BITS Research Report 06.1
ISBN 3-933111-12-9
Februar 2006
Studie in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung


Das Atomprogramm des Irans

Nachdenken über Rahmenbedingungen einer politischen Lösung


Inhaltsverzeichnis:

1. Der Nuklearstreit mit dem Iran im Kontext
2. Die atomaren Pläne des Irans – Eine kurze Geschichte
3. Das Atomprogramm des Irans – Ein kurzer Sachstand
4. Vermutungen über ein weitergehendes Atomprogramm
5. Was wäre, wenn?
6. Die rechtliche Seite
7. Die Motive des Irans
8. Die Verhandlungen mit der EU
9. Zukunftsoptionen
10. Rahmenbedingungen einer politischen Lösung
11. Erste Elemente für die Diskussion über einen Lösungsansatz
11.1. Ansätze zu einer Multilateralisierung des Brennstoffzyklus
11.2. Freiwillige Selbstbeschränkung bei Raketenprojekten
11.3. Initiative zugunsten einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen & Mittleren Osten
11.4. Sicherheitspolitische Regionalorganisation
Quellen und Literaturhinweise
Fußnoten


 

7. Die Motive des Irans

Der Beginn des iranischen Nuklearprogramms in den 60er und vor allem 70er Jahren stand unter dem Vorzeichen der industriellen und technologischen Modernisierung des Landes. Der Schah wollte die schnell wachsenden Öleinnahmen seines Landes in dessen Zukunftsfähigkeit investieren, die Elektrifizierung durch Nutzung der Atomenergie vorantreiben und dem Iran eine zusätzliche Energiequelle erschließen.[30] Nach der Revolution und dem iranisch-irakischen Krieg, als der Iran sich entschloss, sein Nuklearprogramm wieder aufzunehmen, kamen möglicherweise sicherheits- und regionalpolitische Motive hinzu. Heute werden sie zudem durch Motive aus dem Bereich des nationalen Selbstwertgefühls ergänzt. Derzeit wird die iranische Haltung im Wesentlichen von folgenden Interessen geleitet:

