BITS Policy Note 00.7
Dezember 2000
ISSN 1434-3274

 

Die NATO, Europa und das Ende der technischen nuklearen Teilhabe

von Otfried Nassauer und Markus Nitschke

 

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Einleitung 

Die NATO überprüft in diesen Monaten ihre Rüstungskontrollpolitik, wie es die Staats- und Regierungschefs auf dem Washingtoner Gipfel im April 1999 beschlossen haben. Im Kommuniqué des Gipfels heißt es: "Im Licht der strategischen Entwicklung insgesamt und der abnehmenden Bedeutung nuklearer Waffen wird die Allianz Optionen für vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, Verifikation, Nichtverbreitung sowie Rüstungskontrolle und Abrüstung prüfen."1 Erste Zwischenergebnisse und Vorschläge für künftige Initiativen werden den NATO-Außenministern im Dezember dieses Jahres zur Diskussion vorliegen.

Die NATO und ihre Mitglieder stehen u.a. vor der Aufgabe, konkrete Schritte zu beschließen, mit denen die NATO dazu beiträgt, die Abrüstungsziele umzusetzen, die auf der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) in diesem Jahr festgelegt wurden.2 Diese Ziele wurden jüngst erneut bekräftigt, als die NATO-Staaten den Resolutionen der New Agenda Coalition und Japans bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen zustimmten. Zugleich muß die Allianz entscheiden, ob sie mit eigenen Vorschlägen und Ideen den amerikanischen Nuclear Posture Review beeinflussen will, der im kommenden Jahr ansteht, oder ob sie dessen Ergebnisse abwarten und damit auf eine Einflußnahme auf die Nuklearpolitik der nächsten US-Administration verzichten will.

Die Ergebnisse des Überprüfungsprozesses der NATO werden Auswirkungen auf die künftigen Chancen nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung haben. Die NATO als Organisation ist zwar nicht an bilateralen und multilateralen Verhandlungen über Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung beteiligt. Zu ihren Mitgliedern zählen aber drei Nuklearmächte und wichtige nicht-nukleare Staaten, so daß keine andere Organisation einen vergleichbaren Einfluß auf diese Prozesse ausüben kann wie die NATO.

Der Vorschlag 

Diese Policy-Note untersucht, ob und ggf. wie die nicht-nuklearen Staaten der NATO einen eigenständigen Beitrag zur Stärkung der erklärten gemeinsamen Politik der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung leisten können. Das Ergebnis lautet: Dies ist sowohl möglich als auch sinnvoll. Jene nicht-nuklearen NATO-Mitglieder, die sich an der nuklearen Teilhabe in der NATO beteiligen und die technische Fähigkeit zum Einsatz von Nuklearwaffen besitzen, können ohne Verlust an Sicherheit und politischem Einfluß auf diese Fähigkeit verzichten und sollten dies – dem Gipfel-Kommuniqué entsprechend – auch tun. Gleichwohl sollten sie weiterhin an der nuklearen Planung der NATO mitwirken. Alle sechs betroffenen Staaten können diesen Weg gemeinsam beschreiten. Falls dies derzeit nicht gemeinsam möglich ist, sollten einzelne wichtige NATO-Staaten wie die Bundesrepublik eine Vorreiterrolle übernehmen. Ein solcher Schritt, so argumentiert diese Policy-Note, würde

  • erstens einen wesentlichen Impuls für die nukleare Abrüstung darstellen und insbesondere das Zustandekommen eines START-III Abkommens erleichtern, das viele Tausend nicht länger benötigte Nuklearwaffen zur Abrüstung freigibt und erstmals substrategische Nuklearwaffen in einem Abrüstungsvertrag erfaßt;
  • zweitens einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes leisten, weil er den Anlaß aller Zweifel, ob die nukleare Teilhabe mit dem Nichtverbreitungsvertrag vereinbar ist, beseitigt;
  • drittens dazu beitragen, die Bedeutung und Rolle nuklearer Waffen in der NATO-Strategie zu reduzieren. Die Nuklearpolitik der Allianz könnte in größere Übereinstimmung mit dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes aus dem Jahr 1996 gebracht werden.

Darüber hinaus kommt diese Policy-Note zu folgenden Schlüssen:

  • Die nuklearen Mitsprache- und Konsultationsrechte in der NATO bleiben gewahrt, auch wenn nicht-nukleare NATO-Staaten die technische Fähigkeit aufgeben, Nuklearwaffen im Kriegsfall einzusetzen.
  • Die nukleare Abschreckung bleibt erhalten, ebenso die Solidarität unter den Bündnispartnern, die in einer fairen Teilung der nuklearen Risiken und Verantwortlichkeiten zum Ausdruck kommt.
  • Der innere Zusammenhalt des Bündnisses, die Kohäsion, wird deutlich gestärkt, weil sich die bis heute immer wiederkehrenden Debatten über Zonen ungleicher nuklearer Sicherheit in der Allianz erübrigen, wenn alle nicht-nuklearen Mitglieder in einheitlicher Form an der Nuklearpolitik der NATO beteiligt sind.
  • Schließlich werden heute noch unterschiedliche nationale nukleare Interessenlagen innerhalb der NATO harmonisiert und vereinheitlicht; dies kann konstruktiv für eine Stärkung der Nichtverbreitungspolitik und Abrüstungspolitik der NATO genutzt werden.

