Das Atomprogramm des Irans
Nachdenken über Rahmenbedingungen einer politischen Lösung
Inhaltsverzeichnis:
7. Die Motive des Irans
Der Beginn des iranischen Nuklearprogramms in den 60er und vor allem 70er Jahren stand
unter dem Vorzeichen der industriellen und technologischen Modernisierung des Landes. Der
Schah wollte die schnell wachsenden Öleinnahmen seines Landes in dessen
Zukunftsfähigkeit investieren, die Elektrifizierung durch Nutzung der Atomenergie
vorantreiben und dem Iran eine zusätzliche Energiequelle erschließen.[30] Nach der Revolution und dem
iranisch-irakischen Krieg, als der Iran sich entschloss, sein Nuklearprogramm wieder
aufzunehmen, kamen möglicherweise sicherheits- und regionalpolitische Motive hinzu. Heute
werden sie zudem durch Motive aus dem Bereich des nationalen Selbstwertgefühls ergänzt.
Derzeit wird die iranische Haltung im Wesentlichen von folgenden Interessen geleitet:
- Der Iran versteht sich als eine regionale Mittelmacht, die nicht zu einem erzwungenen
dauerhaften, einseitigen Souveränitätsverzicht bereit ist und für die ein einseitiger
Souveränitätsverzicht ohne Gegenleistung aus prinzipiellen Gründen nicht in Frage
kommt.
- Als stolze Mittelmacht mit hohem Entwicklungspotential betrachtet sich der Iran auch in
technologischer Hinsicht. Der Verzicht auf nationale, hochtechnologische Errungenschaften
wie z.B. das Beherrschen des nuklearen Brennstoffkreislaufs, das der Iran für sich in
wesentlichen Teilen bereits reklamiert, kommt deshalb kaum in Betracht. Verstärkt wird
diese Haltung durch die Interessen des qualifizierten Fachpersonals, das an seinen
Projekten praktisch weiterarbeiten will. Der starke Druck aus dem Ausland, der Iran solle
sein Nuklearprogramm einschränken und auf das Recht, diese Technologie umfassend zu
nutzen, verzichten, wirkt innenpolitisch bereits heute als Verstärkung für die nuklearen
Ambitionen des Irans. Die selbstbestimmte Weiterführung des Nuklearprogramms wird zu
einer Frage der Ehre, des Selbstwertgefühls.
- Als Mittelmacht mit einer relativ gut ausgebildeten jüngeren Generation in den Städten
weiß der Iran um sein wirtschaftliches und technologisches Entwicklungspotential, das er
aber nur ausschöpfen kann, wenn insbesondere im Bereich der Elektrifizierung und
Stromversorgung rasch infrastrukturell aufgerüstet wird.
- Als regionale, aufgrund seiner Öl- und Gasvorkommen potentiell recht reiche Mittelmacht
beansprucht der Iran für sich ein wesentliches Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der
regionalen Beziehungen, insbesondere auch der sicherheitspolitischen Beziehungen. Er weiß
aber auch, dass dieser Anspruch nur aufrecht erhalten werden kann, wenn der Iran
Energieexporteur bleibt.