  • Der Iran versteht sich als eine regionale Mittelmacht, die nicht zu einem erzwungenen dauerhaften, einseitigen Souveränitätsverzicht bereit ist und für die ein einseitiger Souveränitätsverzicht ohne Gegenleistung aus prinzipiellen Gründen nicht in Frage kommt.
  • Als stolze Mittelmacht mit hohem Entwicklungspotential betrachtet sich der Iran auch in technologischer Hinsicht. Der Verzicht auf nationale, hochtechnologische Errungenschaften wie z.B. das Beherrschen des nuklearen Brennstoffkreislaufs, das der Iran für sich in wesentlichen Teilen bereits reklamiert, kommt deshalb kaum in Betracht. Verstärkt wird diese Haltung durch die Interessen des qualifizierten Fachpersonals, das an seinen Projekten praktisch weiterarbeiten will. Der starke Druck aus dem Ausland, der Iran solle sein Nuklearprogramm einschränken und auf das Recht, diese Technologie umfassend zu nutzen, verzichten, wirkt innenpolitisch bereits heute als Verstärkung für die nuklearen Ambitionen des Irans. Die selbstbestimmte Weiterführung des Nuklearprogramms wird zu einer Frage der Ehre, des Selbstwertgefühls.
  • Als Mittelmacht mit einer relativ gut ausgebildeten jüngeren Generation in den Städten weiß der Iran um sein wirtschaftliches und technologisches Entwicklungspotential, das er aber nur ausschöpfen kann, wenn insbesondere im Bereich der Elektrifizierung und Stromversorgung rasch infrastrukturell aufgerüstet wird.
  • Als regionale, aufgrund seiner Öl- und Gasvorkommen potentiell recht reiche Mittelmacht beansprucht der Iran für sich ein wesentliches Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der regionalen Beziehungen, insbesondere auch der sicherheitspolitischen Beziehungen. Er weiß aber auch, dass dieser Anspruch nur aufrecht erhalten werden kann, wenn der Iran Energieexporteur bleibt.
  • Der Iran sieht sich vor mehreren Sicherheitsproblemen und konstatiert ein Sicherheitsdefizit. Lange betrachtete Teheran den konkurrierenden Nachbarn und ehemaligen Kriegsgegner Irak, den als unkalkulierbar erachteten Nachbarn Pakistan sowie das atomar bewaffnete Israel als wichtigste Sicherheitsprobleme. Er richtete seine eigene Sicherheitspolitik deswegen fast ausschließlich regional aus. Mit dem Globalen Krieg der USA gegen den Terrorismus und dem U.S.-Einmarsch im Irak sowie in Afghanistan hat sich die Problematik verlagert: Der Irak stellt für Teheran vorerst kein substantielles militärisches Risiko mehr dar. Er könnte sich angesichts der wachsenden politischen Rolle der Schiiten in diesem Land sogar zu einem begrenzt kooperativen Partner entwickeln.[31] Der Risikofaktor Pakistan bleibt unverändert bestehen; Pakistan baut sein Nuklearwaffenpotential aus. Der Risikofaktor Israel bleibt ebenfalls bestehen; er gewinnt aber an Bedeutung, je deutlicher der Iran sich der "roten Linie" der Begin-Doktrin nähert.[32] Von erheblich größerer Bedeutung als in der Vergangenheit ist für den Iran heute auch der Risikofaktor USA. War Washington in der Vergangenheit ein weit entfernter, primär "ideologischer" Gegner, von dem eine eher allgemeine, unspezifische Bedrohung ausging und der sich mittels nationaler Sanktionen um eine Behinderung der iranischen Wirtschafts- und Militärentwicklung bemühte, so hat sich die iranische Wahrnehmung in den letzten Jahren dramatisch verändert. Heute sind die USA ein bedrohlicher "Nachbar". Dieser hat den Iran mit seinen Militärstützpunkten und Interventionstruppen weitgehend eingekreist und seine strategischen und strategisch-operativen militärischen Handlungsmöglichkeiten um operativ-taktische und taktische erweitert. Mit ihrer militärischen Präsenz im Golf, in Afghanistan, dem Irak, etlichen zentralasiatischen Republiken und zunehmend auch in der Schwarzmeerregion haben die USA eine Situation geschaffen, in der sie angesichts ihrer konventionellen militärischen Überlegenheit gegen alle Landesteile des Irans militärische Handlungsmöglichkeiten aus der Luft besitzen und in weiten Teilen des Landes auch mit Spezialkräften eingreifen könnten. Die enge Verbindung zwischen den USA und Israel, die im Iran als bedingungslose Unterstützung jedweder Politik Israels durch die USA wahrgenommen wird, verstärkt die Risikoperzeption des Irans. Teilweise gilt dies auch für die Beziehungen der USA zu Pakistan.

Diese Faktoren beeinflussen auch die Sicherheitspolitik. Sie dürften in all jenen Bereichen wirken, in denen es um die internationale Rolle und das Standing des Irans geht, also auch bei sicherheitspolitisch relevanten Verhandlungen. Natürlich beeinflussen sie auch die iranische Haltung im Disput über das Nuklearprogramm Teherans. Denn unabhängig davon, ob der Iran selbst seinem Nuklearprogramm offen oder verdeckt eine sicherheitspolitische Funktion zuweist, hat es ein solche Funktion bekommen, da es außerhalb des Irans vorrangig unter sicherheitspolitischen Vorzeichen diskutiert wird.

Jenseits dieser relativ gesicherten Faktoren gilt es aber auch zu fragen, welche Motive den
Iran antreiben könnten, hätte er denn ein militärisches Nuklearprogramm. Auch hier spielen oben genannte Faktoren erneut eine Rolle. Die Iraner sehen nicht ein, warum Israel das Recht haben sollte, fast unkritisiert Nuklearwaffen besitzen zu dürfen, während dem Iran dieses Recht versagt werden soll. Argumentative Zustimmung ist auch zu einem Argument zu hören, das in Asien immer häufiger verwendet wird: Nur der Besitz von Nuklearwaffen garantiert eine gewisse Sicherheit vor der Möglichkeit einer Intervention der USA mit ihren weit überlegenen konventionellen Streitkräften im Konfliktfall. Dies variierend wird argumentiert, schon die Möglichkeit, dass ein Land wie der Iran über Nuklearwaffen verfüge, bzw. die Möglichkeit, dass er sie besitze könnte, könne eine abschreckende Wirkung entfalten.

