BITS Research Report 03.1
September 2003
ISBN 3-933111-11-0

Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Israel

Otfried Nassauer und Christopher Steinmetz

Diesen Report können Sie im PDF-Format herunterladen

 

Vorbemerkungen
1. Grundlagen der deutsch-israelischen Rüstungskooperation
1.1. Der Weg des geringsten politischen Widerstands
1.2. Sensibel aber kooperativ
1.3. Rüstungskooperation als politische und rechtliche Fragestellung
2. Formen der militärischen Zusammenarbeit
2.1. Auswertung von Wehrmaterial
2.2. Militärische Ausbildung und Kooperation
2.3. Bewertung der militärischen Zusammenarbeit
3. Export von deutschen Rüstungsgütern nach Israel
3.1. Statistische Angaben zum Rüstungsexport
3.2. Exporte von kompletten Waffensystemen nach Israel in den 90er Jahren
3.2.1. Das Dolphin-Projekt
3.2.2. Beispielhaftigkeit des Geschäfts
3.3. Export von Komponenten nach Israel
3.4. Proliferation durch Zulieferung und Reexport
4. Israelische Rüstungsexporte nach Deutschland
4.1. Israelischer Rüstungsexport
4.2. Brückenkopf Deutschland
5. Zukünftige Kooperationsfelder
5.1. Rüstungskooperation in Drittstaaten
5.2. Anpassung und Weiterentwicklung
5.3. Grundlagenforschung und Entwicklung
6. Bilanz der Rüstungskooperation
6.1. Struktur und Rahmenbedingungen
6.2. Rüstungsexporte
6.3. Rüstungskooperation und politische Richtlinien
Anhänge
A. Lieferungen von Rüstungsgütern aus NVA Beständen nach Israel
B. Deutsche Rüstungsexporte nach Israel seit 1998
C. Israelische Rüstungsexporte nach Deutschland seit 1998
D. Deutsch-israelische Rüstungskooperation in Drittstaaten seit 1998
Stellungnahme der GKKE
Fussnoten

 

 

5. Zukünftige Kooperationsfelder

Seit Mitte der 90er Jahre befindet sich die deutsch-israelische Rüstungskooperation im Wandel. Sowohl in Deutschland wie in Israel verfügen die Rüstungsunternehmen über einen wesentlich größeren Spielraum bei der Ausgestaltung der industriellen Kooperation. Beide Staaten sind gegenwärtig vor allem daran interessiert, mittels der Rüstungskooperation die Position der nationalen Rüstungsfirmen im Exportmarkt zu stärken. Die Bandbreite zukünftiger industrieller und staatlicher Zusammenarbeit in diesem Bereich wird von der Grundlagenforschung bis zur industrieseitigen Kooperation in Drittstaaten reichen.

 

5.1. Rüstungskooperation in Drittstaaten

Gerade die gemeinsame Durchführung von Rüstungsvorhaben in Drittstaaten wird künftig eine wachsende Rolle spielen. Das technologische Niveau in beiden Staaten hat oft eine ähnliche Stufe erreicht. Auch wenn Firmen aus beiden Staaten deswegen verstärkt in Konkurrenz zueinander stehen, hat sich im Wechselspiel zwischen den politischen Vergabebedingungen und der Effizienzsteigerung die Zusammenarbeit häufiger als attraktiv erweisen (siehe auch Anhang D).

Wichtige Beispiele finden sich im Bereich der Modernisierung von Großwaffensystemen, z.B. Panzern (s.u.) und Flugzeugen. Bei Flugzeugen war in der Vergangenheit die Arbeitsteilung recht klar. Die deutsche Seite ist für die Anpassung der Flugzeuge an die NATO-Standards bzw. die Gesamtintegration zuständig. Die israelische Seite liefert moderne Kommunikations- und Informationstechnologien, Avionik-Komponenten, Sensoren oder auch größere Teile wie z.B. das Radar.