- Der Iran sieht sich vor mehreren Sicherheitsproblemen und konstatiert ein
Sicherheitsdefizit. Lange betrachtete Teheran den konkurrierenden Nachbarn und ehemaligen
Kriegsgegner Irak, den als unkalkulierbar erachteten Nachbarn Pakistan sowie das atomar
bewaffnete Israel als wichtigste Sicherheitsprobleme. Er richtete seine eigene
Sicherheitspolitik deswegen fast ausschließlich regional aus. Mit dem Globalen Krieg der
USA gegen den Terrorismus und dem U.S.-Einmarsch im Irak sowie in Afghanistan hat sich die
Problematik verlagert: Der Irak stellt für Teheran vorerst kein substantielles
militärisches Risiko mehr dar. Er könnte sich angesichts der wachsenden politischen
Rolle der Schiiten in diesem Land sogar zu einem begrenzt kooperativen Partner
entwickeln.[31] Der Risikofaktor
Pakistan bleibt unverändert bestehen; Pakistan baut sein Nuklearwaffenpotential aus. Der
Risikofaktor Israel bleibt ebenfalls bestehen; er gewinnt aber an Bedeutung, je deutlicher
der Iran sich der "roten Linie" der Begin-Doktrin nähert.[32] Von erheblich größerer Bedeutung als in der
Vergangenheit ist für den Iran heute auch der Risikofaktor USA. War Washington in der
Vergangenheit ein weit entfernter, primär "ideologischer" Gegner, von dem eine
eher allgemeine, unspezifische Bedrohung ausging und der sich mittels nationaler
Sanktionen um eine Behinderung der iranischen Wirtschafts- und Militärentwicklung
bemühte, so hat sich die iranische Wahrnehmung in den letzten Jahren dramatisch
verändert. Heute sind die USA ein bedrohlicher "Nachbar". Dieser hat den Iran
mit seinen Militärstützpunkten und Interventionstruppen weitgehend eingekreist und seine
strategischen und strategisch-operativen militärischen Handlungsmöglichkeiten um
operativ-taktische und taktische erweitert. Mit ihrer militärischen Präsenz im Golf, in
Afghanistan, dem Irak, etlichen zentralasiatischen Republiken und zunehmend auch in der
Schwarzmeerregion haben die USA eine Situation geschaffen, in der sie angesichts ihrer
konventionellen militärischen Überlegenheit gegen alle Landesteile des Irans
militärische Handlungsmöglichkeiten aus der Luft besitzen und in weiten Teilen des
Landes auch mit Spezialkräften eingreifen könnten. Die enge Verbindung zwischen den USA
und Israel, die im Iran als bedingungslose Unterstützung jedweder Politik Israels durch
die USA wahrgenommen wird, verstärkt die Risikoperzeption des Irans. Teilweise gilt dies
auch für die Beziehungen der USA zu Pakistan.
Diese Faktoren beeinflussen auch die Sicherheitspolitik. Sie dürften in all jenen
Bereichen wirken, in denen es um die internationale Rolle und das Standing des Irans geht,
also auch bei sicherheitspolitisch relevanten Verhandlungen. Natürlich beeinflussen sie
auch die iranische Haltung im Disput über das Nuklearprogramm Teherans. Denn unabhängig
davon, ob der Iran selbst seinem Nuklearprogramm offen oder verdeckt eine
sicherheitspolitische Funktion zuweist, hat es ein solche Funktion bekommen, da es
außerhalb des Irans vorrangig unter sicherheitspolitischen Vorzeichen diskutiert wird.
Jenseits dieser relativ gesicherten Faktoren gilt es aber auch zu fragen, welche Motive
den
Iran antreiben könnten, hätte er denn ein militärisches Nuklearprogramm. Auch hier
spielen oben genannte Faktoren erneut eine Rolle. Die Iraner sehen nicht ein, warum Israel
das Recht haben sollte, fast unkritisiert Nuklearwaffen besitzen zu dürfen, während dem
Iran dieses Recht versagt werden soll. Argumentative Zustimmung ist auch zu einem Argument
zu hören, das in Asien immer häufiger verwendet wird: Nur der Besitz von Nuklearwaffen
garantiert eine gewisse Sicherheit vor der Möglichkeit einer Intervention der USA mit
ihren weit überlegenen konventionellen Streitkräften im Konfliktfall. Dies variierend
wird argumentiert, schon die Möglichkeit, dass ein Land wie der Iran über Nuklearwaffen
verfüge, bzw. die Möglichkeit, dass er sie besitze könnte, könne eine abschreckende
Wirkung entfalten.
8. Verhandlungen mit der EU [33]
Als sich die internationale Debatte um das iranische Atomprogramm zwischen Frühjahr
und Herbst 2003 zuspitzte, ergriffen die drei großen EU-Staaten Deutschland, Frankreich
und Großbritannien die Initiative. Nach etlichen Gesprächrunden reisten deren
Außenminister im November 2003 nach Teheran, um eine diplomatische Lösung des Konfliktes
zu Papier zu bringen. Am Ende harter Verhandlungen stand die Teheraner Vereinbarung, mit
der sich der Iran bereiterklärte, das erweiterte Safeguards-Protokoll zu unterzeichnen
und der IAEO damit erweiterte Inspektions- und Informationsrechte einzuräumen. Als
vertrauensbildende Maßnahme erklärte sich der Iran zudem bereit, freiwillig alle
Urananreicherungs- und Wiederaufarbeitungsaktivitäten gemäß IAEO-Definition vorläufig
auszusetzen. Er bestätigte seine Verpflichtungen aus dem NVV und erklärte sich zu voller
Kooperation mit der IAEO bereit. Die EU-Staaten bestätigten das Recht des Irans, die
Kernenergie in vollem Umfang friedlich zu nutzen, versprachen einen verbesserten Zugang zu
modernen Technologien für die Zeit nach Klärung der offenen Fragen und eine
Zusammenarbeit in Fragen der regionalen Sicherheit.
