BITS Research Report 06.1
ISBN 3-933111-12-9
Februar 2006
Studie in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung


Das Atomprogramm des Irans

Nachdenken über Rahmenbedingungen einer politischen Lösung


Inhaltsverzeichnis:

1. Der Nuklearstreit mit dem Iran im Kontext
2. Die atomaren Pläne des Irans – Eine kurze Geschichte
3. Das Atomprogramm des Irans – Ein kurzer Sachstand
4. Vermutungen über ein weitergehendes Atomprogramm
5. Was wäre, wenn?
6. Die rechtliche Seite
7. Die Motive des Irans
8. Die Verhandlungen mit der EU
9. Zukunftsoptionen
10. Rahmenbedingungen einer politischen Lösung
11. Erste Elemente für die Diskussion über einen Lösungsansatz
11.1. Ansätze zu einer Multilateralisierung des Brennstoffzyklus
11.2. Freiwillige Selbstbeschränkung bei Raketenprojekten
11.3. Initiative zugunsten einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen & Mittleren Osten
11.4. Sicherheitspolitische Regionalorganisation
Quellen und Literaturhinweise
Fußnoten


 

9. Zukunftsoptionen

Bislang haben die Verhandlungen der EU mit dem Iran nicht zum Erfolg geführt. Der Iran lässt nicht einmal den Eindruck "halber" Erfolge zu, z.B. den eines Zeitgewinnes. Er verhandelt mit großem Selbstbewusstsein und aus einer gewissen Position der Stärke heraus. Er signalisiert, dass er den Zeitplan bestimmt, das Heft des Handelns in der Hand hält und sich zudem im Recht fühlt. Es bewertet seinen Handlungsspielraum als ausreichend groß, um sich nicht zu einer von außen vorgegebenen Lösung pressen lassen zu müssen.

Die Unterhändler der EU haben dem Iran von Anbeginn an zugestehen müssen, dass ein Verzicht auf einen geschlossenen Brennstoffzyklus oder auf wichtige Teile eines solchen Zyklus immer freiwilliger Natur wären. Rechtlich gesehen können sie den Iran dazu nicht zwingen. Sie haben aber trotzdem das Maximum vom Iran gefordert, einen international vertraglich vereinbarten, rechtlich verbindlichen aber freiwilligen Verzicht. Dazu war und wird der Iran sich nicht bereit erklären.

Was also nun? Zwei sehr unterschiedliche Szenarien mit Variationen sind denkbar. Die EU-Staaten bleiben bei ihrer harten Haltung und erklären die Verhandlungen mit dem Iran über kurz oder lang für gescheitert. Sie bereiten eine Resolution für den Gouverneursrat vor, mit der der Fall an den UN-Sicherheitsrat abgegeben würde. Ein Motiv für ein solches Vorgehen wäre es, dem Iran zu zeigen, dass die EU ihre Drohungen wahr macht. Dies soll den Druck auf den Iran erhöhen. Die EU glaubt, diese Eskalation vertreten zu können, da im UN-Sicherheitsrat angesichts der Positionen Chinas und Russlands kein Beschluss zu harten Maßnahmen erfolgen würde. Mit welcher Reaktion des Irans wäre zu rechnen? Der Iran würde auf eine solche harte Linie wie bisher ebenfalls mit Härte reagieren und von Anfang an demonstrieren, dass er das Heft des Handelns weiter in der Hand hält. Er würde seine Nuklearaktivitäten schrittweise wieder ausweiten, unabhängig davon, ob ihn dies in der Sache voranbringt.[46] Die Wiederaufnahme der freiwillig eingestellten Forschungsarbeiten zu Nuklearbrennstoffen, die Wiedereröffnung geschlossener Forschungslabore oder die Wiederaufnahme der Produktion von Zentrifugen stellen solch begrenzte Möglichkeiten dar. Hinzu die Wiederaufnahme der Anreicherungsaktivitäten. Käme es zu einer Resolution, die den Streit vor den UN-Sicherheitsrat bringt, würde der Iran zudem wie angekündigt seine Unterschrift unter das Zusatzprotokoll zur Safeguard-Vereinbarung mit der IAEO zurückziehen und so der IAEO wesentliche Möglichkeiten zur Überprüfung und Bewertung des iranischen Atomprogramms nehmen. Er würde sich damit aber auch der Möglichkeit begeben, von der IAEO ein "sauberes Zeugnis" ausgestellt zu bekommen. Die "Schuld" für das Scheitern der Gespräche würde der Iran der EU zuweisen, die kompromisslos darauf bestanden habe, den Iran völkerrechtlich zu singularisieren und zu einem einseitigen Souveränitätsverzicht zu bewegen. Der Iran wird seine Wahl sorgfältig und mit dem Ziel einer Nadelstichwirkung treffen und sich weitere Eskalationsmöglichkeiten in der Hinterhand halten. Mit den harten Elementen seiner Haltung will er einen innenpolitischen Gesichtsverlust vermeiden, mit den kooperativen – wie z.B. einer Erklärung seiner Bereitschaft zu Diskussionen mit Vermittlern, die weniger einseitig als die EU agieren, wird er Isolationsversuchen entgegenzuwirken suchen.

