BITS Research Report 06.1
ISBN 3-933111-12-9
Februar 2006
Studie in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung


Das Atomprogramm des Irans

Nachdenken über Rahmenbedingungen einer politischen Lösung

von Otfried Nassauer

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Inhaltsverzeichnis:

1. Der Nuklearstreit mit dem Iran im Kontext
2. Die atomaren Pläne des Irans – Eine kurze Geschichte
3. Das Atomprogramm des Irans – Ein kurzer Sachstand
4. Vermutungen über ein weitergehendes Atomprogramm
5. Was wäre, wenn?
6. Die rechtliche Seite
7. Die Motive des Irans
8. Die Verhandlungen mit der EU
9. Zukunftsoptionen
10. Rahmenbedingungen einer politischen Lösung
11. Erste Elemente für die Diskussion über einen Lösungsansatz
11.1. Ansätze zu einer Multilateralisierung des Brennstoffzyklus
11.2. Freiwillige Selbstbeschränkung bei Raketenprojekten
11.3. Initiative zugunsten einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen & Mittleren Osten
11.4. Sicherheitspolitische Regionalorganisation
Quellen und Literaturhinweise
Fußnoten


 

1. Der Nuklearstreit mit dem Iran im Kontext

Kaum ein nationales Nuklearprogramm wird öffentlich so intensiv diskutiert wie das des Irans.[1] Zwischen aufgeregter Unsachlichkeit und sachlicher Unaufgeregtheit – so lassen sich viele Beiträge zu dieser Debatte zusammenfassend beschreiben. Denn dafür, dass das iranische Atomprogramm umstritten ist, gibt es gute und weniger gute Gründe.

Zuerst zu den guten Gründen: Der Iran hat über lange Zeit Teile seines atomaren Programms der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) nicht gemeldet. Er verstieß damit in begrenztem Umfang gegen Pflichten, die er als nicht-nukleares Land im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der IAEO und im Atomwaffensperrvertrag (NVV) besitzt. Der Iran hat Technik für sein Nuklearprogramm heimlich erworben und importiert. Er setzte sich damit dem Vorwurf aus, möglicherweise weitere geheime Nuklearaktivitäten zu betreiben. Der Iran hat der IAEO zwar immer wieder angeforderte Informationen zur Verfügung gestellt, die IAEO aber nicht immer von sich aus informiert, wenn dies erforderlich oder ratsam gewesen wäre. Manche Informationen hat er der IAEO in der Vergangenheit auch zunächst vorenthalten. Der Iran dementiert offiziell alle militärischen nuklearen Absichten. Einzelne iranische Politiker und Militärs haben sich trotzdem gelegentlich zweideutig geäußert und Interpretationen Vorschub geleistet, das Land spiele mit dem Gedanken an ein militärisches Atomprogramm.

Westlicherseits, vor allem aus den USA und Israel, wird der Verdacht ins Spiel gebracht, dem Iran gehe es letztlich und vor allem um die Entwicklung atomarer Waffen. Für ein so energiereiches Land wie den Iran mache die zivile Nutzung der Atomenergie keinen Sinn. Es gebe schlicht keinen Bedarf. Die parallele Entwicklung ballistischer Raketen unterschiedlicher Reichweiten (Kurz-, Mittel- und vielleicht auch Langstrecke) verstärke den Verdacht auf eine militärische Intention. Schließlich wird argumentiert, der Iran habe Teile seines Atomprogramms lange geheimgehalten. Dies mache es erforderlich, dass der Iran nun beweisen müsse, dass er keine geheimen nuklearen Aktivitäten betreibe.

Das letzte Argument führt mitten hinein in die weniger guten Gründe. Niemand kann – das besagen schon die Gesetze der Logik – beweisen, dass es etwas nicht gibt. Trotz aller Indizien und Verdachtsmomente: Auch vom Iran kann das nicht erwartet werden. Hinzu kommt: Mit intensiver Lobby-Arbeit und substantiellen Ressourcen begleiten interessierte Kreise aktiv die Diskussion über den Iran, die z.B. der neokonservativen Strömung in den USA, den Volksmujahedin (MEK)[2] oder Israel nahe stehen. Sie sehen in dem Konflikt um das Nuklearprogramm eine Chance, die verhasste Regierung in Teheran endlich ablösen zu können - notfalls auch mit militärischen Mitteln. Diese Kreise verbreiten mit großer öffentlicher Wirksamkeit immer wieder Meldungen, die den Verdacht nahe legen sollen, dass der Iran doch am Erwerb nuklearer Waffen arbeitet. Die Informationen selbst sind von höchst unterschiedlicher Qualität, erreichen aber unabhängig davon fast immer eine breite Öffentlichkeit.[3]