Doch schon bald ergaben sich erste Interpretationsdifferenzen zwischen dem Iran und der
EU. Der Iran führte seine Arbeiten im Bereich der Urankonversion weiter und trieb den
Anlagenbau für die Urananreicherung voran. Die EU-Staaten sahen darin eine Verletzung der
Teheraner Vereinbarung, weil sie diese Arbeiten als Teil der Urananreicherung
betrachteten. Im Oktober 2004 machten die EU-Staaten erstmals den Vorschlag eines
Langzeitabkommens, um das entstandene Impassé zu überwinden. Am 15. November 2004
erreichten die EU und der Iran in Paris eine neue, genauere Übereinkunft. Bis zu diesem
Zeitpunkt war es dem Iran aber gelungen, die Urankonversionsanlage in Isfahan fertig zu
stellen und erstmals (verunreinigtes) Uranhexafluorid herzustellen. Zudem war in Natanz
eine erste kleine Kaskade mit 164 Zentrifugen aufgestellt worden.
Im Pariser Übereinkommen erklärte sich der Iran bereit, die Uran-Konversion in
Isfahan freiwillig zu unterbrechen, die Uran-Anreicherung in Natanz für die Dauer der
Gespräche nicht weiter zu verfolgen, sowie den Aufbau der Anlage und den Import oder Bau
von Zentrifugen zu unterbrechen und keinerlei Aktivitäten im Bereich der
Wiederaufarbeitung bzw. der Plutoniumabtrennung zu verfolgen. Dies entsprach den
Forderungen der EU. Unklar blieb allerdings, für welchen Zeitraum der Iran seine Arbeiten
freiwillig unterbrechen werde. Die Anlagen wurden von der IAEO versiegelt und die
Einhaltung der Vereinbarungen unterliegt der Überprüfung durch die Wiener Behörde. Die
EU bestätigte, dass diese Maßnahmen einseitige, vertrauensbildende Maßnahmen des Irans
sind, zu denen dieser rechtlich nicht verpflichtet sei und die er freiwillig ergriff.
Verhandlungen über ein Langzeitabkommen wurden vereinbart, die noch im Dezember 2004
begannen und ab Januar 2005 intensiviert wurden. Dieses Abkommen soll objektive Garantien
beinhalten, dass der Iran sein Nuklearprogramm ausschließlich zivil nutzt. Es soll feste
Garantien für die künftige, nukleare, technologische und wirtschaftliche Zusammenarbeit
sowie feste Verpflichtungen im Bereich sicherheitspolitischer Fragen enthalten.[34] Arbeitsgruppen (Politische und
Sicherheitsfragen, Technisch-Wirtschaftliche Kooperation und Nuklearangelegenheiten)
sollten die Details unter Federführung eines Lenkungsausschusses weiter ausarbeiten. Die
EU versprach dem Iran zudem, ihn bei seinem Bemühen um Mitgliedschaft in der WTO sowie in
der IAEO-Expertengruppe "Multilateral Approaches to the Nuclear Fuel Cycle" zu
unterstützen.
In der Folge verhandelten der Iran und die drei EU-Staaten regelmäßig. Die USA, die
den EU-Iran-Gesprächen zunächst skeptisch gegenüber gestanden hatten und sich lediglich
eine Beurteilung des Endergebnisses vorbehielten, wandelten kurz vor dem Europabesuch
Präsident Bushs im März 2005 ihre Position etwas ab. Sie erklärten, noch sei Zeit für
die Diplomatie, zogen ihren Vorbehalt gegen die Aufnahme von Gesprächen über den
Beitritt des Irans zur WTO zurück und deuteten die Möglichkeit an, dass der Iran nach
erfolgreichen Verhandlungen wieder Ersatzteile für zivile Flugzeuge beziehen könne.
