BITS Research Report 06.1
ISBN 3-933111-12-9
Februar 2006
Studie in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung


Das Atomprogramm des Irans

Nachdenken über Rahmenbedingungen einer politischen Lösung


Inhaltsverzeichnis:

1. Der Nuklearstreit mit dem Iran im Kontext
2. Die atomaren Pläne des Irans – Eine kurze Geschichte
3. Das Atomprogramm des Irans – Ein kurzer Sachstand
4. Vermutungen über ein weitergehendes Atomprogramm
5. Was wäre, wenn?
6. Die rechtliche Seite
7. Die Motive des Irans
8. Die Verhandlungen mit der EU
9. Zukunftsoptionen
10. Rahmenbedingungen einer politischen Lösung
11. Erste Elemente für die Diskussion über einen Lösungsansatz
11.1. Ansätze zu einer Multilateralisierung des Brennstoffzyklus
11.2. Freiwillige Selbstbeschränkung bei Raketenprojekten
11.3. Initiative zugunsten einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen & Mittleren Osten
11.4. Sicherheitspolitische Regionalorganisation
Quellen und Literaturhinweise
Fußnoten


 

11.3. Initiative zugunsten einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten

Initiativen zugunsten einer Atom- oder Massenvernichtungswaffenfreien Zone für den Nahen und Mittleren Osten stehen seit vielen Jahren auf der politischen Tagesordnung. Seit Schah Reza Pahlevi eine solche Initiative 1974 erstmals in die Diskussion brachte, wird diese Forderung immer wieder in unterschiedlichen Formen vorgetragen. Der ägyptische Präsident Mubarak erweiterte sie 1990 und sprach erstmals von einer massenvernichtungswaffenfreien Zone.

Der Ansatz wurde zum Gegenstand etlicher UN-Resolutionen und wird auch im Rahmen der Überprüfung des NVV immer wieder diskutiert. Der jüngsten Überprüfungskonferenz des NVV lag eine umfassende Zusammenstellung der bisherigen Berichte vor. Da die Konferenz kein Abschlussdokument verabschiedete, entfiel auch der früher übliche Beschluss, mit dem die NVV-Mitglieder ihre Unterstützung für einen solchen Vorschlag zum Ausdruck brachten.

Das Konzept stellt eine der wenigen Möglichkeiten dar, auch das nukleare Potential Israels oder Pakistans in die Debatte über die regionale Sicherheit im Nahen und Mittleren Osten mit einzubeziehen. Israels unerklärter Atomwaffenbesitz stellt für viele seiner arabischen und islamischen Nachbarn den größten regionalen Unsicherheitsfaktor dar. Israel selbst verfolgt eine Politik der absichtlichen Ambiguität, innerhalb derer das Land immer wieder betont, es werde nicht der erste Staat sein, der Nuklearwaffen in der Region einführe, zugleich aber mit Nachdruck den Eindruck erweckt, als besitze es ein sofort operativ einsetzbares Nuklearwaffenpotential, um sein Existenzrecht und seine Interessen zu schützen. Ohne Einbeziehung Israels wird Fortschritt kaum möglich sein. Wie aber könnte eine solche Einbeziehung erfolgen?

Ein möglicher Schritt wurde im Jahr 2004 sichtbar. Damals erhielt der Generaldirektor der IAEO, al Baradei, von Israel erstmals die Zusage, an einem IAEO-Workshop über eine regionale nuklearwaffenfreie Zone teilzunehmen. Der Workshop sollte ursprünglich noch vor der Überprüfungskonferenz für den NVV im Mai 2005 durchgeführt werden, wurde aber aus unbekannten Gründen vertagt. Die EU-Staaten sollten diese Baradei-Initiative aufgreifen und aktiv unterstützen. Sie sollte zu einem Teil des Verhandlungsangebotes an den Iran werden. Darüber hinaus sollten die EU-Staaten gemeinsam mit den USA prüfen, ob und unter welchen Bedingungen Israel bereit wäre, schrittweise seine Nuklearanlagen freiwillig unter IAEO-Kontrolle zu stellen. Dies würde eine unüberprüfbare Ausweitung und Modernisierung des israelischen Nuklearwaffenpotentials deutlich erschweren. In einem zweiten Schritt wäre zu prüfen, ob Israel bereit wäre, einer nuklearwaffen- oder massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten beizutreten, wenn das Land im Gegenzug klare – auch nukleare - Sicherheitsgarantien seitens der westlichen oder sogar aller Nuklearmächte erhielte, mit denen das Existenzrecht Israels abgesichert würde.[65] Diese Garantiemächte würden ihrerseits gegenüber der IAEO garantieren, dass Israel die militärische Nutzung der Nukleartechnik beendet und die dafür geeigneten Anlagen verifizierbar abgebaut hat. Ein wesentlicher Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass Israel zu keinem Zeitpunkt erklären müsste, ob es in der Vergangenheit einsetzbare Nuklearwaffen besaß und trotzdem in einem letzten Schritt dem NVV als nicht-nukleares Mitglied beitreten könnte.

 

11.4. Sicherheitspolitische Regionalorganisation

Mittel- und langfristig sind die Sicherheitsprobleme des Nahen und Mittleren Ostens nur durch die Entwicklung kooperativer und kollektiver Sicherheitsstrukturen zu lösen. Der Weg, wie man zu solchen Strukturen kommen kann, sollte in den Gesprächen der EU mit dem Iran eine wesentliche Rolle spielen. Der Iran sollte - unterstützt von Europa - die Initiative zu einem Einstieg in die Entwicklung solcher Strukturen ergreifen. Die europäischen Staaten, aber auch andere Partner des Irans wie Russland, können ihre Erfahrungen mit dem KSZE-Prozess in diese Diskussion einbringen. Da der Aufbau solcher Strukturen nicht von heute auf morgen gelingen kann, muss er als zielorientierter Prozess gedacht und angegangen werden. In diesem müssen die Elemente der Stabilität und Sicherheit, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und Herausbildung adäquater demokratischer und menschenrechtlicher Standards enthalten sein.