Unstrittig richtig ist: Der Iran betreibt nukleare Forschung, fördert Uran auf seinem Staatsgebiet, will es verarbeiten und anreichern. Sein erstes ziviles Atomkraftwerk steht kurz vor der Inbetriebnahme. Weitere sind geplant. Diese Aktivitäten sind legal, wenn und solange sie ausschließlich zivil ausgerichtet sind. Die IAEO hat bislang keine Beweise für ein militärisches Nuklearprogramm gefunden. Sie arbeitet aber weiter eine Liste noch offener Fragen ab. Dies kann noch geraume Zeit in Anspruch nehmen, denn es macht eine detaillierte Aufarbeitung umfangreicher und auch relativ alter Vorgänge erforderlich. Solange diese Arbeiten nicht abgeschlossen sind, kann und wird die IAEO dem Iran nicht bestätigen, dass er sich heute vollständig vertragskonform verhält. Um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen darf die IAEO bei der Urteilsfindung kein Risiko eingehen, auch nicht, um schneller zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Dass die IAEO noch nicht zu einem Urteil kam, ist deshalb keinesfalls als Indiz dafür zu werten, dass es im Iran (k)ein militärisches Programm gibt. Es ist lediglich ein Indiz dafür, dass die IAEO ihre Aufgabe ernst nimmt und so gründlich wie möglich arbeitet.

Manche Nuklearaktivitäten des Irans können zivile oder militärische Zielsetzungen haben. Insbesondere die Uran-Anreicherung, Teile der Nuklearforschung oder z.B. der geplante Schwerwasserversuchsreaktor in Arak können zivilen aber auch militärischen Zwecken dienen. Dies liegt in der Natur der eingesetzten Technik und deren doppelter Verwendbarkeit begründet. Der umfassenden zivilen Nutzung der Atomenergie ist immer auch ein latentes, militärisches Proliferationsrisiko inhärent. Daraus ergeben sich natürlich Möglichkeiten zu "politisierenden" Interpretationen der nuklearen Intentionen und Ambitionen des Irans, über die sich trefflich spekulieren und streiten lässt. Sie prägen einen Großteil der Diskussion in der Öffentlichkeit. Gerade im Falle des Irans findet der Argwohn, mit dem das Nuklearprogramm des Landes betrachtet wird, in den westlichen Gesellschaften leicht ein verstärkendes Widerlager – die islamische Gesellschaftsordnung des Irans ist extrem konservativ, autoritär und wirkt zudem fremd. Fremdes aber wird oft per se als risikoreicher wahrgenommen, weil es unkalkulierbar erscheint. Den Ayatollahs traut man leichter "alles" zu.

Doch der Argwohn gegenüber dem Iran liegt nicht nur in Faktoren begründet, die der Iran selbst zu verantworten hat oder die er substantiell beeinflussen könnte. Erfahrungen mit und Entwicklungen in der Nichtverbreitungspolitik der jüngsten Vergangenheit spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle. Die Aufdeckung der geheimen Nuklearprojekte des Iraks in der Folge des 2. Golfkrieges verdeutlichte erstmals größere Lücken in den Kontrollmöglichkeiten des Nichtverbreitungssystems und deren praktische Bedeutung. 1998 testeten mit Pakistan und Indien zwei Nichtmitglieder des NVV nukleare Waffen. Begrenzte Sanktionen folgten, wurden aber mittlerweile wieder aufgehoben.[4] Geblieben sind wirkungslose Aufrufe, beide Staaten mögen ihre Nuklearwaffen wieder abrüsten. Erwartungsgemäß wurden sie nicht befolgt. De facto erweckt die internationale Gemeinschaft unter aktiver Führung der USA den eher fatalen Eindruck, sie habe sich damit arrangiert, dass Indien und Pakistan nun über Nuklearwaffen verfügen. Schließlich trat mit Nordkorea erstmals ein nicht-nuklearer Staat aus dem NVV wieder aus und erklärte bald darauf, dass er Nuklearwaffen besitze.[5] Nordkorea hat – so die Wahrnehmung – damit demonstriert, dass es für ein Land möglich ist, sich als nicht-nukleares Mitglied des NVV und trotz massiven internationalen Verdachts so nahe an den Besitz atomarer Waffen "heranzurobben", dass es glaubte, sich einen Austritt aus dem NVV-Regime politisch leisten zu können. Zwar wurde der diplomatische Druck auf Nordkorea erhöht. Doch zu keinem Zeitpunkt wurde das Land mit ähnlich weitreichenden militärischen Drohungen oder gar Krieg überzogen wie der Irak, dessen Nuklearprogramm – wie man heute weiß – faktisch zum Zeitpunkt der den 3. Golfkrieg rechtfertigenden Verdächtigungen nicht mehr existierte.

