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Komponenten - die vergessenen Rüstungsexporte
von Otfried Nassauer und Christopher Steinmetz
Die Ursachen für die weltweite Verbreitung deutscher
Rüstungskomponenten liegen in den strukturellen rechtlich-politischen Rahmenbedingungen.
Auf den ersten Blick erscheint dies verwunderlich, gibt es doch in Deutschland gleich zwei
gesetzliche Pfeiler für eine "restriktive Rüstungsexportpolitik" nach dem
Verständnis der Bundesregierung: das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und das
Außenwirtschaftsgesetz (AWG).[29] Auf den zweiten Blick wird hingegen deutlich, dass die in
formaler Hinsicht restriktive rechtliche Grundlage der Bundesregierung genügend
Interpretationsspielräume bietet, die von den Genehmigungsbehörden weitgehend
ausgeschöpft werden was zur Aushöhlung ebendieser Grundlagen führt.
Die jahrzehntelange Anwendungspraxis, die immer ein Spiegelbild der
sicherheitspolitischen Erfordernisse und Interessen ihrer Zeit darstellt, hat in
Deutschland ein von außen nur schwer durchschaubares Dickicht aus
"Gewohnheitsrechten", Umgehungsoptionen, Präzedenz- und Vergleichsfällen sowie
Ausnahmeregelungen entstehen lassen. Beim Umgang mit Rüstungskomponenten vermehren sich
die Unzulänglichkeiten der politischen Instrumente der Rüstungsexportkontrolle auf
besondere Weise. Sie begünstigen den Export von Rüstungsgütern insgesamt und erschweren
gleichzeitig die Nachvollziehbarkeit konkreter Geschäfte.
Das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) regelt den Export von sämtlichen
"Kriegswaffen" (ABC- und konventionelle Waffen) und einiger besonderer
Komponenten. Die konventionellen Kriegswaffen werden in der Kriegswaffenliste Teil B (KWL
B) aufgeführt.[30] Generell bedarf jeder Kriegswaffenexport einer Genehmigung durch die
Bundesregierung es ist also alles verboten, was nicht explizit genehmigt wird. § 6
Abs. 3 KWKG bestimmt die Sachverhalte, nach denen der Export dieser Rüstungsgüter zu
untersagen ist:
- wenn die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung,
insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden,
- wenn Grund zur Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völker-rechtliche
Verpflichtungen Deutschlands verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde,
- wenn Grund zu der Annahme besteht, dass es den verantwortlichen Personen an der
erforderlichen Zuverlässigkeit mangelt.[31]
Das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) regelt den Export sämtlicher
konventioneller Rüstungsgüter, deckt also alle "Kriegswaffen" (gemäß
Kriegswaffenliste Teil B) und alle Güter mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-use) ab.
Die konventionellen Rüstungsgüter werden in der Ausfuhrliste Teil 1 A "Waffen,
Munition und sonstige Rüstungsgüter" aufgeführt, die Dual-use-Güter in der
Ausfuhrliste Teil 1 C. Der Export dieser Güter ist zwar weitestgehend
genehmigungspflichtig, soll aber gemäß §7 Abs. 1 AWG nur untersagt werden,
- um eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhindern,
- um zu verhüten, dass die auswärtigen Beziehungen Deutschlands erheblich
gestört werden,
- um die Sicherheit Deutschlands zu gewährleisten.[32]
Das AWG folgt also im Vergleich zum KWKG der umgekehrten Logik, dass
alles erlaubt ist, was nicht explizit verboten wird. Normalerweise besteht ein
Genehmigungsanspruch, der die Interessen der Wirtschaft wahren soll.[33] Die Untersagung der
Genehmigung ist die Ausnahme und nur in eng begrenzten Fällen möglich. Die
Bundesregierung trägt die Beweislast dafür, dass die Untersagung rechtlich zulässig
ist.