In Vorbereitung auf eine solche Initiative wäre es schon heute sinnvoll zu prüfen, welche der Erfahrungen, die mit KSZE und OSZE gesammelt wurden, auf die regionalen Konflikte und deren Mechanismen konstruktiv anwendbar sind und welche nicht. Ebenso wäre zu prüfen, welche Schwächen dem KSZE- bzw. OSZE-Prozess inhärent waren und sind. Alternative Ansätze sind vorzubereiten. So kann beispielsweise mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Bereich der wirtschaftlichen Kooperation mit dem Ziel nachhaltiger Entwicklung im Blick auf den Nahen- und Mittleren Osten schon wegen seiner Anreizwirkung eine deutlich größere Bedeutung zukommen muss als dies im Falle der KSZE der Fall war. Jeder Versuch, ähnlich wie während des Kalten Krieges, im Schwerpunkt primär Tauschgeschäfte zwischen sicherpolitischer Vertrauensbildung einerseits und demokratischen bzw. menschenrechtlichen Standards andererseits zu organisieren, hätte eher blockierende Wirkung.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS


 

Quellen und Literaturhinweise:

Beachten Sie hierzu bitte unsere Online-Dokumentensammlung

 

 

Fußnoten:

[1] Diese Kurzstudie entstand im August 2005. Sie wurde auf Basis öffentlich zugänglicher Medienberichte und offizieller Quellen verfasst und im Dezember 2005 aktualisiert. Der Autor kann nicht dafür garantieren, dass all diese Quellen vollständig, korrekt und wahrheitsgemäß berichtet haben. Die Studie befasst sich mit der politischen Diskussion um das iranische Nuklearprogramm und deren potentielle Lösungsmöglichkeiten. Andere diskussionswürdige Aspekte – so spannend diese auch sein mögen - wie z.B. die iranische Menschenrechtspolitik, die Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmedinejad zum Thema Israel oder die Debatte über ein präventives militärisches Vorgehen der USA und/oder Israels gegen die iranischen Nuklearanlagen wurden – soweit nicht zwingend erforderlich - ausgeklammert. Die diesem Papier zugrundeliegenden Quellen können in den meisten Fällen eingesehen werden unter: http://www.bits.de/main/archive/iran1.htm

[2] Diese Gruppierung steht in den USA auf der Liste terroristischer Gruppierungen; es gibt intensive Bemühungen aus neokonservativen Kreisen, diese Einstufung aufheben zu lassen. Als politischer Arm fungiert der Nationale Widerstandsrat.

[3] Korrekte Informationen führten 2002/2003 zur Aufdeckung bislang unbekannter Nuklearaktivitäten des Irans. Spätere Meldungen hatten oft nicht die gleiche Zuverlässigkeit. Einige erwiesen sich als übertrieben, andere als falsch oder selektiv ausgewählt. Sie erreichen aber unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt stets eine breite Öffentlichkeit. Ein breites Spektrum sympathisierender Medien (wie die des Murdoch-Imperiums, also z.B. Fox TV, Daily Telegraph, Sunday Telegraph, Jerusalem Post u.v.a.m), effiziente PR-Agenturen wie Benador Associates, gut finanzierte Think Tanks wie das American Enterprise Institute oder Strategic Policy Consulting, sowie Nichtregierungsorganisationen oder Internetdienste wie MEMRI greifen fast jede für den Iran potentiell negativ wirkende Meldung begehrlich auf und verbreiten sie. Da sich Gegenbeweise zu übertriebenen oder falschen Meldungen oft nicht schnell und mit letzter Sicherheit erbringen lassen, erlangen auch falsche Meldungen über die Vielzahl ihrer Wiederholungen oft eine unverdient große Glaubwürdigkeit.

[4] Indien ist für die USA seit geraumer Zeit ein Wunschpartner für den Ausbau strategischer Beziehungen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in dem bilateralen Abkommen zu auch nuklearer Zusammenarbeit, das beide Staaten 2005 abschlossen. Ein starkes Indien bindet China in eine Regionalkonkurrenz ein. Pakistan ist für Washington ein traditioneller regionaler Partner, den man als Gegenpol zu Indien, als Unterstützer gegen die UdSSR in Afghanistan und heute als "Partner" im globalen Krieg gegen den Terrorismus zu benötigen glaubt. Die USA bemühen sich heute vorrangig, Indien und Pakistan bei der sicheren Lagerung und Kontrolle ihrer Nuklearwaffen inoffizielle Hilfestellungen zu offerieren. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll Pakistan den USA die Möglichkeit eingeräumt haben, im Fall einer schweren innenpolitischen Krise die physische Kontrolle über die pakistanischen Nuklearwaffen-Pits zu erlangen.

[5] Deutschland und andere Staaten vertreten die Auffassung, dass der Austritt Nordkoreas ungültig und der Staat weiterhin nicht-nukleares Mitglied des NVVs sei, weil Nordkorea sein Austrittsschreiben nicht an die Depositarmächte des Vertrages richtete. Dies mag formal richtig sein, Nordkorea verhält sich aber, z.B. im Blick auf die Inspektionsrechte der IAEO, als sei es ausgetreten. Es bestehen allerdings zugleich Zweifel, ob Nordkorea – wie von der Regierung behauptet – bereits Nuklearmacht ist und atomare Waffen besitzt. Während vielfach vermutet wird, dass Nordkorea 4-8 atomare Sprengköpfe für seine Mittelstreckenraketen besitzt, wenden Fachleute ein, dies sei möglicherweise eine überzogene Analyse. Zwar könne Nordkorea das nukleare Material für diese Anzahl von Sprengköpfen gewonnen haben. Das Land habe aber bislang keinen Sprengsatz getestet. Zudem sei es sehr viel leichter, eine einfache atomare Flugzeugbombe zu konstruieren als einen Raketensprengkopf, der ein bestimmtes Volumen und ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten dürfe. Dem Gegenargument, Nordkorea habe möglicherweise 1998 in Pakistan sein Atomwaffendesign getestet, wird entgegengehalten, dass dann aber auch davon auszugehen sei, dass die nuklearen Aktivitäten des Khan-Netzwerkes mit Billigung und Wissen der pakistanischen Regierung erfolgt sein müssten.

[6] Die Alternative eines völligen Verzichts auf die zivile Nutzung der Kerntechnik wird dagegen bemerkenswer-terweise nicht diskutiert, weil die meisten Industrienationen die Kernenergie weiterhin nutzen wollen und deren Nuklearindustrien auch nicht auf den Export nukleartechnischer Anlagen verzichten wollen. Im Gegenteil: Als Ergebnis eines weltweit wachsenden und sich geographisch verlagernden Energieverbrauchs einerseits und einer sich wegen klimapolitischer Ziele wandelnden Energiepolitik andererseits erwarten sie verbesserte Exportchancen.