Im Ergebnis stehen sich dann alle Beteiligten weiter in ihren Grundpositionen gegenüber, die Intensität des Konfliktes aber hat sich nochmals verschärft. Für einen erneuten Verhandlungsanlauf gibt es neue Hürden, ohne dass alte entfallen wären. Politisch geschwächt durch den bisherigen Konfliktverlauf wäre vor allem die IAEO als multilaterales Instrument.[47] Mit der Befassung des Sicherheitsrates erreicht der Konflikt zudem möglicherweise eine neue Ebene, die neue Eskalationsmöglichkeiten beinhalten kann aber nicht muss. Hier müsste sich zeigen, ob die USA den Fall Iran eher wie den Fall Irak oder wie den Fall Nordkorea angehen wollen.[48] Sollten die USA sich zu einem Vorgehen wie im Fall Irak entscheiden, so wäre damit sicher die Bereitschaft verbunden, notfalls auch ohne Mandat der UNO mit einer Koalition der Willigen Krieg zu führen.[49]

Denkbar, wenn auch unwahrscheinlicher ist ein anderes Szenario: Trotz der diffizilen Lage: Die EU-Staaten gehen davon aus, dass eine Verhandlungslösung weiterhin alternativlos ist. Auch für den Iran bleibt die Suche nach einer Verhandlungslösung Priorität. Eine Überweisung der Problematik an den UN-Sicherheitsrat liegt nicht im Interesse des Irans, auch wenn Teheran wegen der ablehnenden Haltung der Vetomächte China und Russland dort nicht sofort ernsthaft mit einer Verurteilung bzw. Sanktionen rechnen müsste.

Die EU und der Iran warten deshalb auf Gelegenheiten, ohne eigenen Gesichtsverlust Verhandlungen auf deutlich veränderter Grundlage zu führen. Anlass oder Ausgangspunkt für eine solche Chance können derzeit nicht genau benannt werden, wohl aber eine Reihe potentieller Ansatzpunkte:

  • Würde die EU ihren Verhandlungsansatz auf Basis ihrer eigenen Strategie zur Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen neu überdenken und die Meßlatte dessen, was es in den Gesprächen mit dem Iran zu erreichen gilt, an den Zwischenergebnissen der 6-Nationen-Gespräche hinsichtlich des nord-koreanischen Atomprogramms ausrichten, so wäre eine Lösung leichter zu entwickeln, als dies angesichts der derzeitigen "Erfolgskriterien" der Fall ist. Politisch muss der EU ein solcher Ansatz möglich sein, da die Vereinigten Staaten den Kompromiss in Sachen Nordkorea mittragen.
  • Auch der Iran kann die Initiative ergreifen und eigene, inhaltliche Vorschläge für ein Langzeitabkommen mit der EU vorlegen und gegebenenfalls vorschlagen, den Kreis der Unterhändler zu erweitern, da er die EU-Unterhändler bislang als zu einseitig an der U.S.-Position orientiert wahrnahm. Ein solcher Vorschlag müsste mit kooperativen Angeboten, z.B. einer erneuten Aussetzung der Uran-Konversion einhergehen. Die neue, konservative Regierung des Irans kann zu dem Schluss kommen, dass sie größeren politischen Spielraum hat als ihre Vorgängerin. Sie steht innenpolitisch nicht in dem Verdacht, leichtfertig iranische Interessen aufs Spiel zu setzen. Beide Seiten wahren ihr Gesicht und nehmen eine neue Verhandlungsrunde in Angriff.
  • Konstruktiv könnte auch eine politisch-konstruktive Intervention Dritter sein, die die EU und den Iran daran erinnern, dass dem Umgang mit dem "Fall Iran" eine Leitfunktion im Blick auf die Entwicklung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes der Zukunft zukommt. Der Iran und die EU müssen sich also der Verantwortung bewusst sein, die sie dafür tragen, ob ein solches Regime künftig auf der Durchsetzung des Rechts des Stärkeren oder aber auf der Basis einer Stärkung des internationalen Rechts entwickelt wird.[50] Der Iran und die EU müssen eigentlich an einer Lösung im Rahmen des kooperativen Multilateralismus interessiert sein, nicht aber an Lösungen, die den Unilateralismus stärken.

