Laudatio auf Otfried Nassauer anlässlich der Verleihung der
Carl-von-Ossietzky Medaille
Alexander Lurz, Campaigner Frieden und
Abrüstung bei Greenpeace
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der Internationalen
Liga für Menschenrechte, liebe Familie von Otfried Nassauer
und liebe Weggefährten,
es ist mir eine große Ehre, heute die Laudatio
auf Otfried halten zu dürfen. Zunächst aber einmal
freue ich mich, dass Sie alle in der aktuellen Pandemie-Lage in doch so
großer Zahl hier in das GRIPS-Theater gekommen sind, um der
Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille an unseren verstorbenen
Partner, Bruder, Freund und Mitstreiter beizuwohnen.
Otfried hat einen Tag vor seinem Tod erfahren, dass ihm
die Ehre zuteilgeworden ist, diese Medaille verliehen zu bekommen, die
nach einem großen unnachgiebigen und unerschrockenen Streiter
für den Frieden benannt ist: Carl von Ossietzky. Wie von
Ossietzky war auch Otfried Nassauer das: ein solcher Streiter
für den Frieden. Dass die Carl-von-Ossietzky-Medaille mit ihm
einen würdigen Preisträger gefunden hat, ist aber
auch konkret darin begründet, dass Otfrieds Wirken in
großen Teilen ebenfalls ein journalistisches Wirken war. Ein
aufklärerisches, eines, das Debatten schuf und antrieb, und
– häufig genug – ein unangenehmes war
– dies vor allem für die Mächtigen in
Politik, Wirtschaft und Militär.
„Windiges aus der deutschen
Luftfahrt“ – so hieß der Artikel, der
1929 dazu führte, dass die Staatsmacht der Weimarer Republik
die „Weltbühne“ und ihren Chefredakteur
Carl von Ossietzky ins Visier nahm. In diesem Artikel deckte der
Journalist Walter Kreiser auf, dass die Reichswehr im Geheimen und
entgegen der Bestimmungen des Versailler Vertrages und damit illegal
eine Luftwaffe aufbaute.
Solche Machenschaften aufzudecken, war auch Antrieb und
Lebensinhalt von Otfried Nassauer. In der aufklärerischen
Tradition linker Gegenöffentlichkeit, wie sie die
Weltbühne und Carl von Ossietzky darstellte, hat er sich
selbst gesehen. Es verwundert eigentlich auch nicht, dass die
Überschrift aus der Feder Otfrieds wie „Die
Grünen und das blaue Wunder“, „Im
Sturmschritt zur Interventionsarmee“ oder auch „Wie
geschmiert – deutsche Rüstungsexporte nach
Griechenland und die Korruption“ klingen wie
„Windiges aus der deutschen Luftfahrt“. Das war
durchaus die große Weltbühne.
Otfried Nassauer war in den vergangenen Jahrzehnten eine
der prägenden Personen in der außen- und
sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland. Schauen wir allein auf
den linken Teil des Debattenspektrums, war er sogar die entscheidende.
Er war Journalist, Politikberater, Wissenschaftler und auch –
auf seine Art – ein Aktivist. Die Grenzen dabei waren
fließend.
Im Jahr 1991 hat er das Berliner Informationszentrum
für transatlantische Sicherheit mitgegründet. Das
Bits mit seinem stetig wachsenden Archiv wurde eine Anlaufstation
für Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt, es wurde
ein Ort, indem Wissen geschaffen und junge Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler den Feinschliff bekamen. Er und das Bits, so genau
ließ sich das letztlich nicht trennen, wurden eine
Institution für alle möglichen Themen und Teilaspekte
der Sicherheitspolitik – national, aber auch international.
Otfrieds Expertise war unbestritten – bei Freund und Feind.