 

8. Verhandlungen mit der EU [33]

Als sich die internationale Debatte um das iranische Atomprogramm zwischen Frühjahr und Herbst 2003 zuspitzte, ergriffen die drei großen EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Initiative. Nach etlichen Gesprächrunden reisten deren Außenminister im November 2003 nach Teheran, um eine diplomatische Lösung des Konfliktes zu Papier zu bringen. Am Ende harter Verhandlungen stand die Teheraner Vereinbarung, mit der sich der Iran bereiterklärte, das erweiterte Safeguards-Protokoll zu unterzeichnen und der IAEO damit erweiterte Inspektions- und Informationsrechte einzuräumen. Als vertrauensbildende Maßnahme erklärte sich der Iran zudem bereit, freiwillig alle Urananreicherungs- und Wiederaufarbeitungsaktivitäten gemäß IAEO-Definition vorläufig auszusetzen. Er bestätigte seine Verpflichtungen aus dem NVV und erklärte sich zu voller Kooperation mit der IAEO bereit. Die EU-Staaten bestätigten das Recht des Irans, die Kernenergie in vollem Umfang friedlich zu nutzen, versprachen einen verbesserten Zugang zu modernen Technologien für die Zeit nach Klärung der offenen Fragen und eine Zusammenarbeit in Fragen der regionalen Sicherheit.

Doch schon bald ergaben sich erste Interpretationsdifferenzen zwischen dem Iran und der EU. Der Iran führte seine Arbeiten im Bereich der Urankonversion weiter und trieb den Anlagenbau für die Urananreicherung voran. Die EU-Staaten sahen darin eine Verletzung der Teheraner Vereinbarung, weil sie diese Arbeiten als Teil der Urananreicherung betrachteten. Im Oktober 2004 machten die EU-Staaten erstmals den Vorschlag eines Langzeitabkommens, um das entstandene Impassé zu überwinden. Am 15. November 2004 erreichten die EU und der Iran in Paris eine neue, genauere Übereinkunft. Bis zu diesem Zeitpunkt war es dem Iran aber gelungen, die Urankonversionsanlage in Isfahan fertig zu stellen und erstmals (verunreinigtes) Uranhexafluorid herzustellen. Zudem war in Natanz eine erste kleine Kaskade mit 164 Zentrifugen aufgestellt worden.

Im Pariser Übereinkommen erklärte sich der Iran bereit, die Uran-Konversion in Isfahan freiwillig zu unterbrechen, die Uran-Anreicherung in Natanz für die Dauer der Gespräche nicht weiter zu verfolgen, sowie den Aufbau der Anlage und den Import oder Bau von Zentrifugen zu unterbrechen und keinerlei Aktivitäten im Bereich der Wiederaufarbeitung bzw. der Plutoniumabtrennung zu verfolgen. Dies entsprach den Forderungen der EU. Unklar blieb allerdings, für welchen Zeitraum der Iran seine Arbeiten freiwillig unterbrechen werde. Die Anlagen wurden von der IAEO versiegelt und die Einhaltung der Vereinbarungen unterliegt der Überprüfung durch die Wiener Behörde. Die EU bestätigte, dass diese Maßnahmen einseitige, vertrauensbildende Maßnahmen des Irans sind, zu denen dieser rechtlich nicht verpflichtet sei und die er freiwillig ergriff. Verhandlungen über ein Langzeitabkommen wurden vereinbart, die noch im Dezember 2004 begannen und ab Januar 2005 intensiviert wurden. Dieses Abkommen soll objektive Garantien beinhalten, dass der Iran sein Nuklearprogramm ausschließlich zivil nutzt. Es soll feste Garantien für die künftige, nukleare, technologische und wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie feste Verpflichtungen im Bereich sicherheitspolitischer Fragen enthalten.[34] Arbeitsgruppen (Politische und Sicherheitsfragen, Technisch-Wirtschaftliche Kooperation und Nuklearangelegenheiten) sollten die Details unter Federführung eines Lenkungsausschusses weiter ausarbeiten. Die EU versprach dem Iran zudem, ihn bei seinem Bemühen um Mitgliedschaft in der WTO sowie in der IAEO-Expertengruppe "Multilateral Approaches to the Nuclear Fuel Cycle" zu unterstützen.