[7] Der Iran hat ein breites Spektrum von Eskalationsmöglichkeiten, das von der Unterstützung irakischer Widerständler über Angriffe auf US-Truppen in der Region bis hin zu Raketenangriffen auf Ziele wie die Atomanlagen von Dimona in Israel reichen könnte. Darüber hinaus gibt es Eskalationsrisiken wie die ungewisse Reaktion Chinas, das im Iran starke Ölinteressen hat und für die USA ein wichtiger Finanzier der kriegsbedingten Staatsverschuldung ist.

[8] Manche Berichte gehen davon aus, dass bereits das Atomprogramm des Schahs einen militärischen Forschungsanteil beinhaltete, bleiben dafür aber zumeist detaillierte Informationen und Belege schuldig.

[9] Klaus Wiegrefe, Das Zerwürfnis, Berlin, 2005 S.79; der Autor beruft sich auf eine Notiz zu dem Treffen 1975 aus dem Privatarchiv Helmut Schmidts (Gespräch mit dem Autor)

[10] Diese Haltung änderte sich erst, als die iranische Armee während des 1. Golfkrieges massive Verluste durch irakische Chemiewaffenangriffe hinnehmen musste und Chomeni religiös rechtfertigen musste, dass als Vergeltung auch der Iran zu solchen Waffen griff.

[11] Dazu gehörten iranisch-russische Dispute über einzelne Vereinbarungen ebenso wie ein massives, kritisches öffentliches Trommelfeuer aus den USA gegen die Vereinbarung, mit dem Russland zum Rückzug aus wesentlichen Teilaspekten der Kooperation bewegt werden sollte. Hinzu kamen bilaterale amerikanisch-russische Kontakte (u.a. schon im Kontext der Gore-Tschernomyrdin-Kommission und über Nachfolgestrukturen). Russland erklärte sich dabei bereit, das Proliferationsrisiko abzusenken und beispielsweise auf vertraglichen Verpflichtung zur Rückgabe abgebrannter Brennstäbe zu bestehen.

[12] Die Kontakte reichen nach Erkenntnis der IAEO bis in das Jahr 1985 zurück, als dem Iran erste Angebote gemacht und die Lieferfähigkeit des Netzwerkes demonstriert wurde. Zehn Jahre später 1994/95 gab es erste, auf iranische Anfragen zurückgehende Lieferungen. Danach griff der Iran scheinbar intensiver auf diese Technologiequelle zurück. Die Aufdeckung der klandistinen Nuklearaktivitäten des "Vaters" der pakistanischen Bombe, Abdul Q. Khan, wirft jedoch trotzdem in weiten Teilen mehr Fragen auf, als dass dadurch beantwortet werden. Die Aufdeckung von Khans Lieferungen an Libyen, den Iran und Nordkorea führte im Falle Libyens zur Beendigung eines militärisch nutzbaren Nuklearprogramms, dessen Existenz zuvor kaum jemand ernsthaft behauptet hatte. Aufgefunden wurden in Libyen viele originalverpackte, unbenutzte Teile und sogar Konstruktionspläne für eine technologisch ältere Atomwaffe. Im Falle des Irans und Nordkoreas wurden Khans Lieferungen dagegen zum Indiz und wichtigen Beleg dafür, dass beide Länder geheime nukleare Anreicherungsaktivitäten besaßen. Khans Geständnis, die Lieferungen getätigt zu haben, führte zu einem Verzicht der pakistanischen Regierung auf jede Strafverfolgung und zu einer eigenwilligen Form eines Zeugenschutzprogramms: Khan darf nicht durch internationale Ermittler und Fachleute befragt werden. Dies ist nicht das erste Mal, dass Khan protektioniert ungeschoren davon kommt: In den USA wurde Anfang der 90er Jahre mit Robert M. Barlow der beste Khan-Kenner der US-Behörden aus dem Geheimdienst entfernt, als er mit wachsendem Nachdruck forderte, Khan das Handwerk zu legen. Zuvor bereits waren die US-Geheimdienste zweimal (1976 und 1986) in den Niederlanden vorstellig geworden und hatten – wie der ehemalige holländische Premierminister Ruud Lubbers 2005 gegenüber dem Radiomagazin ARGOS bestätigte – die Holländer mit Erfolg gebeten, von einer Verhaftung Khans abzusehen. Khan wurde dort mit Haftbefehl gesucht, weil er Anreicherungstechnik für das pakistanische Atomprogramm aus Almelo gestohlen hatte. Man kann also nicht gesichert ausschließen, dass es sich bei den Aktivitäten des Khan-Netzwerkes um eine geheimdienstlich kontrollierte Operation handelte. Dafür sprechen auch Gerüchte über eine sogenannte Operation "Merlin". US-Geheimdienste sollen vor wenigen Jahren versucht haben, dem Iran technisch leicht verfälschte Unterlagen über Atomwaffenzünder russischer Technik zukommen zu lassen.

[13] Für den politischen Arm der Volksmujahedin veröffentlichte Alireza Jafarzadeh (heute Strategic Policy Consulting Inc.) im August 2002 die Existenz bislang unbekannter Nukleareinrichtungen im Iran, die die IAEO später weitgehend bestätigten konnte. Seine Quellen und Erkenntnisse gewannen dadurch eine substantielle Glaubwürdigkeit. Neuere Informationen, die Jafarzadeh 2004 und 2005 oft ohne Nennung von Quellen oder Details veröffentlichte, ließen sich dagegen bislang nicht bestätigen. Dazu gehören u.a. die Existenz einer unterirdischen Laseranreicherungsanlage in Parchin oder der Nachbau von sowjetischen Langstrecken-Marschflugkörpern durch den Iran.

[14] Als leicht angereichertes Uran (LEU) gilt bei der IAEO Uran mit einem U-235-Anteil, der kleiner als 20% ist; bei hoch angereichertem Uran (HEU) liegt dieser Anteil bei über 90%. Der Iran hat nach eigenen Angaben bisher Anreicherungsexperimente bis zu 1,2% U-235-Anteil vorgenommen.

[15] Ein Schwerwasserreaktor dieser Größe kann dazu genutzt werden, pro Jahr das Plutonium für etwa eine Atomwaffe zu produzieren. Um dieses militärisch nutzen zu können, ist aber ähnlich wie bei abgebrannten Brennstäben aus Leichtwasserreaktoren eine angepasste Wiederaufarbeitung des Brennstoffs erforderlich, die eine Abtrennung des Plutoniums ermöglicht. Arbeiten des Irans an einer Wiederaufarbeitungskapazität sind nicht bekannt geworden. Lediglich Laborarbeiten zu einzelnen Aspekten wurden bislang öffentlich.