1999 erhielten beispielsweise die DASA und Elbit Systems den Auftrag zur Modernisierung von 39 griechischen F-4E Phantom II Kampfflugzeuge. Hauptauftragnehmer ist die DASA, die u.a. für die Modernisierung der Avionik zuständig ist. Elbit lieferte das amerikanische APG-65 Radar sowie die Displaytechnologie. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen noch 25 Litening Pods – Zielbeleuchtungsgeräte - der israelischen Rüstungsagentur Rafael Armament Development Authority integriert werden sowie ein Dispensersystem für Submunitionen der deutschen LFK GmbH. Der Gesamtauftragswert umfaßte 336 Mio. $. Das Geschäft soll in diesem Jahr beendet werden. [95]

Als ein zweites Kooperationsvorhaben war die Modernisierung der rumänischen MiG-29 geplant. Die rumänische Firma Aerostar, DASA/EADS und Elbit Systems entwickelten 1999 gemeinsam das "Sniper" Modernisierungsprogramm und fertigten einen Prototyp an. Auch wenn DASA für die Gesamtintegration und Anpassung an NATO-Standards verantwortlich gewesen wäre, ging es Rumänien im wesentlichen um die Integration israelischer Technologien – bereits erprobt im MiG-21 "Lancer" Modernisierungsprogramm. Die endgültige Auftragserteilung wurde allerdings vertagt und statt dessen ein russisches MiG-29 Modernisierungsprogramm begonnen. [96]

 

5.2. Anpassung und Weiterentwicklung

Ein zweiter zukünftiger Bereich von Bedeutung wird die gemeinsame Weiterentwicklung bestehender Waffensysteme sein. Bei der Suche nach den geeigneten Kooperationspartnern wird es sich in der Regel der langjährige Kontakt und die bereits vorhandenen Erfahrungen in der Zusammenarbeit auszahlen. Gegenwärtig bahnt sich eine engere Kooperation vor allem im Bereich der unbemannten Flugkörper bzw. Drohnen an, aber auch in der Satellitenaufklärung gibt es erste Anzeichen für gemeinsame Vorhaben. [97]

Momentan verhandelt der deutsch-französisch-spanische Rüstungskonzern EADS mit Israel Aircraft Industries über eine vertiefte Kooperation bei Drohnen. Auf Seite von EADS wären vor allem der EADS-Geschäftsbereich Systems & Defence Electronics daran beteiligt, der früher als Dornier GmbH eigenständig aufgetreten ist. Dornier hatte bereits Ende der 80er Jahre mit Israel Aircraft Industries (IAI) bei der Entwicklung der Drohne Anti-Radar (DAR) für die Bundeswehr zusammengearbeitet. Dornier war für die Integration des Infrarot-Suchers von Telefunken Systeme verantwortlich. Nachdem beide Firmen 1989 vergeblich versucht hatten, für die Weiterentwicklung der DAR einen Auftrag der Bundesregierung zu erhalten, führte IAI das Projekt alleine unter der Bezeichnung Harpy fort. Dieses Modell konnte inzwischen an Indien, Südkorea und die Türkei verkauft werden. [98]

Während die europäischen Staaten lange Zeit wenig in die Entwicklung eigener unbemannter Flugkörpersysteme investierten, haben israelische Rüstungsfirmen wie IAI und Elbit Systems eine breite Palette von Drohnensystemen entwickelt und vor allem erhebliche Fortschritte in der Miniaturisierung der Aufklärungselektronik erzielt. [99] Nachdem nun die europäischen Staaten verstärkt Drohnen einsetzen wollen, wird nun bei den Systementwicklungen verstärkt die Integration erprobter israelischer Technologien erwogen.

EADS hat bereits eine Kooperationsvereinbarung mit IAI für die Adaption der Heron Drohne unterzeichnet. Unter der Bezeichnung Eagle-1 werden davon momentan drei Stück für die französische Regierung produziert. Die strategische Aufklärungsdrohne wird auch in Schweden getestet. [100] Während die israelische Seite eine Reihe von miniaturisierten optisch-elektronischen Teilsystemen sowie den EL/M-2055 Radar von Elbit Systems bereit stellt, wird EADS (darunter auch Dornier) den Flugkörper entwickeln. Doch wesentlich wichtiger für die Zusammenarbeit ist die Tatsache, dass sowohl EADS wie auch IAI Interesse an einer Zusammenarbeit bei der Entwicklung einer größeren Version (Eagle-2) geäußert haben. [101]

 

5.3. Grundlagenforschung und Entwicklung

Der dritte Bereich, der zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, sind gemeinsame militärische Grundlagenforschung und die Entwicklung neuer Waffensysteme. Gleichzeitig ist dies hinsichtlich der verfügbaren Informationen mit Sicherheit der schwierigste Bereich der Rüstungskooperation. Häufig geht es auch um die Adaption ziviler Technologien durch die Rüstungsindustrie und das Militär, z.B. bei Informatik und Kommunikationstechnologien – also Dual use Technologien.

