Das Atomprogramm des Irans
Nachdenken über Rahmenbedingungen einer politischen Lösung
Inhaltsverzeichnis:
9. Zukunftsoptionen
Bislang haben die Verhandlungen der EU mit dem Iran nicht zum Erfolg geführt. Der Iran
lässt nicht einmal den Eindruck "halber" Erfolge zu, z.B. den eines
Zeitgewinnes. Er verhandelt mit großem Selbstbewusstsein und aus einer gewissen Position
der Stärke heraus. Er signalisiert, dass er den Zeitplan bestimmt, das Heft des Handelns
in der Hand hält und sich zudem im Recht fühlt. Es bewertet seinen Handlungsspielraum
als ausreichend groß, um sich nicht zu einer von außen vorgegebenen Lösung pressen
lassen zu müssen.
Die Unterhändler der EU haben dem Iran von Anbeginn an zugestehen müssen, dass ein
Verzicht auf einen geschlossenen Brennstoffzyklus oder auf wichtige Teile eines solchen
Zyklus immer freiwilliger Natur wären. Rechtlich gesehen können sie den Iran dazu nicht
zwingen. Sie haben aber trotzdem das Maximum vom Iran gefordert, einen international
vertraglich vereinbarten, rechtlich verbindlichen aber freiwilligen Verzicht. Dazu war und
wird der Iran sich nicht bereit erklären.
Was also nun? Zwei sehr unterschiedliche Szenarien mit Variationen sind denkbar. Die
EU-Staaten bleiben bei ihrer harten Haltung und erklären die Verhandlungen mit dem Iran
über kurz oder lang für gescheitert. Sie bereiten eine Resolution für den
Gouverneursrat vor, mit der der Fall an den UN-Sicherheitsrat abgegeben würde. Ein Motiv
für ein solches Vorgehen wäre es, dem Iran zu zeigen, dass die EU ihre Drohungen wahr
macht. Dies soll den Druck auf den Iran erhöhen. Die EU glaubt, diese Eskalation
vertreten zu können, da im UN-Sicherheitsrat angesichts der Positionen Chinas und
Russlands kein Beschluss zu harten Maßnahmen erfolgen würde. Mit welcher Reaktion des
Irans wäre zu rechnen? Der Iran würde auf eine solche harte Linie wie bisher ebenfalls
mit Härte reagieren und von Anfang an demonstrieren, dass er das Heft des Handelns weiter
in der Hand hält. Er würde seine Nuklearaktivitäten schrittweise wieder ausweiten,
unabhängig davon, ob ihn dies in der Sache voranbringt.[46] Die Wiederaufnahme der freiwillig eingestellten
Forschungsarbeiten zu Nuklearbrennstoffen, die Wiedereröffnung geschlossener
Forschungslabore oder die Wiederaufnahme der Produktion von Zentrifugen stellen solch
begrenzte Möglichkeiten dar. Hinzu die Wiederaufnahme der Anreicherungsaktivitäten.
Käme es zu einer Resolution, die den Streit vor den UN-Sicherheitsrat bringt, würde der
Iran zudem wie angekündigt seine Unterschrift unter das Zusatzprotokoll zur
Safeguard-Vereinbarung mit der IAEO zurückziehen und so der IAEO wesentliche
Möglichkeiten zur Überprüfung und Bewertung des iranischen Atomprogramms nehmen. Er
würde sich damit aber auch der Möglichkeit begeben, von der IAEO ein "sauberes
Zeugnis" ausgestellt zu bekommen. Die "Schuld" für das Scheitern der
Gespräche würde der Iran der EU zuweisen, die kompromisslos darauf bestanden habe, den
Iran völkerrechtlich zu singularisieren und zu einem einseitigen Souveränitätsverzicht
zu bewegen. Der Iran wird seine Wahl sorgfältig und mit dem Ziel einer Nadelstichwirkung
treffen und sich weitere Eskalationsmöglichkeiten in der Hinterhand halten. Mit den
harten Elementen seiner Haltung will er einen innenpolitischen Gesichtsverlust vermeiden,
mit den kooperativen wie z.B. einer Erklärung seiner Bereitschaft zu Diskussionen
mit Vermittlern, die weniger einseitig als die EU agieren, wird er Isolationsversuchen
entgegenzuwirken suchen.