 

10. Rahmenbedingungen einer politischen Lösung

Wie könnte eine ernsthafte Verhandlungslösung aussehen? Und wie kann man zu einer solchen Lösung kommen? Einige Voraussetzungen für eine Verhandlungsstrategie, die zu einer politischen Lösung führen kann, können benannt werden. Eine Strategie, die Erfolg haben will, müsste

  • anerkennen, dass der Iran das Recht zur zivilen Nutzung der Nuklearenergie in vollem Umfang hat und deswegen auch das Recht zum Aufbau eines vollständigen Brennstoffzyklus hätte;
  • in Betracht ziehen, dass dem Iran bislang keine so schwerwiegenden Verstöße gegen seine Verpflichtungen aus dem NVV und gegenüber der IAEO nachgewiesen werden konnten, dass ihn dies kurzfristig in die Nähe der Verfügung über Atomwaffen gebracht hätten; alle nachgewiesen Verstöße sind im Prinzip nachträglich "heilbar" bzw. bereits "geheilt";[51]
  • anerkennen, dass gegenüber dem Iran bislang – auch von europäischer Seite – strengere Maßstäbe angelegt worden sind als gegenüber manch anderem Staat, dem in der Vergangenheit Verfehlungen im Kontext des Nichtverbreitungsregimes nachgewiesen werden konnten;
  • akzeptieren, dass der Iran keinerlei Diskriminierung im Vergleich zu anderen Staaten hinnehmen wird; dies schließt vor allem jedwede völkerrechtlich relevante Singularisierung aus; Vorschläge mit diskriminierendem oder singularisierendem Charakter können nicht Teil eines Lösungsansatzes sein;
  • die Rolle des Irans als Regionalmacht anerkennen und dessen Sicherheitsprobleme und Bedrohungsperzeptionen ernstnehmen sowie die Bereitschaft erkennen lassen, diese Probleme aktiv mit zu lösen;
  • die bisher geäußerten Sach-Positionen des Irans ernstnehmen;
  • sich daran erinnern, dass Konflikte im Nahen und Mittleren Osten oft völlig anders verlaufen, ausgetragen, gemanagt, eskaliert und gelöst werden, sodass es zwischen Konfliktparteien aus der Region und solchen aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis zu ganz anderen positionellen Perzeptionen und Fehlperzeptionen[52] kommen kann, als wenn alle Konfliktparteien aus derselben Region bzw. auf Basis desselben kulturellen Hintergrundes agieren würden;
  • sich daran erinnern, dass im Nahen und Mittleren Osten potentielle Lösungen für aktuelle Einzelprobleme oft als wertlos erachtet werden, solange nicht zugleich die große langfristige Lösung für die strategischen Sicherheitsprobleme der Region offeriert wird und umgekehrt langfristige Lösungsideen abgelehnt werden, weil sie keine Antwort auf viele kleine aktuelle Probleme bieten – es entsteht also schnell eine Catch 22-Situation;
  • beachten, dass im Nahen und Mittleren Osten eine lange Tradition der Verweigerung von Konfliktlösungen existiert, da Kompromisse und Win-Win-Lösungen westlicher Art ungewohnte Konfliktbeendigungsmuster sind;
  • sich daran erinnern, dass die Beziehungen der Verhandelnden und deren Vertrauen zueinander von wesentlich größerer Bedeutung für einen positiven Gesprächsabschluss sind als bei Verhandlungen zwischen westlichen Verhandlungspartnern; dazu gehört auch, dass stark darauf geachtet wird, dass alle Akteure zwecks Vertrauensbildung etwa gleichzeitige und gleichgewichtige Schritte unternehmen;
  • beachten, dass im Iran neben der offiziellen Machtstruktur aus Politik und Klerus[53] traditionell Familienclans[54] eine wichtige machtpolitische Rolle spielen und über deren große Rolle in den religiösen Stiftungen auch einen enormen finanziellen und wirtschaftlichen Einfluss haben.