In der Folge verhandelten der Iran und die drei EU-Staaten regelmäßig. Die USA, die den EU-Iran-Gesprächen zunächst skeptisch gegenüber gestanden hatten und sich lediglich eine Beurteilung des Endergebnisses vorbehielten, wandelten kurz vor dem Europabesuch Präsident Bushs im März 2005 ihre Position etwas ab. Sie erklärten, noch sei Zeit für die Diplomatie, zogen ihren Vorbehalt gegen die Aufnahme von Gesprächen über den Beitritt des Irans zur WTO zurück und deuteten die Möglichkeit an, dass der Iran nach erfolgreichen Verhandlungen wieder Ersatzteile für zivile Flugzeuge beziehen könne. Einer grundsätzlichen Unterstützung des europäischen Verhandlungsansatzes kam dies allerdings nicht gleich. Viele Beobachter sahen darin eher die Zusage einer Atempause, die wohl mindestens bis zur iranischen Präsidentschaftswahl im Sommer 2005 andauern werde.[35] Die EU-Staaten ihrerseits machten ebenfalls einen Schritt auf die USA zu, indem sie zustimmten, der "Fall Iran" werde im Falle des Scheiterns der Verhandlungen an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen weitergeleitet, der konkrete Maßnahmen gegen den Iran – von Sanktionen bis hin zu militärischen Aktionen – beschließen kann.

Während der EU-Iran-Gesprächsrunden zeigte sich bald, dass die Vorstellungen der EU und des Irans über ein langfristiges Rahmenabkommen zur Beilegung der Krise weiterhin weit auseinander gingen. Als Beispiel kann eine iranische Antwort auf Vorschläge der EU für ein Langzeitabkommen vom 3. Mai 2005 dienen. Hier machte der Iran deutlich, was er erwartete: Er sei bereit, das IAEO-Zusatz-Protokoll zu ratifizieren, eine politische bindende Erklärung abzugeben, dass er nur einen offenen Brennstoffkreislauf ohne Wiederaufarbeitung betreiben wolle, und eine nationale Gesetzgebung zu verabschieden, die dauerhaft nur die zivile, aber keine militärische Nutzung der Atomenergie zulasse. Er erwarte, dass er seine Urankonversionsanlage Ende Juli 2005 wieder in Betrieb nehmen könne. Das UF6 solle unter IAEO-Kontrolle gestellt werden. Er wolle in Natanz zunächst 3.000 Zentrifugen installieren, politisch verbindlich erklären, dass er Uran unter permanenter Kontrolle der IAEO nur leicht anreichern und sofort und vollständig zu Brennstäben verarbeiten werde. Der weitere Ausbau der Kapazität der Anreicherungsanlage in Natanz bleibe vorgesehen. Von der EU erwarte Teheran eine politische Zusage über den Zugang des Irans zu EU-Märkten, einschließlich des Investitionsmarktes, eine politische Erklärung über die Rolle des Irans als wichtiger Energielieferant, eine Erklärung über den garantierten Zugang des Irans zu europäischer Hoch- und Nukleartechnologie, eine Machbarkeitsstudie sowie später Verträge über den Bau weiterer Atomkraftwerke im Iran durch Firmen aus den EU-Staaten, eine Zusage der garantierten Lieferung nuklearen Brennstoffs als Ergänzung zur iranischen Produktion, eine Aufhebung technologischer Sanktionen gegen den Iran im G-8-Kontext sowie die Bereitschaft zum Abschluss von Lieferverträgen über Rüstungsgüter. Zudem solle die EU eine Initiative für eine Massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten vorantreiben.

Im Kern zeigte sich der Iran damit bereit, sich auf einen offenen Brennstoffkreislauf zu beschränken und auf die Wiederaufarbeitung zu verzichten. Dessen ausschließlich zivile Nutzung sollte zum einen durch IAEO-Safeguards, zum anderen durch nationale Gesetzgebung sowie einseitige, politisch verbindliche Erklärungen des Irans garantiert werden.[36] Der Iran zeigte sich dagegen nicht bereit, über die Ratifizierung des IAEO-Zusatzprotokolls hinaus völkerrechtlich verbindliche Zusagen zu machen oder sich auf einen dauerhaften, einseitigen Souveränitätsverzicht einzulassen. Im Gegenzug fordert er im Kern eine schrittweise Aufhebung bislang gültiger Sanktionen, sowie die Wiederherstellung der Möglichkeit, Hochtechnologie, einschließlich nuklearer und militärischer zu importieren.

