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Flugplatz | Land | Vaults | Max. Zahl an Waffen | Einheiten mit nuklearen Aufgaben & Status |
Büchel | D | 11 | 44 | Jabo-Geschwader 33 der Bundeswehr mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv; Wacheinheit der USAF: 702 MUNSS |
Ramstein | D | 54 | 216 | 86. Lufttransportgeschwader, USAF mit C-130-Transportern, aktiv; zusätzlich 1 Trainingsvault |
Kleine Brogel | BE | 11 | 44 | 10. Taktisches Geschwader der Belgischen Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv; Wacheinheit der USAF: 701 MUNSS |
Volkel | NL | 11 | 44 | 1. Jagdbombergeschwader der Holländischen Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen, aktiv. Wacheinheit der USAF: 703. MUNSS |
Lakenheath | UK | 33 | 132 | 48. Jagdbombergeschwader der US-Luftwaffe mit F-15E-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv |
Aviano | IT | 18 | 72 | 31. Jagdbombergeschwader der US-Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv |
Ghedi-Torre | IT | 11 | 44 | 6. Geschwader der Italienischen Luftwaffe mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager aktiv. Wacheinheit der USAF: 704. MUNSS |
Incirlik | TR | 25 | 100 | Rotierende Einheiten der US-Luftwaffe, Nuklearwaffenlager aktiv |
Nörvenich | D | 11 | 0 | Jabo-Geschwader 31 der Bundeswehr mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager z.Zt. inaktiv (Caretaker-Status). keine Wacheinheit der USAF |
Murted/Akinci | TR | 6 | 0 | 4. Geschwader der Türkischen Luftwaffe mit F-16 Flugzeugen, Nuklearwaffenlager z.Zt. inaktiv. keine Wacheinheit der USAF |
Balikesir | TR | 6 | 0 | 9. Geschwader der Türkischen Luftwaffe mit F-16-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager z.Zt. inaktiv. keine Wacheinheit der USAF |
Araxos (geschlossen) |
GR | (6) | 0 | 116. Geschwader der Griechischen Luftwaffe mit A-7E Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv. Wacheinheit der USAF: 731.MUNSS; 2001 aufgelöst |
Memmingen (geschlossen) | D | (11) | 0 | Jabo-Geschwader 34 der Bundeswehr mit Tornado-Flugzeugen, Nuklearwaffenlager inaktiv Geschwader 2003 aufgelöst. |
Gesamt | NATO | 174 (197) | 696 (788) | Real gelagert Waffen werden nach informierter Schätzung maximal 480 Waffen. Angenommen wird, dass in Friedenszeiten je Standort zumindest ein Magazin mit Übungsbomben ausgestattet ist. |
Die Nuklearwaffen der USA in Europa sind zum einen Waffen der USA und zum anderen für den Einsatz im Rahmen von NATO-Aufgaben vorgesehen. Die Nuklearstrategie der NATO wies schon während des Kalten Krieges immer wieder das Charakteristikum einer nachvollziehenden Anpassung an Entwicklungen der nationalen Strategie der USA auf. Am deutlichsten wurde dies während des Übergangs von der "massiven Vergeltung" zur "flexiblen Reaktion" oder "flexiblen Antwort", die sich in den USA bereits 1962, in der NATO aber erst 1967/68 vollzog. Diese Strategie behielt bis zum Ende des Kalten Krieges Gültigkeit.
Auch wenn in der NATO formal eine einheitliche Nuklearstrategie hat, so stellte diese in entscheidenden Punkten immer auch einen Formelkompromiss zwischen den Vorstellungen der USA über mögliche Atomwaffeneinsätze in Europa und denen europäischer Staaten dar. Spöttisch wurde die NATO-Nuklearstrategie deshalb auch als Strategie der "flexiblen Interpretation" bezeichnet. Beispielhaft wird dies "Ersteinsatz" nuklearer Waffen deutlich, den sich die NATO bis heute offenhält. Idealtypisch gab es zwei Vorstellungen: Sollte die NATO mit dem Einsatz nuklearer Waffen warten, bis eine konventionelle Niederlage drohe und dann mit vielen kleinen taktischen Atomwaffen das Kräfteverhältnis so verändern, dass wieder konventionell gekämpft werden kann? Würde das aber nicht zerstören, was verteidigt werden soll? Wäre es deshalb nicht besser, sehr frühzeitig einige wenige Atomwaffen mit Reichweite bis tief in die UdSSR einzusetzen, die beiden Supermächten klar machen würde, dass ein atomarer Krieg nicht auf das europäische Gefechtsfeld begrenzt werden könnte und der Krieg somit sinnlos sei? Als Mitteleuropäer können wir nur von Glück reden, dass die NATO nie ausdiskutieren und praktisch entscheiden musste, welches die "bessere" Form der Implementierung nuklearer Abschreckung gewesen wäre.