Als generelle Richtlinie und unverbindliche Interpretationshilfe für
die Beurteilung einzelner Exportanträge verfügen die zuständigen Behörden zudem über
die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgüter". In ihrer gültigen Fassung vom 19.1.2000 führen sie in
der Präambel drei zusätzliche Kriterien für eine restriktive Rüstungsexportpolitik
auf:
- Die Begrenzung und Kontrolle des Exportes von Kriegswaffen und sonstiger Rüstungsgüter
soll einen Beitrag zur Sicherung des Friedens, der Gewaltprävention, der Menschenrechte
und einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt leisten.
Angesichts zweier Kontrollgesetze zum Rüstungsexport könnte man
meinen: "Doppelt hält besser". Doch schon die Existenz der sehr allgemein
formulierten "Politischen Grundsätze" ist ein Indiz dafür, dass der rechtliche
Dualismus von AWG und KWKG einen großen Interpretationsspielraum dabei erlaubt, wie mit
einzelnen Exportanträgen zu verfahren ist, und deswegen einer Deutungsrichtlinie bedarf.
Es ist oft besonders schwierig, das beantragte Exportgut rechtlich
eindeutig zuzuordnen. Das KWKG gilt nur für einen kleinen Kreis von zentralen
Rüstungskomponenten für "direkt zur Kriegführung bestimmte Waffen" (KWKG §
1). Solche Komponenten, z. B. Kanonenrohre, Zünder oder Bugsektionen für Kriegsschiffe,
sind neben kompletten Waffensystemen Bestandteil der Kriegswaffenliste Teil B. Nicht dazu
gehören jedoch andere Güter, die für die Funktion von Waffen ebenso zentral sind, z. B.
Radaranlagen, Nachtsichtgeräte, Feuerleitsysteme und das entsprechende Know-how. Diese
Güter fallen ebenso wie die große Mehrzahl der Komponenten unter das AWG. Die darauf
bezogene Ausfuhrliste Teil 1 A umfasst u. a. sämtliche militärische
Kommunikationselektronik, Chemikalien für Waffen und Treibstoff, Maschinenpistolen und
zahlreiche Komponenten für militärische Land-, Wasser- und Luftfahrzeuge.
Für den Antragsteller kann es von Interesse sein, dass das Exportgut
"herunterklassifiziert" wird, also nicht mehr unter das strengere KWKG, sondern
unter das AWG fällt, welches die Verweigerung einer Rüstungsexportgenehmigung lediglich
im begründeten Ausnahmefall vorsieht. Anders als nach KWKG muss die Bundesregierung nach
AWG ihre Ablehnung begründen und dagegen kann der Antragsteller gegebenenfalls
klagen. Diese Möglichkeit bietet sich vor allem bei gepanzerten Radfahrzeugen und
Hubschraubern an. Auch können zunächst weggelassene Ausstattungsteile, wie z. B.
Aufsätze für Maschinenkanonen, später nachgeliefert werden.
