Erneuerbare Energien als sicherheitspolitische Investition
von Otfried Nassauer
Einschneidende Ereignisse wie die Ölkrise in den siebziger Jahren, der Golfkrieg in
den Achtzigern, der zweite Golfkrieg zu Beginn der Neunziger oder die aktuelle Diskussion
nach dem 11.September, dem dritten Golfkrieg und den jüngsten Preisanstiegen für Öl und
Gas haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu lebhaften Diskussionen darüber
geführt,
- wie gefährdet die verlässliche Versorgung Europas mit den derzeit wichtigsten
Energieträgern Öl und Gas ist, deren Vorkommen in krisenanfälligen Regionen
konzentriert ist;
- dass neue Gefährdungen kritischer Infrastrukturen [vom (Kern)Kraftwerk über
Raffinerien bis hin zu Tankern, Engpässen auf Transportwegen (Meerengen, Kanäle und
Pipelines)] durch nicht-staatliche Gewaltakteure wie Terrorismus und Piraterie im
Entstehen begriffen sind;
- dass die prognostizierte, wachsende Nachfrage nach fossilen Energieträgern seitens der
schnell wachsenden Ökonomien Asiens eine verstärkte Konkurrenz um verfügbare, fossile
Energien hervorruft, die nicht nur ökonomische Risiken wie steigende Preise sondern auch
Entwicklungsprobleme für schwächere nationale Ökonomien hervorrufen und sogar zu
militärischen Konflikten führen können; und
- wie dringlich eine Reduzierung der Abhängigkeit von Öl und Gas in Europa zu den
zentralen Zukunftsaufgaben von Politik und Wirtschaft in Europa gehört.
Parallel zu diesen Debatten wird verstärkt diskutiert, welche Rolle der
Sicherheitspolitik, der Militärpolitik und letztlich der Bundeswehr hinsichtlich der
Absicherung der Energieversorgung Deutschlands zukommt. Seit Veröffentlichung der
Verteidigungspolitischen Richtlinien 1991 wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die
Bundeswehr die Aufgabe der Sicherung von Transportwegen übernehmen müsse. Der jüngste
Entwurf eines Weißbuches aus dem April 2006 geht sogar noch einen Schritt weiter und
sieht die Bundeswehr vor der allgemeineren Aufgabe, energiepolitisch Versorgungssicherheit
mit zu gewährleisten. Die Bundeswehr selbst sieht nach dem Wegfall der Bedrohungen des
Kalten Krieges in solchen neuen Aufgaben eine willkommene Legitimationshilfe auch
hinsichtlich der Begründung ihres finanziellen Ressourcenbedarfs.
Die Diskussion über die verstärkte Nutzung und Förderung neuer Energietechnologien
und erneuerbarer Energien findet dagegen in einem scheinbar gänzlich anderen inhaltlichen
Umfeld statt. Hier geht es fast ausschließlich um Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu den
Kosten anderer Energieträger, um Klimawandel und Klimaschutz, die Zulässigkeit oder
Unzulässigkeit von Fördermitteln und Subventionen etc.. Sicherheitspolitische Aspekte
spielen in der Diskussion über erneuerbare Energien bislang so gut wie keine Rolle. Auch
die Diskussion um die Notwendigkeit der Reduzierung der Abhängigkeit von Öl und Gas
beginnt erst langsam, sich zu in dieser Debatte wirklich zu spiegeln.
Noch so kann man überspitzt formulieren finden die Diskussionen über
Sicherheitspolitik und erneuerbare Energien meist auf zwei verschiedenen Planeten statt.
Was aber würde passieren, wenn diese beiden Debatten einmal zusammengeführt würden?
Könnten sie einander befruchten? Die Kräfteverhältnisse in einem oder gar in beiden
Bereichen konstruktiv verändern? Meine These lautet "Ja dies wäre wohl in
beiden Bereichen der Fall".
Betrachten wir zunächst die Sicherheitspolitik: Investitionen in eine neue Energie-
und Energiesicherheitspolitik können Investitionen in die Sicherheit Europas sein, weil
sie die Abhängigkeit Europas von Öl und Gasimporten substantiell verringern können.
Diesbezüglich ist es gleichgültig, wann die Verfügbarkeit von Öl und/oder Gas
geringer wird. Peak Oil und auch Peak Gas sowie Situationen, in denen die Nachfrage durch
das Angebot an beiden fossilen Energieträgern nicht mehr gedeckt werden kann, kommen so
sicher wie das Amen in der Kirche offen ist lediglich, wann. Und damit der
Zeitraum, der noch zur Verfügung steht, um sich auf diese Situationen vorzubereiten.
Investitionen in erneuerbare Energien und neue Energietechnologien können nicht nur zu
den erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen beitragen, sondern auch weitere
sicherheitspolitisch relevante Aspekte beisteuern:
- Sie können zu einer wirksamen Dezentralisierung der Energieversorgungsstrukturen
beitragen, die ihrerseits die Verletzlichkeit der kritischen Infrastrukturen reduziert,
z.B. indem sie die Bedeutung langer, verletzlicher Transportwege ebenso reduziert wie die
zentralisierter Einrichtungen.
- Sie können darüber hinaus wesentlich zur Konfliktprävention beitragen, weil sie die
Konkurrenz um die knapper werdenden fossilen Rohstoffe reduzieren.
- Sie können die Chancen zu nachhaltiger Entwicklung verbessern und
- in vielen Fällen einen effizienteren Einsatz staatlicher finanzieller Ressourcen
darstellen als vergleichbar große Investitionen in neue militärische Fähigkeiten.