Angesichts der Masse an Themen und einem Zeitraum von
vier Jahrzehnten, in denen Otfried wirkte, fällt eine
Zusammenstellung seiner Erfolge nicht leicht. Zu nennen ist auf jeden
Fall seine Beteiligung an der Aufdeckung des U-Boot-Skandals um das
Ingenieurkontor Lübeck und die HDW ab 1986. Otfried und andere
deckten damals auf, dass Blaupausen und Komponenten zum Bau von
U-Booten ohne Genehmigung der Bundesregierung an das
südafrikanische Apartheid-Regime geliefert worden waren bzw.
geliefert werden sollten.
Nach dem Fall der Mauer brachte er die Militärs
aus Ost und West zusammen: NVA-Offiziere der Dresdner
Militärakademie und solche der Führungsakademie der
Bundeswehr. Damit baute er Brücken. Für die neunziger
Jahren sind die zahlreichen Ideen und Initiativen zur Lösung
der Konflikte auf dem Balkan zu nennen, die er gemeinsam mit Angelika
Beer entwickelte und die in die parlamentarischen Prozesse und
später, nach Übernahme der
Regierungsgeschäfte durch die rot-grüne
Schröder-Fischer-Regierung, ins Regierungshandeln einflossen.
Als ebendiese Regierung 1999 überlegte, 1.000
Leopard-Kampfpanzer an die Türkei zu liefern, war Otfried
daran beteiligt, dieses Geschäft zu stoppen. Es wurden dann
nicht 1.000, sondern es wurde, wenn auch nur für den Moment,
wie wir heute wissen, nur ein einziger Panzer zu Erprobungszwecken
geliefert.
Zentral war Otfried auch daran beteiligt, einen
Glaubenssatz der deutschen Rüstungsexportpolitik zu
zertrümmern, nämlich den Satz: „Was
schwimmt, geht.“ Dieser wird dem langjährigen
FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher zugeschrieben und
bedeutete, dass der Export von Kriegsschiffen und U-Booten eigentlich
immer möglich ist, da mit diesen Waffen keine
Menschenrechtsverletzungen zu begehen wären. Mit geduldigem
Wühlen und Fakten-Sammeln konnte Otfried schließlich
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass die ab
1999 an Israel gelieferten U-Boote der Dolphin-Klasse
Atomwaffenträgersysteme sind und Israel somit eine atomare
Zweitschlagswaffe aus Deutschland geliefert bekommen hatte. Weitere
Recherchen zu geplanten U-Boot-Lieferungen wie die nach Pakistan, bei
der er zeigen konnte, dass diese Boote potenziell auch zu Angriffen an
Land eingesetzt hätten werden können, zeigten des
Weiteren, dass die Lieferung von U-Booten nicht so harmlos ist, wie es
zuvor galt. Was schwimmt, geht – dank Otfried –
nicht mehr ohne Weiteres.
In den Nuller Jahren arbeitete er intensiv zum iranischen Atomprogramm
und lieferte Analysen – unter anderem an die Linksfraktion im
Bundestag, die halfen, die Debatte in Deutschland zu versachlichen und
die Bundesregierung fest auf den Verhandlungsweg zu verpflichten. Auch
mit einem seiner Arbeitsschwerpunkte in den vergangenen Jahren, dem
Export von Munition, hat er nochmals ein riesiges Feld
hochproblematischer Rüstungslieferungen ans Licht der
Öffentlichkeit gebracht.
Und eines darf in dieser Aufzählung natürlich nicht
unerwähnt bleiben: seine Arbeit zu Atomwaffen –
insbesondere zur nuklearen Teilhabe und den verbliebenen US-Atombomben
auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz. Immer wieder
hat er hierzu publiziert und Detail um Detail ausgegraben.
Damit ist bei Weitem nicht alles erwähnt.
Eigentlich handelt es sich sogar nur um die Spitze des Eisbergs. Seine
Tatkraft und sein Interesse umfassten noch viele weitere Themen.