[16] Der Iran erhielt Mitte der achtziger Jahre aus Quellen des Khan-Netzwerkes anderthalb Blatt Papier mit modellartigen Berechnungen und Informationen zur Herstellung kritischer Uranmassen, also einem Bestandteil eines Atomsprengsatzes. Diese Unterlage wurde der IAEO vom Iran gezeigt. Iranischerseits wird behauptet, man habe diese Unterlage weder angefordert, noch später genutzt. Das Khan-Netzwerk könnte sie in der Tat zum Beleg seiner weitreichenden Lieferfähigkeit übergeben haben. Beweisstücke vergleichbaren Charakters aus pakistanischen Quellen wurden auch in Afghanistan gefunden und dienten als Beleg für das detaillierte und weitreichende Interesse von Al Kaida bzw. des Taliban-Regimes am Bau nuklearer Waffen.

[17] Dieser Verdacht wurde im zweiten Halbjahr 2005 öffentlich genauer aufgearbeitet: Es handelte sich um einen seit 2004 bekannten Laptop, auf dem Zeichnungen und Informationen über einen Wiedereintrittsflugkörper für die Shahab-Rakete gespeichert waren. Auf den Zeichnungen war eine "Blackbox" zu sehen, die – so der in der New York Times geäußerte Verdacht – der Platzhalter für einen atomaren Sprengkopf sei. Die Zeitung unterschlug, dass der gleiche Laptop Informationen zum Inhalt und zur Funktion der "Blackbox" enthielt. Sie sollte der Aufzeichnung und Übermittlung von telemetrischen Daten bei Versuchsflügen der Rakete dienen. Von Wissenschaftlern auf dieses Faktum und die Fehlinterpretation hingewiesen und um eine korrigierende Publikation gebeten, weigerte sich die New York Times, eine Korrekturmeldung zu drucken. Der Vorgang - einschließlich der zugehörigen Email-Kommunikation – ist auf der Webseite von Jeffrey Lewis, www.armscontrolwonk.com dokumentiert. Darüber hinaus sei angemerkt, dass Entwicklungsarbeiten an weitreichenden Raketen im Westen und in westlichen Medien fast automatisch als Beleg für Entwicklungsarbeiten an Nuklearwaffen dargestellt werden. Diese "Vermischung" zweier Themengebiete, von denen die IAEO nur autorisiert ist, eines aufzuklären, wurde schon im Blick auf den Irak immer wieder gerne und politisierend instrumentalisiert.

[18] Über ein "Fenster der Gelegenheit", das nur in näherer Zukunft existiert, zum jetzigen Zeitpunkt zu diskutieren, wäre nur dann von einer gewissen Logik, wenn darunter die Zeit verstanden würde, die noch verbleibt, bis zum ersten Mal Nuklearmaterial in die ersten Anlagen eingebracht wird. Anlagen ohne Nuklearmaterial können nämlich "gefahrloser" angegriffen werden, weil keine nukleare Kontaminationsgefahr besteht. Da dieses Argument sich aber nicht mit dringlichen Warnungen vor der baldigen Verfügbarkeit der iranischen Bombe verträgt, wird es kaum genutzt.

[19] Zeitbedarfsabschätzungen und Risikoanalysen dieser Art führen immer wieder zu gewissen Kuriositäten. Willkürliche Beispiele: 1995 schätzten William Perry und Yitzak Rabin, der Iran werde 7-15 Jahre bis zur ersten Bombe brauchen (NYT, 10.1.95). Der U.S.-General Zinni sprach 1999 von wenigen Jahren (AWST 13.12.99). Seth Carus, lange Jahre am Israel-freundlichen Washington Institute for Near East Policy ein Jahr später von 7-15 Jahren (MERIA, Vol.3 No 4, S.58). Weitere Beispiele finden sich unter: http://www.globalsecurity.org/wmd/world/iran/nuke3.htm

[20] Mit großer Wahrscheinlichkeit kann das Uranhexafluroid, das der Iran bisher herstellt hat, gar nicht für die Anreicherung genutzt werden. Dies hätte Auswirkungen auf den iranischen Zeitbedarf. Ein geringerer Zeitdruck könnte zugunsten einer kooperativen Verhandlungslösung genutzt werden. Soweit dem Autor bekannt, wurde dieser Frage jedoch nicht offiziell nachgegangen. Die Unterhändler der EU sehen in der Wiederaufnahme der Urankonversion einen Bruch der mit dem Iran getroffenen Vereinbarungen, unabhängig davon ob das Produkt der Urankonversion für die Anreicherung brauchbar ist oder nicht. Der Generaldirektor der IAEO, El-Baradei, vertrat vor dem Gouverneursrat im Herbst 2005 eine andere Auffassung als die EU, als er Urankonversion und Urananreicherung getrennt diskutierte.

[21] Albright/Hinderstein halten nur etwa die Hälfte dieser Zentrifugen für nutzbar.

[22] Aus dem Umfeld der Volksmujahedin (Alireza Jafarzadeh, Strategic Policy Consulting Inc.) in den USA kommt unter Berufung auf iranische Insider die Behauptung, der Iran habe bereits jetzt 4.000 Zentrifugen produziert (vgl. Guardian, 9.8.05). Dies würde bereits für die letzten Jahre eine deutlich gesteigerte Zentrifugenproduktion implizieren, aber nicht erklären, warum der Iran noch im Mai 2005 gegenüber der EU ausführte, vorerst lediglich 3.000 Zentrifugen betreiben zu wollen. Zudem konnte die IAEO lediglich 1.274 Zentrifugen verfizieren.

[23] Eine Auswahl solcher Stellungnahmen, siehe: http://www.globalsecurity.org/wmd/world/iran/nuke3.htm

[24] Eine etwas kritischere Sichtweise kommt zu der Schlussfolgerung, dass solche mittel- und langfristigen Abschätzungen künftiger gegnerischer Fähigkeiten nicht nur den Regeln des Worst-Case-Denkens folgen, sondern traditionell auch politischen Opportunitätsüberlegungen. Chinesische Interkontinentalraketen mit Festtreibstoffantrieb und ausreichender Reichweite, um große Teile und nicht nur Alaska bzw. westliche Zipfel der USA bedrohen zu können, sind dafür ein Beispiel.