Doch eines gilt bis heute, fast 17 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges: Einheitlich sind die Vorstellungen in der NATO über die Funktion und Rolle der verbliebenen Nuklearwaffen im Bündnis noch immer nicht. Zwar schien sich mit der NATO-Strategie von Rom 1991 eine gewissen Konvergenz anzudeuten, weil die Bündnispartner die verbleibenden Nuklearwaffen nun als politische Waffen sahen und als "letztes Mittel" (last resort) einer primär politischen Abschreckungskonzeption betrachteten. Dies galt sowohl für die strategischen als auch für die substrategischen Nuklearwaffen. Doch schon bald zeigte sich, dass jene, die Waffen nur dann für sinnvoll halten, wenn diesen auch eine reale militärische Funktion zukommt, den scheinbaren Konsens über die politische Funktion dieser Waffen wieder aufzubrechen versuchten.
Das Einfallstor für ein solches Denken entstand mit der Counterproliferation-Initiative, die William Perry und Ashton B. Carter während der ersten Clinton-Regierung ab 1993/94 propagierten. Beide warfen die Frage auf, ob neben diplomatischen Mitteln nicht auch militärische Instrumente gegebenenfalls genutzt werden müssten, um Gefahren aus der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu begegnen. Der Begriff Massenvernichtungswaffen umfasste dabei atomare, biologische und chemische Waffen sowie deren Trägersysteme. Auch wenn Perry und Carter kaum unterstellt werden kann, dass sie Proliferationsbestrebungen vorrangig oder überhaupt mit Atomwaffen bekämpfen wollten, so öffneten sie doch eine argumentative Büchse der Pandora, deren entweichenden Geist konservative Nuklearapologeten nur zu gerne einatmeten.
Binnen weniger Jahre wurde es zu einem Standardargument, dass Washington sich das Recht auf einen nuklearen Ersteinsatz vorbehalten müsse, wenn es sich nicht der Möglichkeit begeben wolle, gegen Staaten militärisch vorzugehen, die sich Massenvernichtungswaffen zuzulegen versuchen oder gar mit diesen drohen. Der offen gehaltene nukleare Ersteinsatz bezog sich also nicht länger nur auf einen atomar bewaffneten Gegner[5], sondern nun auch auf Staaten, die "lediglich" über chemische oder biologische Waffen oder sogar nur über Trägersysteme für solche Waffen verfügten. Auf einer eher technischen Ebene nutzten die Verfechter einer solchen Interpretation die noch unter George Bush Anfang der 90er Jahre befehligte Bereinigung der Nuklearwaffenzielplanung der USA (SIOP) von überflüssigen Zielen schon bald auch dazu, im Rahmen des "adaptive targeting" eine erneute Ausweitung der Zahl der potentiellen Zielländer und Ziele für Nuklearwaffen vorzunehmen.
Seit dem Ende des Kalten Krieges haben die US-Nuklearwaffen in Europa aus europäischer Sicht dagegen weiterhin eine vor allem politisch-psychologische Funktion. Sie sollen die strategischen Nuklearwaffen im Blick auf deren Abschreckungswirkung ergänzen und einen Angriff auf NATO-Staaten zu einem unkalkulierbaren Risiko machen. Dafür stand in der NATO-Strategie von Rom die Bezeichnung als "letztes Mittel" (last resort). Dass diese Bezeichnung in der NATO-Strategie, die 1999 in Washington verabschiedet wurde, wieder fehlt, ist dagegen kein Zufall. Ebenso ist es kaum ein Zufall, dass die politischen und militärischen NATO-Strategiedokumente auch nach dem Kalten Krieg nie förmlich auf die Option eines Ersteinsatzes von Nuklearwaffen verzichteten. Während der Diskussionen über die politisch-militärische Rolle nuklearer Waffen in den vertraulichen Dokumenten des NATO-Militärausschusses zur Umsetzung der NATO-Strategie, gab es sowohl Mitte der neunziger Jahre im Blick auf das Dokument MC 400/1 als auch anlässlich der erneuten Aktualisierung 1999 zur MC400/2 aus europäischer Sicht die Notwenigkeit, explizit darauf zu achten, dass den Nuklearwaffen der NATO weder explizit noch implizit eine Rolle bei der Bekämpfung der Proliferation zugewiesen wurde.