Ende Juli – so versprachen die EU-Staaten Ende Mai – würden sie ihr Angebot für ein langfristiges Abkommen präsentieren. Als sich abzuzeichnen begann, dass sich der Termin etwas verschieben werde, reagierte der Iran, der zuvor immer wieder betont hatte, er wolle rasch zu einem Ergebnis kommen, mit der Ankündigung, er werde die freiwillig ausgesetzte Konversion von Uran in Uranhexafluorid wie angekündigt Anfang August wieder aufnehmen und setzte dies in die Tat um. Er ermöglichte der IAEO die Überwachung seines Vorgehens. Die EU protestierte und sah dies als Bruch der Pariser Vereinbarung an. Sie beantragte, den Gouverneursrat der IAEO zu einer Sondersitzung zusammenzurufen.[37]

Am 5. August legte die EU dem Iran ihre Vorschläge für ein Abkommen vor, die dieser umgehend als völlig unzureichend und sogar "beleidigend" zurückwies. Was führte zu dieser schroffen Reaktion?

Der EU-Vorschlag sah vor, dass der Iran als einseitige, vertrauensbildende Maßnahme rechtsverbindlich auf alle Aktivitäten des atomaren Brennstoffkreislaufs verzichtet, die über den Betrieb von Leichtwasserreaktoren und Leichtwasserforschungsreaktoren hinausgehen.[38] Dieser Verzicht soll dauerhaft und über einen signifikanten Zeitraum erfolgen, unterliegt aber einer Überprüfung.[39] Darüber hinaus soll der Iran sich völkerrechtsverbindlich verpflichten, zu keinem Zeitpunkt aus dem NVV auszuscheiden und alle seine Nuklearanlagen "unter allen Umständen" durch die IAEO kontrollieren zu lassen. Bis Ende 2005 soll er das Zusatzprotokoll zu den IAEO-Safeguards ratifizieren, sich verpflichten, frische Brennelemente nur aus dem Ausland zu beziehen sowie abgebrannte Elemente an die Lieferanten zurückzugeben. Im Gegenzug wird dem Iran ein gesicherter Weltmarktzugang zu Nuklearbrennstoff zugesagt, der für den Fall von Engpässen z.B. durch seitens der EU bereitgestellte Reserven abgesichert werden könne. Die EU werde bei der Entwicklung alternativer Nutzungen für die stillzulegenden Nuklearanlagen sowie bei der weiteren Beschäftigung des Personals helfen.

Dieser Teil der EU-Vorschläge musste aus iranischer Sicht unannehmbar sein. Die EU forderte von Teheran einen Verzicht auf substantielle Teile des geplanten, offenen Brennstoffkreislaufs, einschließlich bereits vorhandener oder im Bau befindlicher Anlagen. Aus iranischer Sicht bedeutete dies den Verzicht auf wesentliche, nationale technische Errungenschaften. Die EU forderte unter dem Rubrum "einseitiger vertrauensbildender Maßnahmen" Schritte, die einen freiwilligen, einseitigen Souveränitätsverzicht des Irans implizierten, da sie rechtsverbindlich gemacht werden sollten. Noch weniger konnte der Iran akzeptieren, dass er sich international rechtlich verpflichten sollte, nie aus dem NVV auszutreten.[40] Diese Forderung implizierte eine Singularisierung des Irans in der internationalen Staatengemeinschaft, da kein anderes Land der Erde eine solche Verpflichtung bislang eingegangen ist oder auch nur aufgefordert worden wäre, eine solche Verpflichtung einzugehen. Die generelle Bereitschaft der EU, dem Iran das Recht der zivilen Nutzung der Atomenergie in einem solchen Abkommen zuzugestehen, konnte diesen Makel nicht wieder aufheben.