Die militärische Zusammenarbeit im Bereich Forschung & Entwicklung unterliegt oft einer strengen Geheimhaltung. Konkrete Projekte werden selten bekannt. Einiges der wenigen ist das am 24. November 1998 in Kraft getretene Übereinkommen zwischen dem Bundesminister der Verteidigung und dem israelischen Verteidigungsministerium über die Zusammenarbeit bei der Forschung und Technologie auf dem Gebiet der Verteidigung. [102] Es beinhaltet Angaben über Ziel und Art der Kooperation, die Arbeitsteilung, Modalitäten der Vertragsvergabe und Finanzierung sowie andere administrative Bestimmungen. Es gilt für zehn Jahre. Am 18. September 2000 wurde die Technische Vereinbarung Nr.1 zum Übereinkommen abgeschlossen. Die Vereinbarung Nr.1 regelt die Details eines gemeinsamen Forschungsprogramms zum Schutz vor B- und C-Waffen.

In Zukunft könnten für die deutsch-israelische Rüstungsforschung auch die F&E-Strukturen der EU bzw. der NATO an Bedeutung gewinnen. Seit 1996 kann Israel am Europäischen Rahmenprogrammen für Forschung und Entwicklung der EU teilnehmen, welches schon heute Dual use-Vorhaben fördert und nach dem Willen mancher für europäische Rüstungsforschungsvorhaben geöffnet werden soll. Gerade im Luft- und Raumfahrtsegment sind vor allem Rüstungsfirmen beteiligt – auch israelische. Im fünften und sechsten Rahmenprogramm der EU waren deutsche Institute und Unternehmen knapp die größten Partner für israelische Einrichtungen. [103] Parallel dazu kann sich Israel nach Unterzeichnung des Geheimschutzabkommens mit der NATO am 24.4.01 künftig auch an den militärischen Forschungsprogrammen der NATO beteiligen. [104]

 

6. Bilanz der Rüstungskooperation

Die Ergebnisse dieser Studie belegen, dass die deutsch-israelischen Rüstungsbeziehungen keine Einbahnstraße waren. Im Gegenteil, die Zusammenarbeit in diesem Bereich gestaltete sich von Anfang an kooperativ und auf Gegenseitigkeit. Die bilaterale Rüstungskooperation als Element der sicherheits- und wirtschaftspolitischen Beziehungen erwies sich als sehr dynamisch und flexibel. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde die Zusammenarbeit (im Nachhinein) dagegen häufig einseitig präsentiert und monokausal gerechtfertigt: erst als deutsches Streben nach "Wiedergutmachung" für die zwischen 1933 und 1945 begangenen Verbrechen unter der nationalsozialistischen Regierung, später dann als die dadurch begründete historische Verpflichtung Deutschlands für die Sicherheit Israels – so auch in den jüngsten Exporten von Kriegswaffen.

Die Untersuchung der deutsch-israelischen Rüstungsbeziehungen liefert einen Einblick in die vielen Facetten der deutschen Herangehensweise an Rüstungskooperation (nicht nur mit Israel) als Teil der Außen- und Wirtschaftspolitik. Eine Identifizierung und Beurteilung der Relevanz einzelner (gegenwärtiger) Kooperationsvorhaben war deswegen häufig nur durch eine Ausweitung des Untersuchungszeitraums möglich.

Gleichzeitig belegen die gewonnenen Erkenntnisse, wie weit die Bundesregierung noch von einer transparenten Informationspolitik zu Fragen der Rüstungskooperation entfernt ist. Auch unter der seit 1998 bestehenden Regierungskoalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen blieb der öffentliche Zugang zu Informationen über Rüstungskooperationsvorhaben außerordentlich begrenzt. Die jährlichen Rüstungsexportberichte der Bundesregierung erlauben allenfalls grobe Aussagen über diesen Bereich.