Seine Bedeutung für die sicherheitspolitische
Debatte in Deutschland lässt sich allerdings nicht allein an
seinen Veröffentlichungen, also auch nicht an seinen
sichtbaren Erfolgen ablesen. Otfried war in unzähligen
Hintergrundgesprächen mit Politikerinnen und Politikern und
fütterte sie mit Fakten und Analysen. Stetig – und
das heißt in jeder Woche über Jahrzehnte –
beriet er Journalistinnen und Journalisten: beginnend mit denen vom
kleinen Neuen Deutschland über die der
Investigativ-Redaktionen wie Frontal 21, Monitor usw. bis hin zu denen
vom Spiegel und der Tagesschau. Sie wendeten sich an Otfried, wenn es
um Details des Beschaffungswesen, des
Rüstungsexportkontrollregimes oder neue Atombomben ging. Fast
noch weniger sichtbar, aber mindestens genauso wertvoll, war sein Rat
und seine Expertise für die Friedensbewegung. Jede Initiative
konnte bei Otfried anrufen und hieb- und stichfeste Informationen
bekommen. So versorgte und stärkte er all die Aktivistinnen
und Aktivisten, die in Deutschland mit großem Herz, aber
wenig Geld gegen Krieg und Militarisierung kämpfen. Dies tat
Otfried unentgeltlich. Ich nannte ihn einen Aktivisten auf seine Art.
Das war seine Art – Otfried kettete sich nicht an
Zäune, Otfried war der Aktivist im Hintergrund.
Wie hat er sich diesen Platz geschaffen, was hat ihn
ausgezeichnet? Vier Dinge stechen hervor: 1. ein enormes Fachwissen, 2.
seine Fähigkeit zur Analyse, 3. seine Unabhängigkeit
und Ideologiefreiheit und 4. ein riesiges Netzwerk.
1. Fachwissen:
Hier möchte ich Ulrike Winkelmann,
Chefredakteurin der taz zitieren, die in ihrem Nachruf auf den heute
Geehrten im vergangenen Jahr schrieb:
„Otfried aber kannte jede verdammte Schraube
an den Kampfdrohnen, die die Bundeswehr beschaffen wollte, an den
U-Booten, die nach Israel geliefert wurden, an den Leopard-Panzern, die
Saudi-Arabien von Krauss-Maffei Wegmann kaufen wollte.“
Und genau so war es: Otfried war ein Jäger und
Sammler von Informationen. Er kannte die Waffensysteme und die anderen
Dinge, zu denen er arbeitete, im Detail. Er las die Fachmagazine wie
Jane‘s, Defence News, die Europäische Sicherheit und
Technik, den Griephan-Brief und vieles, vieles mehr. Er besorgte sich
technische Unterlagen zu den Systemen, häufig genug auch die
geheimen. Er las auch all die Planungsdokumente der Nato, der EU und
anderen – von vorne bis hinten und Zeile für Zeile.
Aber er las all dies nicht nur. Er hatte dieses Wissen
dann auch in der Zukunft abrufbar, er war tatsächlich ein
wandelndes Lexikon. Und wenn er das eine Detail, das er brauchte, nicht
in seinem Kopf sofort wiederfand: Er wusste, wo er es gelesen hatte und
wo dieses Dokument war. Wer je die Unmengen an Aktenordnern,
Büchern und Zeitschriften im Bits gesehen hat, weiß,
was das bedeutete. Berge von Papier stapelten sich immer auf seinem
Schreibtisch, die Regalwände in seiner Wohnung und im Bits in
der Rykestraße und weiteren Lagerorten waren vollgestopft mit
Ordnern und Büchern. Was für jeden anderen, selbst
für langjährige Mitarbeiter, ein großes
Chaos war: für Otfried war es ein funktionierendes
Ablagesystem.
2.