[25] Als der NVV ausgehandelt wurde, galt die Atomenergie als vielversprechende Zukunftstechnologie. Viele nicht-nukleare Unterzeichner des Vertrages waren zur Unterzeichnung nur bereit, wenn sichergestellt sei, dass die Unterscheidung zwischen legalen Atomwaffenbesitzern und nuklearen Habenichtsen nicht auf unbegrenzte Dauer erfolge. Zudem verlangten sie im Vertrag die Zusicherung, die Kernenergie zivil unbegrenzt nutzen zu können und dabei mit der technischen Hilfe jener Staaten rechnen zu können, die die Nukleartechnik beherrschten. Diese Haltung nahmen sowohl Industriestaaten mit umfassenden Plänen für eine eigene Atomindustrie wie Deutschland ein als auch viele Entwicklungsländer, die sich von der Nutzung dieser Zukunftstechnik nicht ausschließen lassen wollten.

[26] Die als zivil akzeptierten, umfassenden nuklearindustriellen Infrastrukturen, die Staaten wie Japan und die Bundesrepublik bis in die 80er Jahre und länger bauten bzw. planten und zu denen auch Urananreicherungsanlagen, Wiederaufbereitungsanlagen mit Plutoniumseparationsfunktion sowie mit HEU betriebene Forschungsreaktoren (z.B. Garching-2) gehörten, sind ein gutes Beispiel dafür, was unter Artikel IV des NVV als zulässig erachtet wird.

[27] Darüber, wie schwerwiegend diese Verletzungen der Informationsverpflichtungen nach INFCIRC 214 waren, lässt sich trefflich streiten. Der Iran meldete z.B. in den 80er Jahren die Einfuhr einer Charge Nuklearmaterials nicht, weil er glaubte, diese sei zu gering, um meldepflichtig zu sein. Als die IAEO ihn darauf hinwies, dass sie den Vorgang als meldepflichtig einstufe, erklärte sich der Iran zur Zusammenarbeit bereit und entschuldigte sein Vorgehen als Verbotsirrtum. Dieser Vorgang zählt zu den belegbaren Vergehen, die dem Iran vorgeworfen werden können. Er zeigt, gerade im Vergleich zu Meldevergehen anderer Staaten aber auch, dass im Fall des Irans ein Interesse besteht, besonders strenge Maßstäbe anzulegen. Manche Verstöße gegen Meldepflichten, die dem Iran häufiger nachgesagt werden, haben im juristischen Sinne keinen Bestand, weil der Iran entweder zum Zeitpunkt der Entdeckung seiner Aktivitäten noch Zeit gehabt hätte, diese zeitgerecht zu melden oder aber eine Meldepflicht nur bestanden hätte, wenn er damals bereits durch das Zusatzprotokoll zum Safeguards-Abkommen gebunden gewesen wäre. Diese schärferen Verpflichtungen gelten aber für den Iran erst seit Dezember 2003.

[28] Dies gilt beispielsweise bezüglich der Herkunft minimaler Spuren hochangereicherten Urans, die IAEO-Inspektoren 2003 im Iran entdeckten. Die Erklärung des Irans, dieses Uran müsse zusammen mit gebrauchten Zentrifugen(teilen) aus dem Lieferland - später wurde klar, dass dies Pakistan war – importiert worden sein, erwies sich als wohl richtig. Allerdings versuchte der Iran zunächst, Pakistan als Lieferanten und die Zusammenarbeit mit dem Khan-Netzwerk aus dem Spiel zu halten.

[29] Hierzu gehören u.a. die Frühgeschichte des Zentrifugenprogramms, Details des iranischen Umgangs mit dem Design der P-2-Zentrifugen, das er bekam, oder die Vorgeschichte der Uranmühle in Gchine sowie Fragen zur Nutzung der Uranvorkommen an diesem Ort. Die IAEO klärt diese Fragen durch technische Untersuchungen, anhand iranischer Dokumente oder aber in Gesprächen mit Beteiligten. Dies kann in Einzelfällen wieder zu neuen, zu klärenden Unstimmigkeiten führen. So hatte ein an Gesprächen beteiligter Iraner der IAEO mitgeteilt, er sei erstmals im Oktober 1994 mit Mittlern aus dem Umfeld Khans zusammengetroffen. Dann stellte sich heraus, dass bereits im Januar 1994 eine erste Teillieferung erfolgt war. Schließlich zeigte sich durch Einsichtnahme in den Reisepass eines Beteiligten, dass die ersten Kontakte 1993 und nicht 1994 stattgefunden hatten.

[30] Neben dieser "öffentlichen" Legitimation des Vorhabens dürften die exzellenten Möglichkeiten zur Bereicherung via Korruption, die mit solchen Großprojekten verbunden waren und bis heute oft sind, das Vorhaben für das Schahregime attraktiv gemacht haben. Die deutlich überhöhten Preise, die damals im Kontext der einzelnen Planungen diskutiert wurden, geben jeden erdenklichen Anlass, von Kickbackzahlungen und ähnlichem auszugehen.

[31] Dieser Partnerschaft müssen aus iranischer Sicht allerdings Grenzen gesetzt werden. Würde sie zu eng, so würde die Rolle der iranischen Geistlichkeit in der schiitischen Welt gefährdet, da im schiitischen Teil des Iraks nicht nur wichtigere schiitische Heiligtümer als im Iran vorzufinden sind, sondern auch höherrangige Ayatollahs, wie z.B. al-Sistani, deren religiöse Rechtsetzung bedeutsamer ist als die jener Religionsgelehrten, die im Iran das Sagen haben. Eine Fatwa al-Sistani’s etwa, die Nuklearwaffenentwicklung oder -forschung für unislamisch erklären würde, könnte die religiöse Führung in Teheran in erhebliche Probleme bringen, wenn sie solche Aktivitäten betreiben würde.