Gemeinsam mit den USA konnte somit lediglich deren Funktion im Rahmen der Abschreckung festgehalten werden, ihre Existenz als Zeichen dafür, dass sich die NATO-Staaten diesseits und jenseits des Atlantiks unter keinen Umständen auseinanderdividieren lassen und die Risiken, die Verantwortung und die nukleare Rolle gemeinsam wahrnehmen wollen, die mit dem Vorhandensein von Nuklearwaffen verbunden sind. Die Aussagen der NATO über ihre Nuklearwaffen gerieten damit zu Formeln, die bisweilen ans Absurde grenzen. Wenn das Bündnis davon spricht, einen geeigneten Mix nuklearer Waffen beibehalten zu wollen, dann ist dies auch eine Absage an die Möglichkeit, auf substrategische Waffen zu verzichten. Wenn es von der Notwendigkeit spricht, sein Nuklearwaffenpotential "up to date" zu halten, so wird damit auch die Möglichkeit offengehalten, die Nuklearwaffen der NATO und deren Trägersysteme zu modernisieren.
Die substrategischen Nuklearwaffen haben ihre militärische Funktion weitgehend wenn nicht ganz verloren, da die Ziele, gegen die sie früher eingesetzt werden sollten, heute keine Ziele mehr sind. Neue Ziele, wie sie seit Ende des Kalten Krieges Aufnahme in die US-Planungen fanden, liegen zumeist außerhalb der Reichweite der vorhandenen Flugzeuge.[6] Die vorhandenen Atomwaffen sind zudem aufgrund der zu erwartenden Kollateralschäden zur Zerstörung dieser Ziele oft militärisch schlechter geeignet als moderne konventionelle Waffen. Zudem lehnen viele europäische NATO-Staaten einen solche Einsatz zur Bekämpfung der Proliferation aus politischen Gründen grundsätzlich ab. Die Bestrebungen Washingtons, den Waffen neue Rollen bei der Abschreckung und Bekämpfung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zuzuweisen, sind in der NATO wie bereits gesagt - nicht auf Gegenliebe gestoßen.
Selbst in den US-Streitkräften wird der militärische Wert dieser Waffen zunehmend in Zweifel gezogen. Die US-Luftwaffe hält sie für überflüssig und sieht in ihnen einen unnötigen Kostenfaktor. Sie hat ihre doppelt verwendbaren taktischen Kampfflugzeuge soweit diese nicht in Europa stationiert sind bereits von der nuklearen Rolle befreit. Das Defense Science Board, eines der wichtigsten Beratergremien des Pentagons, empfiehlt dies auch für Europa. Und trotzdem: Das Strategic Command, zuständig für die weltweite Planung nuklearer Einsätze und das Europäische Oberkommando haben Ende der neunziger Jahre vereinbart, dass es vorläufig noch eine Rolle für diese Waffen gibt: Auf nationaler US-Ebene sollen sie auch für Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes, z.B. im Mittleren Osten in Unterstützung von CENTCOM mit eingeplant bleiben.
Mit der Regierung George W. Bush hielten 2001 jene Nukleartheoretiker Einzug in Pentagon und Energieministerium, die wie Keith Payne ein zweites Nuklearzeitalter einläuten wollen und schon deshalb der Modernisierung des amerikanischen Nuklearpotentials Vorrang vor rüstungskontrollpolitischen und Nichtverbreitungsinitiativen einräumen.
Mit dem Nuclear Posture Review legten sie Anfang 2002 eine Blaupause für ihr strategisches Denken vor, dass letztlich auf eine Rundumerneuerung des gesamten nuklearen Komplexes der USA zielt: auf neue Trägersysteme, neue Atomwaffen für neue Einsatzspektren, einen neuen nuklearindustriellen Komplex (Complex 2030) und ein zahlenmäßig kleineres, aber flexibleres strategisches Gesamtpotential. Dieses soll vorrangig dazu dienen jeden Gegner, ob Staat oder nichtstaatlicher Akteur, mit überlegenen konventionellen und nuklearen sowie offensiven wie defensiven Mitteln abschrecken und bekämpfen zu können.
Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie 2002 und vor allem der Nationalen Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen im gleichen Jahr wird das nukleare Potential der USA nicht nur als Reaktionsmöglichkeit in die Bekämpfung der Proliferation eingebunden, sondern auch die Möglichkeit eröffnet, gegen staatliche und nichtstaatliche Akteure, die Massenvernichtungswaffen erworben haben oder erwerben wollen präventiv oder präemptiv mit Nuklearwaffen vorzugehen. Dies gilt sowohl für die strategischen als auch für die substrategischen Nuklearwaffen im Potential der USA. Auf militärisch doktrinärer Ebene spiegelt sich diese Option in mehreren Entwürfen für eine neue Nukleardoktrin der Joint Chiefs of Staff, der Joint Publication 3-12, die das Licht der Öffentlichkeit erblickten und breite Kritik hervorriefen, bis sie offiziell im Oktober 2005 aus dem Verkehr gezogen wurden.[7]
Im Rahmen des Unified Command Plans, der Zuständigkeitszuschreibung des Pentagons für die obersten Kommandos der US-Streitkräfte, ist das Strategic Command der USA dafür zuständig, geeignete globale und regionale Evantualfall- und Einsätzpläne (CONPLANs und OPLANs) auszuarbeiten und Konzepte für die Fähigkeit zu Globalen Schlägen und Sofortigen Globalen Schlägen (Global Strike und Prompt Global Strike) gegen strategisch bedeutsame Ziele auf der ganzen Welt auszuarbeiten sowie die dafür erforderlichen Zielinformationen kontinuierlich bereitzuhalten. Mit dem Global-Strike-Konzept sollen die konventionellen und nuklearen Mittel und Fähigkeiten der USA, strategische sowie wichtige taktische gegnerische Ziele weltweit zu zerstören, in einen einzigen Operationsplan zusammengeführt werden.[8] Die Bekämpfung von Proliferationszielen ist ein wesentlicher Bestandteil. Alle Länder, die seitens der USA als Proliferationsrisiko betrachtet werden, werden von dieser Planung mit erfasst. Auch der Einsatz substrategischer Waffen ist im Rahmen dieser Konzeptionen möglich. Die Planung trägt die Bezeichnung OPLAN 8022 und wird seit einigen Jahren ständig weiterentwickelt. Gegenüber der Öffentlichkeit argumentiert das Pentagon, durch die Integration der konventionellen und nuklearen Bekämpfungsmöglichkeiten werde die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearwaffeneinsatzes verringert. Kritiker sehen das jedoch genau umgekehrt: Sie befürchten, dass die Hemmschwelle für den Einsatz atomarer Waffen sinken wird, wenn deren Einsatz gemeinsam mit dem konventioneller Waffen geplant wird.