Einer grundsätzlichen Unterstützung des europäischen Verhandlungsansatzes kam dies
allerdings nicht gleich. Viele Beobachter sahen darin eher die Zusage einer Atempause, die
wohl mindestens bis zur iranischen Präsidentschaftswahl im Sommer 2005 andauern werde.[35] Die EU-Staaten ihrerseits
machten ebenfalls einen Schritt auf die USA zu, indem sie zustimmten, der "Fall
Iran" werde im Falle des Scheiterns der Verhandlungen an den Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen weitergeleitet, der konkrete Maßnahmen gegen den Iran von
Sanktionen bis hin zu militärischen Aktionen beschließen kann.
Während der EU-Iran-Gesprächsrunden zeigte sich bald, dass die Vorstellungen der EU
und des Irans über ein langfristiges Rahmenabkommen zur Beilegung der Krise weiterhin
weit auseinander gingen. Als Beispiel kann eine iranische Antwort auf Vorschläge der EU
für ein Langzeitabkommen vom 3. Mai 2005 dienen. Hier machte der Iran deutlich, was er
erwartete: Er sei bereit, das IAEO-Zusatz-Protokoll zu ratifizieren, eine politische
bindende Erklärung abzugeben, dass er nur einen offenen Brennstoffkreislauf ohne
Wiederaufarbeitung betreiben wolle, und eine nationale Gesetzgebung zu verabschieden, die
dauerhaft nur die zivile, aber keine militärische Nutzung der Atomenergie zulasse. Er
erwarte, dass er seine Urankonversionsanlage Ende Juli 2005 wieder in Betrieb nehmen
könne. Das UF6 solle unter IAEO-Kontrolle gestellt werden. Er wolle in Natanz zunächst
3.000 Zentrifugen installieren, politisch verbindlich erklären, dass er Uran unter
permanenter Kontrolle der IAEO nur leicht anreichern und sofort und vollständig zu
Brennstäben verarbeiten werde. Der weitere Ausbau der Kapazität der Anreicherungsanlage
in Natanz bleibe vorgesehen. Von der EU erwarte Teheran eine politische Zusage über den
Zugang des Irans zu EU-Märkten, einschließlich des Investitionsmarktes, eine politische
Erklärung über die Rolle des Irans als wichtiger Energielieferant, eine Erklärung über
den garantierten Zugang des Irans zu europäischer Hoch- und Nukleartechnologie, eine
Machbarkeitsstudie sowie später Verträge über den Bau weiterer Atomkraftwerke im Iran
durch Firmen aus den EU-Staaten, eine Zusage der garantierten Lieferung nuklearen
Brennstoffs als Ergänzung zur iranischen Produktion, eine Aufhebung technologischer
Sanktionen gegen den Iran im G-8-Kontext sowie die Bereitschaft zum Abschluss von
Lieferverträgen über Rüstungsgüter. Zudem solle die EU eine Initiative für eine
Massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten vorantreiben.
Im Kern zeigte sich der Iran damit bereit, sich auf einen offenen Brennstoffkreislauf
zu beschränken und auf die Wiederaufarbeitung zu verzichten. Dessen ausschließlich
zivile Nutzung sollte zum einen durch IAEO-Safeguards, zum anderen durch nationale
Gesetzgebung sowie einseitige, politisch verbindliche Erklärungen des Irans garantiert
werden.[36] Der Iran zeigte sich
dagegen nicht bereit, über die Ratifizierung des IAEO-Zusatzprotokolls hinaus
völkerrechtlich verbindliche Zusagen zu machen oder sich auf einen dauerhaften,
einseitigen Souveränitätsverzicht einzulassen. Im Gegenzug fordert er im Kern eine
schrittweise Aufhebung bislang gültiger Sanktionen, sowie die Wiederherstellung der
Möglichkeit, Hochtechnologie, einschließlich nuklearer und militärischer zu
importieren.