Analysefähigkeit:
So wertvoll Faktenwissen, auch das
allergrößte, ist – ohne die
Fähigkeit, aus den einzelnen Mosaiksteinen ein ganzes Bild
zusammenzusetzen, nützt es nicht viel. Otfried war in der
Lage, aus den einzelnen Fakten das große Ganze
zusammenzusetzen. Andersherum waren dann die großen Bilder,
die er zeichnete, tiefenscharf. Man entdeckte nicht an irgendeiner
Stelle des Bildes ein unscharfes, ein unwahres Detail, dass dann das
große Ganze in Frage stellte. Anders formuliert: Die
politischen Analysen, die Otfried formulierte, waren
detail-gesättigt, stringent und klar.
3.
Unabhängigkeit und Ideologiefreiheit
Hier möchte ich etwas weiter ausholen, weil
diese Eigenschaft Otfried wirklich auszeichnete, aber auch weil diese
geistige Unabhängigkeit und seine Freiheit von Ideologie etwas
ist, was in Politik und Wissenschaft ohnehin schmerzlich fehlt.
Die Debatte in der Außen- und
Sicherheitspolitik hat sich in den letzten Jahren enorm verengt. Die
massive Erhöhung des Verteidigungsetats seit 2015 wurde zum
Beispiel in einem Großteil der Leitmedien wie im politischen
Raum bis weit in die Reihen der Grünen hinein kaum kritisch
hinterfragt – es war praktisch Common Sense, dass die
Bundeswehr unterfinanziert ist und weitere Mittel benötigt.
Die Anschaffung von bewaffneten Drohnen ist ein weiteres Beispiel
für diese Verengung. Nicht dass es kritische Stimmen nicht
mehr gäbe, aber sie finden nur noch wenig Gehör.
Das liegt auch daran, dass das progressive Lager, also
linke bis liberale Kräfte, mittlerweile von zwei starken Polen
geprägt ist, zwischen denen wenig Platz ist. Den einen Pol
stellen die linken Kräfte dar, die nicht nur mit unkritischen
Positionen gegenüber Moskau und Maduro auffallen, sondern auch
mit ihrer thematischen Verengung auf die Nato und die USA den Anschluss
an die junge Generation und die Themen der Gegenwart verloren haben.
Den anderen Pol stellen die Kräfte dar, die nun die
„Systemrivalität mit China“ ausrufen und
die EU zu einem machtvollen geopolitischen Akteur machen wollen, und
die zustimmend nicken, wenn der sozialdemokratische
Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep
Borrell, fordert, dass Europa die „Sprache der
Macht“ lernen müsse.
Zwischen diesen beiden Polen war Otfrieds Platz. Weder
hat er, nur weil er die Nato-Osterweiterung abgelehnt hat, unkritisch
über die russische Annektion der Krim hinweggesehen. Noch
würde er in die Systemrivalität mit China ziehen,
auch wenn ihn die Verbrechen in Xinjiang oder Hong Kong
abgestoßen haben.
Otfried dachte und argumentierte nicht taktisch, der
Feind seines Feindes war gewiss nicht sein Freund. Damit verbog er sich
auch niemals – und blieb damit unabhängig und
glaubwürdig. Da genau zwischen diesen Polen der Raum ist, in
dem eine Außen- und Sicherheitspolitik entstehen kann, die
Frieden und Stabilität für alle Nationen und
Gesellschaften anstrebt und eben auch schaffen kann, und dieser Raum
verwaist, ist sein Verlust so schmerzlich zu spüren und nicht
gut zu machen.
4. Netzwerk
In der Wochenendausgabe der taz vom 17./18. Oktober 2020
erschien eine Todesanzeige mit Hunderten Unterzeichnerinnen und
Unterzeichnern. Unterzeichnet hatten Politikerinnen und Politiker der
SPD, der Grünen und der Linken, darunter zahlreiche
Abgeordnete wie Hans-Christian Ströbele, Rainer Arnold, Toni
Hofreiter, Claudia Roth und Kathrin Vogler, zahlreiche Journalistinnen
und Journalisten, MitarbeiterInnen und Aktive von Amnesty
International, Greenpeace, IPPNW, Urgewald und des ECCHR,
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des HSFK, des BICC, des
Carnegie-Centers in Moskau und des IFSH und Aktivistinnen und
Aktivisten der Friedensbewegung. Dies war jedoch nur ein Teil der
Menschen, die um Otfried Nassauer trauerten.