Im Ergebnis stehen sich dann alle Beteiligten weiter in ihren Grundpositionen
gegenüber, die Intensität des Konfliktes aber hat sich nochmals verschärft. Für einen
erneuten Verhandlungsanlauf gibt es neue Hürden, ohne dass alte entfallen wären.
Politisch geschwächt durch den bisherigen Konfliktverlauf wäre vor allem die IAEO als
multilaterales Instrument.[47]
Mit der Befassung des Sicherheitsrates erreicht der Konflikt zudem möglicherweise eine
neue Ebene, die neue Eskalationsmöglichkeiten beinhalten kann aber nicht muss. Hier
müsste sich zeigen, ob die USA den Fall Iran eher wie den Fall Irak oder wie den Fall
Nordkorea angehen wollen.[48]
Sollten die USA sich zu einem Vorgehen wie im Fall Irak entscheiden, so wäre damit sicher
die Bereitschaft verbunden, notfalls auch ohne Mandat der UNO mit einer Koalition der
Willigen Krieg zu führen.[49]
Denkbar, wenn auch unwahrscheinlicher ist ein anderes Szenario: Trotz der diffizilen
Lage: Die EU-Staaten gehen davon aus, dass eine Verhandlungslösung weiterhin
alternativlos ist. Auch für den Iran bleibt die Suche nach einer Verhandlungslösung
Priorität. Eine Überweisung der Problematik an den UN-Sicherheitsrat liegt nicht im
Interesse des Irans, auch wenn Teheran wegen der ablehnenden Haltung der Vetomächte China
und Russland dort nicht sofort ernsthaft mit einer Verurteilung bzw. Sanktionen rechnen
müsste.
Die EU und der Iran warten deshalb auf Gelegenheiten, ohne eigenen Gesichtsverlust
Verhandlungen auf deutlich veränderter Grundlage zu führen. Anlass oder Ausgangspunkt
für eine solche Chance können derzeit nicht genau benannt werden, wohl aber eine Reihe
potentieller Ansatzpunkte:
- Würde die EU ihren Verhandlungsansatz auf Basis ihrer eigenen Strategie zur Bekämpfung
der Proliferation von Massenvernichtungswaffen neu überdenken und die Meßlatte dessen,
was es in den Gesprächen mit dem Iran zu erreichen gilt, an den Zwischenergebnissen der
6-Nationen-Gespräche hinsichtlich des nord-koreanischen Atomprogramms ausrichten, so
wäre eine Lösung leichter zu entwickeln, als dies angesichts der derzeitigen
"Erfolgskriterien" der Fall ist. Politisch muss der EU ein solcher Ansatz
möglich sein, da die Vereinigten Staaten den Kompromiss in Sachen Nordkorea mittragen.
- Auch der Iran kann die Initiative ergreifen und eigene, inhaltliche Vorschläge für ein
Langzeitabkommen mit der EU vorlegen und gegebenenfalls vorschlagen, den Kreis der
Unterhändler zu erweitern, da er die EU-Unterhändler bislang als zu einseitig an der
U.S.-Position orientiert wahrnahm. Ein solcher Vorschlag müsste mit kooperativen
Angeboten, z.B. einer erneuten Aussetzung der Uran-Konversion einhergehen. Die neue,
konservative Regierung des Irans kann zu dem Schluss kommen, dass sie größeren
politischen Spielraum hat als ihre Vorgängerin. Sie steht innenpolitisch nicht in dem
Verdacht, leichtfertig iranische Interessen aufs Spiel zu setzen. Beide Seiten wahren ihr
Gesicht und nehmen eine neue Verhandlungsrunde in Angriff.
- Konstruktiv könnte auch eine politisch-konstruktive Intervention Dritter sein, die die
EU und den Iran daran erinnern, dass dem Umgang mit dem "Fall Iran" eine
Leitfunktion im Blick auf die Entwicklung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes der
Zukunft zukommt. Der Iran und die EU müssen sich also der Verantwortung bewusst sein, die
sie dafür tragen, ob ein solches Regime künftig auf der Durchsetzung des Rechts des
Stärkeren oder aber auf der Basis einer Stärkung des internationalen Rechts entwickelt
wird.[50] Der Iran und die EU
müssen eigentlich an einer Lösung im Rahmen des kooperativen Multilateralismus
interessiert sein, nicht aber an Lösungen, die den Unilateralismus stärken.