Muss ein Staat also bereits glaubwürdig mit Nuklearwaffen drohen können, um vor einer Intervention mit überlegener westlicher konventioneller Militärtechnik sicher zu sein, wenn ihm nukleare Ambitionen unterstellt werden? Liegt hier die eigentliche Ursache für die Politik unterschiedlicher Standards in der Nichtverbreitungspolitik, die gerade die USA gegenüber dem Irak und Nordkorea zu praktizieren scheinen? Für den Iran dürfte daraus zumindest die Frage resultiert haben, mit welchem Standard er sich wohl künftig konfrontiert sehen werde – dem, der auf den Irak angewandt wurde oder dem, der für Nordkorea gilt? Muss der Iran befürchten, dass es aufgrund seiner geographisch größeren Nähe zu Israel und anderer Faktoren, wie z.B. des Energiereichtums wahrscheinlicher ist, dass er wie der Irak und nicht wie Nordkorea behandelt werden würde? Hätte dies Auswirkungen auf die iranischen Nuklearintentionen und -planungen? Viele westliche Akteure glauben fest daran, dass der Iran bereits die politische Schlussfolgerung gezogen hat, er solle Nuklearwaffen bauen. Manche Studien diskutieren bereits, welche militärische Nuklearstrategie der Iran verfolgen wird und wie dessen nukleare Kommandostrukturen wohl aussehen werden. Ob diese Einschätzungen zutreffen oder aber vor allem eine "geglaubte Wahrheit", eine "gefühlte Bedrohung" ähnlich der gefühlten Temperatur darstellen, spielt für das politische Handeln des Westens gegenüber dem Iran derzeit scheinbar keine allzu entscheidende Rolle mehr. Denn – so die Logik - "sicher ist sicher", wenn es gilt, ein zweites Nordkorea zu verhindern.

Und doch wird die Frage, wie zutreffend die westlichen Einschätzungen des iranischen Atomprogramms sind, auf die politische Tagesordnung zurückkehren. Dies wird spätestens dann der Fall sein, wenn auf internationaler Ebene über ein militärisches Vorgehen gegen den Iran diskutiert oder ein einseitiger Angriff eines oder mehrerer Staaten nachträglich auf seine Rechtmäßigkeit überprüft würde. Denn der Iran beteuert bis heute, dass er die Nuklearenergie lediglich zivil nutzen will. Bislang konnten ihm keine schlüssigen Gegenbeweise vorgehalten werden.

Sicher ist dagegen schon heute: Der Iran muss damit rechnen, dass sein Nuklearprogramm jener berühmte "erste Fall" ist, an dem das Exempel einer künftigen Praxis amerikanischer und westlicher Nichtverbreitungspolitik statuiert werden könnte, die darauf zielt, eine Wiederholung des Nordkorea-Falls auszuschließen. Ziel dieser neuen Nichtverbreitungspraxis wird es sein, die zivile Nutzung kritischer Teile der Atomtechnik weiter zu beschränken, um einem potentiellen militärischen Missbrauch besser vorbeugen zu können.[6] Doch sollen die neuen, restriktiveren Regeln für alle Staaten gelten oder nur für solche, die als Risikoländer eingestuft werden? Und wer bestimmt, welche Länder als Risikoländer eingestuft werden und welche nicht? Soll – wie im Nuklearwaffenbereich bereits de facto praktiziert – eine Unterscheidung zwischen Staaten eingeführt werden, die die Atomenergie legitimerweise umfassend nutzen dürfen und solchen, die dazu nicht berechtigt sind? Eine Art nuklearer Apartheid?