Diese Problematik wird besonders bei Antriebssystemen von
militärischen Fahrzeugen deutlich. Lediglich die spezifischen Antriebskomponenten für
Kampfflugzeuge, Drohnen und Raketen werden von der Kriegswaffenliste B erfasst und fallen
damit unter das KWKG. Unter das AWG fallen hingegen gemäß der Ausfuhrliste Teil 1 A
Triebwerke für militärische Hubschrauber, Elektro- und Dieselmotoren für U-Boote
sofern sie bestimmte Leistungsparameter erfüllen und Dieselmotoren für sämtliche
militärische Schiffe ab einer Leistungsstärke von 37,5 kW. Motoren und Komponenten, die
der Antriebstechnik für Landsysteme dienen, werden nur dann erfasst, wenn sie besonders
für militärische Zwecke konstruiert wurden. Die AWG-Formulierung "besonders
konstruiert für militärische Zwecke" bedeutet zum einen, dass der Konstrukteur die
Ware ausschließlich oder deutlich für rüstungsrelevante Zwecke konstruiert hat. Zum
anderen müssen zusätzlich wesentliche militärische Funktionsmerkmale vorhanden sein.[34]
Dies ist bei vielen Motoren, die für militärische Land- und Seefahrzeuge verwendet
werden, nicht der Fall - daher fallen diese Antriebe aus der Genehmigungspflicht.[35]
Solange ein Motoren- und Getriebehersteller also seine militärisch
genutzten Produkte formal auch für schwere Nutzfahrzeuge anbietet, wie z. B. für schwere
Baumaschinen, Traktoren oder Schwerlastfahrzeuge, kann er davon ausgehen, dass die
gesetzlichen Exportbeschränkungen nach AL 1 A für ihn nicht gelten. Ähnliches gilt für
den Schiffsbereich, wenn bestimmte Antriebsmotoren z. B. auch in Kreuzfahrtschiffe oder
Containerschiffe eingebaut werden. Angesichts der expliziten Nachfrage ausländischer
Streitkräfte nach bestimmten Motorentypen aus Deutschland wird deutlich, dass hier ein
großes Schlupfloch für den Export solcher Rüstungskomponenten klafft.
Ein weiteres Problem ist die privilegierte Handhabung von
Ersatzteil-Lieferungen und des Imports von Waffensystemen nach Deutschland zur
Instandsetzung und zum anschließenden Rückexport. Erstens fällt nach der gängigen
Genehmigungspraxis der Export von Ersatzteilen für diese Waffen, auch von qualitativ
besseren Ersatzteilen, unter das AWG und ist nur in begründeten Ausnahmefällen zu
versagen. Zweitens besteht meistens eine vertraglich zugesicherte Garantie auf
Instandhaltungsleistungen von Waffensystemen durch den Austausch und Einbau von (oftmals
moderneren) Komponenten. Dieser Automatismus greift in der Regel auch dann, wenn sich
inzwischen die Sicherheits- oder die Menschenrechtslage im Käuferstaat verschlechtert
hat.
Allgemein gesprochen, sollten gemäß KWKG und AWG bei der Beurteilung
eines Genehmigungsanspruches für den Export eines Rüstungsgutes vor allem die zu
erwartenden gesellschaftlichen Konsequenzen im Mittelpunkt stehen. Gefährdet der
Rüstungsexport das friedliche Zusammenleben der Völker oder verstößt er gegen die
völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands? Mit den "Politischen
Grundsätzen" der Bundesregierung wurden im Januar 2000 drei weitere
Beurteilungskriterien eingeführt, die auf jeden einzelnen Genehmigungsantrag angewendet
werden: Gewaltprävention, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung.
Allerdings wurde mit den "Politischen Grundsätzen" auch die
Zweiteilung der potenziellen Empfängerstaaten fortgeschrieben: EU-, NATO- und
NATO-gleichgestellte Staaten auf der einen Seite, und die "sonstigen
Drittstaaten" auf der anderen Seite. Die von der Bundesregierung in die
"Politischen Grundsätze" übernommenen Kriterien des EU-Verhaltenskodex für
Waffenausfuhren von 1998 gelten nur für die "sonstigen Drittstaaten" und nicht
wie im Verhaltenskodex vereinbart für alle Staaten außerhalb der EU. Damit
werden die im AWG und KWKG festgeschriebenen Genehmigungskriterien "technische
Merkmale" und "Verwendungszweck" eines Rüstungsguts gegenüber der Frage
nach dem Empfängerstaat abgewertet.