10. Rahmenbedingungen einer politischen Lösung
Wie könnte eine ernsthafte Verhandlungslösung aussehen? Und wie kann man zu einer
solchen Lösung kommen? Einige Voraussetzungen für eine Verhandlungsstrategie, die zu
einer politischen Lösung führen kann, können benannt werden. Eine Strategie, die Erfolg
haben will, müsste
- anerkennen, dass der Iran das Recht zur zivilen Nutzung der Nuklearenergie in vollem
Umfang hat und deswegen auch das Recht zum Aufbau eines vollständigen Brennstoffzyklus
hätte;
- in Betracht ziehen, dass dem Iran bislang keine so schwerwiegenden Verstöße gegen
seine Verpflichtungen aus dem NVV und gegenüber der IAEO nachgewiesen werden konnten,
dass ihn dies kurzfristig in die Nähe der Verfügung über Atomwaffen gebracht hätten;
alle nachgewiesen Verstöße sind im Prinzip nachträglich "heilbar" bzw.
bereits "geheilt";[51]
- anerkennen, dass gegenüber dem Iran bislang auch von europäischer Seite
strengere Maßstäbe angelegt worden sind als gegenüber manch anderem Staat, dem in der
Vergangenheit Verfehlungen im Kontext des Nichtverbreitungsregimes nachgewiesen werden
konnten;
- akzeptieren, dass der Iran keinerlei Diskriminierung im Vergleich zu anderen Staaten
hinnehmen wird; dies schließt vor allem jedwede völkerrechtlich relevante
Singularisierung aus; Vorschläge mit diskriminierendem oder singularisierendem Charakter
können nicht Teil eines Lösungsansatzes sein;
- die Rolle des Irans als Regionalmacht anerkennen und dessen Sicherheitsprobleme und
Bedrohungsperzeptionen ernstnehmen sowie die Bereitschaft erkennen lassen, diese Probleme
aktiv mit zu lösen;
- die bisher geäußerten Sach-Positionen des Irans ernstnehmen;
- sich daran erinnern, dass Konflikte im Nahen und Mittleren Osten oft völlig anders
verlaufen, ausgetragen, gemanagt, eskaliert und gelöst werden, sodass es zwischen
Konfliktparteien aus der Region und solchen aus dem christlich-abendländischen
Kulturkreis zu ganz anderen positionellen Perzeptionen und Fehlperzeptionen[52] kommen kann, als wenn alle
Konfliktparteien aus derselben Region bzw. auf Basis desselben kulturellen Hintergrundes
agieren würden;
- sich daran erinnern, dass im Nahen und Mittleren Osten potentielle Lösungen für
aktuelle Einzelprobleme oft als wertlos erachtet werden, solange nicht zugleich die große
langfristige Lösung für die strategischen Sicherheitsprobleme der Region offeriert wird
und umgekehrt langfristige Lösungsideen abgelehnt werden, weil sie keine Antwort auf
viele kleine aktuelle Probleme bieten es entsteht also schnell eine Catch
22-Situation;
- beachten, dass im Nahen und Mittleren Osten eine lange Tradition der Verweigerung von
Konfliktlösungen existiert, da Kompromisse und Win-Win-Lösungen westlicher Art
ungewohnte Konfliktbeendigungsmuster sind;
- sich daran erinnern, dass die Beziehungen der Verhandelnden und deren Vertrauen
zueinander von wesentlich größerer Bedeutung für einen positiven Gesprächsabschluss
sind als bei Verhandlungen zwischen westlichen Verhandlungspartnern; dazu gehört auch,
dass stark darauf geachtet wird, dass alle Akteure zwecks Vertrauensbildung etwa
gleichzeitige und gleichgewichtige Schritte unternehmen;
- beachten, dass im Iran neben der offiziellen Machtstruktur aus Politik und Klerus[53] traditionell Familienclans[54] eine wichtige machtpolitische
Rolle spielen und über deren große Rolle in den religiösen Stiftungen auch einen
enormen finanziellen und wirtschaftlichen Einfluss haben.
