Vortrag beim Expertengesprach Newsletter Verteidigung,
28. September 2016


Warum nur HERON TP?

von Otfried Nassauer


Diese Frage treibt die Veranstalter des heutigen Abends um. Da der unterlegene Anbieter, das Konsortium um General Atomics Aeronatical Systems Inc. (GA-ASI), Klage gegen die Entscheidung zugunsten von HERON TP erhoben hat, dürfen sich die an der Entscheidung beteiligten Behördenvertreter zu dem schwebenden Verfahren nicht äußern. Um trotzdem über die Frage diskutieren zu können, warum das Leasing israelischer Drohnen dem Kauf amerikanischer GUARDIAN EAGLE vorgezogen wurde, haben die Veranstalter mich als sicherheitspolitischen Analytiker gebeten, zu potentiellen Gründen vorzutragen. Ich agiere also als situationsbedingter Notnagel auf der Suche nach einem »educated guess«. Mein Vorteil: Ich habe keinerlei Aktien im Spiel und kann deshalb frei nach meinem »best guess« suchen. Mein Nachteil, der auch ein Vorteil ist: Ich war in diesem Prozess nie Insider, sondern immer nur Beobachter von außen. Deshalb rede ich nicht über die tatsächlichen Gründe für diese Entscheidung, sondern über potentielle Gründe und Einflussfaktoren, die zu ihr geführt haben.

Meine Analyse wird den Einladern zu diesem Abend nicht unbedingt gefallen, weil sie ihrer Interessenlage nicht entspricht. Ich persönlich kann die deutsche Entscheidung für HERON TP nachvollziehen. Warum?

Entscheidungen über den Kauf von Rüstungsgütern und militärischen Dienstleistungen sind oft Entscheidungen über das »beste Gesamtpaket« und nicht allein über das technisch leistungsfähigste und wirtschaftlich günstigste Angebot. Das ist nicht nur in Deutschland so. In solche Entscheidung fließen auch Faktoren ein, die im Bieterwettbewerb nicht zur Sprache kommen, zum Beispiel, weil sie sich aus anderweitigen Verpflichtungen und Interessen des Auftraggebers resultieren.

Ein Beispiel, das uns gleich in medias res führt: HERON TP ist ein Produkt aus Israel. Wie Sie wissen, sieht sich Deutschland aufgrund seiner Geschichte in einer besonderen Verantwortung für die Existenz Israels und pflegt seit Jahrzehnten besondere Beziehungen zu Tel Aviv. Dazu zählt die finanzielle und technische Unterstützung von Beschaffungen der israelischen Marine. Bei der Beschaffung aller U-Boot-Generationen Israels hat Deutschland mitgeholfen, zunächst nur finanziell, später technisch und finanziell. Nach dem Kalten Krieg wurden bzw. werden sechs Dolphin-U-Boote in Deutschland gebaut, zu deren Finanzierung Deutschland insgesamt mehr als eine Milliarde Euro beiträgt.

Derzeit wird ein Los von drei U-Booten der Dolphin-II-Klasse mit Brennstoffzellenantrieb realisiert. Das Geschäft hat ein Gesamtvolumen von 1,3 bis 1,5 Mrd. Euro. Zur rechnerischen Vereinfachung gehe ich von 1,5 Mrd. Euro aus. Zwischen beiden Ländern wurde vertraglich geregelt, wie diese Kosten aufgeteilt werden, da Israel sie nicht alleine tragen kann. Sie wurden gedrittelt: Ein Drittel zahlt Deutschland, das zweite Israel. Für das letzte Drittel wurde eine Art Gegengeschäft vereinbart. Damit das devisenknappe Israel die letzten 500 Mio. Euro zahlen kann, verpflichtete sich Deutschland in Israel Dienstleistungen und militärische Güter für die Bundeswehr in diesem Wert einzukaufen. Israel kann die Kosten dieser Güter und Dienstleistungen im Inland in Schekeln rechnen, wird aber in Euro bezahlt, die es nutzen kann, um das letzte Drittel der U-Boot-Kosten zu bezahlen. Eine Devisenbeschaffungshilfe also. Für die vier Korvetten, die jetzt für Israel gebaut werden, dürfte ähnliches gelten und für die weiteren U-Boote, über die Israel gerne mit der Bundesregierung reden will, wird Tel Aviv erneut eine solche Regelung anstreben. Es können also über die 500 Millionen Euro hinaus weitere vertragliche deutsche Verpflichtungen zum Kauf israelischer Dienstleistungen und Güter im dreistelligen Millionenbereich entstehen oder bereits entstanden sein.

Diese rechtliche Verpflichtung muss die Bundesregierung einlösen. Sie muss für Hunderte von Millionen Euro militärische Güter und Dienstleistungen in Israel einkaufen, die die Bundeswehr auch braucht. HERON 1 für Afghanistan oder Mali konnte die Bundeswehr gebrauchen, HERON TP auch. Deckt man den Bedarf in Israel, so werden drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Bundeswehr bekommt, was sie benötigt. Die vertragliche Verpflichtung zu Devisenhilfe gegenüber Israel wird eingelöst und Israel kann für seine U-Boot-Bestellung das letzte Drittel in Euro bezahlen. Ob die HERON-Drohnen die bestmögliche technische Lösung darstellen, ist ein Argument sekundären Gewichts, sobald sie die Fähigkeitslücke zufriedenstellend schließen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass diese vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Israel Teil des Gesamtpaketes waren, das die deutsche Entscheidung für HERON TP begründet. Dass dieser Aspekt im Bieterverfahren nicht zur Sprache kam, ist verständlich. Er hat mit der wirtschaftlichen und technischen Vergleichbarkeit der Angebote nichts zu tun.