Nukleare Teilhabe in der NATO 

Die Nukleare Teilhabe zielt darauf ab, auch die nicht-nuklearen Staaten in die Nuklearplanung und -entscheidungen der NATO zu integrieren und ihnen die Möglichkeit zur Mitsprache zu geben. In ihr kommt zum Ausdruck, daß die Nuklearmächte kein Monopol in Sachen ‚Nuklearpolitik des Bündnisses’ haben, sondern die Interessen der nicht-nuklearen Staaten mit berücksichtigen müssen. Die Nukleare Teilhabe der NATO besteht aus zwei Mechanismen, einem politischen und einem technischen.

Die politische Teilhabe besteht aus der Mitarbeit und Mitsprache der nicht-nuklearen Staaten in der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) der Allianz. Diese diskutiert Fragen der nuklearen Einsatzplanung, der Nuklearstrategie, erörtert Stationierungsmaßnahmen und legt die Konsultationsmechanismen für Nuklearwaffeneinsätze fest. Sie wurde 1966 im Vorfeld der Unterzeichnung des NVV gegründet und sollte sicherstellen, daß die Interessen der nicht-nuklearen NATO-Staaten an nuklearer Mitsprache auch nach dem Inkrafttreten dieses Vertrages gewahrt blieben. Sie bestand zunächst aus vier ständigen Mitgliedern (USA, GB, I und BRD, gab diesen also ein besonderes Gewicht), und vier Mitgliedern, die sich im Rotationsverfahren abwechselten. Seit 1979 steht die NPG allen NATO-Mitgliedern offen, und alle Teilnehmer sind formal gleichberechtigt. Die Planungsgruppe ist der zentrale politische Mechanismus der nuklearen Teilhabe. Hier gelang es in der Vergangenheit immer wieder, Differenzen zwischen den NATO-Staaten in Nuklearfragen zu überbrücken.

Die andere Komponente der nuklearen Teilhabe besteht in der technischen Fähigkeit nicht-nuklearer Staaten, einen Nuklearwaffeneinsatz durchzuführen. Gegenwärtig sind sechs der nicht-nuklearen Alliierten mit nuklearfähigen Trägersystemen ausgerüstet, die im Kriegsfall für einen Nuklearwaffeneinsatz sofort bereitstehen. Dabei handelt es sich um speziell ausgerüstete Kampfflugzeuge, sogenannte dual capable aircraft (DCA), die man gleichermaßen mit konventionellen und nuklearen Waffen bestücken kann. Deren Besatzungen werden in Friedenszeiten ausgebildet und trainiert, Nuklearwaffeneinsätze vorzubereiten und durchzuführen. Die Nuklearwaffen werden von den USA bereit gestellt und vor Ort, auf den Flugplätzen der europäischen Bündnispartner, gelagert. Sie bleiben jedoch in Friedenszeiten stets unter der Kontrolle der US Air Force und würden nur im Fall eines Kriegseinsatzes an die Streitkräfte der nicht-nuklearen Alliierten übergeben. Die technische nukleare Teilhabe entstand ursprünglich in den späten 50er und frühen 60er Jahren, als die Vereinigten Staaten einigen nicht-nuklearen Verbündeten Trägersysteme zum Einsatz amerikanischer Nuklearwaffen verkauften. Dafür wurden bilaterale Verträge abschlossen, sog. Kooperationsabkommen (Programs of Cooperation, PoC), die fast alle bis heute in Kraft sind.

Zum Einsatz amerikanischer Nuklearwaffen technisch befähigt sind heute Luftwaffeneinheiten in Belgien, Deutschland, Griechenland, Holland, Italien und der Türkei; früher waren auch Kanada und Frankreich beteiligt. Einige andere nicht-nukleare NATO Staaten, so Island, Dänemark, Norwegen und Spanien, beteiligen sich nur an der politischen nuklearen Teilhabe und lehnen in Friedenszeiten auch die Stationierung nuklearer Waffen auf ihrem Territorium ab. Kanada beendete seine Beteiligung an der technischen nuklearen Teilhabe 1989. Die neuen NATO-Mitglieder, Polen, Ungarn und die Tschechische Republik, partizipieren ebenfalls nur an der politischen Teilhabe.

Ein einheitlicher Status für alle nicht-nuklearen Alliierten 

Der Schutz der nuklearen Abschreckung gilt allen NATO-Staaten gleichermaßen. Er ist nicht davon abhängig, ob ein NATO-Staat Nuklearwaffen besitzt oder nicht, ob er sie lagert oder nicht und ob er sie im Kriegsfall einsetzen kann oder nicht. Dies hat das Bündnis jüngst erneut und unmißverständlich im Blick auf die neuen Mitglieder deutlich gemacht. Für sie gilt der gleiche nukleare Schutz wie für alle anderen NATO-Staaten. Es gibt keine Zonen unterschiedlicher nuklearer Sicherheit im Bündnis. Dies gilt, obwohl die NATO in der NATO-Rußland-Grundakte 1997 politisch verbindlich zugesagt hat,

  • in diesen Staaten keine Nuklearwaffen zu stationieren und
  • keine Infrastruktur für die Stationierung von in Nuklearwaffen vorzuhalten oder zu bauen.