11. Erste Elemente für die Diskussion über einen Lösungsansatz
Die iranische Regierung betont, dass sie die Kernenergie ausschließlich zivil nutzen
will. Wenn sie selbst keine militärischen Nutzungsabsichten hegt, dann müsste es im
Interesse des Irans liegen, einen eigenständigen, konstruktiven Beitrag dazu zu leisten,
dass Staaten künftig aus dem NVV- und IAEO-Regime nicht mehr so "leicht"
ausbrechen können, wie dies im Falle Israels, Pakistans oder Nordkoreas der Fall war. Der
Iran gehört angesichts der israelischen und pakistanischen Bombe zu jenen
Staaten, die aus eigener Anschauung wissen, was es heißt, sich in einer regionalen
Konkurrenz der Bedrohung durch Nuklearwaffenpotentiale möglicher Kontrahenten ausgesetzt
zu wissen. Er müsste deshalb daran interessiert sein, dass erstens keine weiteren
Nuklearwaffenpotentiale entstehen, die sich für ihn zu einem Sicherheitsrisiko entwickeln
können. Zweitens müsste er ein Interesse daran haben, dass Nuklearwaffenpotentiale, die
er als Bedrohung wahrnimmt, wieder abgebaut werden. Und schließlich müsste es im
Interesse Teherans liegen, selber gestaltend auf Form und Wirkungsweise eines künftigen
Nichtverbreitungsregimes einzuwirken. Bei diesen Interessenslagen kann die Suche nach
akzeptablen Lösungen ansetzen im Iran und seitens der Verhandlungspartner des
Irans.[55]
Der Iran als Regionalmacht muss darüber hinaus ein Interesse haben, gestaltend am
Entstehen einer sicherheitspolitischen Regionalstruktur mitzuarbeiten, die dazu beiträgt
seine Interessen zu implementieren. Auch das könnte ein Ausgangspunkt für
erfolgversprechende Verhandlungen mit und reizvolle Angebote an Teheran sein.
Die EU sollte dem Iran ihre volle Unterstützung zusagen, ihn ermutigen, bei der
Entwicklung entsprechender Ideen und Konzepte eine Führungsrolle zu übernehmen und u.a.
zu prüfen, ob die folgenden vier inhaltlichen Initiativen[56] konstruktiv zu einem Lösungsansatz beitragen könnten:
- eine Initiative zur Multilateralisierung der proliferationsrelevanten
Kernbrennstoff-Anlagen
- eine Initiative zur Begrenzung weitreichender Trägersysteme in der Region
- eine Initiative, um eine Atom- oder Massenvernichtungswaffenfreie Zone einzurichten,
sowie
- eine Initiative zum Aufbau eines regionalen Systems kollektiver und kooperativer
sicherheitspolitischer Zusammenarbeit
Diese Elemente sollten, wenn möglich, parallel und gleichzeitig verfolgt werden. Auf
diesem Wege könnte man die Gefahr reduzieren, dass unterschiedliche Auffassungen der
regionalen Akteure hinsichtlich der Priorität kurz- und langfristiger, taktischer und
strategischer Lösungselemente immer wieder neue, scheinbar ausweglose Situationen
hervorrufen.
11.1. Ansätze zu einer Multilateralisierung des Brennstoffzyklus
Eine alte Idee der USA aufgreifend[57] wirbt der Generalsekretär der IAEO, al Baradei, seit
geraumer Zeit dafür, dass die Urananreicherung künftig nur noch in multinationalen, von
der IAEO kontrollierten Anlagen betrieben werden sollte. Der Vorteil dieses Vorschlags
liegt auf der Hand: Multinationale Anlagen erhöhen die Proliferationsresistenz. Da
mehrere Staaten eine solche Anlage gemeinsam betreiben und diese zusätzlich von der IAEO
kontrolliert wird, wird das "Abzweigen" von Nuklearmaterial ebenso deutlich
erschwert wie eine ungewöhnlich hohe Anreicherung des Urans. Dieser Gedanke wurde von
einem Expertenteam für die IAEO weiterentwickelt, das al Baradei im Februar dieses Jahres
seinen Bericht vorgelegte.