[32] Diese besagt im Kern, dass Israel es nicht dulden wird, dass ein arabisches oder islamisches Land sich Nuklearwaffen zulegt. Israel sei in einem solchen Fall zu präventivem militärischen Handeln wie 1981 gegen den irakischen Reaktor Osirak entschlossen. Die Begin-Doktrin weist zugleich Ambiguitäten auf: Sie lässt z.B. offen, ob für Israel der Beginn des Erwerbs von Nuklearwaffen bereits mit dem Betrieb ziviler Nuklearanlagen wie z.B. von Atomreaktoren beginnt. Dafür spräche das Beispiel Osirak. Dann würde die Begin-Doktrin den Anspruch Israels beinhalten, allen arabischen und islamischen Staaten auch die zivile Nutzung der Nuklearenergie militärisch zu verwehren. Zum anderen zeigt das Beispiel Pakistan, dass Israel auf dieses Land die Begin-Doktrin nicht anwenden wollte oder konnte. Dies gilt unabhängig davon, ob Berichte bzw. Gerüchte wahr sind, dass Israel 1981 auch Pläne für einen Angriff auf die pakistanischen Nuklearanlagen geprüft hat.

[33] Der Begriff EU wird hier der Einfachheit halber benutzt. Er steht für die Außenministerien der EU-Mitglieder Deutschland, Frankreich und Großbritannien sowie den Hohen Vertreter der GASP, Javier Solana, die das Verhandlungsteam bilden.

[34] Die unterschiedlichen Bezeichnungen "objektive Garantien", "feste Garantien" etc. führten zu einem heftigen Konflikt, als der Iran feststellte, dass diese Begrifflichkeiten mit Bedacht gewählt waren und einen unterschiedlichen Verpflichtungsgrad insinuieren sollten. Die EU erwartete "objektive Garantien" z.B. in völkerrechtlich verbindlicher Form und offerierte "feste Garantien" in Form politisch bindender Erklärungen.

[35] Zwischen dieser Interpretation und der iranischen Haltung, bis Ende Juli müsse eine verhandlungsfähige Grundlage für ein Langzeitabkommen vorliegen, kann durchaus ein Zusammenhang bestehen. Der Iran weiß zwar, dass Washington nicht am Verhandlungstisch sitzen will, verhält sich aber so, als säßen die USA mit am Tisch.

[36] Unabhängig von der westlichen Bewertung, dass diese Vorschläge unzureichend waren, muss festgehalten werden, dass sie einen – aus iranischer Sicht konstruktiven – Vorschlag zur objektiven Verbesserung der Proliferationsresistenz der zivilen Nutzung der Kernenergie im Iran darstellten.

[37] Die Pariser Vereinbarung wird durch dieses Vorgehen von der EU in die Nähe einer völkerrechtlichen Vereinbarung im Sinne eines Vertrages gerückt, den man brechen kann. Diese gewagte Auffassung scheint IAEO-Ge-neralsekretär al-Baradei nicht zu teilen.

[38] Der EU-Vorschlag sieht nicht vor, dass sich der Iran aus seiner finanziellen Beteiligung an der französischen Urananreicherungsanlage Eurodif zurückziehen soll, die seit der Schahzeit bestand.

[39] Die Formulierungen lassen zunächst nicht ganz deutlich werden, ob hier ein langfristiger aber endlicher oder ein dauerhafter unendlicher Verzicht gemeint ist. Lediglich über andere Vorschläge – wie jene zur Umwidmung der Nuklearanlagen – wird indirekt deutlich, dass es eher um einen Verzicht ohne Zeitbegrenzung geht.

[40] Dies in einem nationalen Gesetz festzuschreiben, wäre für den Iran vielleicht noch möglich.

[41] Die Sicherheitsgarantie in dem Vorschlag der E3/EU lautet: "Within the context of an overall agreement and Iran’s fulfilment of its obligations under the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT), the United Kingdom and France would be prepared to reaffirm to Iran the unilateral security assurances given on 6 April 1995, and referred to in United Nations Security Council Resolution 984 (1995). Specifically:

  1. the United Kingdom and the French Republic would reaffirm to Iran that they will not use nuclear weapons against non-nuclear weapon States Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons except in the case of an invasion or any attack on them, their dependent territories, their armed forces or other troops, their allies or on a State towards which they have a security commitment, carried out or sustained by such a non-nuclear weapon State in association or alliance with a nuclear-weapon State; and
  2. the United Kingdom and the French Republic would recall and reaffirm their intention, as Permanent Members of the Security Council, to seek immediate Security Council action to provide assistance, in accordance with the Charter, to any non-nuclear weapon State, party to Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, that is a victim of an act of aggression or an object of a threat of aggression in which nuclear weapons are used." (pp.5-6)

Zum Vergleich: Der Wortlaut der sogenannten Negativen Sicherheitsgarantie im NVV-Kontext lautet im Fall der USA: “The United States affirms that it will not use nuclear weapons against non-nuclear weapon States Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons except in the case of an invasion or any attack on the United States, its territories, its armed forces or other troops, its allies, or on a State toward which it has a security commitment, carried out or sustained by such a non-nuclear weapon State in association or alliance with a nuclear-weapon State.”

[42] Teheran ist sich dabei sicher der Problematik bewusst, dass die Europäer keine Sicherheitsgarantie im Namen der USA oder Israels abgeben können. Dieses Problem könnte lediglich durch parallel zu einem Langzeitabkommen abzugebende politisch oder juristisch verbindliche Erklärungen der USA und Israels gelöst werden.

[43] Obwohl Deutschland mittlerweile den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen hat, treten bis heute Fälle auf, in denen es auf Nutzung seiner vollen Rechte zur zivilen Nutzung der Atomenergie besteht. Trotz intensivster Bitten der USA, den Forschungsreaktor Garching 2 nicht mit HEU zu betreiben, ging dieser 2003 zumindest zunächst mit HEU in Betrieb.

[44] Die Wortwahl lehnt sich explizit an die Begründung für Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta an, das militärische Maßnahmen als Option einschließt.

[45] Das Gesetz wurde am 20. November 2006 mit 183 von 197 Stimmen im iranischen Parlament verabschiedet.

[46] Es macht aus iranischer Sicht eigentlich sachlich keinen großen Sinn, verunreinigtes Uranhexafluorid herzustellen, das für die Anreicherung untauglich ist. Trotzdem unternahm der Iran genau diesen Schritt im Ende Juli 2005. Dabei ging es Teheran vor allem um die politische und psychologische Wirkung, die wiederum primär innenpolitisch eintritt: So, wie es für die EU-Unterhändler wichtig scheint, sich vom Iran nicht vorführen zu lassen, ist es innenpolitisch gerade für die neue iranische Führung von großem Wert zu signalisieren, dass man sich nicht erpressen lässt.