Darüber hinaus haben US-Außenministerin Albright und Verteidigungsminister Cohen bestätigt, daß die Allianz nicht beabsichtigt,

  • Piloten aus den neuen Mitgliedsstaaten für Nuklearaufgaben auszubilden;
  • Spezialausrüstung für nuklearfähige Flugzeuge bereitzustellen;
  • von den neuen Mitgliedern die Beschaffung nuklearfähiger Kampfflugzeuge zu fordern und
  • mit den neuen Mitgliedern nukleare Kooperationsabkommen (PoC) abzuschließen.

Die Selbstverpflichtungen der NATO im Hinblick auf die neuen Mitglieder sind politisch bindend und technisch kurzfristig nicht umkehrbar.

Am Beispiel der neuen NATO Mitglieder wird deutlich, daß Umfang und Charakter der nuklearen Sicherheitsgarantie im Bündnis nicht vom Umfang der technischen Beteiligung dieser Staaten an der Implementierung der Nuklearstrategie der NATO abhängen. Auch für ihre gleichberechtigte Mitarbeit in der NPG, ihr Mitspracherecht bei der nuklearen Planung und den Konsultationen im Bündnis ergeben sich keine Benachteiligungen. Letzteres wurde auch deutlich, als Kanada 1989 die Fähigkeit aufgab, Nuklearwaffen mit kanadischen Trägersystemen einzusetzen.

Aus dieser Entwicklung ergibt sich eine spannende Frage: Wäre es möglich und sinnvoll, wenn die Beteiligung aller nicht-nuklearen Staaten an der Implementierung der Nuklearstrategie der NATO vereinheitlicht würde? Diese Möglichkeit eröffnet sich, weil offensichtlich ein wichtiges Argument aus der Zeit der Einführung der nuklearen Teilhabe nicht länger Gültigkeit hat: Die Fähigkeit "mitzumachen", Trägersysteme für den Nuklearwaffeneinsatz bereitzustellen, kann nicht mehr die Voraussetzung dafür sein, "mitentscheiden" zu können. Würde dieses Argument noch gelten, so wären die Zusagen der NATO an die neuen Mitglieder, daß aus ihrem Verzicht in keiner Weise eine "Zweitklassigkeit" folge, schlicht falsch.

Für eine derartige Veränderung in der Politik der NATO spricht auch: Es gibt heute keine überzeugende sicherheitspolitische Begründung mehr dafür, daß etliche nicht-nukleare Staaten in der NATO die Fähigkeit besitzen müssen, Nuklearwaffen einzusetzen. Für die Glaubwürdigkeit der Nuklearabschreckung ist dies nicht länger notwendig. Der Kalte Krieg ist vorbei, und der Westen hat in den letzten zehn Jahren ein so hohes Maß an Sicherheit erreicht, daß eine ernsthafte, umfassende militärische Bedrohung nicht mehr gegeben ist. Die NATO hat dieser Entwicklung im Blick auf andere Aspekte bereits sichtbar Rechnung getragen, so zum Beispiel durch eine deutliche Reduzierung der Zahl den in Europa stationierten Nuklearwaffen. Was verblieb, entspricht in etwa dem Minimum dessen, was erforderlich ist, um die Fähigkeit der nicht-nuklearen Staaten Europas zum Atomwaffeneinsatz aufrechtzuerhalten.

Es bleibt also die Frage, ob dieses an der Aufrechterhaltung der nuklearen Teilhabe orientierte Potential weiter erforderlich ist, um eine solidarische, faire Teilung der Aufgaben, Risiken und Verantwortlichkeiten, insbesondere in einem Bereich wie der Nuklearwaffenpolitik, unter den NATO-Mitgliedern sicherzustellen. Diese Überlegung spielte zu Zeiten des Kalten Krieges eine wesentliche Rolle, weil vermieden werden sollte, daß nuklearbewaffnete US-Verbände und europäische Verbände ohne Nuklearwaffen Seite and Seite einen großen Landkrieg in Europa auskämpfen müßten. Diese Situation trug erheblich zu der argumentativen Kopplung nuklearer Mitspracherechte an die gleichzeitige Beteiligung an der technischen nuklearen Teilhabe bei.

Mit dem Ende des Kalten Krieges hat sich auch hier die Lage wesentlich verändert. Dies kommt in der vollständigen Denuklearisierung der Heere in Europa und Nordamerika am besten zum Ausdruck. Es wirft die Frage auf, ob unter den gegenwärtigen, deutlich veränderten Bedingungen eine solidarische und faire Teilung der Aufgaben, Risiken und Verantwortlichkeiten in der NATO weiterhin gewährleistet ist und ob die Fähigkeit einzelner nicht-nuklearer NATO-Staaten zum Nuklearwaffeneinsatz dafür eine unverzichtbare Voraussetzung ist. Schon fast klassisch für die NATO ist, daß es in diesem Diskurs vor allem darum geht, ob die europäischen NATO-Staaten sich hinreichend an nuklearen Risiken, Aufgaben und Verantwortlichkeiten beteiligen.