 

11. Erste Elemente für die Diskussion über einen Lösungsansatz

Die iranische Regierung betont, dass sie die Kernenergie ausschließlich zivil nutzen will. Wenn sie selbst keine militärischen Nutzungsabsichten hegt, dann müsste es im Interesse des Irans liegen, einen eigenständigen, konstruktiven Beitrag dazu zu leisten, dass Staaten künftig aus dem NVV- und IAEO-Regime nicht mehr so "leicht" ausbrechen können, wie dies im Falle Israels, Pakistans oder Nordkoreas der Fall war. Der Iran gehört – angesichts der israelischen und pakistanischen Bombe – zu jenen Staaten, die aus eigener Anschauung wissen, was es heißt, sich in einer regionalen Konkurrenz der Bedrohung durch Nuklearwaffenpotentiale möglicher Kontrahenten ausgesetzt zu wissen. Er müsste deshalb daran interessiert sein, dass erstens keine weiteren Nuklearwaffenpotentiale entstehen, die sich für ihn zu einem Sicherheitsrisiko entwickeln können. Zweitens müsste er ein Interesse daran haben, dass Nuklearwaffenpotentiale, die er als Bedrohung wahrnimmt, wieder abgebaut werden. Und schließlich müsste es im Interesse Teherans liegen, selber gestaltend auf Form und Wirkungsweise eines künftigen Nichtverbreitungsregimes einzuwirken. Bei diesen Interessenslagen kann die Suche nach akzeptablen Lösungen ansetzen – im Iran und seitens der Verhandlungspartner des
Irans.[55]

Der Iran als Regionalmacht muss darüber hinaus ein Interesse haben, gestaltend am Entstehen einer sicherheitspolitischen Regionalstruktur mitzuarbeiten, die dazu beiträgt seine Interessen zu implementieren. Auch das könnte ein Ausgangspunkt für erfolgversprechende Verhandlungen mit und reizvolle Angebote an Teheran sein.

Die EU sollte dem Iran ihre volle Unterstützung zusagen, ihn ermutigen, bei der Entwicklung entsprechender Ideen und Konzepte eine Führungsrolle zu übernehmen und u.a. zu prüfen, ob die folgenden vier inhaltlichen Initiativen[56] konstruktiv zu einem Lösungsansatz beitragen könnten:

  • eine Initiative zur Multilateralisierung der proliferationsrelevanten Kernbrennstoff-Anlagen
  • eine Initiative zur Begrenzung weitreichender Trägersysteme in der Region
  • eine Initiative, um eine Atom- oder Massenvernichtungswaffenfreie Zone einzurichten, sowie
  • eine Initiative zum Aufbau eines regionalen Systems kollektiver und kooperativer sicherheitspolitischer Zusammenarbeit

Diese Elemente sollten, wenn möglich, parallel und gleichzeitig verfolgt werden. Auf diesem Wege könnte man die Gefahr reduzieren, dass unterschiedliche Auffassungen der regionalen Akteure hinsichtlich der Priorität kurz- und langfristiger, taktischer und strategischer Lösungselemente immer wieder neue, scheinbar ausweglose Situationen hervorrufen.

 

11.1. Ansätze zu einer Multilateralisierung des Brennstoffzyklus

Eine alte Idee der USA aufgreifend[57] wirbt der Generalsekretär der IAEO, al Baradei, seit geraumer Zeit dafür, dass die Urananreicherung künftig nur noch in multinationalen, von der IAEO kontrollierten Anlagen betrieben werden sollte. Der Vorteil dieses Vorschlags liegt auf der Hand: Multinationale Anlagen erhöhen die Proliferationsresistenz. Da mehrere Staaten eine solche Anlage gemeinsam betreiben und diese zusätzlich von der IAEO kontrolliert wird, wird das "Abzweigen" von Nuklearmaterial ebenso deutlich erschwert wie eine ungewöhnlich hohe Anreicherung des Urans. Dieser Gedanke wurde von einem Expertenteam für die IAEO weiterentwickelt, das al Baradei im Februar dieses Jahres seinen Bericht vorgelegte.