[47] Zwei Elemente machen das deutlich: Zum einen verabschiedete sich der Gouverneursrat von der Tradition einstimmiger Beschlüsse. Dies schwächt ihn für die Zukunft, zumal die Motive für diesen Abschied politischer und nicht sachlicher Natur waren. Zum anderen wird damit deutlich, dass Vorwürfe, die Arbeit der IAEO werde durch Mitgliedstaaten gelegentlich politisiert oder politisch instrumentalisiert, nicht von der Hand zu weisen sind. Auch das schadet der multilateralen Institution IAEO. Schließlich liefe die IAEO erneut Gefahr, einen ungeklärten, unabgeschlossenen Fall zu hinterlassen.

[48] Der Fall Nordkorea liegt dem Sicherheitsrat seit Jahren vor, ohne dass viel passiert. Der Fall Irak zeigte, dass die USA bis zu einem seitens der VN nicht legitimierten Waffengang eskalationsbereit waren.

[49] Für die Europäer, die ihr Scheitern auf dem Verhandlungswege eingestehen mussten, würde es dann sehr viel schwerer als im Fall Irak sein, für den Verhandlungsweg als Alternative zu einem militärischen Vorgehen zu argumentieren.

[50] Wäre Washington der Auffassung, dass der NVV und die bisherigen Exportregime nicht mehr den nationalen Interessen der USA und den Proliferationsrisiken der Zukunft gerecht werden, so könnte den USA daran gelegen sein, den "Fall Iran" zu nutzen, um den Glauben an die Wirksamkeit des NVV’s und seiner Begleitregime auszuhöhlen. Mittelfristiges Ziel wäre es dann, an deren Stelle ein neues, eher COCOM-artiges Regime zu etablieren. Gestaltet würde ein solches Regime unter Führung der USA von den Staaten, die über entsprechende Technologien bereits verfügen. Sie könnten autonom festlegen, wer bestimmte Technologien besitzen darf und wer nicht. Sie könnten eigenständig entscheiden, wer unter ein Embargo fallen soll. Ausgeschlossen ist dies nicht. Schon während der ersten Amtszeit Bushs vertraten hochrangige Administrationsmitglieder im Rahmen der Debatte über die "limits of sovereignty" die These, dass die multilateralen Regime und Institutionen aus Zeiten des Kalten Krieges in der Pflicht stünden, ihre Anpassungsfähigkeit an die Herausforderungen der Zukunft unter Beweis zu stellen. Diese Anpassung sei Aufgabe der Weltgemeinschaft, nicht aber der USA. Sollte dieser die Anpassung nicht gelingen, seien die USA gezwungen, über konkurrierende Regime neuen Typs nachzudenken. Dass ein solches Denken auch dieser Tage in der Regierung Bush virulent ist, zeigte sich nicht zuletzt während der Überprüfungskonferenz für den NVV im Mai 2005. Sie endete u.a. deshalb ergebnislos, weil sich Washington darauf zurückzog zu sagen, was es nicht wollte. Wäre dem so, so wäre es ein entscheidender, weiterer Schritt zu einer Deregulierung der internationalen Beziehungen, die auf eine Stärkung des Rechts des Stärkeren und eine Entrechtlichung der internationalen Beziehungen setzt.

[51] Non-compliance im Sinne des Safeguards-Abkommens erfordert eigentlich das Abzweigen oder Unsicherheit hinsichtlich des Abzweigens nuklearen Materials für militärische Zwecke. Beides konnte dem Iran nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil, die IAEO hat festgestellt, dass kein "Abzweigen" stattgefunden hat.

[52] Robert Jervais leistete 1976 mit seinem Buch "Perception and Misperception in International Relations" einen höchst interessanten Beitrag zur Analyse internationaler Beziehungen. Eine Jervais kritisch weiterdenkende und -führende Anwendung seiner Überlegungen auf jene Konflikte, in denen sich heute zeigt, dass "der Westen" große Probleme hat, gewachsene kulturelle, wertorientierte und gesellschaftliche Strukturen in anderen Weltregionen auch nur korrekt wahrzunehmen, könnte sich als äußerst hilfreich erweisen. Jenseits des tagespolitischen Zwangs, die eigene Vorgehensweise öffentlich positiv zu würdigen, könnte ein solcher Forschungsansatz viel dazu beitragen, in Konflikten erfolgreicher und im Blick auf örtliche Gegebenheiten (kultur)adäquater zu agieren – ganz gleich, ob auf dem Balkan, im Mittleren Osten, in Afghanistan oder in Südostasien.

[53] Mit der iranischen Revolution war in der schiitischen Welt seit ihren Anfangsjahren die Hoffnung verbunden, dass nun die Errichtung der Ummah beginne, eines islamisch geprägten, gottesfürchtigen Staates, der letztlich globale Bedeutung bekommen werde. Dies prägte von Anbeginn an das Verhältnis von politischen Entscheidungen und religiöser Legitimation, ähnlich wie das islamische Recht, die Scharia, tief in das staatliche Recht hineinwirkt. Für politische Entscheidungen auf Parlaments- und Regierungsebene bedeutet dies: Entscheidungen können zwar durch die zuständigen staatlichen Gremien beschlossen werden. Zur Umsetzung bedarf es aber oft zusätzlich der religiösen Legitimation. Die islamische Geistlichkeit ist in beiden Entscheidungsstrukturen einflussreich und besitzt zugleich ein Monopol bei der letztlich wichtigeren religiösen Legitimation. Auf das iranische Atomprogramm praktisch angewendet bedeutet dies: Selbst wenn das iranische Militär ein militärisches Atomprogramm wollte, die höchsten religiösen Autoritäten aber z.B. in einer Fatwah urteilen würden, dass der Bau, Besitz oder die Anwendung einer Nuklearwaffe "unislamisch" ist, so wäre mit einer praktischen Umsetzung der staatlichen Entscheidung nicht zu rechnen. Eine religiöse Rechfertigung ist erforderlich.

[54] Ob im Nahen und Mittleren Osten oder auf den Balkan: Wo immer die westlichen Demokratien in den vergangenen 15 Jahren politische Lösungen in Konflikten mit von Familienclans gekennzeichneten Gesellschaften suchen mussten, ist es ihnen bislang nicht oder nur ungenügend gelungen, für diese Gesellschaften und deren tradierte Rechts- und Moralvorstellungen akzeptable, dauerhaft tragfähige Lösungen zu finden. Die Hoffnung, solche Gesellschaften binnen weniger Jahre "an die Neuzeit heranführen zu können", hat sich immer wieder als trügerisch erwiesen. Zumeist gelang nicht mehr, als Konflikte "einzufrieren".

