Studie in Kooperation mit Oxfam Deutschland e.V.
ISBN 3-9809965-2-2
März 2005

Seite 3


“Made in Germany” inside
Komponenten - die vergessenen Rüstungsexporte

von Otfried Nassauer und Christopher Steinmetz

 

2. Als "blinde Passagiere" um die Welt?

Die politische und juristische Differenzierung zwischen "Kriegswaffen" gemäß KWL B, "sonstigen Rüstungsgütern" gemäß AL 1 A und "Dual-use-Gütern" gemäß AL 1 C ist zwar praktisch, aber in Bezug auf Rüstungskomponenten problematisch. Zum einen finden sich Komponenten in allen drei Kategorien. Zum anderen werden sie von den zuständigen Behörden als nachrangig in ihrer Relevanz für die Kriegführung betrachtet. Damit wird die Tatsache verdrängt, dass prinzipiell eine Waffe nur die Summe ihrer Komponenten ist und vor allem das Produktions-Know-how eine längere Lebensdauer hat als die Waffe selbst. Die langfristigen technologischen Nebeneffekte von Komponenten- und Know-how-Transfers geraten damit aus dem Blick. Außerdem ist es gerade die Qualität der einzelnen Rüstungskomponenten, die die Wahrscheinlichkeit der Beschaffung eines Waffensystems, dessen militärischen Gebrauchswert und dessen Einsatzwahrscheinlichkeit bestimmen.

  • Ein Infrarot-Nachtsichtgerät, ein Zielfernrohr oder ein Schalldämpfer können selbst ein älteres Kleinwaffenmodell zu einem qualitativ hochwertigen Instrument der Kriegführung machen.
  • Ein besonders belastbarer Panzermotor mit geringem Treibstoffbedarf verbessert die Einsatzreichweite.
  • Treibladungen, Zünder und Hülsen sind entscheidend für die Effizienz der Artillerie und anderer Waffen.
  • Wärmebildkameras und andere Sensoren ermöglichen es den Streitkräften u. a. mittels unbemannten Flugkörpern (Drohnen), das Hinterland zu erkunden und Angriffsziele auszuwählen.
  • Baupläne für wichtige Komponenten oder die Lieferung von Produktionsanlagen können den Empfängerstaat in die Lage versetzen, unkontrolliert aufzurüsten und genügend Nachschub für die Kriegführung zu produzieren.
  • Durch den Ein- und Aufbau von militärischen Komponenten können auch zivile Fahrzeuge eine militärische Funktion erhalten, wie z. B. ein Hubschrauber mittels eines 12,7-mm-Maschinengewehr-Aufsatzes oder mittels eines Nachtsichtgerätes.
  • Vor allem für Staaten in ärmeren Regionen bieten schon geringe Stückzahlen an modernem militärischen Gerät bzw. eingebaute "modernere" Komponenten in der Regel einen erheblichen militärischen Vorteil.

Ebenso wenig wie es rein defensive Waffen gibt, gibt es vollkommen harmlose Rüstungskomponenten. Eine Rüstungskontrollpolitik, die sich Werten wie den Menschenrechten, der Gewaltprävention[17] und der nachhaltigen Entwicklung verpflichtet fühlt, darf nicht zwischen Waffensystemen und Komponenten unterscheiden. Wenn die Bundesregierung den Export von "G-36"-Sturmgewehren nach Nepal nicht genehmigt, weil sich dieses Land in einem Bürgerkrieg befindet und die Wahrung der Menschenrechte durch die nepalesische Regierung nicht garantiert werden kann, müsste auch der Export von Munitionsteilen und entsprechenden Produktionsanlagen untersagt werde [Projekt 7]. Mehr noch als einige Tausend Sturmgewehre (ohne Munition) ermöglicht eine gesicherte Munitionsproduktion das gewaltsame Vorgehen gegen die Opposition und die Unterdrückung von Menschen.