Ende Juli so versprachen die EU-Staaten Ende Mai würden sie ihr Angebot
für ein langfristiges Abkommen präsentieren. Als sich abzuzeichnen begann, dass sich der
Termin etwas verschieben werde, reagierte der Iran, der zuvor immer wieder betont hatte,
er wolle rasch zu einem Ergebnis kommen, mit der Ankündigung, er werde die freiwillig
ausgesetzte Konversion von Uran in Uranhexafluorid wie angekündigt Anfang August wieder
aufnehmen und setzte dies in die Tat um. Er ermöglichte der IAEO die Überwachung seines
Vorgehens. Die EU protestierte und sah dies als Bruch der Pariser Vereinbarung an. Sie
beantragte, den Gouverneursrat der IAEO zu einer Sondersitzung zusammenzurufen.[37]
Am 5. August legte die EU dem Iran ihre Vorschläge für ein Abkommen vor, die dieser
umgehend als völlig unzureichend und sogar "beleidigend" zurückwies. Was
führte zu dieser schroffen Reaktion?
Der EU-Vorschlag sah vor, dass der Iran als einseitige, vertrauensbildende Maßnahme
rechtsverbindlich auf alle Aktivitäten des atomaren Brennstoffkreislaufs verzichtet, die
über den Betrieb von Leichtwasserreaktoren und Leichtwasserforschungsreaktoren
hinausgehen.[38] Dieser Verzicht
soll dauerhaft und über einen signifikanten Zeitraum erfolgen, unterliegt aber einer
Überprüfung.[39] Darüber
hinaus soll der Iran sich völkerrechtsverbindlich verpflichten, zu keinem Zeitpunkt aus
dem NVV auszuscheiden und alle seine Nuklearanlagen "unter allen Umständen"
durch die IAEO kontrollieren zu lassen. Bis Ende 2005 soll er das Zusatzprotokoll zu den
IAEO-Safeguards ratifizieren, sich verpflichten, frische Brennelemente nur aus dem Ausland
zu beziehen sowie abgebrannte Elemente an die Lieferanten zurückzugeben. Im Gegenzug wird
dem Iran ein gesicherter Weltmarktzugang zu Nuklearbrennstoff zugesagt, der für den Fall
von Engpässen z.B. durch seitens der EU bereitgestellte Reserven abgesichert werden
könne. Die EU werde bei der Entwicklung alternativer Nutzungen für die stillzulegenden
Nuklearanlagen sowie bei der weiteren Beschäftigung des Personals helfen.
Dieser Teil der EU-Vorschläge musste aus iranischer Sicht unannehmbar sein. Die EU
forderte von Teheran einen Verzicht auf substantielle Teile des geplanten, offenen
Brennstoffkreislaufs, einschließlich bereits vorhandener oder im Bau befindlicher
Anlagen. Aus iranischer Sicht bedeutete dies den Verzicht auf wesentliche, nationale
technische Errungenschaften. Die EU forderte unter dem Rubrum "einseitiger
vertrauensbildender Maßnahmen" Schritte, die einen freiwilligen, einseitigen
Souveränitätsverzicht des Irans implizierten, da sie rechtsverbindlich gemacht werden
sollten. Noch weniger konnte der Iran akzeptieren, dass er sich international rechtlich
verpflichten sollte, nie aus dem NVV auszutreten.[40] Diese Forderung implizierte eine Singularisierung des
Irans in der internationalen Staatengemeinschaft, da kein anderes Land der Erde eine
solche Verpflichtung bislang eingegangen ist oder auch nur aufgefordert worden wäre, eine
solche Verpflichtung einzugehen. Die generelle Bereitschaft der EU, dem Iran das Recht der
zivilen Nutzung der Atomenergie in einem solchen Abkommen zuzugestehen, konnte diesen
Makel nicht wieder aufheben.
Der EU-Vorschlag für ein Langzeitabkommen listet darüber hinaus eine Vielzahl von
wirtschaftlichen und technischen Kooperationsoptionen auf, darunter auch den Zugang zu
nuklearen Brennstoff. Eine ausführliche Diskussion über deren Details, Tragweite,
Charakter und Verbindlichkeit, die für den Iran, so seine Reaktion auf den EU-Vorschlag,
nicht hinreichend ist, führt über die Fragestellung dieses Papiers hinaus.