Nicht nur die Anreicherung, sondern auch die Konversion des Urans zu Uranhexafluorid
oder die Herstellung von Brennelementen könnte vom Grundsatz her in
multinationalen Anlagen geschehen. Dies gilt auch für die Verarbeitung abgebrannter
Brennelemente bzw. eine proliferationsresistentere Konditionierung atomaren Mülls für
die Endlagerung. Lediglich die Gewinnung von Natururan aus nationalen Vorkommen, der
Betrieb stromerzeugender Reaktoren und die Endlagerung atomaren Mülls müssten in
nationaler Verantwortung bleiben.
Der Iran hat ein Interesse an multinationalen Brennstoffanlagen im Grundsatz
signalisiert, als er im Rahmen des Pariser Abkommens mit den EU-Staaten einer Einladung
durch den IAEO-Generalsekretär zustimmte, in der o.g. Expertengruppe mitzuwirken. Teheran
bot später an, andere Staaten an der Urananreicherung im Iran teilnehmen zu lassen, und
hat den russischen Vorschlag einer gemeinsamen, bilateralen Urananreicherung in Russland
bislang vor allem deshalb zurückgewiesen, weil dieser an einen Verzicht des Irans auf die
Urananreicherung im Iran gekoppelt sein sollte, also eine Singularisierung des Irans
implizierte. Ergänzend zu einer Anlage im Iran sei der russische Vorschlag dagegen
diskutabel, befand Teheran.[58]
Will man keine Lösung akzeptieren, die Brennstoffanlagen im Iran implizieren, so muss
dafür gesorgt werden, dass der Iran durch Alternativlösungen nicht diskriminiert bzw.
singularisiert wird. Dazu wäre es nötig, dass multinationale Anlagen des
Brennstoffkreislaufes außerhalb des Territoriums aller potentiellen Nutzerstaaten
betrieben und den Bedarf mehrere Staaten decken würden.[59] Vorstellbar wäre, dass sie von Technikern der
Nutzerstaaten und/oder Angestellten der IAEO betrieben und gemanagt werden. Unter
Verantwortung der IAEO könnte dafür Technologie aus den Nutzerländern oder aber auch
die weltweit sicherste und modernste verfügbare Technologie zum Einsatz kommen. Der IAEO
unterläge die Überwachung der Anlagen gemäß der strengstmöglichen Regeln im Rahmen
bestehender Safeguards-Vereinbarungen. Für verbesserte Safeguard-Konzepte stünde der
IAEO zudem dann ein eigenes Testumfeld zur Verfügung. Den äußeren Schutz solcher
Anlagen könnten UN-Truppen gewährleisten. Auch der Transport von nuklearen Materialien
zwischen den Nutzerstaaten und den multinationalen Anlagen kann auf multinationaler Ebene
organisiert werden. All dies würde die Proliferationsresistenz erhöhen und die
Möglichkeit nationaler Alleingänge verringern.
Es wäre also zu prüfen, ob ein "neutraler" Anlagenstandort zur Lösung des
Problems gefunden werden kann. Wahrscheinlich wäre eine Insel im südlichen Indischen
Ozean am besten geeignet. Sie wäre sowohl von Südostasien als auch von Südwestasien,
aber auch von Afrika her gut zu erreichen und aufgrund ihrer Abgelegenheit auch relativ
leicht zu sichern. Großbritannien (als Eigentümer) und die Vereinigten Staaten (als
Hauptnutzer) sollten in diesem Kontext prüfen, ob der heutige Militärstützpunkt Diego
Garcia die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen könnte. Die Umwidmung der Nutzung
dieser Insel mit ihrer entwickelten Infrastruktur könnte in der Region von vielen Staaten
zudem als vertrauensbildende Maßnahme und Beitrag zur regionalen Sicherheit positiv
aufgenommen werden. Großbritannien und die USA würden damit zugleich signalisieren, dass
auch sie zu einem Beitrag zur Lösung der regionalen Probleme bereit sind.