Eine an den oben beschriebenen Werten orientierte Rüstungskontrollpolitik darf auch nicht die langfristigen Konsequenzen des Transfers von Rüstungstechnologie für die Entstehung und den Unterhalt von Kapazitäten zur Rüstungsproduktion in den Empfängerstaaten ausblenden. Nach Aussage der Rüstungsexportberichte der Bundesregierung wurde zwischen 1999 und 2003 der Export von unfertigen Teilen, technischen Unterlagen und Produktionsanlangen an mindestens 53 Staaten außerhalb der EU und der NATO genehmigt. Diese Art von Transfers sowie der Export von fertigen Komponenten ermöglichen es den Empfängerstaaten, die eigenen Produktionskapazitäten zu modernisieren und auszubauen. Mit dem Export der auf diesem Wege qualitativ verbesserten Rüstungsgüter können sie zudem ihre eigene Aufrüstung finanzieren. Der neueste Transportpanzer "3T" und der Spähpanzer "2T" der belorussischen Firma Minotaur, ausgestattet mit Panzerketten von Diehl, sind auch für den Exportmarkt bestimmt [Projekt 18]. Ein weiteres Beispiel: Atlas Elektronik liefert derzeit ein modernes "COSYS"-Führungs- und Waffeneinsatzsystem für mindestens zwei Patrouillenboote, die vom chinesischen Generalunternehmer China Shipbuilding Trading Co. in Shanghai für die thailändische Marine gebaut werden. Anscheinend unberührt vom EU-Waffenembargo, wird damit der chinesische Rüstungssektor unterstützt [Projekt 20].[18]

Die folgenden drei Beispiele verdeutlichen die nachhaltigen Risiken der diskreten Reise deutscher Rüstungskomponenten um die Welt.

 

2.1 Multinationale Beschaffungsvorhaben

Gemäß der Auffassung der Bundesregierung dienen viele Exporte entweder den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, erfolgen im Rahmen gemeinsamer Beschaffungsvorhaben oder gelten als Beitrag zur Sicherheit des Empfängerstaates. Allerdings bergen selbst diese auf den ersten Blick vielleicht unbedenklich erscheinenden Rüstungsvorhaben das Risiko späterer Weiterexporte in – auch aus Sicht der Bundesregierung - problematische Staaten. Dies gilt vor allem für die deutschen Zulieferungen zu multinationalen Beschaffungsvorhaben innerhalb der Europäischen Union oder der NATO. Davon gibt es viele. Vom Kampfflugzeug "Eurofighter" über den Kampfhubschrauber "Tiger", den Transporthubschrauber "NH-90" bis hin zum Artillerieortungs-Radarsystem "COBRA".

Beispiel "Eurofighter": An diesem Großprojekt sind alleine in Deutschland etwa 27 Unternehmen als größere Zulieferer für die Eurofighter GmbH beteiligt.[19] Deren Komponenten werden später in den mehreren Hundert Kampfflugzeugen dieses Typs für Großbritannien, Italien, Österreich und Spanien mitfliegen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Komponenten und Rüstungstechnologie über einen eventuellen Weiterexport dieser begehrten High-Tech-Produkte in Drittstaaten gelangen. Dies war schon beim "Tornado"-Kampfjet, dem Vorgänger des "Tornados", der Fall, von dem Großbritannien 110 Stück an Saudi-Arabien verkaufte [Projekt 24]. Schon jetzt hat Saudi-Arabien sein Interesse an einem Erwerb des "Eurofighters" geäußert. In Singapur beteiligt sich das "Eurofighter"-Konsortium bereits an der Ausschreibung für ein neues Kampfflugzeug.[20]

Generell gilt für derartige multinationale Rüstungskooperationen: Was heute noch unproblematisch erscheint, kann morgen schon zum Problem werden.

 

2.2 Ersatzteile und schleichende Modernisierung

Die gleiche Aussage lässt sich auch für die Gewohnheitsregel treffen, dass die Ersatzteilversorgung für die Käuferstaaten gewährleistet bleibt. Damit verpflichtet sich die Bundesregierung bei jedem Rüstungsexportgeschäft oft auf Jahrzehnte zu einer quasi automatischen Genehmigung von zukünftigen Zulieferungen. Deren Aussetzung oder gar Ablehnung ist nur unter erheblichen rechtlichen und diplomatischen Schwierigkeiten möglich. Motoren müssen gewartet, verschlissene Teile ersetzt werden. Deutsche Firmen erhalten zum Beispiel regelmäßig Ersatzteilaufträge von der türkischen Marine, u. a. für Torpedoteile oder Motoren. Ein anderes Beispiel: Der deutsche Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann versorgt über sein Tochterunternehmen Gesellschaft für logistischen Service (GLS) die meisten Käufer der Kampfpanzer "Leopard 1" und "Leopard 2" mit den entsprechenden, manchmal qualitativ verbesserten Ersatzteilen. Seit 1999 werden von der GLS z. B. 200 "Leopard 1A5" für die chilenischen Streitkräfte modernisiert und mit neuen Nachtsichtgeräten ausgestattet [Projekt 25].