Relevant für die hier verfolgte Fragestellung sind dagegen die weiteren
sicherheitspolitischen Aspekte des EU-Vorschlags: Die EU-Staaten gehen auf die
sicherheitspolitischen Probleme des Irans ein und offerieren dem Iran eine
Sicherheitsgarantie der Nuklearmächte Frankreich und Großbritannien, politische
Unterstützung bei der Lösung regionaler Sicherheitsprobleme sowie für eine
massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten. Während die beiden
letzten Zusagen notwendigerweise zunächst noch im Allgemeinen bleiben, kann die
Sicherheitsgarantie Frankreichs und Großbritanniens als konkret bezeichnet werden: Sie
entspricht wörtlich jener Sicherheitsgarantie, die alle nuklearen Mitgliedstaaten des NVV
den nichtnuklearen Mitgliedern 1995 anlässlich der unbefristeten Verlängerung des NVV
gaben.[41]
Aus iranischer Sicht konnte dies nicht genügen: Zum einen handelt es sich um eine
politisch, aber nicht rechtlich verbindliche Garantie, die er bereits hat. Zum anderen
wird diese weder erweitert, noch verbessert sich dadurch die Sicherheitsperzeption des
Irans. Sie schützt den Iran unter bestimmten Umständen vor einem Angriff der beiden
europäischen Nuklearmächte mit Atomwaffen. Ein solcher Angriff dürfte jedoch in der
iranischen Bedrohungsanalyse wenn überhaupt dann nur "unter ferner liefen"
vorkommen. Höher schätzt der Iran sicher das Risiko eines Nuklearschlages seitens der
USA oder Israels ein und wohl noch gravierender erscheint ihm das Risiko eines
überlegenen konventionellen Angriffs der USA. Die Sicherheitsgarantie musste damit aus
iranischer Sicht zu kurz greifen.[42]
Auch hier dürfte eine Ursache für die schroffe Ablehnung des EU-Angebotes durch den Iran
zu finden sein.
Letztlich muss es sogar verwundern, dass die EU dem Iran einen Vorschlag machte, den
dieser keinesfalls annehmen konnte. Schon der Versuch, sich in die Position der iranischen
Unterhändler hineinzuversetzen, hätte dies auch den EU-Unterhändlern klarmachen
müssen. Die deutschen Unterhändler hätten es aber auch auf anderem Wege feststellen
können: Ein Gang in das Archiv des Auswärtigen Amtes hätte gezeigt: Als der NVV
ausgehandelt wurde, verfolgte die Bundesrepublik, die sich als regionale Mittelmacht
betrachtete, ein ambitioniertes ziviles Nuklearprogramm mit dem Ziel eines geschlossenen
Brennstoffkreislaufes, das weit umfänglicher war und der Technologie nach mehr
Proliferationsgefahren beinhaltete als das heutige Nuklearprogramm des Irans. Bonn sah
sich durch die Warschauer Vertragsorganisation zudem einer militärischen Bedrohung
ausgesetzt, die aus Sicht der Bundesregierung eine garantierte atomare Abschreckung
erforderlich machte. Hartnäckig hielten die Diplomaten des Auswärtigen Amtes deshalb
damals alle Optionen offen, die Nukleartechnik in vollem Umfang zivil zu nutzen. Sie
stimmten dem NVV zudem erst zu, als sie die Fortexistenz der nuklearen
Abschreckungsgarantie durch die westlichen Atommächte einschließlich der nuklearen
Teilhabe und der Option, US-Nuklearwaffen im Kriege auch mit bundesdeutschen
Trägersystemen einzusetzen, gesichert wussten. Singularisierung, einseitiger
Souveränitätsverzicht, atomare Sicherheitsgarantien, das Recht auf die uneingeschränkte
zivile Nutzung der Kernenergie und Kernforschung, das waren damals Begriffe, die die
deutsche Debatte zutiefst prägten. Ein Rückgriff auf die Geschichte hätte also schnell
gezeigt, dass sich der Iran heute in einer ähnlichen Lage und Debatte sieht wie die
Bundesrepublik damals.[43]
Angesichts des für den Iran inakzeptablen EU-Angebotes standen sich die EU-Staaten und
Teheran in Kernfragen also weiter mit ihren Ausgangspositionen gegenüber. Zudem
ging der Iran mit der Wiederaufnahme der Urankonversion psychologisch in die Offensive.