Nicht nur die Anreicherung, sondern auch die Konversion des Urans zu Uranhexafluorid oder die Herstellung von Brennelementen könnte – vom Grundsatz her – in multinationalen Anlagen geschehen. Dies gilt auch für die Verarbeitung abgebrannter Brennelemente bzw. eine proliferationsresistentere Konditionierung atomaren Mülls für die Endlagerung. Lediglich die Gewinnung von Natururan aus nationalen Vorkommen, der Betrieb stromerzeugender Reaktoren und die Endlagerung atomaren Mülls müssten in nationaler Verantwortung bleiben.

Der Iran hat ein Interesse an multinationalen Brennstoffanlagen im Grundsatz signalisiert, als er im Rahmen des Pariser Abkommens mit den EU-Staaten einer Einladung durch den IAEO-Generalsekretär zustimmte, in der o.g. Expertengruppe mitzuwirken. Teheran bot später an, andere Staaten an der Urananreicherung im Iran teilnehmen zu lassen, und hat den russischen Vorschlag einer gemeinsamen, bilateralen Urananreicherung in Russland bislang vor allem deshalb zurückgewiesen, weil dieser an einen Verzicht des Irans auf die Urananreicherung im Iran gekoppelt sein sollte, also eine Singularisierung des Irans implizierte. Ergänzend zu einer Anlage im Iran sei der russische Vorschlag dagegen diskutabel, befand Teheran.[58]

Will man keine Lösung akzeptieren, die Brennstoffanlagen im Iran implizieren, so muss dafür gesorgt werden, dass der Iran durch Alternativlösungen nicht diskriminiert bzw. singularisiert wird. Dazu wäre es nötig, dass multinationale Anlagen des Brennstoffkreislaufes außerhalb des Territoriums aller potentiellen Nutzerstaaten betrieben und den Bedarf mehrere Staaten decken würden.[59] Vorstellbar wäre, dass sie von Technikern der Nutzerstaaten und/oder Angestellten der IAEO betrieben und gemanagt werden. Unter Verantwortung der IAEO könnte dafür Technologie aus den Nutzerländern oder aber auch die weltweit sicherste und modernste verfügbare Technologie zum Einsatz kommen. Der IAEO unterläge die Überwachung der Anlagen gemäß der strengstmöglichen Regeln im Rahmen bestehender Safeguards-Vereinbarungen. Für verbesserte Safeguard-Konzepte stünde der IAEO zudem dann ein eigenes Testumfeld zur Verfügung. Den äußeren Schutz solcher Anlagen könnten UN-Truppen gewährleisten. Auch der Transport von nuklearen Materialien zwischen den Nutzerstaaten und den multinationalen Anlagen kann auf multinationaler Ebene organisiert werden. All dies würde die Proliferationsresistenz erhöhen und die Möglichkeit nationaler Alleingänge verringern.

Es wäre also zu prüfen, ob ein "neutraler" Anlagenstandort zur Lösung des Problems gefunden werden kann. Wahrscheinlich wäre eine Insel im südlichen Indischen Ozean am besten geeignet. Sie wäre sowohl von Südostasien als auch von Südwestasien, aber auch von Afrika her gut zu erreichen und aufgrund ihrer Abgelegenheit auch relativ leicht zu sichern. Großbritannien (als Eigentümer) und die Vereinigten Staaten (als Hauptnutzer) sollten in diesem Kontext prüfen, ob der heutige Militärstützpunkt Diego Garcia die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen könnte. Die Umwidmung der Nutzung dieser Insel mit ihrer entwickelten Infrastruktur könnte in der Region von vielen Staaten zudem als vertrauensbildende Maßnahme und Beitrag zur regionalen Sicherheit positiv aufgenommen werden. Großbritannien und die USA würden damit zugleich signalisieren, dass auch sie zu einem Beitrag zur Lösung der regionalen Probleme bereit sind.

