Bedeutung, die dieser neuen Technologie beigemessen wird, äußert
sich auch im Umfang der Beschaffung. Von 1978 bis 1980 werden 108,6 Mio. DM (Deutscher
Bundestag, 1995e S.10) für die Beschaffung von 15.000 LARS-AT-1 Raketen mit je 8 AT-1
Minen ausgegeben. Für diese Raketen wurden also 120.000 AT-1 Minen gekauft. Den
Produktionsauftrag erhält die Firma Diehl (Wehrdienst 571/1976). Mit der Produktion soll
bereits im Frühjahr 1976 begonnen worden sein (Wehrdienst 18.10.76).
Das Tempo der technologischen Entwicklung und der Charakter dieser
Jahre als Testphase für die Implementierung einer neuen Generation von Minen und
Minenverlegetechnik läßt sich unschwer auch daran erkennen, daß der Nachfolger für die
AT-1 bereits bei Dynamit Nobel in der Endphase der Entwicklung ist, während die
Vorgängermine noch produziert wird (Wehrdienst 653/1978). Nur ein Jahr nach Ende der
Beschaffung der Minenraketen mit AT-1 beginnt die Beschaffung des Nachfolgemodells, der
Minenrakete AT-2.