Die Ungleichbehandlung der Empfängerstaaten ist eine Folge der zweiten
großen Schwäche des deutschen Rüstungskontrollsystems: die Dominanz von
bündnispolitischen Interessen bei der Ausgestaltung und Auslegung der
Rüstungsexportgesetze. Bestehende Interpretationsspielräume werden im Sinne einer
Erleichterung des Rüstungshandels mit den bevorzugten Partnern genutzt. In den 1990er
Jahren wurden diese Privilegien der staatlichen Rüstungskooperation weitestgehend auch
auf rein privatwirtschaftliche Kooperationsvorhaben ausgedehnt. Bestes Beispiel ist die
Einführung von Sammelausfuhrgenehmigungen (SAG) für die Durchführung gemeinsamer
Rüstungsvorhaben innerhalb der NATO in den 1980er Jahren. Die SAG sind mehrjährige,
verlängerungsfähige Pauschalgenehmigungen für deutsche Komponentenlieferungen an die
Mitgliedsstaaten, im Rahmen von staatlicher oder privater rüstungsindustrieller
Zusammenarbeit. Einmal erteilt, erfolgt nur zum Teil eine spätere Kontrolle des
Bundesausfuhramtes, wie viel und zu welchem Preis tatsächlich in die Partnerstaaten
exportiert wurde.[36]
Seit den 1990er Jahren wurden weitere Erleichterungen für den
Rüstungshandel mit den EU- und NATO-Staaten eingeführt:
- Für Komponentenlieferungen, deren Wertanteil weniger als 20 % am Endpreis des
Waffensystems ausmacht, gilt eine Genehmigungsvermutung.[37]
- Der feste Einbau von Komponenten in ein Waffensystem begründet einen neuen
Warenursprung, d. h. die Komponente kann gemeinsam mit dem ganzen System ohne
Genehmigungsanfrage an die Bundesregierung weiterexportiert werden.
- Nur wenn die Komponentenzulieferungen für eine "Kriegswaffe" nach Definition
der Kriegswaffenliste Teil B bestimmt sind (also z. B. nicht für ein Feuerleitsystem),
und vom Umfang her oder in der Bedeutung für die Waffe als wesentlich eingestuft wird,
muss die Bundesregierung über einen Weiterexport informiert werden, und muss der sichere
Endverbleib nachgewiesen werden.
Da sowohl die nationale Sicherheit als auch der Schutz der
Wettbewerbsfähigkeit der Rüstungsindustrie im Vergleich zur Beschränkung von
Rüstungsexporten höherrangige Güter sind, ist das genehmigungsrechtliche Problem bei
Komponentenexporten gleichzeitig auch ein Transparenzproblem.
Die Bundesregierung praktiziert in Bezug auf ihre Informationspolitik
zu Rüstungsexporten eine Art doppelte Geheimhaltung und erschwert so deren ohnehin
mangelhafte Nachvollziehbarkeit zusätzlich: Erstens können Informationen über ein
Rüstungsgeschäft zum Schutz der Wettbewerbsinteressen eines deutschen Unternehmens der
Öffentlichkeit vorenthalten werden. Die Begründung dafür lautet, dass Unternehmen einen
Wettbewerbsnachteil erleiden könnten, wenn Volumen und Wert ihrer Importe und Exporte
auch der Konkurrenz bekannt gemacht würden. Zweitens können diese Informationen unter
Berufung auf nationale Sicherheitsinteressen geheimgehalten werden, z. B. um andere
Staaten im Unklaren über die technischen Eigenschaften der exportierten Waffensysteme zu
lassen, um einem verbündeten Staat bei der Aufrüstung der Streitkräfte zu helfen, ohne
dass andere Staaten von dieser Koope-ration erfahren, oder ganz allgemein, um
außenpolitische Beziehungen nicht zu gefährden.
Das Problem der mangelnden Transparenz wird durch die fortschreitende
Transnationalisierung der deutschen Rüstungsindustrie verstärkt. Vor allem im
Luftfahrbereich sind erste länderübergreifende Rüstungskonzerne entstanden, deren
Wertschöpfungskette für ein Rüstungsprodukt sich über mehrere Staaten erstreckt.