Gemessen an den im Januar 2000 verabschiedeten neuen politischen Richtlinien bestehen außerdem nach wie vor erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der deutschen Rüstungsexportkontrollpolitik. Eine erkennbare Auswirkung der Richtlinien auf die Rüstungskooperationspraxis mit Israel konnte nicht festgestellt werden. Es werden die gleichen politischen Rechtfertigungsmuster für Vorhaben bemüht, die schon vorherige Bundesregierungen benutzt haben, sei es die "nationale Sicherheit" oder bestehende vertragliche Lieferverpflichtungen von Ersatzteilen. Es wird weiterhin zwischen den fiktiven militärischen, politischen und juristischen Kategorien "Verteidigungssysteme" und "Angriffswaffen" unterschieden. Wird ein Rüstungsgeschäft ausgesetzt, wie z.B. für die Merkava-Komponenten, bleibt offen, ob dem industrielle oder politische Erwägungen zugrunde liegen.

 

6.1. Struktur und Rahmenbedingungen

Bis 1990 war die Struktur der deutsch-israelischen Rüstungskooperation geprägt durch die "realpolitischen" Faktoren des Kalten Krieges, die sowohl die öffentliche Diskussion über "Wiedergutmachung" in beiden Staaten zunehmend überlagerte, wie auch den Antagonismus zwischen Israel und den arabischen Staaten. Die auf beiden Seiten beteiligten Akteursgruppen aus Regierung, Militär, Diensten und Industrie haben die Vorteile einer inoffiziellen Zusammenarbeit erkannt. Die Bandbreite der Kooperation zwischen Mossad und Bundesnachrichtendienst bis in die 80er Jahre hinein, die auch die Abwicklung von Rüstungsgeschäften beinhaltete, ist ein deutliches Beispiel dafür.

Nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich die sicherheitspolitischen und rüstungsindustriellen Interessen auf beiden Seiten verschoben. Während der gemeinsame Feind und die ähnliche Bedrohung durch sowjetische Waffensysteme plötzlich fehlten, begannen die Streitkräfte und die Rüstungsindustrie damit, die ökonomische Dimension der Rüstungskooperation in den Mittelpunkt zu rücken.

Von staatlicher Seite lag bis 1992 das Hauptaugenmerk auf der gemeinsamen Auswertung von Wehrmaterial als bestimmendes Element der militärischen Kooperation. Die gemeinsame militärische Ausbildung und Doktrin-Entwicklung dagegen spielte und spielt nur eine untergeordnete Rolle. Abzuwarten bleibt, wie sich die Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Entwicklung weiterentwickeln wird. Die bereits bestehende Kooperation in der Grundlagenforschung und der zivilen Forschung könnte durch eine militärische ergänzt werden. Dies würde es den Regierungen weiterhin erlauben, militärisch gewollte Forschungsvorhaben mitzugestalten und gleichzeitig der jeweiligen Rüstungsindustrie mehr direkte Kooperationsmöglichkeiten zu eröffnen, z.B. im Bereich Miniaturisierung der Elektronik/Optronik (u.a. für Drohnen und Satelliten) und im Bereich Informationstechnologien. Eine mögliche Plattform dafür wären die von der EU finanzierten und koordinierten Forschungsprogramme, gerade wenn die geplante Ausweitung der EU-Programme auf militärische Forschungsvorhaben realisiert wird.

Insgesamt wird die deutsch-israelische Rüstungskooperation auch in Zukunft ein wichtiger Faktor der sicherheitspolitischen Beziehungen bleiben, wenn auch mit einer anderen Gewichtung und in einer anderen Form. Die Bundesregierung beschränkt sich zunehmend auf ad hoc Interventionen und versucht, die Rüstungskooperation mit Israel zu "normalisieren", d.h. an die "üblichen Formen" der Zusammenarbeit mit anderen Staaten im Rüstungsbereich anzupassen – losgelöst von der Intensität der militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten.