Die EU-Staaten stellten sich zwar auf den Standpunkt, der Iran habe mit der Wiederaufnahme
der Urankonversion gegen das Pariser Übereinkommen verstoßen und deshalb seien weitere
Verhandlungen nicht möglich. Der Iran dagegen vertrat die Auffassung, der Verzicht auf
die Urankonversion sei eine zeitlich begrenzte, vertrauensbildende Maßnahme gewesen, die
wie angekündigt, Ende Juli 2005 ausgelaufen sei. An alle anderen freiwilligen,
vertrauensbildenden Maßnahmen halte er sich weiter, aber ebenfalls nicht zeitlich
unbegrenzt.
Beide Seiten verfolgten ihre Linie zunächst konsequent weiter. Die EU-Staaten
begannen, eine Resolution für den Gouverneursrat der IAEO vorzubereiten und drohten, den
"Fall Iran" an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu überweisen, damit
dieser Konsequenzen beschließen könne. Nach vielen Vorgesprächen zeigte sich, dass ein
konsensualer Beschluss des Gouverneursrates nicht die von der EU und den USA gewünschte
Schärfe und Deutlichkeit haben würde. Die westlichen Kritiker des Irans wählten deshalb
ein anderes Vorgehen. Sie brachen mit der Tradition des Gouverneursrates, Resolutionen
einstimmig zu beschließen, und entwickelten einen Resolutionsentwurf, der die Ziele
größtmöglicher Schärfe und einer größtmöglichen Zahl von Ja-Stimmen miteinander in
Einklang bringen sollte. In dem Wissen, dass die Zusammensetzung des Rates sich nach
dieser Sitzung turnusmäßig ändern und sich dabei die Mehrheitsverhältnisse zu
ungunsten der eigenen Position verschlechtern würden, wurde es nun zum Ziel, eine
möglichst scharfe Resolution zu verfassen, auf die man sich trotz des veränderten
Zustandekommens per Mehrheit später würde berufen können.
Am 24. September beschloss der 35-köpfige Gouverneursrat eine Resolution, die aus
verschiedenen Gründen nicht unproblematisch ist. Zum einen wurde vom bisher üblichen
Prinzip der Konsensentscheidung abgewichen und mit Mehrheit enschieden. Zweitens wirft die
Resolution dem Iran vor, er habe sich "viele Fehler und Brüche" seiner
Verpflichtungen aus dem Safeguards-Abkommen zu Schulden kommen lassen. Die Resolution
urteilt, dass dies einen "förmlichen Vertragsbruch" (non-compliance) darstelle.
Drittens wird festgehalten, dass das mangelnde Vertrauen in die Tatsache, dass der Iran
ausschließlich ein ziviles Nuklearprogramm betreibe, "Fragen aufwirft, die in der
Kompetenz des UN-Sicherheitsrates liegen, jenes Organs, dem die Hauptverantwortlichkeit
für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit zukommt."[44] Mit dieser scharfen Sprache
wurde der "Fall Iran" sehr nahe an eine Überweisung an den Sicherheitsrat
herangerückt. Die Faktenbasis, die die Feststellung des Vertragsbruchs untermauert, ist
dagegen vergleichsweise dürftig; zudem sind etliche erkannte Verstöße des Irans gegen
seine Verpflichtungen gegenüber der IAEO "geheilt" und können damit eigentlich
nicht mehr als Begründung scharfer Maßnahmen dienen. Vergleichbare Fälle führten in
der Vergangenheit nicht zu ähnlich scharfen Verurteilungen.
Die Verabschiedung dieser scharfen Resolution dürfte es allerdings den EU-Staaten
erleichtert haben, neue Gespräche mit dem Iran aufzunehmen, obwohl dieser die
Urankonversion nicht erneut aussetzte. Den Anlass dazu boten im Oktober und November
seitens des Irans und Russlands aufgebrachte Kompromiss-Ideen, die in dieser Form wohl
noch nicht zu einer Lösung beitragen werden, aber zumindest neue Gespräche
rechtfertigen. Der Iran schlug vor, andere Länder an seiner Urananreicherungsanlage in
Natanz zu beteiligen. Dieser Vorschlag scheitert, weil die EU-Staaten, die USA und Israel
eine Urananreicherung auf iranischem Territorium grundsätzlich unterbinden wollen.