In internationalen Netzwerken gingen die E-Mails hin und
her, in denen die Leistung und das Wissen Otfrieds gewürdigt
und sein Verlust betroffen betrauert wurde. Obwohl ich selbst rund
fünf Jahre im Bits Mitarbeiter war und mich danach weiter im
gleichen Kontext wie Otfried bewegt habe, habe ich erst durch die Namen
unter der Todesanzeige, den E-Mails und vielen Gesprächen, die
sich nach seinem Tod ergaben, verstanden, wie groß und
verzweigt dieses Netzwerk war. Politiker:innen,
Investigativjournalist:innen, NGO-Vertreter:innen,
Friedensaktivist:innen wie Personen aus den Ministerien und der
Rüstungsindustrie waren mit ihm verbunden. Von der
Bundestags-Vizepräsidentin bis zur kleinsten
Friedensinitiative vor Ort.
Warum war er so weit vernetzt und, natürlich,
geschätzt? Es waren die bereits genannten Eigenschaften
– 1. Fachwissen, 2. Fähigkeit zur Analyse, 3.
Unabhängigkeit und Ideologiefreiheit –, die ihn zu
einem geschätzten und gesuchten Ansprechpartner machten.
Otfried wusste was, er konnte es einordnen und alle wussten auch, dass
all das, was er sagte und schrieb, nicht ideologisch
eingefärbt oder taktisch motiviert war. Es war aber noch
deutlich mehr.
Otfried war neugierig. Seine Neugier führte
dazu, dass er mit jeder und jedem über alles ins
Gespräch kam. Was sich übrigens nicht nur auf das
politische Feld beschränkte, sondern Menschen aus allen
Lebens- und Berufswelten umfasste.
Otfried hatte ein wirklich großes Herz. Wen er
mochte – und das waren viele, da er nicht schnell urteilte
– der oder dem spiegelte er es auch.
Und: Für Otfried waren die politischen Dinge
nie persönlich. Er respektierte sein Gegenüber, ob es
dem eigenen politischen Lager angehörte – oder eben
auch nicht. Scharfe Gegensätze in der Diskussion, gar Streit,
führten nicht dazu, dass er sein Gegenüber als Gegner
betrachtete. Ich habe das immer für eine seiner
herausragendsten Eigenschaften gehalten. Vielleicht ist es sogar
besonders diese, die ihn dieser Medaille im besonderen Maße
würdig sein lässt. Wie kostbar diese Eigenschaft ist,
zeigt auch ein Blick auf die in vielen Teilen vergiftete politische
Debatte – in den sozialen Medien, aber gewiss nicht nur dort.
Was bleibt?
Wäre der derjenige, der heute gefeiert wird,
hier bei uns, ich wünschte ihm nun Ideen, Kraft und
Glück für seine zukünftige Arbeit. Ich
würde sagen, dass ich mir sicher bin, dass er die Debatten
über Waffenexporte, Atomwaffen und Bundeswehr-Beschaffungen
weiter entscheidend mitprägt. Ich würde sagen, dass
ich gespannt wäre, was er zu den sicherheitspolitischen Themen
der Gegenwart wie Klima und Konflikt und den chinesisch-amerikanischen
Gegensatz sagt. Ich würde ihm sagen, dass ich mich auf die
weitere Zusammenarbeit mit ihm freue und ich sehr, sehr dankbar
wäre, wenn er zumindest ein einziges Mal ein Abgabedatum nicht
reißen würde.