Da in den kommenden Jahrzehnten bei wachsendem Strom- und Energiebedarf gerade in großen Teilen Asien damit zu rechnen ist, dass weitere Staaten den Einstieg in die zivile Nutzung der Nuklearenergie suchen – und damit Proliferationssorgen auslösen – könnte die Einrichtung eines solchen internationalen Zentrums für den Brennstoffkreislauf ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der Proliferationsresistenz der zivilen Nutzung der Nuklearenergie sein.[60] So könnte zugleich garantiert werden, dass keiner der betroffenen Staaten singularisiert oder diskriminiert würde.

 

11.2. Freiwillige Selbstbeschränkung bei Raketenprojekten

Eine tragfähige und dauerhafte Lösung der Probleme im Nahen und Mittleren Osten setzt voraus, dass nicht nur in Sachen Nukleartechnik ein Kompromiss gesucht und gefunden wird, sondern auch für den Bereich weitreichender Trägertechnologien. Wo immer ein Land der Arbeit an Nuklearwaffen verdächtigt wird, sind parallele Arbeiten an weitreichenden Raketen ein wichtiges, oft und gerne ins Feld geführtes Indiz dafür, dass den nuklearen Ambitionen eines Staates nicht zu trauen ist. Ob im Irak, im Fall Nordkoreas oder aber in dem des Irans: Die Lösungssuche muss den Bereich der Trägersysteme mit einschließen.

Am Beispiel Teheran: Der Iran verfügt heute über bzw. entwickelt Raketen unterschiedlicher Reichweite und Tragfähigkeit:[61]

  • In Dienst gestellt wurden Raketen der Typen Shahab 1 (300km, ab 1995), Shahab 2 (500km) und einige wenige Shabab-3 (1.300 – 1.500km, ab 2001). All diese Raketen haben einen Flüssigtreibstoffantrieb und sind nicht sehr zielgenau. Sie fußen wahrscheinlich technisch auf nordkoreanischen Scud- und NoDong-Raketen.
  • Entwickelt wird eine Familie von Kurzstreckenwaffen mit Feststoffantrieb und Reichweiten von 120, 160 und 200 Kilometern, die als Mushak-120, 160 und 200 bekannt sind, aber bislang nicht in Dienst gestellt wurden.
  • Entwicklungsarbeiten an einer Shahab 4 (bis zu 2.000 km) werden berichtet. Die Berichte selbst aber sind widersprüchlich. Während in manchen davon ausgegangen wird, es handele sich um eine reichweitengesteigerte Shahab-3B, gehen andere von einer neuen Rakete auf Basis der nordkoreanischen Taep’ o dong-Technik oder aber russischer Technik aus. Während mit einer Shahab-3B erste Tests vorgenommen worden sein sollen, wurde eine neuartige Rakete bislang nicht getestet.
  • Ebenso gibt es erste Berichte über Arbeiten an einer dreistufigen Mittelstrecken-Rakete Shahab 5 (mit 4.000 oder gar 5.500 km Reichweite – sowie an einer Langstreckenrakete namens Shahab 6. Der amerikanische Militärgeheimdienst DIA rechnete Anfang 2005 damit, dass der Iran wohl noch bis 2015 benötigen werde, um die technischen Fähigkeiten zur Entwicklung einer Interkontinentalrakete zu erwerben. Bis zum Bau einer solchen Waffe werde es entsprechend länger dauern.[62]
  • Darüber hinaus soll der Iran möglicherweise über 12 nicht einsetzbare, ursprünglich nuklearfähige luftgestützte Marschflugkörper des sowjetischen Typs AS-15 (Reichweite 2.500 – 3.000 km) verfügen, die ohne Sprengköpfe zwischen 1999 und 2001 aus der
    Ukraine in den Iran geschmuggelt wurden.[63]