Das Argument der Kritiker gewinnt an Überzeugungskraft, wenn die Pläne der Bush-Administration für neue Nuklearwaffen mit in Betracht gezogen werden. In ihren ersten Amtsjahren versuchte die Bush-Administration vor allem, die gesetzlichen Beschränkungen der Erforschung und Entwicklung neuer Nuklearwaffen zu lockern, um Projekte wie Mini-Nukes, also Atomwaffen geringster Sprengkraft, nukleare Bunker-Buster, Atomwaffen, die unterirdische Bunker und Anlagen zerstören sollen oder gar Kombinationen aus beidem leichter auf den Weg bringen zu können. Immer wieder wurde hervorgehoben, solche neuen Waffen seien erforderlich, um auch künftig glaubwürdig mit dem Einsatz nuklearer Waffen drohen zu können. Dies gehe nur, wenn der Kollateralschaden begrenzt werde und zugleich die Ausschaltung unterirdischer Ziele wie Kommandozentralen oder Produktionsanlagen für Massenvernichtungswaffen mit hoher Wahrscheinlichkeit gelinge. Der US-Kongress setzte diesen Versuchen jedoch weiterhin enge vor allem finanzielle Grenzen, sodass nur begrenzte Fortschritte erzielt wurden. Erst für einem neuen Ansatz, Arbeiten an einem Reliable Replacement Warhead (RRW), fand die Regierung substantielle Unterstützung im Kongress, da es hier scheinbar weder um eine bunkerbrechende Nuklearwaffe noch um eine Mini-Nuke gehen sollte. Das RRW-Programm sollte prüfen, ob ein vorhandener strategischer Atomsprengkopf für eine U-Boot-Rakete robuster, verlässlicher, einfacher zu warten und zukunftssicherer gebaut werden könnte, ohne dass eine vollständig neue Atomwaffe entwickelt und getestet werden müsse. Dies ließ der Kongress zu. Doch bereits nach wenigen Jahren zeigte sich, dass Verteidigungs- und Energieministerium ihre alten Modernisierungspläne nun unter neuem Namen fortführen wollten. Nicht ein RRW-Sprengkopf, sondern zwei sollten entwickelt werden, hieß es zunächst. Bald darauf wurde deutlich, dass es um die Entwicklung einer ganzen Familie neuer Atomsprengköpfe gehen könnte. Im nächsten Jahrzehnt, so ließ das zuständige Energieministerium wissen, müsse entschieden werden, ob alle US-Atomsprengköpfe in den Depots der US-Streitkräfte durch vier bis sechs Typen neuer RRW-Sprengköpfe ersetzt werden sollen. Dies erlaube so das werbende Versprechen eine derzeit nicht mögliche Verkleinerung des atomaren Arsenals der USA und dessen Anpassung an den künftigen operativen Bedarf der US-Streitkräfte. Diese Argumentation öffnet erneut das Tor zu militärisch "nützlicheren", weil besser einsetzbaren Nuklearwaffen. Verfolgen die Regierung Bush und deren Nachfolger diesen Entwicklungspfad weiter, so machen aus amerikanischer Sicht auch im substrategischen Bereich künftig nur noch jene Nuklearwaffen einen Sinn, die im zweiten nuklearen Zeitalter und bei der Bekämpfung zum Beispiel von Proliferationszielen glaubwürdig neue Einsatzoptionen eröffnen. Dies gilt dann sicher auch im Blick auf jene Waffen, die die USA gegebenenfalls weiter für die NATO vorsehen.
Die europäischen NATO-Staaten müssen in den kommenden Jahren entscheiden, ob sie den Wandel, den die USA in ihrer nationalen Strategie vollzogen haben, nachvollziehen wollen oder nicht. Ihn nur teilweise zu implementieren wird kaum möglich sein. Diesseits und jenseits des Atlantiks kann der Diskussion über die Zukunft der substrategischen Nuklearwaffen zwar vielleicht noch wenige Jahre ausgewichen werden, in dem man das bisherige Dispositiv reduziert und trotzdem weiter am Leben erhält. Trotzdem aber wird sich die Frage stellen, ob es durch ein neues Dispositiv ersetzt werden soll oder nicht.
Wird das substrategische Nuklearpotential in Europa modernisiert, so impliziert dies höchstwahrscheinlich eine Anpassung der NATO-Nuklearstrategie an die veränderte nationale Strategie der USA. Das gilt auch für die umstrittenen präventiven und präemptiven Elemente sowie die Möglichkeit eines Einsatzes gegen nicht-staatliche Akteure. Diese Anpassung könnte zwar ähnlich wie zu Zeiten der Übernahme der Flexiblen Antwort durch Formelkompromisse verschleiert und kaschiert werden. Letztlich aber wird Washington in der Modernisierung der substrategischen Nuklearkomponente und den damit verbundnen Kosten nur dann einen Sinn sehen, wenn die europäischen NATO-Staaten ihrerseits einen Beitrag zur Implementierung einer solchen Strategie leisten und beispielweise die politische Last der Verantwortung eines völkerrechtswidrigen präemptiven oder präventiven Nuklearwaffeneinsatzes gegen ein nicht-nukleares Land mit den USA teilen. Wären die europäischen Staaten dazu nicht bereit, so würden sich in den USA voraussichtlich jene Kräfte durchsetzen, die in den substrategischen Nuklearwaffen der Allianz schon heute vor allem einen Kostenfaktor und ein Relikt des Kalten Krieges sehen und im nuklearen Bereich auf nationale Fähigkeiten setzen.