[55] Es könnte sehr konstruktiv sein, wenn Russland und die EU hier gemeinsame Vorstellungen und Vorschläge entwickeln würden. Die EU brächte gute Voraussetzungen mit, diese Vorschläge Richtung Washington und Jerusalem zu vermitteln; Moskau könnte diese Aufgabe Richtung Peking übernehmen. Moskau und Peking schließlich könnten den Iran in der Shanghai Cooperation Organization, der Iran als Beobachter angehört, um Zustimmung zu offerierten Lösungen bitten. Dies impliziert Gesichtswahrung, da kein Einknicken gegenüber dem Westen erforderlich ist.

[56] Dieser Beitrag befasst sich praktisch ausschließlich mit den sicherheitspolitischen Aspekten eines Lösungsansatzes; Aspekte des Technologietransfers und wirtschaftlicher Kooperationsangebote werden nicht behandelt, obwohl sie Teil eines Gesamtvorschlages sein müssten.

[57] Die USA brachten 1974 die Option regionaler Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen ins Spiel. Damals bestand ihre Sorge vor allem darin, dass der Iran auf der Möglichkeit des Betriebs einer nationalen Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Brennelemente insistieren würde.

[58] Diskussionen über multilaterale Brennstoffzyklus-Anlagen nehmen oft positiv Bezug auf das existierende Beispiel einer multilateralen Urananreicherung, Urenco, eine britisch-deutsch-niederländische Firma. Urenco arbeitet mit Produktionsanlagen in allen drei beteiligten Nationen. Wollte man dieses Modell der Multilateralisierung auf den Fall Iran übertragen, so müsste dem Iran eine Urananreicherungsanlage auf eigenem Territorium zugestanden werden. Würden die vorliegenden iranischen und russischen Ideen zur Multilateralisierung der Urananreicherung zu einem gemeinsamen bilateralen Vorschlag mit zwei Anlagen in beiden Ländern integriert, so wäre das Ergebnis dem Urenco-Beispiel ähnlich. Ein solcher Vorschlag hat angesichts der westlichen Verhandlungspositionen aber wenig Aussicht auf Akzeptanz. Insofern ergibt sich eine gewisse Bringeschuld des Westens hinsichtlich einer besseren Option.

[59] Als weiterer Nutzstaat käme beispielsweise Nordkorea in Betracht, wenn für dessen Nuklearprogramm eine politische Lösung gefunden werden kann.

[60] Dies wird, da die Kernenergie in sich entwickelnden Ländern weiterhin als zukunftsträchtige Hochtechnologie und damit als Statussymbol gilt, voraussichtlich trotz aller guten Argumente für alternative Pfade zugunsten der Nutzung regenerativer Energien wohl leider der Fall sein. Bisher ist es auch nicht gelungen, die Kernenergie als "alte bzw. veraltende und endliche Energie" zu brandmarken und aufzuzeigen, dass Hochtechnologie heute im Feld der regenerativen Energien praktiziert wird. Natürlich wäre es weit besser, eine Lösung zu finden, die ganz auf die Nutzung der Kernenergie verzichtet.

[61] Die Angaben zu Technik und Leistungsfähigkeit der iranischen Raketen variieren stark; dies liegt zum einen an einem Mangel an verlässlichen Daten, zum anderen aber auch an einer Vielzahl von Informationen, die offensichtlich interessensgeleitet gestreut werden. Israelische Quellen sahen Israel verständlicherweise deutlich früher innerhalb der Reichweite iranischer Raketen als z.B. europäische. Quellen aus dem Umfeld jener Kreise, die einen Militärschlag gegen den Iran befürworten, sehen Europa bereits heute teilweise in der Reichweite iranischer Shahab-3, da sie diese bei 2.500km ansetzen; solche Quellen warnen auch deutlich früher vor iranischen Raketen mit ausreichender Reichweite, z.B. London zu treffen (4.000km).

[62] Ein wesentlicher Sprung hin zu größeren Reichweiten würde dem Iran gelingen, wenn er erfolgreich mehrstufige Raketen bauen könnte. Dazu muss die Technik des Abtrennens der ersten und des Zündens der zweiten Antriebsstufe beherrscht werden. Nimmt man an, dass der Iran im Wesentlichen auf nordkoreanischer Technik aufsetzt, dann käme dies dem Übergang von der Klasse der Nodong-Raketen zu jener der Taep’o Dong – Flugkörper gleich. Nordkorea scheint bis heute den Einsatz mehrstufiger Raketen technisch nicht vollständig zu beherrschen. Dem Iran werden auf der Gerüchteebene allerdings diesbezüglich größere Fähigkeiten nachgesagt.

[63] Die Marschflugkörper gehörten ursprünglich zur Bewaffnung sowjetischer Langstreckenbomber, die in der Ukraine stationiert waren. Alireza Jafarzadeh, Strategic Policy Consulting Inc, aus dem Umfeld der Volksmujahedin, verbreitet seit Sommer 2005, dem Iran sei es gelungen, diese Flugkörper nachzubauen und er produziere diese nun bereits in Serie. Für diese Behauptung gibt es keine unabhängige Bestätigung. Es darf als zweifelhaft gelten, dass dem Iran binnen nur vier Jahren ein vollständiges Reversed Engineering einschließlich des Aufbaus einer signifikante Technologieimporte erforderlich machenden Produktionsinfrastruktur gelungen sein sollte. Da der Iran bestreitet, dass iranische Staatsorgane oder Firmen die Marschflugkörper aus der Ukraine offiziell bekommen und eingeführt haben, eignet sich die Thematik hervorragend, um mit Verdächtigungen Politik zu machen.

[64] Diese Art der Begrenzung ist leichter zu verifizieren als eine Begrenzung auf eine bestimmte Reichweite in Kilometern. Letzteres, das hat der Konflikt um die Reichweite einzelner irakischer Raketentypen gezeigt, kann leicht zu einem komplizierten, Streit verursachenden Vorgang werden. Allerdings würde ein solcher Schritt auch ein Entgegenkommen an den Iran erforderlich machen: Diesem müsste ein preislich akzeptabler Zugang zu Satellitentransportkapazitäten garantiert werden.

[65] Überlegungen, Israel positive und dem Iran sowie anderen Staaten der Region negative Sicherheitsgarantien zu geben, um eine stabile regionale Sicherheitsarchitektur zu ermöglichen, verdienen m.E. nach vertieftes Nachdenken.

 

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