 

2.3 Langlebiges Problem: Lizenzproduktion

Die Genehmigung einer Lizenzproduktion oder wichtiger Produktionsbestandteile dafür ist häufig nicht nur ein permanenter Technologietransfer, sondern auch Wegbereiter für langfristige Komponentenexporte. Lizenzen ermöglichen oft nur die Montage von Waffensystemen oder untergeordneten Komponenten in einem anderen Staat. Schlüsselkomponenten werden dagegen in der Regel nach wie vor vom Lizenzgeber zugeliefert.

Über die Lizenzvergabe hinaus kann der Endverbleib der deutschen Zulieferungen oder des Endproduktes kaum kontrolliert werden. Selbst wenn im Lizenzvertrag festgeschrieben wird, dass nur für den nationalen Bedarf der Streitkräfte des Empfängerlandes produziert werden darf, können die Streitkräfte Jahre später befreundeten Armeen diese "gebrauchten" Rüstungsprodukte zur Verfügung stellen. Ferner ist mit jeder Lizenzvereinbarung das Risiko technischer Modifikationen verbunden, die zur Entwicklung "neuer" Produkte führen, die dann generell ungehindert weiter exportiert werden können.

In einigen Fällen ist der Weiterexport sogar explizit Bestandteil des Technologietransfers, wie das Beispiel Südafrika zeigt. Dort sind sowohl die deutsche Regierung als auch deutsche Rüstungsunternehmen dazu übergangen, spätere Exportmöglichkeiten der dort produzierten Rüstungskomponenten bereits vertraglich festzuschreiben, nur um überhaupt den Großauftrag zu erhalten.

Als Teil der so genannten Kompensationsgeschäfte für die Beschaffung von vier deutschen "MEKO"-Fregatten und drei U-Booten durch die südafrikanische Marine hat sich die Zeiss Optronik AG verpflichtet, die benötigten U-Boot-Periskope "SERO 400 EO" und den U-Boot-Mast "OMS 100 EO" in Südafrika herstellen zu lassen. Außerdem wurde vereinbart, dass die südafrikanische Partnerfirma diese Periskope auch für die U-Boote zuliefern darf, die deutsche Rüstungsunternehmen derzeit in und für Griechenland und Südkorea bauen [Projekt 21]. Hochwertige optisch-elektronische Technologien, für die es weltweit nur wenige Anbieter gibt, werden somit nicht nur einem anderen Staat zur Verfügung gestellt, sondern dienen auch noch der Stärkung der dortigen Rüstungsexportwirtschaft.

Noch deutlicher werden die langfristigen Risiken der Lizenzpolitik am Beispiel der Kleinwaffenprodukte von Heckler & Koch. Das folgende Schaubild zeigt eine Auswahl der Staaten, in denen Waffen von Heckler & Koch zum Teil seit mehr als 20 Jahren produziert werden – häufig unter Beschaffung spezifischer Bestandteile aus Deutschland. Etliche Lizenzen beinhalten auch das Recht, für den Export zu produzieren.[21]

Es ist bereits abzusehen, dass das "G-3"-Nachfolgemodell, das "G-36", ähnlich nachhaltig in der Welt Verbreitung finden wird. Die spanische Tochterfirma von General Dynamics Land Systems, Santa Barbera di Sistemas, produziert derzeit etwa 56.000 Stück davon für die spanischen Streitkräfte [Projekt 22]. Als "XM-29" (bzw. Objective Individual Combat Weapon) wird ein modifiziertes "G-36" auch in den USA hergestellt werden, und für die leichte Variante "XM-8" liefert Heckler & Koch viele Komponenten. Die US-Armee plant, davon bis 2021 etwa 900.000 Stück zu beschaffen [Projekt 23].