Voraussichtlich wird aus technischen Gründen die Frage der Modernisierung der nuklearfähigen Trägerflugzeuge als erste auf der Tagesordnung stehen. Sie dürfte Signalcharakter für die Entscheidungen über neue Atomwaffen und künftige Lagerungssysteme haben. Die heute genutzten F-16-und Tornado-Flugzeuge erreichen im kommenden Jahrzehnt das Ende ihrer technischen Lebensdauer und müssen deshalb außer Dienst gestellt werden. Die Bundesluftwaffe plant beispielsweise die nuklearfähigen Tornado-Flugzeuge in Büchel ab 2012 außer Dienst zu stellen und durch nicht-nukleare Eurofighter zu ersetzen.[9] Die USA entwickeln derzeit unter Mitarbeit von Holland, Belgien, Italien und der Türkei mit dem Joint Strike Fighter ein Kampfflugzeug, das eine nukleare Rolle wahrnehmen könnte. Sie haben aber die Option, das fünfte Los dieses Flugzeuges nuklearfähig auszulegen, bislang nicht genutzt. Eine Entscheidung, ob dies geschehen soll, muss getroffen werden. Die USA stehen dabei nicht unter Zeitdruck. Als Nuklearwaffenträger benötigen sie dieses Flugzeug nicht unbedingt. Anders die europäischen Partner: Diese müssen entscheiden, ob die Flugzeuge, die sie bestellen, nuklearfähig sein sollen oder nicht.
Die Entscheidung für oder gegen die Anschaffung neuer nuklearer Trägersysteme in Europa hat zweifelsfrei Signalcharakter. Sie liefert nicht nur ein erstes gewichtiges Indiz dafür, ob nicht-nukleare NATO-Staaten auf Jahrzehnte weiter an Nuklearwaffen festhalten wollen. Sie wird auch ein Signal dafür sein, ob die NATO an der umstrittenen nuklearen Teilhabe auf lange Sicht festhalten will. Deren Rechtmäßigkeit ist umstritten, da der größte Teil der Mitglieder des Atomwaffensperrvertrages, die Nichtpaktgebundenen Staaten, in der Fähigkeit nicht-nuklearer NATO Staaten während eines Krieges US-Nuklearwaffen zum Einsatz zu bringen, einen Verstoß gegen den Geist, wenn nicht den Buchstaben des Vertrages sieht. Schließlich würde von einer solchen Entscheidung ein Signal ausgehen, dass nicht nur nukleare, sondern auch etliche nicht-nukleare NATO-Staaten auf Jahrzehnte der Eliminierung aller Nuklearwaffen politisch keine Chance geben. Der durch das Scheitern der Überprüfungskonferenz 2005 bereits gefährdete, wohl derzeit wichtigste nukleare Rüstungskontrollvertrag könnte mit Blick auf die nächste Überprüfungskonferenz im Jahre 2010 weiter geschwächt werden.
Während seiner Rede zur Eröffnung der Überprüfungskonferenz 2005 fand der damalige deutsche Außenminister, Joschka Fischer, deutliche Worte: "Wir sollten die bestehenden Arsenale strategischer und sub-strategischer Atomwaffen überprüfen und energisch daran arbeiten, sie weiter zu reduzieren. (...) Was wir heute jetzt brauchen, ist neuer Schwung zur nuklearen Abrüstung." Und an anderer Stelle: "Es ist unser Ziel diese Nuklearwaffen zu reduzieren und zu eliminieren auf allen Seiten".[10] Beides gilt auch künftig. Der wichtigste Beitrag, den die nicht-nuklearen NATO-Staaten dazu in den kommenden Jahren leisten können, besteht in einem Verzicht auf jedes Signal nuklearer Modernisierung und in der Aufgabe der rechtlich umstrittenen technisch-nuklearen Teilhabe deutlich vor der nächsten Überprüfungskonferenz für den Atomwaffensperrvertrag.