Russland schlug vor, auf russischem Territorium eine Urananreicherungsanlage zu betreiben,
die den Bedarf des Irans und Russlands decken soll. Diesen Vorschlag wiederum lehnte
bisher der Iran ab, weil damit einerseits nicht garantiert wird, dass iranische Techniker
und Technik zum Einsatz kommen, und andererseits die Anreicherung auf iranischem
Territorium bei gleichzeitiger Abhängigkeit von einem Lieferland ausgeschlossen werden
würde. Aus iranischer Sicht könnte der russische Vorschlag ergänzend zu einer
Anreicherung in Natanz praktiziert werden, nicht aber alternativ dazu. Möglich wäre es
Teheran vielleicht, ein multilaterales Joint-Venture zu akzeptieren, das auch China mit
einbindet. Teheran ist dagegen nicht bereit, sich als einziger Staat rechtlich dazu zu
verpflichten, auf die Anreicherung auf eigenem Territorium zu verzichten.
Für den Januar 2006 sind weitere Gespräche zwischen der EU und dem Iran angekündigt.
Die Erfolgsaussichten werden als gering eingeschätzt. EU-Diplomaten erwecken offensiv den
Eindruck, dass sie mit einem baldigen Scheitern der Gespräche rechnen. Sie wollen dann
erneut einen Anlauf unternehmen, den Gouverneursrat der IAEO dazu zu bewegen, dem
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Bericht zu erstatten. Ob ein solcher Beschluss
zustande käme, ist nicht sicher. Der Gouverneursrat der IAEO wurde im letzten Quartal
2005 turnusgemäß neu besetzt. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich zuungunsten der
Kritiker des Irans verschoben. Bereits während der Ratssitzung im November verzichtete
die EU auf die erneute Vorlage einer Resolution, die den Iran scharf kritisierte, weil
diese wohl keine Mehrheit gefunden hätte. Für den Fall einer Überweisung der Causa Iran
an den UN-Sicherheitsrat hat der Iran angekündigt, seine Unterschrift unter das
Zusatzprotokoll zum Safeguard-Abkommen zurückzuziehen und der IAEO die damit verbundenen,
erweiterten Befugnisse wieder zu entziehen. Er will auch alle anderen einseitigen
vertrauensbildenden Maßnahmen dann zurücknehmen. Das iranische Parlament hat ein
entsprechendes Vorgehen bereits beschlossen.[45] Eine Überweisung an den Sicherheitsrat muss nicht
zwingend zu einer raschen Eskalation führen. Zum einen kann der Iran dort mit durch
wirtschaftliche und politische Interessen begründeter Unterstützung durch die Vetomacht
China rechnen. Auch Russland könnte sich weigern, einen harten Konfrontationskurs
mitzutragen. Zudem zeigt sich am nordkoreanischen Beispiel, dass eine solche Problematik
im Sicherheitsrat auch lange schlummern kann, ohne dass entscheidendes geschieht. Eine
rasche Eskalation ist aber auch nicht auszuschließen.
Offen bleibt, ob der Iran zu einem Verzicht auf Teile des Brennstoffzyklus bereit
wäre, wenn die EU-Staaten ihm in anderen, für ihn wichtigen Bereichen
(Sicherheitsgarantien, wirtschaftliche, technische, nukleare und politische
Zusammenarbeit, Wiedereingliederung in Strukturen der Internationalen Gemeinschaft)
substantiell und mit größerer Verbindlichkeit entgegenkommen würden. Dies wurde bislang
nicht hinlänglich ausgelotet. Insbesondere dann, wenn der Iran von solchen Gegenofferten
hinsichtlich seiner Rolle als Regionalmacht politisch, sicherheitspolitisch und
wirtschaftlich profitieren könnte, ohne zugleich einen regionalen Gesichtsverlust in der
Nuklearfrage hinnehmen zu müssen, könnte ein solches Verhandlungsangebot
erfolgversprechend sein.
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