Auch das ist eine entscheidende Frage. Denn die Antwort darauf verweist auf den Weg, auf dem eine wirksamere Nichtverbreitungspolitik künftig umgesetzt werden soll. Würden dabei alle Staaten gleich behandelt, so könnte auch ein über den NVV hinaus verbessertes Nichtverbreitungsregime der Zukunft völkerrechtlich vertraglich vereinbart werden. Der NVV könnte dadurch ergänzt und in seiner Wirksamkeit gestärkt werden. Eine Stärkung des Multilateralismus und eine Stärkung des Rechts auf internationaler Ebene wären die Folge.

Würde sich dagegen einzelne Staaten oder Staatengruppen das Recht herausnehmen, zwischen jenen Ländern zu unterscheiden, die kritische Teile der Nukleartechnik nutzen dürfen und jenen, die dazu nicht berechtigt sein sollen, so würde diese Unterscheidung wohl mittels des Rechts des Stärkeren bis hin zu militärischem Gewalteinsatz durchgesetzt werden. Beide dem NVV seit seiner Unterzeichnung zugrundeliegenden politischen Tauschgeschäfte wären damit aufgekündigt: Der NVV konnte erstens nur zustande kommen, weil den nicht-nuklearen Staaten ein unbeschränkter Zugang zu ziviler Nukleartechnik und Hilfe bei der zivilen Nutzung der Atomtechnik garantiert wurde. Und er fußte zweitens auf dem Versprechen, dass die Unterscheidung zwischen Staaten, die Atomwaffen besitzen dürfen, und solchen die auf diese Waffen verzichten, ein vorübergehendes Phänomen ist. Letztlich sollte die Zusage nuklearer Abrüstung durch die Nuklearwaffenbesitzer garantieren, dass auch der Nuklearwaffenverzicht all derer, die nicht über diese Waffen verfügen, dauerhaft bleibt.

Dem Umgang mit dem Nuklearprogramm des Irans kommt also eine grundsätzliche Bedeutung für die Zukunft der Nichtverbreitungspolitik, des nuklearen Nichtverbreitungsregimes und darüber hinaus von Weltordnungspolitik zu. Für Europa und die USA kann der Iran deshalb leicht zu einem entscheidenden Testfall für die Glaubwürdigkeit ihrer jeweils unterschiedlichen Nichtverbreitungsbemühungen und –ansätze werden.

Legt man die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union, die zugehörigen Dokumente zur europäischen Nichtverbreitungspolitik und die Stellungnahmen europäischer Spitzenpolitiker zugrunde, so ist deutlich: Die Europäer müssen mit dem Iran auf dem Verhandlungswege zu einer Lösung kommen. Eine militärische Lösung des Konfliktes hält niemand für ratsam oder erfolgversprechend. Europa könnte sie auch ohne die USA gar nicht implementieren. Eine Verhandlungslösung aber muss für den Iran, die USA und Israel akzeptabel sein, Staaten, die nicht direkt miteinander reden. Zwar verhandeln die Europäer mit dem Iran. Zugleich aber verhandeln sie zwischen allen Stühlen. Sie verhandeln über die Maximalforderungen der Beteiligten, ohne zu wissen, ob ein Kompromiss von diesen letztlich gebilligt würde oder ob die Beteiligten überhaupt bereit wären, auf Teile ihrer Maximalforderungen zu verzichten. Darüber hinaus sind es gerade die außenstehenden Akteure, die immer wieder einmal betonen, dass Zeitdruck bestehe oder die Möglichkeit einer baldigen Eskalation auf die militärische Ebene ins Spiel bringen. Der Erfolg des europäischen Bemühens ist damit von Dritten abhängig. Was auch immer die Europäer mit dem Iran vereinbaren, hat nur Bestand, wenn Israel und die USA es dauerhaft mittragen. Scheitern die europäischen Bemühungen dagegen, so bleiben den europäischen Vermittlern nur zwei Optionen: Zum einen könnten sie die USA und Israel für das Scheitern verantwortlich machen, da diese sich einem guten Kompromiss verweigerten – ein Fall, mit dem kaum zu rechnen ist, selbst wenn er in der Sache gerechtfertigt wäre. Zum anderen könnten sie den Iran für ein Scheitern verantwortlich machen und damit die Eskalation des Streites vorantreiben. Auch dies wäre für die Europäer keine positive Perspektive. Sie müssten in der Folge weitergehende Maßnahmen, z.B. Sanktionen oder möglicherweise auch militärische Aktionen, zumindest politisch mittragen. Ihr im Falle des Iraks praktizierter Verweis auf Verhandlungen als nicht ausgeschöpfte Alternative würde kaum mehr greifen.