Auch die Raketenaktivitäten des Irans begannen als Konsequenz aus dem irakisch-iranischen Krieg, als der Irak iranische Städte mit Scud-Raketen beschoss und der Iran keine vergleichbaren Fähigkeiten besaß. Nach dem Krieg, etwa ab 1990, verstärkte der Iran seine Bemühungen, Raketentechnik einzukaufen. Als Verkäufer trat letztlich Nordkorea auf. Es dauerte aber noch bis Mitte der 90er Jahre, bis Teheran eine erste Lieferung nordkoreanischer Scud-Raketen erhielt. Ähnlich wie der Irak bemühte sich der Iran, die Reichweite seiner Raketen zu steigern, deren Fähigkeit, Sprengköpfe von mehr als 500 kg Gewicht zu transportieren, aufrechtzuerhalten und die Zielgenauigkeit zu verbessern. Derzeit liegt der Schwerpunkt der iranischen Entwicklungsarbeiten bei der Reichweitensteigerung der Shahab-3 Rakete. Hierbei greift der Iran nach westlichen Erkenntnissen auch auf technologische Hilfe russischer Firmen und Forschungsinstitute zurück, bemüht sich aber auch um Technologieimporte aus westlichen Industriestaaten. Letzteres betrifft vor allem Komponenten sowie Labor- und Prüfgeräte, die für eine landeseigene Herstellung von Raketen benötigt werden. Für die Zukunft wird erwartet, dass der Iran seine Bemühungen um erweiterte Fähigkeiten bei Festtreibstoffraketen verstärkt.

Während die iranischen Raketenprogramme zunächst eine Reaktion auf die Raketenrüstung des Iraks waren, entwickelten sie sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zu eigenständigen Projekten, deren Vorgaben und Ziele sich mehr und mehr aus der iranischen Politik und aus deren Verständnis als Regionalmacht ergaben. Die legalen Raketenprogramme des Iraks wurden nach dem Ende des 2. Golfkrieges 1991 durch Vorgaben aus den USA und den UN-Sicherheitsrat auf Flugkörper mit Reichweiten von maximal 150km begrenzt und zudem durch Sanktionen behindert. Zur Rechtfertigung des iranischen Raketenprogramms taugte der Irak damit immer weniger. Nunmehr traten die Fähigkeiten Israels und Saudi-Arabiens, aber auch die regionale Militärpräsenz der USA stärker in den Vordergrund der iranischen Argumentation.

Ähnlich wie bei Nordkorea dürfte sich in den kommenden Jahren ein Streit um die iranischen Raketenprogramme entwickeln, der sowohl von eigenständigen Zügen geprägt ist als auch in einer intensiven Wechselwirkung zur Nukleardebatte steht. Im Falle Nordkoreas zeigte sich immer wieder, dass Lösungen für eines der beiden Themen durch neue Streitigkeiten bei dem anderen be- oder verhindert werden könnten.

Im Falle des Irans empfiehlt es sich deshalb, die beiden Debatten schon heute zu verknüpfen. So, wie es kaum Sinn macht, mit dem Iran heute einen Kompromiss in Sachen Urananreicherung, morgen einen in Sachen Schwerwassertechnologie und übermorgen einen beim Thema Wiederaufarbeitungstechnik zu suchen, so empfiehlt es sich, auch die Frage der iranischen Raketentechnologie in die Suche nach einer Gesamt-Lösung einzubeziehen. Konventionelle iranische Raketen, die das israelische Nuklearzentrum Dimona erreichen können, sind ebenso ein wesentlicher Teil der regionalen Sicherheitsfragen, die es zu lösen gilt, wie Nuklearwaffen oder israelische Flugkörper, die eine Bedrohung für iranische Leichtwasserreaktoren darstellen könnten.

Der Iran könnte hier einen substantiellen Beitrag zur regionalen Sicherheit und Vertrauensbildung leisten, wenn er sich zu einer freiwilligen Selbstbeschränkung oder einem Moratorium hinsichtlich der operativen Reichweite seiner Raketen bereit erklären würde. Wäre der Iran beispielsweise bereit, auf den Bau mehrstufiger Raketen zu verzichten, so wäre dies ein wesentliches und politisch bedeutsames, vertrauensbildendes Signal.[64] Aufbauend auf einen solchen Verzicht könnte der Iran politisch dabei unterstützt werden, wenn er Vorschläge für ein regionales Rüstungskontrollregime für weiterreichende Trägersysteme entwickelt und umzusetzen versucht. Zu den wesentlichen Aufgaben der westlichen Staaten würde es dann gehören, ihre Ansprechpartner in der Region davon zu überzeugen, dass sie am Aufbau eines solchen Regimes mitwirken sollten.



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