Der EU-Vorschlag für ein Langzeitabkommen listet darüber hinaus eine Vielzahl von wirtschaftlichen und technischen Kooperationsoptionen auf, darunter auch den Zugang zu nuklearen Brennstoff. Eine ausführliche Diskussion über deren Details, Tragweite, Charakter und Verbindlichkeit, die für den Iran, so seine Reaktion auf den EU-Vorschlag, nicht hinreichend ist, führt über die Fragestellung dieses Papiers hinaus.

Relevant für die hier verfolgte Fragestellung sind dagegen die weiteren sicherheitspolitischen Aspekte des EU-Vorschlags: Die EU-Staaten gehen auf die sicherheitspolitischen Probleme des Irans ein und offerieren dem Iran eine Sicherheitsgarantie der Nuklearmächte Frankreich und Großbritannien, politische Unterstützung bei der Lösung regionaler Sicherheitsprobleme sowie für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten. Während die beiden letzten Zusagen notwendigerweise zunächst noch im Allgemeinen bleiben, kann die Sicherheitsgarantie Frankreichs und Großbritanniens als konkret bezeichnet werden: Sie entspricht wörtlich jener Sicherheitsgarantie, die alle nuklearen Mitgliedstaaten des NVV den nichtnuklearen Mitgliedern 1995 anlässlich der unbefristeten Verlängerung des NVV gaben.[41]

Aus iranischer Sicht konnte dies nicht genügen: Zum einen handelt es sich um eine politisch, aber nicht rechtlich verbindliche Garantie, die er bereits hat. Zum anderen wird diese weder erweitert, noch verbessert sich dadurch die Sicherheitsperzeption des Irans. Sie schützt den Iran unter bestimmten Umständen vor einem Angriff der beiden europäischen Nuklearmächte mit Atomwaffen. Ein solcher Angriff dürfte jedoch in der iranischen Bedrohungsanalyse wenn überhaupt dann nur "unter ferner liefen" vorkommen. Höher schätzt der Iran sicher das Risiko eines Nuklearschlages seitens der USA oder Israels ein und wohl noch gravierender erscheint ihm das Risiko eines überlegenen konventionellen Angriffs der USA. Die Sicherheitsgarantie musste damit aus iranischer Sicht zu kurz greifen.[42] Auch hier dürfte eine Ursache für die schroffe Ablehnung des EU-Angebotes durch den Iran zu finden sein.

Letztlich muss es sogar verwundern, dass die EU dem Iran einen Vorschlag machte, den dieser keinesfalls annehmen konnte. Schon der Versuch, sich in die Position der iranischen Unterhändler hineinzuversetzen, hätte dies auch den EU-Unterhändlern klarmachen müssen. Die deutschen Unterhändler hätten es aber auch auf anderem Wege feststellen können: Ein Gang in das Archiv des Auswärtigen Amtes hätte gezeigt: Als der NVV ausgehandelt wurde, verfolgte die Bundesrepublik, die sich als regionale Mittelmacht betrachtete, ein ambitioniertes ziviles Nuklearprogramm mit dem Ziel eines geschlossenen Brennstoffkreislaufes, das weit umfänglicher war und der Technologie nach mehr Proliferationsgefahren beinhaltete als das heutige Nuklearprogramm des Irans. Bonn sah sich durch die Warschauer Vertragsorganisation zudem einer militärischen Bedrohung ausgesetzt, die aus Sicht der Bundesregierung eine garantierte atomare Abschreckung erforderlich machte. Hartnäckig hielten die Diplomaten des Auswärtigen Amtes deshalb damals alle Optionen offen, die Nukleartechnik in vollem Umfang zivil zu nutzen. Sie stimmten dem NVV zudem erst zu, als sie die Fortexistenz der nuklearen Abschreckungsgarantie durch die westlichen Atommächte einschließlich der nuklearen Teilhabe und der Option, US-Nuklearwaffen im Kriege auch mit bundesdeutschen Trägersystemen einzusetzen, gesichert wussten. Singularisierung, einseitiger Souveränitätsverzicht, atomare Sicherheitsgarantien, das Recht auf die uneingeschränkte zivile Nutzung der Kernenergie und Kernforschung, das waren damals Begriffe, die die deutsche Debatte zutiefst prägten. Ein Rückgriff auf die Geschichte hätte also schnell gezeigt, dass sich der Iran heute in einer ähnlichen Lage und Debatte sieht wie die Bundesrepublik damals.[43]