Doch auch für die USA entstünde aus einem Scheitern der europäisch-iranischen Gespräche keine einfach zu nutzende Dynamik: Washington stünde vor der Frage, ob es seine Drohungen mit dem Einsatz militärischer Mittel letztlich auch wahr machen würde. Es stünde zudem unter dem Druck Israels, das schon heute immer wieder auf eine baldige Militäraktion drängt und wissend, dass den USA auf jedenfall eine Mitverantwortung zugewiesen würde, damit droht, notfalls im Alleingang zu agieren.

Zwar wären die USA wahrscheinlich in der Lage, durch Luftangriffe und den Einsatz von Spezialkräften wesentliche, ihnen bekannte Teile des iranischen Nuklearprogramms so stark zu schädigen, dass der Iran einige Jahre benötigen würde, um sie wieder auf den heutigen Stand zu bringen. Doch ein längerfristiger Erfolg wäre damit keineswegs garantiert. Der Iran könnte sich nach einem solchen Angriff dazu veranlasst sehen, nunmehr definitiv auf eigene Nuklearwaffen hinzuarbeiten. Zudem können gerade die Befürworter eines Militärschlags nicht leugnen, dass sie sich ein Logikproblem geschaffen haben. Sie gehen oft davon aus, dass der Iran geheime, bislang nicht entdeckte militärische Atomanlagen betreibt. Wie aber soll man Anlagen, die man nicht kennt, gesichert mit Luftangriffen zerstören? Um alle geheimen Anlagen zu finden und gesichert auszuschalten wäre es wohl nötig, den Iran für längere Zeit zu besetzen – angesichts der unabgeschlossenen Operationen der USA im Irak eine zumindest derzeit unwahrscheinliche Option. Schließlich wäre jedes militärische Vorgehen mit dem Risiko verbunden, dass Washington die Eskalation des Konfliktes und damit dessen regionale, militärische und wirtschaftliche Auswirkungen nicht gesichert kontrollieren könnte.[7] Einen risikoarmen Königsweg, den US-Präsident George W. Bush nur allzu bereitwillig gehen könnte, stellt ein militärisches Vorgehen nicht dar.

Mithin: Der Streit um das iranische Atomprogramm ist in vielerlei Hinsicht von großer, vielleicht sogar paradigmatischer Bedeutung. Er verdient deshalb größte Aufmerksamkeit. Dieses Papier schildert und analysiert in kurzen Abrissen zunächst das iranische Nuklearprogramm und dessen gegenwärtigen Stand, sodann die Rechtslage und die bisherigen Verhandlungen zwischen den EU-Staaten und dem Iran bis Ende 2005. In einem Schlussteil versucht es einige Rahmenbedingungen und Elemente für einen veränderten Verhandlungsansatz zu skizzieren.

 

2. Die atomaren Pläne des Irans – Eine kurze Geschichte

Das Atomprogramm des Irans geht auf die Zeit des Schahs Reza Pahlevi zurück. Dieser schloss bereits in den 50er Jahren im Kontext von "Atoms for Peace" ein nukleares Kooperationsabkommen mit den USA ab und entwickelte in den Jahren 1973/74 den Plan für den Aufbau einer umfassenden Nuklearindustrie im Iran. Dieser war ambitionierter, als es der heutige ist. Der Schah wollte bis 1994 mit westeuropäischer und amerikanischer Hilfe mehr als 20 Leichtwasserreaktoren bauen, die 23.000 MW Strom erzeugen sollten. Er wollte Uran im eigenen Lande gewinnen und anreichern, sowie abgebrannte Brennelemente aus seinen Reaktoren in einer nationalen Wiederaufbereitungsanlage aufarbeiten.[8] Der Westen war bereit, ihm zu helfen. Länder wie die USA, Frankreich oder Deutschland versprachen sich in einer Zeit hoher Ölpreise von der Unterstützung des iranischen Nuklearprogramms die Chance, große Mengen Petrodollars in die westlichen Industriestaaten zurückzuleiten. Die Bundesrepublik war in dieser Zeit ein wichtiger Partner für den Schah: Die Siemens-Kraftwerksunion begann noch 1974 in Bushehr die ersten zwei Leichtwasserreaktoren zu bauen. Die Regierung Helmut Schmidt war offensichtlich auch willens, dem Iran die Lieferung zweier Urananreicherungsanlagen zu offerieren – Schmidt bat den Schah 1975 allerdings, mit diesem Teil des Geschäftes noch zu warten, bis sich die Aufregung in den USA über das umstrittene deutsch-brasilianische Atomgeschäft gelegt habe.[9]