 

6.2. Rüstungsexporte

Bei der Bewertung und Einordnung des Rüstungsexports als ein Element der Rüstungskooperation muß immer berücksichtigt werden, dass eine genaue statistische Erfassung der Rüstungsexporte aufgrund der eingeschränkten Informationslage nicht möglich ist. Die Bundesregierung veröffentlicht keine Angaben über den tatsächlichen Export von Rüstungskomponenten. Die Zusammenfassung der Güter unter die Posten der Ausfuhrliste, die Möglichkeit sie im Rahmen von Sammelausfuhrgenehmigungen über Drittstaaten nach Israel zu exportieren und die Tatsache, dass eine Ausfuhrlizenz in der Regel zwei Jahre gültig ist, erschweren die genaue Identifizierung und Zuordnung der Transferaktionen. Über den Export von Dual use-Gütern nach Israel besteht gar keine Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit. [105]

Eine Auswertung der verfügbaren Informationen zu den getätigten Rüstungsexporten seit Mitte der 90er Jahren zeigt, dass Exporte von kompletten Waffensystemen eher die Ausnahme denn die Regel darstellen. Auch in Zukunft wird dies so bleiben. Deutschland und Israel verfügen jeweils über das entsprechende Know-how und eigene Produktionskapazitäten. Hinzu kommt auf israelischer Seite die aus politischen und finanziellen Gründen gewollte Abhängigkeit von amerikanischer Militärhilfe und damit auch vom Erwerb amerikanischer Waffensysteme. Ein erneuter Export von deutschen Waffensystemen wäre nur denkbar, wenn die Bundesregierung bereit wäre, die Kosten des Geschäfts zu übernehmen – was nach gegenwärtiger Einschätzung nur angesichts einer als ernst eingeschätzten militärischen Bedrohung Israels der Fall wäre. Möglich bleibt auch, dass Waffensysteme über die USA exportiert und im Rahmen der amerikanische Militärhilfe finanziert werden könnten. [106] Die genehmigte Lieferung von zwei Patriot-Batterien scheint diese Einschätzung zu bestätigen. Eine Verschärfung der politischen Lage im Nahen Osten könnte auch neue Verhandlungen über die Produktion weiterer U-Boote auf die Tagesordnung setzen. [107]

Bei den Rüstungskomponenten und Dual use-Gütern sieht die Situation anders aus. Hier werden die Exportbeziehungen dynamisch bleiben. Rüstungsgüter, die ausschließlich unter die Ausfuhrliste Abschnitt A fallen, werden quantitativ den Großteil der Transfers ausmachen.

In Zukunft kann davon ausgegangen werden, dass das Volumen von Einfuhren aus Israel nach Deutschland ansteigen wird. Die jüngsten Joint Venture zeigen, dass Israel durch Adaption und Verbesserung amerikanischer und europäischer Technologien u.a. in den Bereichen elektronische Kampfführung, Datenverarbeitung, Optronik und Avionik ein immer attraktiverer Kooperationspartner wird. Ihre Produkte sind kompatibel mit einer Reihe von deutschen Waffensystemen.

Die israelische Regierung und Rüstungsindustrie haben ein dreifaches Interesse an Exporten nach Deutschland. Erstens erhalten sie durch die Verkäufe wichtige Devisen, um die geringe inländische Nachfrage auszugleichen und weiterhin auf hohem Niveau Rüstungsgüter zu produzieren. Zweitens dient die Lieferung von High-tech Komponenten als Tauschmittel für den Erwerb deutscher Rüstungskomponenten. Drittens hilft eine Einbindung deutscher Unternehmen in die Rüstungsgüterproduktion, die europäischen Märkte zu erschließen. Umgekehrt haben Bundesregierung und deutsche Rüstungsindustrie ein Interesse daran, durch den Import israelischer Rüstungsgüter einen Einblick in moderne Technologien zu erhalten, die ansonsten oft nur von den USA bezogen werden könnten. Neben dem möglichen Technologietransfer führt die industrieseitige Kooperation und der Import aus Israel auch zu Neuaufträgen in Drittstaaten.