Das geht natürlich nicht. Stattdessen stellt
sich die Frage, was von Otfrieds Wirken bleiben wird.
Das Bits als Ort des Austausches und der Forschung gab
es bereits vor seinem Tod nicht mehr. Das papierne Bits-Archiv wird
gegenwärtig gesichtet und sortiert, über alles
Weitere wird im kommenden Jahr entschieden. Die Aufbereitung eines
größeren Teils des digitalen Archivs hat Greenpeace
in diesem Jahr finanziert, so dass dieser jetzt grundsätzlich
für die Allgemeinheit zugänglich gemacht werden kann.
Was bleibt, sind auch Hunderte Artikel von Otfried zu den
unterschiedlichsten sicherheitspolitischen Themen auf der
Bits-Homepage, die einen Teil seines Wissens enthalten und der
kritischen Öffentlichkeit stets wichtige
Hintergrundinformationen liefern werden.
Viel wichtiger als das ist aber etwas anderes. Otfried
hat viele Personen, mit denen er zusammengearbeitet hat, dahingehend
geprägt, dass die Fakten vor der Meinung kommen und dass wir
für diese Fakten in der Breite wie in der Tiefe fischen
müssen. Das haben viele, unter anderem der Laudator,
aufgenommen, setzen es für sich um und verlangen es auch
umgekehrt von anderen. Den vielen Journalistinnen und Journalisten, mit
denen Otfried zusammengearbeitet hat, hat er gezeigt, dass es eine
informierte und kenntnisreiche Gegenöffentlichkeit in
sicherheitspolitischen Fragen gibt, die Gehör nicht nur
verdient hat, sondern die anzuhören hilfreich wie notwendig
ist.
Die Friedensbewegung hat er auf ebendiese Weise
vorangebracht und ich bin mir sicher, dass seine Herangehensweise bei
vielen weiterlebt. Es reicht einfach nicht aus, wie es Andreas Flocken
„von Streitkräfte und Strategien“ so
treffend sagte, die Kosten für ein neues Kampfflugzeug in
Kindergartenplätze umzurechnen. So ist die Meinungshoheit
nicht zu gewinnen. Es ist nötig zu schauen, was ein geplantes
neues Kampfflugzeug kann, um zum Beispiel sagen zu können,
dass seine technischen Neuerungen eine qualitative Aufrüstung
darstellen, die den geopolitischen Widersacher bedroht und so zu einer
Gegenreaktion zwingt. Nur so lassen sich Debatten gewinnen und die
Dinge verändern. Dies hat Otfried immer und immer wieder
aufgezeigt.
Das akribische Zusammentragen der Fakten, das
vorsichtige und gewissenhafte Analysieren und Interpretieren und die
schließlich pointierte Präsentation des Ganzen,
damit hat Otfried Nassauer einen Standard in der sicherheitspolitischen
Debatte in Deutschlands gesetzt. Ich bin überzeugt, dass viele
diesen Standard in der Zukunft weiter erfüllen werden und
gleichzeitig seine Einhaltung von anderen verlangen werden. Und nur so
lässt sich etwas friedenspolitisch gegen die
Informationsübermacht auf Seiten der Politik, der
Militärs und der Rüstungsindustrie bewegen. Dies ist
ein zentraler Teil Vermächtnis von Otfried.
Ein weiterer des Vermächtnisses ist sein
Netzwerk. Nicht nur er war darin mit Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern, Journalistinnen und Journalisten, Politikerinnen und
Politikern und Aktivistinnen und Aktivisten vernetzt. Er hat diese
Menschen auch miteinander verknüpft. Diese Verbindungen werden
fortbestehen und dafür sorgen, dass kritische Informationen
über Aufrüstung und Kriegsplanungen ausgegraben,
analysiert und verbreitet werden. Und nicht zuletzt: Dass dagegen
gekämpft wird – für eine friedlichere Welt.
Dies ist Otfrieds Vermächtnis.
Danke
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