Angesichts des für den Iran inakzeptablen EU-Angebotes standen sich die EU-Staaten und Teheran in Kernfragen also weiter mit ihren Ausgangspositionen gegenüber. Zudem ging der Iran mit der Wiederaufnahme der Urankonversion psychologisch in die Offensive. Die EU-Staaten stellten sich zwar auf den Standpunkt, der Iran habe mit der Wiederaufnahme der Urankonversion gegen das Pariser Übereinkommen verstoßen und deshalb seien weitere Verhandlungen nicht möglich. Der Iran dagegen vertrat die Auffassung, der Verzicht auf die Urankonversion sei eine zeitlich begrenzte, vertrauensbildende Maßnahme gewesen, die wie angekündigt, Ende Juli 2005 ausgelaufen sei. An alle anderen freiwilligen, vertrauensbildenden Maßnahmen halte er sich weiter, aber ebenfalls nicht zeitlich unbegrenzt.

Beide Seiten verfolgten ihre Linie zunächst konsequent weiter. Die EU-Staaten begannen, eine Resolution für den Gouverneursrat der IAEO vorzubereiten und drohten, den "Fall Iran" an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu überweisen, damit dieser Konsequenzen beschließen könne. Nach vielen Vorgesprächen zeigte sich, dass ein konsensualer Beschluss des Gouverneursrates nicht die von der EU und den USA gewünschte Schärfe und Deutlichkeit haben würde. Die westlichen Kritiker des Irans wählten deshalb ein anderes Vorgehen. Sie brachen mit der Tradition des Gouverneursrates, Resolutionen einstimmig zu beschließen, und entwickelten einen Resolutionsentwurf, der die Ziele größtmöglicher Schärfe und einer größtmöglichen Zahl von Ja-Stimmen miteinander in Einklang bringen sollte. In dem Wissen, dass die Zusammensetzung des Rates sich nach dieser Sitzung turnusmäßig ändern und sich dabei die Mehrheitsverhältnisse zu ungunsten der eigenen Position verschlechtern würden, wurde es nun zum Ziel, eine möglichst scharfe Resolution zu verfassen, auf die man sich – trotz des veränderten Zustandekommens per Mehrheit – später würde berufen können.

Am 24. September beschloss der 35-köpfige Gouverneursrat eine Resolution, die aus verschiedenen Gründen nicht unproblematisch ist. Zum einen wurde vom bisher üblichen Prinzip der Konsensentscheidung abgewichen und mit Mehrheit enschieden. Zweitens wirft die Resolution dem Iran vor, er habe sich "viele Fehler und Brüche" seiner Verpflichtungen aus dem Safeguards-Abkommen zu Schulden kommen lassen. Die Resolution urteilt, dass dies einen "förmlichen Vertragsbruch" (non-compliance) darstelle. Drittens wird festgehalten, dass das mangelnde Vertrauen in die Tatsache, dass der Iran ausschließlich ein ziviles Nuklearprogramm betreibe, "Fragen aufwirft, die in der Kompetenz des UN-Sicherheitsrates liegen, jenes Organs, dem die Hauptverantwortlichkeit für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit zukommt."[44] Mit dieser scharfen Sprache wurde der "Fall Iran" sehr nahe an eine Überweisung an den Sicherheitsrat herangerückt. Die Faktenbasis, die die Feststellung des Vertragsbruchs untermauert, ist dagegen vergleichsweise dürftig; zudem sind etliche erkannte Verstöße des Irans gegen seine Verpflichtungen gegenüber der IAEO "geheilt" und können damit eigentlich nicht mehr als Begründung scharfer Maßnahmen dienen. Vergleichbare Fälle führten in der Vergangenheit nicht zu ähnlich scharfen Verurteilungen.