Unzweifelhaft ist, daß von den Restrisiken, denen sich die NATO ausgesetzt sieht, die in Europa stationierten US-Truppen und die Europäischen NATO-Staaten mit ihren Streitkräften wahrscheinlicher und stärker bedroht sind als das Territorium der Vereinigten Staaten oder Kanadas. Dies gilt für konventionelle Bedrohungen in gleicher Weise wie für potentielle Risiken, die von Massenvernichtungswaffen ausgehen. Es gilt nur in begrenztem Umfang für Risiken, die sich aus asymmetrischer Kriegführung durch staatliche oder terroristische Kräfte ergeben könnten. Auch blieben diejenigen Risiken erhalten, die sich daraus ergeben, daß die nicht-nuklearen Staaten den militärisch integrierten Nuklearmächten der Allianz Einsatzbasen für ihre DCA zur Verfügung stellen. Die nicht-nuklearen Staaten erweisen sich also bereit, ein eher größeres als kleineres "Risiko" zu tragen, zumindest aber ihren fairen Anteil. Ihrem fairen Anteil an der "Verantwortung" werden sie gerecht, indem sie die auf nuklearer Abschreckung beruhende NATO-Strategie politisch mittragen und deren Ausplanung und Implementierung gemeinsam mit den nuklearen Staaten in der Nuklearen Planungsgruppe und deren nachgeordneten Strukturen mitverantworten. Zu einer fairen, gleichberechtigten "Aufgabenteilung" im Bereich nuklearer Streitkräfte sind die nicht-nuklearen Staaten aufgrund ihres Status und ihrer Verpflichtungen aus dem NVV per definitionem nicht in der Lage. Die USA äußern deshalb auch keinerlei Wünsche, daß die europäischen Staaten im Rahmen der nuklearen Teilhabe mehr Aufgaben übernehmen sollten. Mangelnde europäische Fähigkeiten werden von den USA dagegen seit Jahrzehnten im konventionellen Bereich kritisiert. Dies führt zu einer interessanten Schlußfolgerung: Würden die europäischen Staaten, die zum Einsatz nuklearer Waffen befähigt sind, auf diese Option verzichten, so könnten sie ihren Kritikern aus den USA zumindest ein kleines Stück entgegenkommen und einige Dutzend zusätzliche Kampflugzeuge für konventionelle Aufgaben bereitstellen. Zudem: Ihre solidarische Teilnahme an einem eventuellen Nukleareinsatz der NATO wäre weiterhin möglich. Die NATO erachtet die Bereitstellung von Infrastruktur, Luftraum, Logistik oder Flugzeugen zur elektronischen Kampfführung, zum Begleitschutz oder anderen konventionellen Aufgaben schon heute als legitime Form der Beteiligung an einem solchen Einsatz.

Schließlich spielte – historisch betrachtet –ein weiteres Argument eine gewichtige Rolle. Die Stationierung amerikanischer Truppen sei an die Stationierung nuklearer Waffen gekoppelt. "No nukes, no troops", so lautet es verkürzt. Und: Über den Abzug der Nuklearwaffen der USA aus Europa nachzudenken, heiße die Anwesenheit amerikanischer Truppen in Frage zu stellen. Doch auch dieses Argument hat nach dem Ende des Kalten Krieges seine Zugkraft verloren. Nur in Europa stationieren die USA heute noch Nuklearwaffen und Truppen. In Japan und Südkorea werden nur noch Truppen stationiert. Auch während des Golfkrieges ist nicht bekannt geworden, daß die USA Saudi Arabien gedrängt oder überzeugt hätten, der Stationierung amerikanischer Nuklearwaffen auf saudischem Territorium zuzustimmen. Mit anderen Worten, es geht auch ohne – die Präsenz amerikanischer Truppen ist nicht von der gleichzeitigen Stationierung nuklearer Waffen abhängig.

Mithin: Die nicht-nuklearen Alliierten können ihre Fähigkeit, Nuklearwaffen einzusetzen, aufgeben, sich weiterhin an der Nuklearplanung und den nuklearen Konsultationen der Allianz beteiligen und müssen nicht fürchten,

  • deshalb Einfluß auf die Nuklearpolitik zu verlieren oder
  • sich einem gerechtfertigten Vorwurf unzureichender Übernahme von Risiken, Aufgaben und Verantwortlichkeiten auszusetzen4 oder
  • zwangsläufig eine Diskussion über den Abzug der US-Truppen aus Europa heraufzubeschwören.

Mit einem solchen Schritt würden Umfang und Charakter ihrer Beteiligung an der Ausgestaltung und Umsetzung der Nuklearstrategie der NATO vereinheitlicht. Zugleich wird signalisiert: Die nicht-nuklearen Staaten tragen das Konzept nuklearer Abschreckung weiterhin politisch mit und werden ihre nuklearpolitischen Interessen in der NPG einfließen lassen. Sie vergrößern damit den inneren Zusammenhalt und die politische Handlungsfähigkeit des Bündnisses und bereiten eine gemeinsame Ausgangsposition vor, um die künftige Rolle von Nuklearwaffen im Bündnis zu diskutieren. Befürchtungen der neuen Mitglieder erübrigen sich, letztlich doch innerhalb der Nuklearpolitik der NATO benachteiligt zu sein. Bestrebungen, den eigenen Status z.B. durch den Kauf von nuklearfähigen Flugzeugen aufzuwerten, erübrigen sich. Es gibt keinen inneren Kreis nicht-nuklearer Staaten mehr, die stärker als andere in die Nuklearpolitik der Allianz involviert sind.5 Ein wichtiger, belastender Faktor in den NATO-Rußland-Beziehungen verliert seine Bedeutung für die Diskussion über die Zukunft der NATO-Osterweiterung.