Da in den kommenden Jahrzehnten bei wachsendem Strom- und Energiebedarf gerade in
großen Teilen Asien damit zu rechnen ist, dass weitere Staaten den Einstieg in die zivile
Nutzung der Nuklearenergie suchen und damit Proliferationssorgen auslösen
könnte die Einrichtung eines solchen internationalen Zentrums für den
Brennstoffkreislauf ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der Proliferationsresistenz der
zivilen Nutzung der Nuklearenergie sein.[60] So könnte zugleich garantiert werden, dass keiner der
betroffenen Staaten singularisiert oder diskriminiert würde.
11.2. Freiwillige Selbstbeschränkung bei Raketenprojekten
Eine tragfähige und dauerhafte Lösung der Probleme im Nahen und Mittleren Osten setzt
voraus, dass nicht nur in Sachen Nukleartechnik ein Kompromiss gesucht und gefunden wird,
sondern auch für den Bereich weitreichender Trägertechnologien. Wo immer ein Land der
Arbeit an Nuklearwaffen verdächtigt wird, sind parallele Arbeiten an weitreichenden
Raketen ein wichtiges, oft und gerne ins Feld geführtes Indiz dafür, dass den nuklearen
Ambitionen eines Staates nicht zu trauen ist. Ob im Irak, im Fall Nordkoreas oder aber in
dem des Irans: Die Lösungssuche muss den Bereich der Trägersysteme mit einschließen.
Am Beispiel Teheran: Der Iran verfügt heute über bzw. entwickelt Raketen
unterschiedlicher Reichweite und Tragfähigkeit:[61]
- In Dienst gestellt wurden Raketen der Typen Shahab 1 (300km, ab 1995), Shahab 2 (500km)
und einige wenige Shabab-3 (1.300 1.500km, ab 2001). All diese Raketen haben einen
Flüssigtreibstoffantrieb und sind nicht sehr zielgenau. Sie fußen wahrscheinlich
technisch auf nordkoreanischen Scud- und NoDong-Raketen.
- Entwickelt wird eine Familie von Kurzstreckenwaffen mit Feststoffantrieb und Reichweiten
von 120, 160 und 200 Kilometern, die als Mushak-120, 160 und 200 bekannt sind, aber
bislang nicht in Dienst gestellt wurden.
- Entwicklungsarbeiten an einer Shahab 4 (bis zu 2.000 km) werden berichtet. Die Berichte
selbst aber sind widersprüchlich. Während in manchen davon ausgegangen wird, es handele
sich um eine reichweitengesteigerte Shahab-3B, gehen andere von einer neuen Rakete auf
Basis der nordkoreanischen Taep o dong-Technik oder aber russischer Technik aus.
Während mit einer Shahab-3B erste Tests vorgenommen worden sein sollen, wurde eine
neuartige Rakete bislang nicht getestet.
- Ebenso gibt es erste Berichte über Arbeiten an einer dreistufigen Mittelstrecken-Rakete
Shahab 5 (mit 4.000 oder gar 5.500 km Reichweite sowie an einer Langstreckenrakete
namens Shahab 6. Der amerikanische Militärgeheimdienst DIA rechnete Anfang 2005 damit,
dass der Iran wohl noch bis 2015 benötigen werde, um die technischen Fähigkeiten zur
Entwicklung einer Interkontinentalrakete zu erwerben. Bis zum Bau einer solchen Waffe
werde es entsprechend länger dauern.[62]
- Darüber hinaus soll der Iran möglicherweise über 12 nicht einsetzbare, ursprünglich
nuklearfähige luftgestützte Marschflugkörper des sowjetischen Typs AS-15 (Reichweite
2.500 3.000 km) verfügen, die ohne Sprengköpfe zwischen 1999 und 2001 aus der
Ukraine in den Iran geschmuggelt wurden.[63]
Auch die Raketenaktivitäten des Irans begannen als Konsequenz aus dem
irakisch-iranischen Krieg, als der Irak iranische Städte mit Scud-Raketen beschoss und
der Iran keine vergleichbaren Fähigkeiten besaß. Nach dem Krieg, etwa ab 1990,
verstärkte der Iran seine Bemühungen, Raketentechnik einzukaufen. Als Verkäufer trat
letztlich Nordkorea auf. Es dauerte aber noch bis Mitte der 90er Jahre, bis Teheran eine
erste Lieferung nordkoreanischer Scud-Raketen erhielt. Ähnlich wie der Irak bemühte sich
der Iran, die Reichweite seiner Raketen zu steigern, deren Fähigkeit, Sprengköpfe von
mehr als 500 kg Gewicht zu transportieren, aufrechtzuerhalten und die Zielgenauigkeit zu
verbessern. Derzeit liegt der Schwerpunkt der iranischen Entwicklungsarbeiten bei der
Reichweitensteigerung der Shahab-3 Rakete. Hierbei greift der Iran nach westlichen
Erkenntnissen auch auf technologische Hilfe russischer Firmen und Forschungsinstitute
zurück, bemüht sich aber auch um Technologieimporte aus westlichen Industriestaaten.