Paradebeispiel ist der größte europäische Rüstungskonzern European Aeronautics Defence
and Space (EADS). EADS ist ein Zusammenschluss der deutschen Deutsche Aerospace AG, der
spanischen CASA und der französischen Aerospatiale. Der Hauptsitz von EADS liegt aus
juristischen und steuerlichen Gründen in den Niederlanden. Durch den konzerninternen
Warenverkehr und die vielfältigen Joint-Venture-Konstruktionen mit anderen
Rüstungsunternehmen ist es fast unmöglich geworden, einzelne Produktionsschritte (an
welchem Standort, in welchem Umfang) nachzuvollziehen. Komponenten werden häufig mehrfach
hin und her transferiert, bevor sie endgültig in das Endprodukt eingebaut werden.
Zusätzlich haben diese Konzerne einen erheblichen Spielraum in ihrer Entscheidung, von
welchem Staat aus sie ihre Endprodukte exportieren wollen.
Die Fülle der rechtlichen Interpretationsspielräume, der
Ausnahmeregelungen und Sonderbestimmungen zeigt, dass der Dualismus von KWKG und AWG im
deutschen Kontrollsystem mehr Freiräume für den Export von Komponenten schafft, als
Löcher dafür schließt. Das Verfahren erlaubt es, bei der Rüstungskooperation den
verbündeten EU- und NATO-Staaten und der Förderung der Interessen der deutschen
Rüstungsindustrie Vorrang einzuräumen gegenüber den in den "Politischen
Grundsätzen" postulierten Werten Frieden, Gewaltprävention, Menschenrechte und
nachhaltige Entwicklung.
Korrekturversuche der Bundesregierung, wie die Reform der
"Politischen Grundsätze der Bundesregierung zum Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern", die Unterstützung europäischer Initiativen wie den
EU-"Verhaltenskodex für Waffenausfuhren" von 1998, oder die EU-Verordnung über
die "Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem
Verwendungszweck" (Dual-use-Güter) von 2000 blieben Stückwerk bzw. wirkten
hinsichtlich einer restriktiven Rüstungsexportpolitik sogar eher kontraproduktiv. Das
Ziel der Bundesregierung, eine europäische Lösung bestehender Kontrolldefizite zu
erreichen, verzögert dringend notwendige nationale Reformen und riskiert sogar eine
weitere Anpassung deutscher Kontrollnormen an niedrigere europäische Standards.
Bestes Beispiel dafür ist die Verabschiedung der EU-Verordnung für
Dual-use-Güter vom 22.6.2000.[38] Damit wurde der gesamte Dual-use-Güterhandel innerhalb der
EU liberalisiert und zudem mit der Allgemeinen Genehmigung E001 auch auf Australien,
Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweiz und die USA ausgeweitet. Exportgenehmigungen
für diese Staaten sind nun mit Ausnahme einiger weniger Dual-use-Güter nicht mehr
erforderlich. Die zuständigen Ausfuhrbehörden müssen lediglich über einen erfolgten
Export informiert werden. Beim Weiterexport deutscher Dual-use-Güter entscheidet nun nur
noch der EU-Staat, in dem die Endmontage durchgeführt wird. Der Mangel an EU-weit
einheitlichen Rechtsnormen und Interpretationen dieser Vorschriften erleichtert die
Umgehung restriktiverer nationaler Vorschriften. Eine eventuelle künftige
Vergemeinschaftung innerhalb der EU auch der Kontrollen von Rüstungsgütern der
Ausfuhrliste Teil 1 A wird dem Trend zum kleinsten, am wenigsten restriktiven Standard
Vorschub leisten. Insgesamt wird so die Erfassung und Kontrolle der Vertriebs- und
Lieferwege der Rüstungskomponenten immer schwieriger werden.
Der Export von Komponenten hat einen erheblichen Anteil am gesamten
Rüstungsexportvolumen. Die zahlreichen Beispiele, die in dieser Studie aufgeführt sind,
machen die Notwendigkeit deutlich, den Rüstungskomponentenhandel künftig genauer zu
untersuchen und seine Relevanz im Verhältnis zu Exporten von Waffensystemen neu zu
bestimmen.