 

Schaubild 1: Internationale Lizenzvergabe für Waffen von Heckler & Koch
Typ Lizenznehmerstaaten
Sturmgewehr G-3 Brasilien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Iran, Malaysia, Mexiko, Myanmar, Norwegen, Pakistan, Philippinen, Portugal, Saudi-Arabien, Schweden, Thailand, Türkei
Maschinenpistole MP 5 Griechenland, Großbritannien, Mexiko, Pakistan, Portugal, Saudi-Arabien, Türkei
Maschinengewehr HK 21 Griechenland, Mexiko, Portugal, Thailand
Maschinengewehr HK 23E Mexiko
Gewehr HK 33E Thailand, Türkei
Pistole P 7 Griechenland, Pakistan


Die Zulieferung von Komponenten und der Export von Rüstungstechnologien entfalten langfristig eine Wirkung, die anfangs nicht immer verlässlich eingeschätzt und die später nicht mehr beeinflusst werden kann. Deutsche Gesetzeslücken bieten zahlreiche Schlupflöcher für zweifelhafte Exporte von Komponenten. Dies kann nicht im Interesse einer wahrhaft restriktiven Rüstungsexportpolitik sein. Umso dringender ist eine grundlegende Korrektur des Kontrollsystems und seine sorgfältige Umsetzung in der Genehmigungspraxis.

 

3. Zukünftige Risiken der Weiterverbreitung deutscher Rüstungsgüter

Die Nachfrage nach deutschen Rüstungskomponenten auf dem Weltmarkt ist groß. Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf sogar noch steigen und dass gleichzeitig die politisch-militärisch-industrielle Dynamik in Deutschland und Europa die Bedienung dieser Nachfrage erleichtern wird. Die weltweiten wirtschaftlichen Prozesse der Liberalisierung, Deregulierung und Transnationalisierung erfassen zunehmend auch den Rüstungssektor.

Vor allem zwei Faktoren werden die zukünftigen Exportchancen deutscher Komponenten bestimmen.

Erstens ist der weltweit wachsende Stellenwert von Komponenten bei der Modernisierung der Streitkräfte zu nennen. Diese Entwicklung ist zum einen eine Konsequenz der voranschreitenden militärischen Adaption moderner Datenverarbeitungstechnologien und der Miniaturisierung von Rüstungskomponenten. Beides schafft die Voraussetzung für neue militärische Einsatzstrategien. Zum anderen ist sie eine Folge der voranschreitenden Industrialisierung in den "Tiger-Staaten" der Rüstungsproduktion. Zu dieser Gruppe können Staaten gezählt werden, deren Rüstungsindustrie in der Lage ist, höherwertige Rüstungsgüter für Nischenbereiche zu produzieren, Waffensysteme zu bauen und westliche Rüstungstechnologie in bestehende Waffensysteme zu integrieren. Künftig werden immer mehr Staaten in der Lage sein bzw. versuchen, Waffenplattformen und sonstige Rüstungsgüter bis auf High-Tech-Komponenten im eigenen Land herzustellen. Das ist billiger und die Steuergelder bleiben im Land. Die Produktion lohnt erst recht, wenn fertige Waffen auch noch exportiert werden können. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Waffenplattformen aus Wirtschaftlichkeitsgründen bzw. aus Geldmangel durch Integration moderner Komponenten voraussichtlich länger genutzt werden. Symptomatisch und wegweisend ist ein Beispiel aus den USA, jenem Land, das am meisten Geld für Rüstung ausgibt. Der Langstrecken-Bomber "B-52" ist seit 50 Jahren im Dienst und soll noch weitere 50 Jahre im Dienst bleiben. Waffenplattformen werden immer häufiger modernisiert, um neue Technologien zu integrieren und dem beschleunigten technischen Wandel Rechnung zu tragen. Insgesamt erlauben die Fortschritte in der Informationstechnologie und die Miniaturisierung von Rüstungskomponenten bereits heute eine gewaltige und zugleich preisgünstige Steigerung der Qualität. Die Streitkräfte erhalten neue Einsatzoptionen, ohne jedes Mal neue Waffenplattformen beschaffen zu müssen.