Fortschritt bei nuklearer Abrüstung 

Der Verzicht auf eine Beteiligung an der technischen nuklearen Teilhabe ist zudem ein wichtiger, konstruktiver Beitrag zur nuklearen Abrüstung. Die europäischen NATO-Staaten können den kommenden Prozeß bilateraler Abrüstungsverhandlungen über taktische Nuklearwaffen entscheidend erleichtern. Rußland und die Vereinigten Staaten haben in Helsinki 1997 erstmals angekündigt, über weitere Maßnahmen zur Reduzierung taktischer Nuklearsysteme sowie über eine verifizierbare Delaborierung von Nuklearsprengköpfen zu sprechen, aber offengelassen, ob dies im Rahmen künftiger START III-Verhandlungen oder in einem eigenständigen Kontext geschehen soll. Öffentlich sichtbare, konkrete Schritte lassen seither auf sich warten.

Solche Schritte aber könnten durch den Verzicht der nicht-nuklearen Alliierten auf die Fähigkeit zu einem Nuklearwaffeneinsatz erleichtert werden. Dieser Verzicht kann die Perspektive eines Abzugs der US-Nuklearsprengköpfe in Europa eröffnen und Rußland ein positives Signal geben: Es wird leichter, eine alte, russische rüstungskontrollpolitische Forderung zu erfüllen - die Eliminierung substrategischer Nuklearwaffen, die russisches Territorium erreichen können und deshalb aus russischer Sicht eine Zusatzbedrohung außerhalb des vertraglich geregelten Bereichs der strategischen Nuklearwaffen darstellen. Dies kann wiederum in Moskau dazu beitragen, daß eine größere Bereitschaft entsteht, über eine vertraglich vereinbarte Reduzierung taktisch-nuklearer Waffen zu verhandeln.

Trotz ihrer relativ geringen Anzahl haben die noch in Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen einen hohen politischen Symbolwert. Dies träfe auch auf deren Abzug zu. Ihn zu erleichtern bzw. zu ermöglichen signalisiert: Europäische Sicherheit ist nach dem Ende der Ost-West-Auseinandersetzung nicht länger von der Stationierung amerikanischer Nuklearwaffen in Europa abhängig. Für die Beziehungen zu Rußland ist dies wichtiges vertrauensbildendes Signal und eröffnet die Perspektive einer Denuklearisierung der Beziehungen zwischen der NATO und Rußland.

In der Vergangenheit war die Tatsache, daß wichtige nicht-nukleare Staaten Europas an der Fähigkeit zum Einsatz amerikanischer Nuklearwaffen im Krieg aus politischen und Statusgründen weiterhin festgehalten haben, eines jener politischen Hindernisse, die amerikanisch-russischen Verhandlungen über die Reduzierung oder Eliminierung taktisch-nuklearer Waffen im Wege standen. Diese Staaten haben – überspitzt formuliert – somit einen eigenständigen Beitrag dazu geleistet, daß Verhandlungen über eine Reduzierung oder Eliminierung dieser Waffen bislang nicht zustande gekommen sind. Heute können sie in gleicher Weise einen eigenständigen Beitrag leisten, um solche Verhandlungen zu ermöglichen und ihren positiven Abschluß zu erleichtern. Die Voraussetzung dafür ist, daß diese Staaten in Anerkennung der Veränderungen nach dem Ende des Kalten Krieges ihrer Bereitschaft zum Verzicht auf die technische nukleare Teilhabe ausdrücken.

Indirekt kommt diesem Schritt sogar noch eine erheblich größere Bedeutung zu. Er kann mitentscheidend dafür sein, wie das nächste amerikanisch-russische START-Abkommen zur nuklearen Abrüstung ausfällt. Wird es – wie die beiden bisherigen Abkommen – lediglich eine weitere Begrenzung der strategischen Trägersysteme beinhalten, die zum Transport nuklearer Gefechtsköpfe bereitgehalten werden? Dann reduziert es die Zahl einsetzbarer Nuklearwaffen um einige weitere Tausend, trifft aber keine Festlegung, was mit den nuklearen Gefechtsköpfen selbst geschehen soll. Oder wird dieses künftige Abkommen so angelegt, daß es möglichst umfassend und weitreichend ist? Dies entscheidet sich vor allem auch daran, ob taktische Nuklearwaffen und eine verifizierbare Delaborierung überschüssiger Sprengköpfe Gegenstand des Abkommens werden oder nicht. Wird die Möglichkeit zu einer Einbeziehung taktischer Waffen eröffnet, so kann ein künftiges Abrüstungsabkommen im beiderseitigen Interesse viel umfassender ausfallen und zu erheblich tieferen Einschnitten in die vorhandenen Sprengkopfpotentiale führen als dies sonst der Fall wäre. Ein START-3 Abkommen unter Einbeziehung taktischer Waffen kann

  • eine gemeinsame Obergrenze für alle künftig noch zulässigen Nuklearsprengköpfe festlegen, gleichgültig, ob diese aktiv oder inaktiv, strategisch oder taktisch sind; beide Seiten, die USA und Rußland, wären innerhalb dieser Obergrenze frei zu entscheiden, wie viele Sprengköpfe welcher Art und Bereitschaft sie beibehalten wollen;
  • einen einfachen, glaubwürdigen und für beide Seiten akzeptableren Verifikationsmechanismus für die Delaborierung von Sprengköpfen beinhalten, der auf dem Prinzip des Monitorings in den Delaborierungsprozeß eingebrachter Sprengkopfcontainer und herauskommender Pitkontainer beruht.6

Ein solches Abkommen würde Tausende zusätzlicher Nuklearsprengköpfe erfassen und der Delaborierung zuführen und zugleich erstmals die verifizierbare Delaborierung von Sprengköpfen (und nicht nur von Trägersystemen) behandeln. Zudem würde es erstmalig zu vertraglich vereinbarter Abrüstung im taktisch-nuklearen Bereich führen.