Die Verbreitung deutscher Rüstungskomponenten und
Rüstungstechnologien, besonders deren Lieferung in Krisenregionen und an kriegführende
Staaten, weisen sowohl auf Erfassungs- und Kontrolldefizite, als auch auf eine bewusste
politische Duldung dieses Zustands hin. Bislang haben sämtliche Bundesregierungen bei der
Verteidigung ihrer angeblich restriktiven Rüstungsexportpolitik davon profitiert, dass
sich die öffentliche Aufmerksamkeit fast nur auf die Exporte von großen Waffensystemen
konzentrierte. Der genauso problematische Komponentenexport, für den viele Exporthürden
niedriger sind, blieb dagegen weitgehend unbeachtet und undiskutiert. Die Bundesregierung
hat es bisher versäumt, das Ausmaß deutscher Exporte von Rüstungskomponenten
detailliert darzustellen und ihre Genehmigungsentscheidungen nachvollziehbar und
transparent zu machen:
- Die Bundesregierung verfolgt keine wahrhaft restriktive Rüstungsexportpolitik. Ein
Rückgang der Exportgenehmigungen ist nicht zu erkennen, sondern entgegen welt-weiter
Trends ist sogar ein Wachstum zu beobachten. Komponenten haben daran einen großen Anteil.
Je nach Interpretation bewegt sich deren Wertanteil zwischen 60 % und 80 % des
Gesamtwertes der Exportgenehmigungen und tatsächlich exportierten Rüstungsgüter.
- Der Kreis der Empfängerstaaten dieser Rüstungsgüter entspricht in keiner Weise den
Vorgaben einer restriktiven Rüstungsexportpolitik, zu der sich die Bundesregierung in den
"Politischen Grundsätzen" im Jahr 2000 verpflichtet hat. Vielmehr scheint sie
bei ihren Genehmigungsentscheidungen unterschiedliche Standards anzuwenden sowohl
hinsichtlich der Behandlung von Waffensystemen und Rüstungskomponenten als auch
bezüglich der Einschätzung des Risikos des Weiterexports durch verschiedene
Empfängerstaaten.
- Die veröffentlichten statistischen Daten im Rahmen der jährlichen
Rüstungsexport-berichte sind keineswegs transparent. Sie sind weder systematisch
vergleichbar, noch in sich selbst schlüssig aufbereitet. Auch werden nicht alle
verfügbaren und nicht durch Gesetze vor Veröffentlichung geschützten Informationen
präsentiert.
Alle genannten Mängel zeigen: Es besteht ein dringender
Handlungsbedarf. Aufgrund veränderter Nachfragefaktoren und neuer rüstungsindustrieller
Produktionsprozesse und -kapazitäten wird die Bedeutung von Komponenten für den
Rüstungshandel weiter zunehmen. Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit anderen Staaten,
die von der Richtigkeit einer restriktiven Rüstungsexportpolitik überzeugt sind,
dringend weitere Maßnahmen umsetzten, um die Weiterverbreitung von konventionellen
Waffensystemen und besonders auch von Komponenten zu unterbinden.
Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, die folgenden Schritte umzusetzen:
1. Forderung: Die Zusammenführung der
Rüstungsexportbestimmungen des AWG und des KWKG in einem Gesetz, das den rechtlichen
Prinzipien des strengeren KWKG folgt.
Genehmigungsentscheidungen für den Export von zentralen Rüstungskomponenten, die die
Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit eines Waffensystems erhöhen, z. B. Feuerleitsysteme,
dürfen nicht anderen Kriterien unterliegen als komplette Waffensysteme. Konventionelle
Rüstungsgüter jeglicher Art sollten nur in begründeten Ausnahmefällen exportiert
werden dürfen.
2. Forderung: Die rechtsverbindliche Umsetzung der
bislang nur politisch verbindlichen Entscheidungskriterien und Maßstäbe der
"Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgüter" vom Januar 2000.