Zweitens werden durch die voranschreitende Harmonisierung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU-Staaten sowie durch die Transnationalisierung der Rüstungsindustrie zunehmend Exporthürden in der EU abgebaut. Damit wollen die EU-Staaten sich einerseits gegenseitig die Versorgungssicherheit bei Rüstungsgütern gewährleisten und die Planung und Umsetzung von gemeinsamen Beschaffungsvorhaben erleichtern. Andererseits sollen dadurch auch die rüstungsindustriellen Kapazitäten innerhalb der EU gesichert, rationalisiert und in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Je größer die gegenseitige rüstungspolitische und -industrielle Abhängigkeit innerhalb der EU wird, desto mehr wird der Export und Weiterexport von Rüstungskomponenten erleichtert werden. Denn selbst im Fall von deutschen Vorbehalten wird sich die Bundesregierung nur in Ausnahmefällen gegen die ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen anderer EU-Staaten an einem multinationalen Rüstungsexportgeschäft durchsetzen.

 

3.1 Wenn Freunde zum Problem werden können

Die exklusiven Rüstungsexportbeziehungen zu den Mitgliedsstaaten der EU, der NATO sowie den NATO-gleichgestellten Staaten Australien, Japan, Neuseeland und Schweiz können der globalen Weiterverbreitung deutscher Rüstungskomponenten Tür und Tor öffnen. Diese Staaten stehen ganz oben in der deutschen Genehmigungshierarchie. Ihre bevorzugte Behandlung beruht neben allerlei bündnispolitischen Erwägungen auf der Annahme der Bundesregierung, dass sämtliche EU- und NATO-Staaten eine verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik praktizieren und nicht den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, dem Völkerrecht oder anderen Kriterien der "Politischen Grundsätze" zuwiderhandeln würden. In der Praxis hat sich dies jedoch wiederholt als problematisch erwiesen, denn nach wie vor verfolgen eine Reihe von EU- und NATO-Staaten eine fragwürdige Exportpolitik gegenüber nicht vertrauenswürdigen Drittstaaten bzw. selbst eine völkerrechtlich problematische Interventionspolitik.

 

3.1.1 EU-Staaten: Beispiel Frankreich

Exemplarisch für die europäische Dimension dieser Problematik ist die Rüstungskooperation mit Frankreich. Bereits 1971/1972 wurde mit der "Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die Ausfuhr von gemeinsam entwickelten und/oder gefertigten Kriegswaffen und sonstigem Rüstungsmaterial in dritte Länder" die intensive Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten begründet.[22] Ein Kernpunkt dieser Vereinbarung war, dass keine der beiden Regierungen den anderen Partner daran hindern sollte, Rüstungsgüter aus gemeinsamer Produktion in Drittländer zu exportieren. Außerdem kamen beide Seiten überein, dass im Fall von Einzelteil-Zulieferungen in rechtlicher Beziehung der eigenständige Charakter von Komponenten beim Einbau in ein neues Waffensystem erlöschen solle. Der Partner muss nur dann über den Weiterexport des Waffensystems informiert werden, wenn von ihm zugelieferte zentrale Komponenten darin eingebaut wurden.

Infolge dieser Vereinbarungen stieg zunächst die Zahl der bilateralen Gemeinschaftsprogramme an.[23] Auch die Rüstungsindustrie profitierte von diesen Exporterleichterungen. Joint Ventures wurden gegründet, wie z. B. Euromissile, Eurobridge, Eurocopter und Thomson-DASA Armements (TDA), mit Hauptsitz in Frankreich.[24] Aufgrund der restriktiveren Exportvorschriften in Deutschland entstand dabei oft folgende Arbeitsteilung: Deutsche Firmen produzierten einen Großteil der Komponenten, in Frankreich ansässige Firmen übernahmen die Systemintegration und weitgehend die Abwicklung des Geschäftes mit den Exportkunden. Verträge über Wartung und Ersatzteillieferung konnten wiederum auch von den deutschen Partnerunternehmen wahrgenommen werden. Wichtige deutsch-französische Kooperationsprogramme der Vergangenheit waren die Panzerabwehrraktensysteme "Milan" und "HOT" sowie das Luftverteidigungssystem "Roland". Wenigstens in 23 außereuropäischen Staaten befinden sich "Milan"-Abschussgeräte und -Raketen im Arsenal der jeweiligen Streitkräfte, darunter in Staaten wie Syrien, Libyen, Mauretanien, Tschad und Singapur. Indien hat vom deutsch-französischen Euromissile-Konsortium die Lizenz für den Aufbau einer eigenen Produktionslinie erhalten. "Roland"-Luftverteidigungssysteme wurden u. a. an Irak, Nigeria und Katar geliefert.[25] Auch die jüngsten Kooperationsvorhaben beider Staaten, wie z. B. der Kampfhubschrauber "Tiger", werden erneut zu Exportgeschäften führen.