Da die wirtschaftliche Lage es Rußland zur Zeit außerordentlich schwer macht, in der Finanzierung teurer Abrüstungsmaßnahmen eine finanzielle Priorität zu sehen, wäre das gleichzeitige Angebot technischer und finanzieller Hilfe bei der Umsetzung eines solchen Abkommens eine wichtige begleitende Maßnahme. Sie könnte die Bereitschaft Rußlands erheblich erhöhen, sein taktisches Arsenal transparent zu machen und dessen Reduzierung mit westlicher Unterstützung voranzutreiben. Gerade auch hier wäre eine Mitwirkung der nicht-nuklearen Staaten der NATO im eigenen und gemeinsamen europäischen Sicherheitsinteresse angebracht.

Die Aufgabe der technischen Seite der nuklearen Teilhabe hätte aber nicht nur positive Auswirkungen auf den nuklearen Abrüstungsprozeß, sondern auch auf die Zukunft und Stärkung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes.

Stärkung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes 

Die nukleare Teilhabe stellt heute eine Belastung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes dar. Dies gilt vor allem im Hinblick auf den Atomwaffensperrvertrag (NVV), das Kernstück des Regimes. Seit Jahren sehen die Neutralen und Nichtpaktgebundenen Staaten in der nuklearen Teilhabe eine Verletzung des Sperrvertrags. Diese erlaube im Kriegsfall den Einsatz von Nuklearwaffen durch Staaten, die dem NVV als nicht-nukleare Staaten beigetreten sind und stehe somit im Widerspruch zum deren Verpflichtungen aus Artikel II des Vertrages. Die USA als Nuklearwaffenstaat verstießen gegen Artikel I des NVV. Neben der Kritik an dem mangelnden Interesse der Nuklearwaffenstaaten an zügiger nuklearer Abrüstung hat sich dieses Argument in jüngster Zeit als gewichtige, kontinuierlich vorgetragener Kritikpunkt erwiesen.7

Im April dieses Jahres fand in New York eine Überprüfungskonferenz des NVV statt. Erneut wurde bei dieser Gelegenheit die technische nukleare Teilhabe der NATO von mehr als 100 Staaten kritisiert, und die NATO-Staaten wurden aufgefordert, "die nukleare Teilhabe für militärische Zwecke zu unterlassen"8 und dadurch ihrer Verpflichtung nachzukommen, die Artikel I und II vollständig zu implementieren. Die NATO habe sich mit der nuklearen Teilhabe ein Schlupfloch geschaffen, die Restriktionen des Sperrvertrags zu umgehen. Die blockfreien Staaten bewerten die Übertragung von nuklearer Verfügungsgewalt im Kriegsfall als Spezialfall nuklearer Proliferation, wenn amerikanische Nuklearwaffen z.B. auf deutschen Tornado-Flugzeugen und von deutschen Piloten zu ihren Zielen geflogen würden. Sie werfen der NATO vor, "daß Artikel I und II des NVV keinerlei Ausnahmen zulassen, und daß der NVV für die Vertragsparteien gleichermaßen in Friedenszeiten und Kriegszeiten bindend ist."9 Die USA und mit ihnen die NATO lehnen diese Interpretation ab und betonen die volle Übereinstimmung zwischen nuklearer Teilhabe und den Regelungen des Sperrvertrags. Die Nuklearsprengköpfe seien in Friedenszeiten unter strikter Kontrolle der USA. In Kriegszeiten sei der Sperrvertrag ohnehin nicht mehr rechtsbindend.

Die nukleare Teilhabe der NATO untergräbt die Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbreitungsregimes. Die Zweifel der blockfreien Staaten an ihrer Zulässigkeit sind nur von der Hand zu weisen, wenn man die Auffassung der NATO teilt, daß jene kryptisch formulierten, einseitigen Interpretationen, die einzelne NATO-Staaten bei der Unterzeichnung des Vertrages hinterlegten und die die USA im Rahmen des nationalen Ratifizierungsprozesses abgaben, ohne sie zu hinterlegen, die Rechtmäßigkeit der Nuklearen Teilhabe rechtfertigen könnten. Würde diese Auffassung geteilt, so wäre eine weit gewichtigere Schwächung des NVV die Folge: Das rechtmäßige Zustandekommen des Vertrages könnte von vielen Mitgliedern in Zweifel gezogen werden, da sie bei ihrer Unterzeichnung bzw. Ratifizierung keine Kenntnis von diesen Interpretationen bzw. deren faktischer Bedeutung hatten.10

Wenn jene nicht-nuklearen Staaten, die Fähigkeiten zum Nuklearwaffeneinsatz besitzen, diese aufgeben würden, so würden sie somit zugleich einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des NVV leisten. Sie könnten jeden Zweifel an ihrer Bereitschaft ausräumen, ihre Verpflichtungen aus dem NVV jederzeit einzuhalten und somit das Nichtverbreitungsregime insgesamt stärken. Die Notwendigkeit entfiele, unter den Vertragspartnern Einigkeit herbeizuführen, ob die nukleare Teilhabe vertragskonform oder vertragswidrig ist.