Und wie steht es mit den Auswirkungen auf die energiepolitische Debatte? Wenn neue
Energietechnologien und erneuerbare Energien nicht nur einen Beitrag zur Energiesicherheit
sondern auch einen Beitrag zur Sicherheit leisten, dann verändern sich ihre Rolle und ihr
Gewicht: Sie leisten einen Beitrag zu den von der klassischen Realpolitik definierten
Kernaufgaben des Staates: zu Souveränitätswahrung und innerer sowie äußerer
Sicherheit, also jenen Bereichen, für die die Verauslagung auch umfangreicher
Steuermittel kaum umstritten ist wie man an den Ausgaben für Streitkräfte und
Polizeien unschwer sehen kann.
Ein Negativ-Beispiel macht es deutlich: Staaten, die über die Nutzung der zivilen
Kerntechnik die Verfügung über die Atombombe anstreben, investieren in die Kerntechnik
notfalls unabhängig von deren wirtschaftlicher, umweltpolitischer oder klimapolitischer
Sinnhaftigkeit, weil es ihnen letztlich um den Besitz atomarer Waffen und damit um eine
Mittel zur Verteidigung ihrer staatlichen Souveränität und Machtprojektion geht. Dies
impliziert umgekehrt: Die sicherheitspolitische Bedeutung erneuerbarer Energien und neuer
Energietechnologien verändert das gesellschaftliche und politische Kräfteparallelogramm
im energiepolitischen Diskurs. Investitionen in erneuerbare Energien können auch als
sicherheitspolitisch begründete Investitionen legitimiert werden und unterliegen damit
veränderten, deutlich günstigeren politisch-strategischen Rahmenbedingungen in der
innenpolitischen Konkurrenz um Ressourcen. Dieses Argument spielt in der Debatte um die
Weiterentwicklung und den Ausbau neuer Energietechnologien und der erneuerbaren Energien
bislang eine deutlich unterbewertete Rolle. Wie groß diese Rolle sein könnte, wird
unschwer deutlich, wenn man einen Vergleich zur wehrtechnischen Industrie zieht. Diese
gilt als für die Aufrechterhaltung staatlicher Souveränität und die
Versorgungssicherheit der Streitkräfte unabdingbar und erhält deshalb aus dem
Staatshaushalt Forschungs-, Entwicklungs- und Beschaffungsmittel in erheblichem Umfang.
Zudem werden sie deshalb als ein Feld strategischer Industriepolitik betrachtet. Sind neue
Energietechnologien und erneuerbare Energien aber ebenfalls von großer
sicherheitspolitischer Relevanz, so wird deutlich, welch gewichtiges Argument dies sein
kann.
Eine warnende Beobachtung: Zwei energiepolitische Interessensgruppen stellen die
Verbindung zwischen Sicherheitspolitik und Energiepolitik bereits mehr oder weniger
deutlich her: Die Befürworter einer Renaissance der Nuklearenergie und die Befürworter
der Nutzung der Brennstoffzellentechnologie auf Wasserstoffbasis. Teils arbeiten sie
argumentativ sogar gemeinsam, weil die Nuklearindustrie die Chance sieht, den großen
Energiebedarf zur Wasserstoff-Herstellung zu decken. Dies darf nicht verwundern. Beide
Energieträger setzen zentralisierte Infrastrukturen voraus und bieten die Chance auf
Groß- und Langläuferprojekte, für deren Umsetzung nur große Konzerne in Frage kommen.
Beide Interessensgruppen sind das Großgeschäft mit dem Staat gewohnt und verfügen über
entsprechende der Lobbyarbeit dienliche Infrastrukturen. Sie haben Erfahrung darin, ihre
Eigeninteressen als Gemeinwohlinteressen und als Beitrag zur staatlichen
Aufgabenerfüllung hier Sicherheit und Energiesicherheit zu gewährleisten -
darzustellen. Sie sind es gewohnt, das erforderliche argumentative politische Umfeld durch
entsprechende Expertisen und Studien vorzubereiten, indem sie diese finanzieren.
Welche Schlussfolgerung ist daraus zu ziehen? Aus meiner Sicht gilt es
herauszuarbeiten, dass neue Energietechnologien und erneuerbare Energien einen
wesentlichen Beitrag zur Sicherheit und damit zur staatlichen Zentralaufgabe der
Souveränitätswahrung leisten können. Dieses Argument darf keinesfalls allein den
Verfechtern der Nuklear- und Wasserstoff-Technologie überlassen werden. Regenerative
Energien bieten z.B. in den Bereichen Dezentralität, Verwundbarkeit, Nachhaltigkeit und
Konfliktprävention vielfältige, substantielle Vorteile. Die Nuklearenergie
beispielsweise kann nur dann langfristig genutzt werden, wenn abgebrannte Brennelemente
wiederaufgearbeitet werden. Der breite Einstieg in die Wiederaufarbeitung vergrößert
aber die Proliferationsrisiken erheblich, weil nunmehr nicht nur Uran angereichert,
sondern auch ein breiter Einstieg in die proliferationsriskante Wiederaufarbeitung und
Plutoniumseparation riskiert werden muss. Die Aufgabe, die sicherheitspolitische Relevanz
von Investitionen in erneuerbare Energien und neue Energietechnologien herauszuarbeiten,
die Arbeit und die Kosten, dies auszuargumentieren, zu unterfüttern und öffentlich
deutlich zu machen, wird den Befürwortern erneuerbarer Energien allerdings niemand
abnehmen. Die Bedeutung und das Gewicht dieses Arguments müssen sie selbst in die Debatte
einbringen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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