In den letzten vier Jahren hat sich deutlich gezeigt, dass die "Politischen
Grundsätze" als unverbindliche Behördenrichtlinie bei strittigen
Genehmigungsanfragen ihre Wirkung verfehlen und, gemessen an den erteilten
Rüstungsexportlizenzen, kaum Konsequenzen haben. Die Berücksichtigung der drei
Prinzipien Gewaltprävention, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung darf nicht
optional bleiben. Außerdem müssen sämtliche Kriterien und Empfehlungen der
"Politischen Grundsätze" für alle potenziellen Empfängerstaaten gelten und
nicht nur für die "sonstigen Drittstaaten".
3. Forderung: Die Einführung besserer Kontrollen und
eine restriktivere Handhabung von Sondergenehmigungen für die Exporte von
Rüstungskomponenten.
Die gegenwärtige Praxis der Gewährung von Sonderrechten und die bevorzugte Behandlung
der traditionellen Bündnispartner Deutschlands müssen korrigiert werden. Solange
Verbündete wie Frankreich, Großbritannien und die USA Waffensysteme in Krisenregionen
und an Staaten liefern, die nicht den Maßstäben der "Politischen Grundsätze"
genügen, ist es unverständlich, dass ein Großteil der deutschen Rüstungsexporte an die
Bündnispartner pauschal genehmigt wird und bei Weiterexporten bestenfalls eine
Konsultationsmöglichkeit für die Bundesregierung besteht.
4. Forderung: Die Verbesserung des Systems der
Endverbleibskontrollen.
Angesichts der zahlreichen Sonderbestimmungen zu Weiterexporten, aber vor allem der
herrschenden Auffassung zum neuen Warenursprung, müssen die Endverbleibskontrollen für
deutsche Rüstungskomponenten verbessert werden.
5. Forderung: Die Kopplung der weiteren Liberalisierung
des europäischen Binnenmarktes für Rüstungsgüter an die Verabschiedung einheitlicher
und restriktiver gesamteuropäischer rechtlicher Rüstungsexportregeln.
Der gegenwärtig weitestgehend unkontrollierte Transfer von Dual-use-Gütern
innerhalb der EU darf nicht auf andere Rüstungsgüter ausgedehnt werden, ohne dass auf
EU-Ebene wesentlich restriktivere Verordnungen eingeführt werden und unabhängige
Kontrollinstitutionen eingerichtet werden. Die gewollte oder ungewollte Weiterverbreitung
deutscher Rüstungstechnologien durch den Weiterexport über EU-Mitgliedsstaaten muss
unterbunden werden.
6. Forderung: Die Verbesserung der Transparenz der
Genehmigungsverfahren und der Erfassung und Veröffentlichung getätigter
Exportgeschäfte.
Eine zentrale Voraussetzung für die Verbesserung der Instrumente zur
Rüstungsexportkontrolle ist die Überwindung der "doppelten Geheimhaltung"
aufgrund der nationalen Sicherheitsinteressen und der Geschäftsinteressen der
Rüstungsindustrie. Ein Anfang wäre die Verbesserung der statistischen Erfassung der
tatsächlich getätigten Rüstungsexporte, die Aufschlüsselung der erteilten
Genehmigungen nach Rüstungsgut und Stückzahlen, und die Aufnahme der
Dual-use-Güterexporte in den Rüstungsexportbericht.
Die Umsetzung dieser Maßnahmen wäre nur ein erster Schritt weitere und
umfassendere müssten folgen. So würde die Bundesregierung ein deutliches Zeichen setzen,
dass sie es ernst mit einer an den Werten der "Politischen Grundsätze"
orientierten, wahrhaft restriktiven Rüstungsexportpolitik meint. Denn trotz aller
politischen Rhetorik, die behauptet, es seien oft die bestehende Gesetze und Verfahren,
die eine restriktivere Rüstungsexportpolitik verhindern, darf nicht vergessen werden,
dass diese Gesetze im Bundestag mit einfacher Mehrheit verändert oder aufgehoben werden
können.
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