Es gibt weitere Gründe, die eine Rolle gespielt haben könnten. Einige will ich kurz nennen. Israelische HERON-Drohnen zu leasen und derzeit keine Drohnen zu kaufen erspart es der Bundeswehr, kurzfristig eine Reihe komplexer Probleme wasserdicht und rechtsfest zu lösen, für die man mehr Zeit benötigt.

Einige Beispiele: Da Ausbildung und Betrieb im Ausland, also in Israel und den Einsatzländern, stattfinden werden, muss für die HERON-TP-Drohnen keine vollumfängliche Zulassung nach deutschen Vorschriften und für den Betrieb im deutschen auch zivil genutzten Luftraum erfolgen. Dort werden sie ja nie fliegen. Schon im Juni wurde deshalb ein MoU abgeschlossen, wie die vereinfachte Zulassung von HERON TP erfolgen soll. Bis die Fragen der Luftraumnutzung in Deutschland vollständig gelöst sein werden, könnte es ja leicht 2025 oder 2028 werden – Stichwort: Neuordnung des europäischen Luftraums. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, für den Ausbildungsbetrieb regelmäßig temporär gesperrte Lufträume in Norddeutschland einzurichten. Da die Drohnen geleast werden, bleiben sie israelisches Firmeneigentum und die Bundeswehr muss sich auch nicht vollumfänglich mit den komplexen Fragen des Wechselverhältnisses von Zulassung und Haftung im Betrieb herumschlagen. Auch solche Fragen können zum Gesamtpaket der Entscheidungsgründe gehört haben.

Zudem muss man sich die Rolle dieses Vorhabens verdeutlichen: Es geht um eine Interimslösung bis eine multinational entwickelte europäische Drohne zur Verfügung steht, die von der deutschen Industrie führend mitentwickelt und gebaut werden soll. Auch aus diesem Kontext können Argumente für das Gesamtpaket der Entscheidungsgründe stammen.

Beispiele dafür sind: Der israelische Anbieter hat einen vollständigeren Einblick in die zum Einsatz kommende Technologie angeboten und erlaubt zudem über Wartung und Betrieb größere Lernerfolge für die deutsche Industrie. Bei dem US-Angebot gab es dagegen aus Erfahrungen der Vergangenheit resultierende Befürchtungen über technologische Blackboxes. Die israelische Firma könnte für mehr Offenheit auch ein Motiv haben: Sie hofft auf die Chance, ihre eigene Drohnentechnologie unter Kostenbeteiligung aus der deutschen Industrie weiterentwickeln zu können.

Hinzu kommt: Zu den Anbietern von HERON TP gehört mit Airbus die einzige Firma, die in Deutschland für eine Führungsrolle bei der Euromale-Entwicklung in Frage kommt. Im GUARDIAN EAGLE-Konsortium gibt es kein Pendant, weil GA-ASI diese Rolle besetzt. Wer also will, dass es in Deutschland künftig einen potentiellen Systemintegrator für große Drohnen gibt, muss HERON TP befürworten. Für Airbus ist das natürlich von Vorteil: Ist HERON TP tatsächlich leistungsschwächer als GUARDIAN EAGLE, könnte die Messlatte für die künftige Euromale-Drohne etwas tiefer liegen und Verzögerungen dieses Programms bedeuten lediglich, dass der Leasing-Vertrag mit dem Airbus-geführten Konsortium verlängert werden muss. Das Risiko trägt wie so oft der Steuerzahler.

Sicher zum Gesamtpaket der Entscheidungsgründe haben dagegen jene Gründe gehört, die die Bundeswehr selbst genannt hat. Das sind u.a.: 

  • HERON TP werde etwas früher verfügbar sein als GUARDIAN EAGLE
  • Die skalierbare Bewaffnung von HERON TP – mein Gefühl sagt mir, dass die Frage der Begrenzung potentieller Kollateralschäden hier besondere Bedeutung zukam. Da Israel die Bewaffnung seiner Drohnen geheim hält, ist mir kein genaueres Urteil möglich.
  • Ein Landesystem mit Backup und die
  • Etwas einfachere Umstellung bei Personal und Logistik.


Ein eher psychologisches Argument ist auch noch zu nennen: In der deutschen Öffentlichkeit werden die US-Drohnen der GREY EAGLE/PREDATOR/REAPER Baureihe natürlich mit der Diskussion um extralegale Tötungen durch die USA in Verbindung gebracht, die ein wesentlicher Hintergrund dafür ist, dass bewaffnete Drohnen hierzulande heiß umstritten sind.

Abschließend: Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich eine internationale Konvention über ein Verbot bewaffenbarer Drohnen für eine deutlich bessere Lösung halte als deren Einsatz durch immer mehr Länder. Der militärische Vorteil, in dem man sich hier wähnt, ist von zeitlich sehr begrenzter Dauer. Diese Überlegung mag ihnen als zusätzlicher Hinweis dienen, dass ich bei diesem Vortagsthema keine eigenen Aktien im Spiel und mich darauf beschränkt habe, für mich nachvollziehbare, potentielle Gründe zusammenzutragen, die zu der deutschen Entscheidung für HERON TP gesprochen haben könnten.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS