Warum nur HERON TP?
von Otfried Nassauer
Diese Frage treibt die Veranstalter des heutigen Abends um. Da der
unterlegene Anbieter, das Konsortium um General Atomics Aeronatical
Systems Inc. (GA-ASI), Klage gegen die Entscheidung zugunsten von HERON
TP erhoben hat, dürfen sich die an der Entscheidung beteiligten
Behördenvertreter zu dem schwebenden Verfahren nicht
äußern. Um trotzdem über die Frage diskutieren zu
können, warum das Leasing israelischer Drohnen dem Kauf
amerikanischer GUARDIAN EAGLE vorgezogen wurde, haben die Veranstalter
mich als sicherheitspolitischen Analytiker gebeten, zu potentiellen
Gründen vorzutragen. Ich agiere also als situationsbedingter
Notnagel auf der Suche nach einem »educated guess«. Mein
Vorteil: Ich habe keinerlei Aktien im Spiel und kann deshalb frei nach
meinem »best guess« suchen. Mein Nachteil, der auch ein
Vorteil ist: Ich war in diesem Prozess nie Insider, sondern immer nur
Beobachter von außen. Deshalb rede ich nicht über die
tatsächlichen Gründe für diese Entscheidung, sondern
über potentielle Gründe und Einflussfaktoren, die zu ihr
geführt haben.
Meine Analyse wird den Einladern zu diesem Abend nicht unbedingt
gefallen, weil sie ihrer Interessenlage nicht entspricht. Ich
persönlich kann die deutsche Entscheidung für HERON TP
nachvollziehen. Warum?
Entscheidungen über den Kauf von Rüstungsgütern und
militärischen Dienstleistungen sind oft Entscheidungen über
das »beste Gesamtpaket« und nicht allein über das
technisch leistungsfähigste und wirtschaftlich günstigste
Angebot. Das ist nicht nur in Deutschland so. In solche Entscheidung
fließen auch Faktoren ein, die im Bieterwettbewerb nicht zur
Sprache kommen, zum Beispiel, weil sie sich aus anderweitigen
Verpflichtungen und Interessen des Auftraggebers resultieren.
Ein Beispiel, das uns gleich in medias res führt: HERON TP ist ein
Produkt aus Israel. Wie Sie wissen, sieht sich Deutschland aufgrund
seiner Geschichte in einer besonderen Verantwortung für die
Existenz Israels und pflegt seit Jahrzehnten besondere Beziehungen zu
Tel Aviv. Dazu zählt die finanzielle und technische
Unterstützung von Beschaffungen der israelischen Marine. Bei der
Beschaffung aller U-Boot-Generationen Israels hat Deutschland
mitgeholfen, zunächst nur finanziell, später technisch und
finanziell. Nach dem Kalten Krieg wurden bzw. werden sechs
Dolphin-U-Boote in Deutschland gebaut, zu deren Finanzierung
Deutschland insgesamt mehr als eine Milliarde Euro beiträgt.
Derzeit wird ein Los von drei U-Booten der Dolphin-II-Klasse mit
Brennstoffzellenantrieb realisiert. Das Geschäft hat ein
Gesamtvolumen von 1,3 bis 1,5 Mrd. Euro. Zur rechnerischen
Vereinfachung gehe ich von 1,5 Mrd. Euro aus. Zwischen beiden
Ländern wurde vertraglich geregelt, wie diese Kosten aufgeteilt
werden, da Israel sie nicht alleine tragen kann. Sie wurden gedrittelt:
Ein Drittel zahlt Deutschland, das zweite Israel. Für das letzte
Drittel wurde eine Art Gegengeschäft vereinbart. Damit das
devisenknappe Israel die letzten 500 Mio. Euro zahlen kann,
verpflichtete sich Deutschland in Israel Dienstleistungen und
militärische Güter für die Bundeswehr in diesem Wert
einzukaufen. Israel kann die Kosten dieser Güter und
Dienstleistungen im Inland in Schekeln rechnen, wird aber in Euro
bezahlt, die es nutzen kann, um das letzte Drittel der U-Boot-Kosten zu
bezahlen. Eine Devisenbeschaffungshilfe also. Für die vier
Korvetten, die jetzt für Israel gebaut werden, dürfte
ähnliches gelten und für die weiteren U-Boote, über die
Israel gerne mit der Bundesregierung reden will, wird Tel Aviv erneut
eine solche Regelung anstreben. Es können also über die 500
Millionen Euro hinaus weitere vertragliche deutsche Verpflichtungen zum
Kauf israelischer Dienstleistungen und Güter im dreistelligen
Millionenbereich entstehen oder bereits entstanden sein.
Diese rechtliche Verpflichtung muss die Bundesregierung einlösen.
Sie muss für Hunderte von Millionen Euro militärische
Güter und Dienstleistungen in Israel einkaufen, die die Bundeswehr
auch braucht. HERON 1 für Afghanistan oder Mali konnte die
Bundeswehr gebrauchen, HERON TP auch. Deckt man den Bedarf in Israel,
so werden drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Bundeswehr
bekommt, was sie benötigt. Die vertragliche Verpflichtung zu
Devisenhilfe gegenüber Israel wird eingelöst und Israel kann
für seine U-Boot-Bestellung das letzte Drittel in Euro bezahlen.
Ob die HERON-Drohnen die bestmögliche technische Lösung
darstellen, ist ein Argument sekundären Gewichts, sobald sie die
Fähigkeitslücke zufriedenstellend schließen. Ich halte
es für wahrscheinlich, dass diese vertraglichen Verpflichtungen
gegenüber Israel Teil des Gesamtpaketes waren, das die deutsche
Entscheidung für HERON TP begründet. Dass dieser Aspekt im
Bieterverfahren nicht zur Sprache kam, ist verständlich. Er hat
mit der wirtschaftlichen und technischen Vergleichbarkeit der Angebote
nichts zu tun.