Die Verabschiedung dieser scharfen Resolution dürfte es allerdings den EU-Staaten erleichtert haben, neue Gespräche mit dem Iran aufzunehmen, obwohl dieser die Urankonversion nicht erneut aussetzte. Den Anlass dazu boten im Oktober und November seitens des Irans und Russlands aufgebrachte Kompromiss-Ideen, die in dieser Form wohl noch nicht zu einer Lösung beitragen werden, aber zumindest neue Gespräche rechtfertigen. Der Iran schlug vor, andere Länder an seiner Urananreicherungsanlage in Natanz zu beteiligen. Dieser Vorschlag scheitert, weil die EU-Staaten, die USA und Israel eine Urananreicherung auf iranischem Territorium grundsätzlich unterbinden wollen. Russland schlug vor, auf russischem Territorium eine Urananreicherungsanlage zu betreiben, die den Bedarf des Irans und Russlands decken soll. Diesen Vorschlag wiederum lehnte bisher der Iran ab, weil damit einerseits nicht garantiert wird, dass iranische Techniker und Technik zum Einsatz kommen, und andererseits die Anreicherung auf iranischem Territorium bei gleichzeitiger Abhängigkeit von einem Lieferland ausgeschlossen werden würde. Aus iranischer Sicht könnte der russische Vorschlag ergänzend zu einer Anreicherung in Natanz praktiziert werden, nicht aber alternativ dazu. Möglich wäre es Teheran vielleicht, ein multilaterales Joint-Venture zu akzeptieren, das auch China mit einbindet. Teheran ist dagegen nicht bereit, sich als einziger Staat rechtlich dazu zu verpflichten, auf die Anreicherung auf eigenem Territorium zu verzichten.

Für den Januar 2006 sind weitere Gespräche zwischen der EU und dem Iran angekündigt. Die Erfolgsaussichten werden als gering eingeschätzt. EU-Diplomaten erwecken offensiv den Eindruck, dass sie mit einem baldigen Scheitern der Gespräche rechnen. Sie wollen dann erneut einen Anlauf unternehmen, den Gouverneursrat der IAEO dazu zu bewegen, dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Bericht zu erstatten. Ob ein solcher Beschluss zustande käme, ist nicht sicher. Der Gouverneursrat der IAEO wurde im letzten Quartal 2005 turnusgemäß neu besetzt. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich zuungunsten der Kritiker des Irans verschoben. Bereits während der Ratssitzung im November verzichtete die EU auf die erneute Vorlage einer Resolution, die den Iran scharf kritisierte, weil diese wohl keine Mehrheit gefunden hätte. Für den Fall einer Überweisung der Causa Iran an den UN-Sicherheitsrat hat der Iran angekündigt, seine Unterschrift unter das Zusatzprotokoll zum Safeguard-Abkommen zurückzuziehen und der IAEO die damit verbundenen, erweiterten Befugnisse wieder zu entziehen. Er will auch alle anderen einseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen dann zurücknehmen. Das iranische Parlament hat ein entsprechendes Vorgehen bereits beschlossen.[45] Eine Überweisung an den Sicherheitsrat muss nicht zwingend zu einer raschen Eskalation führen. Zum einen kann der Iran dort mit durch wirtschaftliche und politische Interessen begründeter Unterstützung durch die Vetomacht China rechnen. Auch Russland könnte sich weigern, einen harten Konfrontationskurs mitzutragen. Zudem zeigt sich am nordkoreanischen Beispiel, dass eine solche Problematik im Sicherheitsrat auch lange schlummern kann, ohne dass entscheidendes geschieht. Eine rasche Eskalation ist aber auch nicht auszuschließen.

Offen bleibt, ob der Iran zu einem Verzicht auf Teile des Brennstoffzyklus bereit wäre, wenn die EU-Staaten ihm in anderen, für ihn wichtigen Bereichen (Sicherheitsgarantien, wirtschaftliche, technische, nukleare und politische Zusammenarbeit, Wiedereingliederung in Strukturen der Internationalen Gemeinschaft) substantiell und mit größerer Verbindlichkeit entgegenkommen würden. Dies wurde bislang nicht hinlänglich ausgelotet. Insbesondere dann, wenn der Iran von solchen Gegenofferten hinsichtlich seiner Rolle als Regionalmacht politisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftlich profitieren könnte, ohne zugleich einen regionalen Gesichtsverlust in der Nuklearfrage hinnehmen zu müssen, könnte ein solches Verhandlungsangebot erfolgversprechend sein.



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