Die Exporte von Deutschland nach Israel folgen einer ähnlichen Logik. Angesichts der rückläufigen inländischen Nachfrage wird das Exportgeschäft zu einem wesentlichen Faktor für die deutsche Rüstungsindustrie. Sie profitiert dabei von den israelischen Kontakten zu den Staaten Mittel- und Osteuropas und Asiens. [108] Als Partner israelischer Firmen öffnen sich andere Märkte und bestehende Exporthürden rechtlicher, politischer und wirtschaftlicher Art können als Zulieferer leichter umgangen werden. Mit der Erteilung der Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter signalisiert die Bundesregierung Israel ihre Verlässlichkeit als Lieferant – eine Voraussetzung für Folgeaufträge aus Israel. Gerade dieser Aspekt muß bei israelischen Importentscheidungen immer berücksichtigt werden. Deutschland wird immer noch als zuverlässiger Versorger von Rüstungsgütern eingestuft, der auch in Krisenzeiten – wenn die USA, Großbritannien oder Frankreich ihre Exporte nach Israel aussetzen – weiterhin liefert. Einfuhren deutscher Komponenten erhöhen die Chancen, über Deutschland als Brückenkopf den europäischen Markt zu erschließen. Schließlich gibt es einige Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung immer noch eine moralische Verpflichtung zur "uneingeschränkten Solidarität" mit Israel akzeptiert. Eine Verpflichtung, die sich für die deutsche und israelische Rüstungsindustrie auch künftig auszahlen kann.

Unter Gesichtspunkten der Nichtweiterverbreitung von Technologien und Waffen sowie einer restriktiven Rüstungskontrollpolitik seitens Deutschlands wird allerdings nur eine undurchsichtige Struktur durch eine andere ersetzt. Die stärkere direkte rüstungsindustrielle Zusammenarbeit signalisiert keinen sicherheitspolitischen Bedeutungsverlust der Rüstungskooperation. Die politisch gewollte und bestehende gegenseitige Abhängigkeit wird nur auf anderem Niveau und in anderen Strukturen weiter ausgebaut.

 

6.3. Rüstungskooperation und politische Richtlinien

Am Beispiel der deutsch-israelischen Rüstungskooperation – und vor allem bei den Rüstungsexportgeschäften - zeigt sich, dass es berechtigten Anlass gibt, an der Glaubwürdigkeit der deutschen Rüstungsexportkontrollpolitik zu zweifeln. Trotz der seit September 2000 andauernden Konfrontation zwischen israelischen Streitkräften und bewaffneten Gruppen in den palästinensischen Autonomiegebieten, trotz der militärischen Strafmaßnahmen Israels gegen die Zivilbevölkerung wurden und werden weiterhin Rüstungsgüter nach Israel exportiert.

Zentrales politisches Bewertungskriterium dafür sind die im Januar 2000 verabschiedeten neuen politischen Richtlinien zum Rüstungsexport. Gewaltprävention, Achtung der Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung werden hier als die politischen Beurteilungskriterien für die Erteilung der Ausfuhrgenehmigung von Rüstungsexporten genannt. Hinzu kommen eine Reihe von ausführlicheren Vorgaben, die als politische Kriterien für die Lieferung in Staaten wie Israel dienen sollen (vgl. Kapitel 1.3). Doch bislang scheinen sie kaum eine Auswirkung auf die Genehmigungspraxis bzw. Rüstungskooperation mit Israel gehabt zu haben. Ein Vergleich der politischen Richtlinien mit der Praxis belegt dies (in Klammern die entsprechenden Kriterien des EU-Verhaltenskodex):

  1. Rüstungsexporte werden restriktiv gehandhabt und dürfen weder zum Aufbau zusätzlicher exportspezifischer Kapazitäten führen, noch zu einer privilegierenden Differenzierung zwischen Empfängerstaaten
  2. Die Auswertung des verfügbaren Zahlenmaterials (Kapitel 3.1.) liefert keine Indizien für eine restriktive Handhabung des Rüstungsexports. Israel gehört immer noch zu den größten Empfängerstaaten aus der Kategorie der "sonstigen Drittstaaten". Die industriellen Kooperationsvorhaben, wie z.B. beim Litening Pod, der Lieferung von Motoren im Rahmen der israelischen Modernisierung türkischer M60 Panzer oder das Eurospike Konsortium, lassen sogar eher eine Zunahme der Rüstungstransfers für solche Vorhaben erwarten (Kapitel 3.4., 4.2. und 5.1.). Außerdem leisten diese Vorhaben einen Beitrag zur Stärkung der exportorientierten Rüstungsproduktionskapazitäten in beiden Staaten und zur Proliferation konventioneller Waffensysteme in anderen Krisenregionen.