Die iranische Revolution 1979 führte zunächst zu einem Stopp des industriellen iranischen Atomprogramms. Revolutionsführer Chomeni sah den Ausbau der Nuklearindustrie nicht als vordringlich an. Die Anwendung und der Besitz von Massenvernichtungswaffen erschien ihm gar zunächst als unislamisch.[10] Lediglich in die atomare Forschung wurde weiter investiert, um das vorhandene Know-How zu wahren und zu erweitern. Der irakisch-iranische Krieg (1980-1988) verhinderte eine Wiederaufnahme der Reaktorpläne für weitere Jahre. Als die Kämpfe 1984/85 zwischenzeitlich abflauten, erkundigte sich der Iran bei Siemens/KWU nach Möglichkeiten für eine Fertigstellung der Reaktoren in Bushehr. Doch der Krieg flammte wieder auf. Während der letzten Jahre des Krieges griff die irakische Luftwaffe den unfertigen Reaktor mehrfach an und zerstörte ihn dabei schwer.

Nach dem Ende des Krieges 1988 und der Aufdeckung des Umfangs des irakischen Nuklearprogramms im Gefolge des 2. Golfkriegs zeigte der Iran wieder ein konsequenteres Interesse an seinen Reaktor- und Nuklearvorhaben. Es dauerte aber noch bis zum Januar 1995, bis mit Russland ein Lieferant gefunden war, der sich bereit erklärte, den Reaktor in Bushehr binnen vier Jahren zu vollenden und weitere nukleartechnische Unterstützung bereitzustellen. Im August 1995 erklärte sich Russland zudem bereit, zehn Jahre lang Brennelemente zu liefern.[11] Aus unterschiedlichen Gründen ergaben sich in der Folgezeit weitere Verzögerungen, so dass der Reaktor bis heute nicht in Betrieb gegangen ist. Noch fehlen die Brennelemente, die zwar hergestellt, aber bislang nicht an den Iran ausgeliefert wurden, weil sich Russland und der Iran noch nicht endgültig auf alle Details der Lieferbedingungen geeinigt haben. Russland unterstützt den Iran auch bei der Uranförderung. Westliche Meldungen, dass darüber hinaus die Lieferung einer Urananreicherungsanlage Gegenstand der Kooperationsvereinbarung mit dem Iran gewesen sei, bestritt die russische Seite. Spätestens in der zweiten Hälfte der 90er Jahre scheint der Iran die Hoffnung aufgegeben zu haben, diese Technologie aus Russland beziehen zu können. Seither setzt Teheran offensichtlich auf graue Technologieimporte, Lieferungen aus dem Umfeld des pakistanischen Wissenschaftlers Abdul Q. Khan[12] sowie auf seine eigenen technologischen Fähigkeiten und Produkte, um das im Iran geförderte Uran selbst verarbeiten und anreichern zu können. Bald nachdem diese Aktivitäten 2002/2003 öffentlich gemacht wurden[13], wurde auch die Zusammenarbeit Khans mit dem Iran deutlich. Der Iran kam unter substantiellen Druck, gegenüber der IAEO den Gesamtumfang seines Nuklearprogramms in all dessen Teilaspekten offen zu legen und der Wiener Atombehörde über die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum Safeguards-Abkommen erweiterte Überprüfungsmöglichkeiten einzuräumen. Anfang 2003 stellte der Iran sein ziviles Atomprogramm erstmals öffentlich dar. Er begann, der IAEO zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen, und unterzeichnete Ende 2003 wie angemahnt das Zusatzprotokoll zum Safeguards-Abkommen.



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