Ein Nichtverbreitungsregime mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten kann jedenfalls nicht auf Dauer stabil sein. Ein Verzicht auf die technische Fähigkeit für den Einsatz von Nuklearwaffen ist dagegen ein eindeutiges Zeichen, daß die NATO-Staaten die universelle Gültigkeit der Regelungen des Sperrvertrags auch für sich selbst verbindlich anerkennen.

Indirekt kommt eine weitere für das Nichtverbreitungsregime positive Auswirkung hinzu. Es werden auch die Negativen Sicherheitsgarantien gestärkt, die 1995 eine Voraussetzung für die Zustimmung vieler blockfreien Staaten zur unbefristeten und unkonditionierten Verlängerung des NVV waren. Der freiwillige Verzicht auf die Fähigkeit, Nuklearwaffen einzusetzen, wäre zudem ein deutliches Signal der nicht-nuklearen Staaten der NATO an alle anderen Vertragsparteien, daß Rolle und Funktion von Nuklearwaffen in der NATO-Strategie nicht weiter ausgedehnt, sondern reduziert werden.

NATO-Nuklearpolitik und Völkerrecht  

Nach dem Rechtsgutachten des Internationale Gerichtshofes (IGH) verstoßen die aktuellen Einsatzplanungen zur nuklearen Teilhabe gegen das Völkerrecht. In dieser Entscheidung von 1996 stuft der IGH nicht nur einen Nuklearwaffeneinsatz generell als gravierenden Verstoß gegen das Völkerrecht ein, sondern auch bereits die Androhung von Nuklearschlägen.11 Das Votum des IGH entzieht der Nuklearpolitik der letzten fünfzig Jahre die rechtliche Legitimation.

Der Verzicht der nicht-nuklearen NATO-Staaten auf die Fähigkeit, Nuklearwaffen im Kriegsfall einzusetzen kann in gewissem Umfang dazu beitragen, die NATO mit den Regelungen des Völkerrechts in größere Übereinstimmung zu bringen. In Einklang mit diesen Regeln bringt er sie nicht.

Beim Gutachten des IGH handelt es sich wohlgemerkt nicht um ein Gerichtsurteil, das verbindlich Völkerrechtsnormen setzt und auslegt. Laut UN-Charta trifft der IGH vielmehr sorgfältig und unter Anwendung rechtsstaatlicher Kriterien Unterscheidungen darüber, was völkerrechtskonform ist und was nicht. Und von diesen Normen kann sich auch die NATO als internationale Organisation nicht freimachen. Es wäre kontraproduktiv, die vom IGH festgestellte Rechtslage zu ignorieren und sich damit über rechtsstaatliche Grundsätze hinwegzusetzen.

Auch unter dem Aspekt der an Rechtsnormen gebundenen politischen Legitimation ist es hilfreich, wenn die nukleare Teilhabe der nicht-nuklearen NATO-Staaten auf Nuklearplanung und nuklearen Konsultationen beschränkt wird. Dies könnte es der NATO erleichtern, Nuklearwaffen wie schon 1990 in London wieder als "letztes Mittel" zu bezeichnen, über deren Einsatz nur nachgedacht werden würde, wenn die staatliche Existenz eines oder mehrerer NATO-Mitglieder auf dem Spiel steht, d.h. wenn sie von vollständiger physischer Vernichtung bedroht sind. Dies ist der einzige Fall einer Drohung mit einem Nuklearwaffeneinsatz, den die Richter des IGH nicht einstimmig als rechtswidrig verurteilt haben. Daraus allerdings zu schlußfolgern, daß er rechtmäßig wäre, widerspräche Geist und Wortlaut des Gutachtens.

Schlussbemerkungen 

Auf eine weitere Auswirkung des Verzichtes aller nicht-nuklearen Staaten auf die Fähigkeit Nuklearwaffen einzusetzen sei abschließend hingewiesen. Ein "einheitlicher Status" aller nicht-nuklearen Staaten in der NATO führt auf mittlere Sicht voraussichtlich dazu, daß diese gemeinsame Interessen im Hinblick auf die Nuklearpolitik der Allianz herausarbeiten und diese gemeinsam wirksamer artikulieren und durchsetzen können. Dies gilt für alle Aspekte der Nuklearpolitik, auch die Rüstungskontroll-, Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik.

Ein Verzicht auf die technische Mitwirkung im Rahmen der nuklearen Teilhabe sollte im Bündnis behandelt und als neues Element in die Rüstungskontrollverhandlungen mit der Russischen Förderation eingebracht werden. Dies würde nicht nur diesen Verhandlungen einen Impuls geben, sondern auch die bislang eher marginale Rolle der bisherigen Träger der technischen nuklearen Teilhabe im Rahmen dieser Verhandlungen stärken. Allein die Option, bei der weiteren Beseitigung der Kernwaffen-Kulisse des Kalten Krieges zum verstärkten Abbau nuklearer Gefechtsköpfe beitragen zu können, sollte nicht zuletzt für die Europäer einen großen politischen Anreiz bilden. Unterstützung durch wirtschaftliche und technische Delaborierungshilfe wäre eine Zukunftsinvestition in die Sicherheit und im wohlverstandenen Eigeninteresse der europäischen NATO-Staaten.