Letzteres betrifft vor allem Komponenten sowie Labor- und Prüfgeräte, die für eine
landeseigene Herstellung von Raketen benötigt werden. Für die Zukunft wird erwartet,
dass der Iran seine Bemühungen um erweiterte Fähigkeiten bei Festtreibstoffraketen
verstärkt.
Während die iranischen Raketenprogramme zunächst eine Reaktion auf die
Raketenrüstung des Iraks waren, entwickelten sie sich in der zweiten Hälfte der 90er
Jahre zu eigenständigen Projekten, deren Vorgaben und Ziele sich mehr und mehr aus der
iranischen Politik und aus deren Verständnis als Regionalmacht ergaben. Die legalen
Raketenprogramme des Iraks wurden nach dem Ende des 2. Golfkrieges 1991 durch Vorgaben aus
den USA und den UN-Sicherheitsrat auf Flugkörper mit Reichweiten von maximal 150km
begrenzt und zudem durch Sanktionen behindert. Zur Rechtfertigung des iranischen
Raketenprogramms taugte der Irak damit immer weniger. Nunmehr traten die Fähigkeiten
Israels und Saudi-Arabiens, aber auch die regionale Militärpräsenz der USA stärker in
den Vordergrund der iranischen Argumentation.
Ähnlich wie bei Nordkorea dürfte sich in den kommenden Jahren ein Streit um die
iranischen Raketenprogramme entwickeln, der sowohl von eigenständigen Zügen geprägt ist
als auch in einer intensiven Wechselwirkung zur Nukleardebatte steht. Im Falle Nordkoreas
zeigte sich immer wieder, dass Lösungen für eines der beiden Themen durch neue
Streitigkeiten bei dem anderen be- oder verhindert werden könnten.
Im Falle des Irans empfiehlt es sich deshalb, die beiden Debatten schon heute zu
verknüpfen. So, wie es kaum Sinn macht, mit dem Iran heute einen Kompromiss in Sachen
Urananreicherung, morgen einen in Sachen Schwerwassertechnologie und übermorgen einen
beim Thema Wiederaufarbeitungstechnik zu suchen, so empfiehlt es sich, auch die Frage der
iranischen Raketentechnologie in die Suche nach einer Gesamt-Lösung einzubeziehen.
Konventionelle iranische Raketen, die das israelische Nuklearzentrum Dimona erreichen
können, sind ebenso ein wesentlicher Teil der regionalen Sicherheitsfragen, die es zu
lösen gilt, wie Nuklearwaffen oder israelische Flugkörper, die eine Bedrohung für
iranische Leichtwasserreaktoren darstellen könnten.
Der Iran könnte hier einen substantiellen Beitrag zur regionalen Sicherheit und
Vertrauensbildung leisten, wenn er sich zu einer freiwilligen Selbstbeschränkung oder
einem Moratorium hinsichtlich der operativen Reichweite seiner Raketen bereit erklären
würde. Wäre der Iran beispielsweise bereit, auf den Bau mehrstufiger Raketen zu
verzichten, so wäre dies ein wesentliches und politisch bedeutsames, vertrauensbildendes
Signal.[64] Aufbauend auf einen
solchen Verzicht könnte der Iran politisch dabei unterstützt werden, wenn er Vorschläge
für ein regionales Rüstungskontrollregime für weiterreichende Trägersysteme entwickelt
und umzusetzen versucht. Zu den wesentlichen Aufgaben der westlichen Staaten würde es
dann gehören, ihre Ansprechpartner in der Region davon zu überzeugen, dass sie am Aufbau
eines solchen Regimes mitwirken sollten.
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