Für einen solchen Schritt sprechen eine Vielzahl von Gründen und Argumenten. Er ist der einzige, mit dem die nicht-nuklearen Staaten im Bündnis aktiv zur Abrüstung vorhandener militärischer Nuklearpotentiale und der zugehörigen Trägersysteme beitragen können. Er kann die überfällige Diskussion über die Einbeziehung taktisch-nuklearer bzw. substrategischer Waffen in rüstungskontrollpolitische Diskussion ermöglichen bzw. aktiv dazu beitragen, dass eine solche Diskussion gerade auch mit Russland - in Gang kommt. Er wäre ein deutliches Signal, dass Nuklearwaffen in der Zukunft eine deutlich sinkende sicherheitspolitische Rolle zukommt. Er würde eine vertrauensbildende Maßnahme darstellen und den Atomwaffensperrvertrag stärken, weil mit der nuklearen Teilhabe eine höchst umstrittene Praxis beendet wird. Und er würde deutlich machen, dass sich die betroffenen Staaten kompromisslos für eine restriktive Auslegung und konsequente Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages einsetzen.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
Fußnoten:
[1] Dieser Beitrag befasst sich nur mit einem Teil des Nuklearpotentials der NATO dem luftgestützten, taktischen bzw. substrategischen Potential, also jenen Kampfflugzeugen der USA, Deutschlands, Hollands, Belgiens, Italiens und der Türkei, die Nuklearwaffen einsetzen können und den nuklearen Bomben, die die USA in Europa für einen solchen Einsatz bereithalten. Ausgeklammert bleiben die U-Boote der USA und Großbritanniens, die der NATO assigniert werden können und mit nuklearen Langstreckenraketen ausgestattet sind. Ausgeklammert bleiben auch die nuklearen seegestützten Marschflugkörper, die die USA nach dem Ende des Kalten Krieges zunächst an Land lagerten und weiter als Verstärkung für die NATO bereithielten, nun aber delaborieren wollen. Schließlich bleiben auch die französischen Nuklearwaffen in Europa ausgeklammert, da Frankreich die militärische Integration der NATO verlassen hat.
[2] Eine ähnliche Signalwirkung geht bereits von den geplanten Modernisierungen des Nuklearwaffenpotentials der USA aus. Gleiches gälte, wenn sich Großbritannien wie geplant für eine Modernisierung seiner Trident-U-Boote entscheiden würde.
[3] Die Pershing-Sprengköpfe vom Typ W-85 waren ihrerseits aus Bomben des Typs B-61 abgeleitet worden; dies erleichterte die Rückumwandlung in Bomben.
[4] Dies geschah möglicher- und/oder zufälligerweise in zeitlicher Koinzidenz mit der Auslagerung der atomaren Bomben wegen der Bauarbeiten in Ramstein.
[5] Manche argumentieren, dies sei auch während des Kalten Krieges so gewesen, da die USA optional mit einem nuklearen Ersteinsatz auf einen Einsatz chemischer Waffen seitens des Warschauer Paktes hätten reagieren können. Theoretisch hielt sich die NATO diese Option offen; sie verfügte jedoch bis zum Ende des Kalten Krieges auch über ein substantielles amerikanisches C-Waffenpotential in Deutschland, dass eine Reaktion auf gleicher Eskalationsstufe ermöglicht hätte.
[6] Durch Luftbetankung ließe sich die Flugzeugreichweite natürlich steigern und gelegentlich in der Türkei stationierte US-Kampfflugeuge bzw. Flugzeuge der Türkei oder Italiens könnten theoretisch das eine oder andere Ziel auch erreichen.
[7] Der Verzicht auf eine öffentlich zugängliche nukleare Dienstvorschrift impliziert keineswegs zugleich den Verzicht auf eine geheime Vorschrift gleicher Zielstellung.
[8] Diese konzeptionelle Idee wurde auf den damaligen Kriegsschauplatz Europa bezogen bereits Anfang der 80er Jahre durch das US-Heer in der AirLand-Battle-Doktrin im Konzept des integrierten Gefechtsfeldes eingeführt. Heute wird sie angesichts weiterentwickelter technischer Fähigkeiten auf die globale, strategische Ebene gehoben.
[9] Um damit nicht zugleich ein Bekenntnis für oder gegen die weitere deutsche Beteiligung an der technisch nuklearen Teilhabe abgeben zu müssen, ventiliert das BMVg, ob einige Tornados noch einige Jahre länger zumindest formal für diese Aufgabe bereitgehalten werden können.
[10] Speech by Joschka Fischer, Federal Minister of Foreign Affairs at the Opening Session of the 7th Review Conference of the Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, New York, 2.5.2005, S.7f.
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