 

3.1.2 NATO-Staaten: Beispiel USA

Der privilegierte Empfängerstatus für NATO- und ihr gleichgestellter Staaten birgt noch größere Risiken für die Weiterverbreitung deutscher Rüstungskomponenten. Während inzwischen innerhalb der EU ein Mindestmaß an verbindlichen Entscheidungsprozessen in außen- und sicherheitspolitischen Fragen erreicht wurde (u. a. in Bezug auf Embargos), ist dies bei den NATO- und NATO-gleichgestellten Staaten nicht immer der Fall.

Überragende Bedeutung hat die Rüstungskooperation mit den USA. Gemessen an den erteilten Einzelgenehmigungen, nehmen die USA die Spitzenposition als größter Absatzmarkt für deutsche Rüstungsgüter ein. In den Jahren 1999 bis 2003 wurden Einzelgeschäfte der Ausfuhrliste 1 A im Wert von insgesamt 2,5 Mrd. € (14 % des Gesamtwertes aller Einzelgenehmigungen für Rüstungsexporte) genehmigt. Hinzu kommt noch eine unbekannte Anzahl von Sammelausfuhrgenehmigungen. Da es kaum Exporte von vollständigen Waffensystemen in die USA gibt, muss der Großteil der Exportgenehmigungen Komponentengeschäfte und Lizenzen betreffen. Im Rüstungsexportbericht für 2003 hat die Bundesregierung erstmals entsprechende Informationen veröffentlicht. Von den erteilten Genehmigungen im Wert von 496 Mio. € waren nur 12,1 Mio. € für Güter der Kriegswaffenliste Teil B bestimmt. Die restliche Summe bezieht sich folglich auf Komponenten.

Eines der bekanntesten älteren Lizenzgeschäfte ist das 120-mm-Kanonenrohr von Rheinmetall für die US-Kampfpanzer-Typen "M1A1" und "M1A2". Als Teil dieses Geschäftes hat Rheinmetall dem US-Munitionshersteller Alliant Techsystems auch die Lizenz für verschiedene 120-mm-Munitionstypen erteilt. Neben der Beschaffung für die eigenen Streitkräfte haben die USA die Panzer auch nach Ägypten und Saudi Arabien exportiert, bzw. lassen sie dort zusammenbauen, inklusive der notwendigen Munition [Projekt 14].

Weitaus weniger bekannt sind folgende Geschäfte mit zentralen Komponenten: Die AEG Infrarotmodule GmbH hat seit Ende 1986 jeweils mehr als 3.000 Infrarotmodule und Kühlsysteme für das Zielerfassungssystem "TADS" des "Apache"-Kampfhubschraubers und das "LANTIRN"-System der US-Kampfflugzeuge "F-15E" und "F-16C/D" geliefert [Projekte 27 und 3]. Die Diehl-Tochter Junghans Feinwerktechnik beliefert seit mehr als einem Jahrzehnt die US-Armee mit den Zündern für die 60-mm- und die 81-mm-Mörsermunition [Projekt 6].

Eine Vielzahl von Kleinwaffenmodellen von Heckler & Koch sind seit Jahren bei den Spezialkräften der US-Streitkräfte im Einsatz, z. B. die Maschinenpistole "MP 5" oder die "0.45 Universal Soldier Pistol". Im Rahmen des Beschaffungsprogramms "Objective Individual Combat Weapon" sollen mit Hilfe von Heckler & Koch gleich zwei Waffentypen bei den US-Streitkräften eingeführt werden: das leichte Sturmgewehr "XM 8", von dem bis 2021 etwa 900.000 Stück geliefert werden sollen, und das Sturmgewehr "XM 29", von dem zunächst 25.000 Stück hergestellt werden sollen [Projekte 22 und 23].

Die politischen Implikationen dieser Art der Rüstungskooperation mit den USA liegen auf der Hand: Der "Krieg gegen den Terror" (in Afghanistan, Jemen, Philippinen und Somalia) und der Angriff auf den Irak zeigen deutlich die Bereitschaft der USA, auch ohne internationales Mandat militärische Einsätze durchzuführen, wenn dies den nationalen Interessen dient. Die Gefahr, dass deutsche Rüstungskomponenten auch in Zukunft bei friedensstörenden Handlungen und Angriffskriegen eingesetzt werden, ist daher groß.

Ein zweites Problem der Rüstungskooperation mit den USA betrifft den Weiterexport. Bei der Auswahl der Bündnispartner spielen für die US-Regierung Kriterien wie Demokratie oder Achtung der Menschenrechte oft nur eine nachgeordnete Rolle. Der Bundesregierung ist bekannt, dass die USA seit vielen Jahrzehnten durch militärische Finanzierungsprogramme "Foreign Military Sales (FMS)" und "Foreign Military Finance (FMF)" ihre wichtigsten Bündnispartner mit modernsten Waffen und militärischer Ausrüstung versorgen. Zu den größten Empfängern von FMS-finanzierten Rüstungsexporten gehören Ägypten, Israel, Kolumbien, Pakistan und Taiwan. Obwohl dies alles Staaten sind, in die deutsche Direktexporte aufgrund der dortigen Umstände nicht ohne weiteres genehmigt werden würden, gelangten deutsche Komponenten über die USA dorthin. In den "Patriot"-Flugabwehrsystemen befinden sich zum Beispiel kleine Elektromotoren der Jenoptik-Tochter Lechmotoren GmbH. Die "Patriot"-Systeme wurden u. a. an Israel und Taiwan geliefert [Projekt 27]. "F-15E"- und "F-16C/D"-Kampfflugzeuge, mit eingebauten Komponenten der AEG Infrarotmodule GmbH, wurden an wenigstens elf Staaten geliefert, darunter Ägypten, Israel, Singapur und die Türkei [Projekt 6].

Deutsche Rüstungsunternehmen haben von dem bisherigen wohlwollenden Wegschauen der Bundesregierung bei Weiterexportgeschäften über die USA profitiert. Häufig ermöglichte erst die Finanzierung durch das FMS-Programm das Exportgeschäft. Allerdings ist die Kernvoraussetzung für die Vergabe von FMS-Geldern, dass die Endmontage in den USA stattfindet – zumindest offiziell. Ein Beispiel: Die deutsche Firma MTU Friedrichshafen hat eigene Dieselmotoren vom Typ "MT 883" in Einzelteile zerlegt und in die USA exportiert. Dort wurden sie in Lizenz von General Dynamics Land Systems in den USA wieder zusammengesetzt und als "GD 883" nach Israel weiterexportiert, wo sie dann in die neuesten Kampfpanzer des Typs "Merkava 4" eingebaut wurden [Projekt 15].

 

3.2 "Tiger-Staaten" der Rüstungsproduktion

Die "Tiger-Staaten" der Rüstungsproduktion sind eine zweite Empfängergruppe, über die deutsche Rüstungskomponenten zukünftig verstärkt verbreitet werden. Zu dieser Gruppe gehören Staaten wie Brasilien, Israel, Indien, Malaysia, Nigeria, Singapur, Südafrika, Süd korea und die Vereinigten Arabischen Emirate. Neben ihrer hoch entwickelten Rüstungsindustrie verbindet diese Staaten in der Regal auch, dass sich die erforderlichen industriellen Kapazitäten nur durch verhältnismäßig hohe Rüstungsausgaben (über 3 % des Bruttoinlandprodukts) und einen expansiven Rüstungsexport finanzieren.

Der Handel mit diesen Staaten ist somit in zweierlei Hinsicht prinzipiell bedenklich: Die Zulieferung von Rüstungskomponenten bindet dort knappe ökonomische Ressourcen und stärkt die dortige Rüstungsindustrie. Außerdem steigt das Risiko, dass die zugelieferten Komponenten nach dem Einbau in Waffensysteme weiterexportiert werden. Neben den prinzipiellen Bedenken kommen häufig noch länderspezifische Probleme hinzu. Mit Ausnahme Brasiliens liegen diese Staaten in Krisenregionen und einige Staaten sind sogar direkt in bewaffnete (externe bzw. interne) Auseinandersetzungen verwickelt (u. a. Israel, Indien und Nigeria). Die Menschenrechtslage in Indien, Israel, Nigeria, Singapur und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist bedenklich.[26] Für die Bundesregierung scheint die Menschenrechtslage jedoch nur eine untergeordnete Rolle zu spielen: Eine Auswertung der zwischen 1999 und 2003 erteilten deutschen Exportgenehmigungen für Einzelgeschäfte mit der Gruppe der "sonstigen Drittstaaten" zeigt das bereits heute etwa 80 % des Gesamtwertes auf die neun oben genannten "Tiger-Staaten" entfielen (etwa 4,1 Mrd. € von insgesamt 5,06 Mrd. €).

Aus der Gruppe der "Tiger-Staaten" bietet sich das Fallbeispiel Israel an, um die Herausforderungen für eine zukünftig restriktivere deutsche Rüstungsexportpolitik aufzuzeigen. Innerhalb der letzten fünf Jahre ist es Israel gelungen, in die Gruppe der zehn größten Rüstungsexporteure der Welt vorzudringen.[27] Die israelische Rüstungsindustrie hat dabei von Israels Sonderverhältnis zu den USA und einer Reihe von europäischen Staaten wie Deutschland profitiert. Die Miniaturisierung von Kommunikationselektronik und Sensorik und die Adaption westlicher Militärelektronik für Waffensysteme der ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts eröffneten der israelischen Rüstungsindustrie neue Märkte in Osteuropa, China, Indien und der Türkei. Auf der Suche nach zahlungskräftigen Kunden für israelische Komponenten und Systemlösungen rücken nun auch die EU-Staaten immer deutlicher in den Blick Israels. Die deutsche Rüstungsindustrie spielt hier aufgrund der langjährigen intensiven Kooperationsbeziehungen eine besondere Rolle – die eines Türöffners für den europäischen Rüstungsmarkt.[28]

Gewinnt die deutsch-israelische industrielle Rüstungskooperation weiter an Fahrt, so ergeben sich daraus zwei Konsequenzen:

Erstens steigt die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Komponenten in israelische Systemlösungen eingebaut und an die traditionellen Kunden Israels weiterexportiert werden, z. B. nach China, Indien, Türkei und Sri Lanka. Dafür gibt es bereits einige Beispiele, u. a. im Bereich Dieselmotoren. MTU Friedrichshafen liefert seit 2003 Dieselmotoren an die israelische Rüstungsfirma Israel Military Industries zur Modernisierung von türkischen "M 60"-Panzern [Projekt 9]. Bis 2002 baute das Werftenunternehmen Israel Shipyards mindestens 32 Dieselmotoren der deutschen Firmen MTU und Deutz AG in die Schiffstypen "Shaldag" und "Super Dvora" ein, die u. a. an Indien und Sri Lanka exportiert wurden [Projekt 28].

Zweitens werden deutsche Rüstungsunternehmen bei Kooperationsvorhaben für den europäischen Markt einige Komponenten in Lizenz herstellen oder qualitativ gleichwertige Teile zuliefern und die Vermarktung von israelischen Rüstungsgütern übernehmen. Die zwei bekanntesten Vorhaben dieser Art sind das Panzerabwehrraketensystem "Spike" und das Zielbeleuchtungssystem "Litening Pod". Für die europäischen Kunden von "Spike" übernimmt Atlas Elektronik den Bau des Werfers, Diehl Munitionssysteme produziert die Munition und Rheinmetall DeTec die Ladung. Für das System "Litening Pod" und dessen Variante "Recce Lite" übernimmt Zeiss Optronik die Endproduktion und baut eigene Infrarotkameras ein [Projekte 30 und 31]. Beide Seiten profitieren von der Kooperation: Deutsche Unternehmen erschließen für sich und ihre israelischen Partner neue Absatzmärkte für ihre Rüstungsgüter und stützen damit die profitable und exportorientierte Rüstungsindustrie Israels.

Selbst wenn die Grundsätze der deutsche Rüstungsexportpolitik künftig noch restriktiver formuliert werden sollten: Solange weiterhin die bündnispolitischen Kooperationserfordernisse und die etablierten Handelsbeziehungen zu den "Tiger-Staaten" im Vordergrund stehen, wird sich zwangsläufig nichts an der Genehmigungspraxis ändern. Die wirklichen Problemländer im Sinne einer unkontrollierbaren Verbreitung deutscher Rüstungskomponenten sind nicht etwa Länder wie Botswana, Chile oder Usbekistan sondern Frankreich, Großbritannien, die USA und die aufholenden "Tiger-Staaten".




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