  3. Der Export von Kriegswaffen wird nicht genehmigt, es sei denn außen- und sicherheitspolitische Interessen sprechen im Einzelfall dafür
  4. Dieser Argumentationslinie scheint die Bundesregierung eine höhere Bedeutung beizumessen als anderen Kriterien. Begründet in der historischen Verpflichtung Deutschlands, wird die Gewährleistung der Sicherheit Israels zu einem besonderen außen- und sicherheitspolitischem Interesse der Bundesregierung. Auch die Lieferung der Patriot-Flugabwehrsysteme im Jahr 2003 (Kapitel 3.2.) wurde damit gerechtfertigt. Außerdem betont die Bundesregierung den defensiven Charakter der gelieferten Waffensysteme.

  5. Der Export sonstiger Rüstungsgüter wird nur genehmigt, wenn die Bestimmungen des AWG §7 Absatz 1 nicht gefährdet sind (ähnlich Kriterium 5)
  6. Die Bundesregierung zieht sich auf die Auffassung zurück, dass die Ausfuhr sonstiger Rüstungsgüter nach Israel nicht das "friedliche Zusammenleben der Völker" im Nahen Osten stört. Gelieferte Komponenten werden entweder als militärisch unerheblich dargestellt (z.B. Motoren) oder als Erfüllung älterer vertraglicher Verpflichtungen.

  7. Genehmigungen nach KWKG und AWG kommen nicht in Betracht wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht (vor allem die Menschenrechtssituation) (ähnlich Kriterium 2, Kriterium 3)
  8. An diesem Punkt treten die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis sehr deutlich zu Tage. Seit Ausbruch der al-Aqsa Intifada im September 2000 führt die israelische Armee militärische Einsätze in den besetzten Gebieten durch, denen zahlreiche Zivilisten zum Opfer fielen. Es kommt zu Vertreibungen, Folter, Entführungen, Hinrichtungen, kollektiver Bestrafung der Familienangehörigen und durch Strafmaßnahmen (Häuserzerstörungen) sowie Angriffen auf Krankenhäuser und Krankenwagen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, aber auch die UN Menschenrechtskommission haben diese Aktionen als Verletzung der Menschenrechte bezeichnet und in einigen Fällen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht festgestellt. [109] Die israelische Politik befindet sich immer häufiger im Widerspruch zu den rechtlichen Maßstäben der internationalen Gemeinschaft.

  9. Der Export von Kriegswaffen und kriegswaffennahen Rüstungsgüter wird nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft werden (ähnlich Kriterium 4)
  10. Israel liegt unbestreitbar in einer Krisenregion, wie der diesjährige Irak-Krieg erneut eindrücklich belegt hat. Israel ist ferner in bewaffnete Auseinandersetzungen mit palästinensischen Gruppen verwickelt. Das Verhalten der Bundesregierung bei der letzten Lieferung der Patriot-Systeme (Kapitel 1.2.) zeigt, dass sie trotz ähnlicher Lageeinschätzung diesem Kriterium der politischen Richtlinien weniger Wichtigkeit beimisst als dem Kriterium 2.

  11. Bei der Entscheidung wird berücksichtigt, ob die nachhaltige Entwicklung des Empfängerlandes durch unverhältnismäßige Rüstungsausgaben ernsthaft beeinträchtigt wird (ähnlich Kriterium 8)
  12. Auch dieses Kriterium scheint bei den Genehmigungsentscheidungen bislang keine ernste Berücksichtigung gefunden zu haben. Die israelische Regierung gibt seit langem mehr für die Streitkräfte und die Rüstungsbeschaffung aus, als ihre Staatseinnahmen eigentlich erlauben würden. Doch bislang stabilisieren ausländische Kredite, kostenlose oder verbilligte Rüstungstransfers nach Israel sowie der Kauf israelischer Rüstungsgüter den israelischen Militärapparat. (Kapitel 4.1.) Damit werden aber gleichzeitig die hohen Betriebskosten der Streitkräfte zementiert und die Entwicklung der volkswirtschaftlich produktiven Wirtschaftsbereiche behindert. Erst im Dezember 2002 musste der israelische Ministerpräsident Scharon erneut mit der US-Regierung um weitere US-Gelder zur Deckung der laufenden Kosten verhandeln.