Ein Verzicht der nicht-nuklearen Staaten auf technische Beteiligung an nuklearer Teilhabe würde die nukleare Rüstungskontrolle auf der horizontalen Ebene zwischen den USA und Rußland voranbringen und die vertikale Rüstungskontrolle im Rahmen des NVV mit größerer Glaubwürdigkeit neu justieren. Vor allem aber würde dies der NATO erlauben, praktische und kostengünstige Schritte für ihre erklärten politischen Ziele, Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung, einzuleiten.

 

 

Otfried Nassauer ist Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS). Markus Nitschke ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BITS tätig. Diese Policy-Note entstand unter Mithilfe von Magnus Kutz und Antje Wunderlich. Heinrich Buch sei für konstruktive Anregungen und Kritik gedankt.

 

Endnoten 

1  NATO, Kommuniqué der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer der Nordatlantischen Allianz, Washington, 24. April 1999, S. 12.

2Auf der diesjährigen Überprüfungskonferenz haben die fünf offiziellen Kernwaffenstaaten eine gemeinsame Erklärung vorgelegt, in der sie sich zur Abschaffung ihrer Atomwaffen verpflichten, ohne aber einen Zeitraum zu nennen. Im Schlußdokument bekunden sie "unmißverständlich" (unequivocal) die Absicht, "ihre nuklearen Arsenale vollständig zu eliminieren und damit die nukleare Abrüstung herbeizuführen". Vgl. 2000 Review Conference of the Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, Final Document, New York, 24. Mai 2000, S. 17.

3Questions for the Record Submitted by Senator Harkin to Secretary of State Albright, Senate Appropriations Committee, Washington, 21. Oktober 1997; siehe auch: Questions for the Record Submitted by Senator Harkin to Secretary of Defense Cohen, Senate Appropriations Committee, Washington, 21. Oktober 1997.

4Es kann dagegen nicht ausgeschlossen werden, daß manche Politiker und Militärs in jenen nicht-nuklearen Staaten, die die Fähigkeit zum Nuklearwaffeneinsatz besitzen, eine solche Option aus prinzipiellen Gründen kategorisch ausschließen. Sie werden übergeordnete politische und Statusgründe geltend machen.

5 Die Kosten der Aufrechterhaltung der Fähigkeit zum Nuklearwaffeneinsatz durch nicht-nukleare Staaten dürfen nicht gering werden. Dazu gehören (von den USA getragen) Lohn- und Arbeitsplatzkosten für Hunderte amerikanischer Soldaten in den Munition Special Support Squadrons in Europa, Kosten für spezifische Kommunikationssysteme und für Nukleare Sicherheitsinspektionen. Die europäischen Staaten tragen die Kosten für zusätzliche Wachsoldaten, die Kosten für Nuklearwaffenspezifische Aus- und Weiterbildung, ,sowie Kosten für das Pilotentraining. Der Einsparungseffekt wäre für beide Seiten erheblich..

6Ein einfaches, effizientes und kostengünstiges Verifikationssystem für die Delaborierung könnte vorsehen, daß vor Einfahrt in die Delaborierungsanlage geprüft wird, daß der Sprengkopfkontainer einen Sprengkopf enthält. Das Werk verlassende Pitkontainer werden ebenso einfach darauf überprüft werden, daß sie die nukleare(n) Komponenten eines Sprengkopfs enthalten (Pits). Spionageverdächtige Einblicke in die Sprengkopftechnologie können unterbleiben.

7Zur Argumentation der blockfreien Staaten und ihrer Kritik an technischer nuklearer Teilhabe siehe ausführlicher: Martin Butcher, Otfried Nassauer et.al., Questions of Command and Control – NATO, Nuclear Sharing and the NPT, PENN Research Report 2000.1, Berlin/London/Washington, März 2000, S. 12-17.

8 Rebecca Johnson, NPT-Briefing Nr. 13, 15. Mai 2000.

9 Statement of Ambassador Zahran before the Third Session of the PrepCom for the 2000 NPT Review Conference, New York, 12. Mai 1999.

10 Die amerikanische Interpretation des NVV und seiner vermeintlichen Übereinstimmung mit der technischen nuklearen Teilhabe wurde den europäischen Alliierten rechtzeitig im Vorfeld der Vertragsverhandlungen mitgeteilt. Den übrigen Vertragspartnern wurden diese Informationen jedoch erst acht Tage nach der Erstunterzeichnung des NVV im Juli 1968 zugänglich gemacht. Zur Analyse der Vereinbarkeit von NVV und technischer nuklearer Teilhabe siehe: Martin Butcher, Otfried Nassauer et.al, NATO Nuclear Sharing and the NPT – Questions to be Answered, PENN Research Note 97.1, Brüssel/Berlin u.a., Juni 1997, S. 6f.

11 Das Votum wird damit begründet, dass ein Nuklearwaffeneinsatz zwangsläufig mit dem Völkerrecht in Konflikt kommen muß, weil humanitäre Grundprinzipien wie die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung, Vermeidung unnötiger Grausamkeiten und der Schutz unbeteiligter Staaten bei einem Nuklearwaffeneinsatz nicht eingehalten werden können. Zum Votum des IGH siehe IALANA (Hrsg.): Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof. Münster: LIT, 1997.

 


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