Es gibt weitere Gründe, die eine Rolle gespielt haben
könnten. Einige will ich kurz nennen. Israelische HERON-Drohnen zu
leasen und derzeit keine Drohnen zu kaufen erspart es der Bundeswehr,
kurzfristig eine Reihe komplexer Probleme wasserdicht und rechtsfest zu
lösen, für die man mehr Zeit benötigt.
Einige Beispiele: Da Ausbildung und Betrieb im Ausland, also in Israel
und den Einsatzländern, stattfinden werden, muss für die
HERON-TP-Drohnen keine vollumfängliche Zulassung nach deutschen
Vorschriften und für den Betrieb im deutschen auch zivil genutzten
Luftraum erfolgen. Dort werden sie ja nie fliegen. Schon im Juni wurde
deshalb ein MoU abgeschlossen, wie die vereinfachte Zulassung von HERON
TP erfolgen soll. Bis die Fragen der Luftraumnutzung in Deutschland
vollständig gelöst sein werden, könnte es ja leicht 2025
oder 2028 werden – Stichwort: Neuordnung des europäischen
Luftraums. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, für den
Ausbildungsbetrieb regelmäßig temporär gesperrte
Lufträume in Norddeutschland einzurichten. Da die Drohnen geleast
werden, bleiben sie israelisches Firmeneigentum und die Bundeswehr muss
sich auch nicht vollumfänglich mit den komplexen Fragen des
Wechselverhältnisses von Zulassung und Haftung im Betrieb
herumschlagen. Auch solche Fragen können zum Gesamtpaket der
Entscheidungsgründe gehört haben.
Zudem muss man sich die Rolle dieses Vorhabens verdeutlichen: Es geht
um eine Interimslösung bis eine multinational entwickelte
europäische Drohne zur Verfügung steht, die von der deutschen
Industrie führend mitentwickelt und gebaut werden soll. Auch aus
diesem Kontext können Argumente für das Gesamtpaket der
Entscheidungsgründe stammen.
Beispiele dafür sind: Der israelische Anbieter hat einen
vollständigeren Einblick in die zum Einsatz kommende Technologie
angeboten und erlaubt zudem über Wartung und Betrieb
größere Lernerfolge für die deutsche Industrie. Bei dem
US-Angebot gab es dagegen aus Erfahrungen der Vergangenheit
resultierende Befürchtungen über technologische Blackboxes.
Die israelische Firma könnte für mehr Offenheit auch ein
Motiv haben: Sie hofft auf die Chance, ihre eigene Drohnentechnologie
unter Kostenbeteiligung aus der deutschen Industrie weiterentwickeln zu
können.
Hinzu kommt: Zu den Anbietern von HERON TP gehört mit Airbus die
einzige Firma, die in Deutschland für eine Führungsrolle bei
der Euromale-Entwicklung in Frage kommt. Im GUARDIAN EAGLE-Konsortium
gibt es kein Pendant, weil GA-ASI diese Rolle besetzt. Wer also will,
dass es in Deutschland künftig einen potentiellen Systemintegrator
für große Drohnen gibt, muss HERON TP befürworten.
Für Airbus ist das natürlich von Vorteil: Ist HERON TP
tatsächlich leistungsschwächer als GUARDIAN EAGLE,
könnte die Messlatte für die künftige Euromale-Drohne
etwas tiefer liegen und Verzögerungen dieses Programms bedeuten
lediglich, dass der Leasing-Vertrag mit dem Airbus-geführten
Konsortium verlängert werden muss. Das Risiko trägt wie so
oft der Steuerzahler.
Sicher zum Gesamtpaket der Entscheidungsgründe haben dagegen jene
Gründe gehört, die die Bundeswehr selbst genannt hat. Das
sind u.a.:
- HERON TP werde etwas früher verfügbar sein als GUARDIAN EAGLE
- Die skalierbare Bewaffnung von HERON TP – mein
Gefühl sagt mir, dass die Frage der Begrenzung potentieller
Kollateralschäden hier besondere Bedeutung zukam. Da Israel die
Bewaffnung seiner Drohnen geheim hält, ist mir kein genaueres
Urteil möglich.
- Ein Landesystem mit Backup und die
- Etwas einfachere Umstellung bei Personal und Logistik.
Ein eher psychologisches Argument ist auch noch zu nennen: In der
deutschen Öffentlichkeit werden die US-Drohnen der GREY
EAGLE/PREDATOR/REAPER Baureihe natürlich mit der Diskussion um
extralegale Tötungen durch die USA in Verbindung gebracht, die ein
wesentlicher Hintergrund dafür ist, dass bewaffnete Drohnen
hierzulande heiß umstritten sind.
Abschließend: Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich eine
internationale Konvention über ein Verbot bewaffenbarer Drohnen
für eine deutlich bessere Lösung halte als deren Einsatz
durch immer mehr Länder. Der militärische Vorteil, in dem man
sich hier wähnt, ist von zeitlich sehr begrenzter Dauer. Diese
Überlegung mag ihnen als zusätzlicher Hinweis dienen, dass
ich bei diesem Vortagsthema keine eigenen Aktien im Spiel und mich
darauf beschränkt habe, für mich nachvollziehbare,
potentielle Gründe zusammenzutragen, die zu der deutschen
Entscheidung für HERON TP gesprochen haben könnten.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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