  13. Berücksichtigt wird das Verhalten des Empfängerlandes u.a. bezüglich der Einhaltung internationaler Verpflichtungen, wie z.B. des humanitären Völkerrechts, und der Übernahme von Verpflichtungen im Bereich der Nichtverbreitung (ähnlich Kriterium 1, Kriterium 6)
  14. Dieses Kriterium wurde bislang in der Debatte um die Legitimität von Rüstungsexporten nach Israel gar nicht angesprochen. Die Bundesregierung hat die Aufgabe, "das bisherige Verhalten des Empfängerlandes im Hinblick auf (...) die Übernahme von Verpflichtungen im Bereich der Nichtverbreitung (...)" zu berücksichtigen. Laut Kriterium [110] 6 des EU-Verhaltenskodex, der schon 1998 von Deutschland ratifiziert worden ist, soll sogar das Verhalten des Käuferlandes in Bezug auf "die Unterzeichnung, Ratifizierung und Durchführung" der Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen zu ABC-Waffen berücksichtigt werden. Bis heute ist Israel nicht dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag beigetreten. Israel hat sich zur Einhaltung der Bestimmungen des Missile Technology Control Regime verpflichtet, ohne dem Regime beizutreten. Die C-Waffenkonvention wurde 1993 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Der B-Waffenkonvention ist Israel nicht beigetreten. [111] Spätestens im Falle einer Lieferung von U-Booten, die als Nuklearwaffenträger verwendet werden können, an einen Staat wie Israel mit einem ambivalenten Verhalten zu ABC-Kontrollverträgen, muß dieses Kriterium berücksichtigt werden.

Die Anwendung der politischen Richtlinien und des EU-Verhaltenskodex auf die Rüstungskooperation mit Israel belegt schon im Teilbereich "Rüstungsexport" die fortdauernde, politische Brisanz des Exportes von Kriegswaffen und sonstiger Rüstungsgüter nach Israel. Die Lieferungen deutscher Rüstungsgüter und Komponenten bedeutet trotz aller öffentlich geäußerten Vorbehalte und Bedingungen seitens der Bundesregierung auf verschiedene Art und Weise eine Unterstützung Israels bei der Bekämpfung der bewaffneten palästinensischen Gruppierungen und des allgemeinen Vorgehens in den Autonomiegebieten. Es ist davon auszugehen, dass auch ein Fortdauern oder gar eine Eskalation der israelischen Vorgehensweise in den palästinensischen Autonomiegebieten zu keiner restriktiveren Anwendung der rüstungsexportkontrollpolitischen Instrumente führen würde. Im Gegenteil, die zukünftige Verschiebung der Kooperationsstrukturen hin zu direkten industriellen Vorhaben wird wahrscheinlich zu einer laxeren Genehmigungspraxis führen, um langfristige Rüstungsprogramme nicht zu gefährden.

Die politischen Argumentationsmuster der Bundesregierung für die Rüstungsvorhaben sind im wesentlichen gleichgeblieben. Alternierend wird entweder auf die historische Verpflichtung Deutschlands verwiesen, auf die Einhaltung langfristiger Verträge, oder darauf, dass entweder nur militärisch unerhebliche oder rein defensive Waffensysteme und Komponenten geliefert werden.

Solange die Bundesregierung also nicht die politischen Richtlinien in einer verbindlichen, kohärenten und transparenten Art und Weise umsetzt, bleibt die deutsch-israelische Rüstungskooperation politisch brisant. Jede Berichterstattung über den Export von deutschen Kriegswaffen, sonstigen Rüstungsgütern und Dual use-Gütern nach Israel wird die Bundesregierung in erneute Erklärungsnot bringen. Jede erteilte Ausfuhrgenehmigung - unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme durch die Rüstungsunternehmen – signalisiert die Bereitschaft, auch zukünftig Rüstungsgüter nach Israel zu liefern.

Es ist also davon auszugehen, dass Deutschland weitgehend unabhängig vom Wortlaut der Kriterien der politischen Richtlinien weiter Rüstungsgüter nach Israel liefern wird. Damit wird auch in Zukunft die Glaubwürdigkeit der deutschen Rüstungsexportkontrollpolitik eingeschränkt bleiben, und die Gestaltung einer verantwortungsvolleren und transparenteren Rüstungsexportpraxis erschwert werden. Noch problematischer würde dies, wenn andere Staaten gegenüber der Bundesregierung eine Gleichbehandlung mit Israel einfordern würden.

 

<- vorherige Seite     / Nach oben     /     Nächste Seite ->