Streitkräfte und Strategien - NDR info
30 . Oktober 2004


Restriktiver Rüstungsexport - Nur noch Makulatur?

von Otfried Nassauer


Drei Jahre hörte man fast nichts. Dann aber kamen die Nachrichten Schlag auf Schlag: Deutschland will dem Irak gepanzerte Mannschaftstransporter vom Typ Fuchs liefern. Die Bundesregierung signalisiert die Bereitschaft, Israel zwei neue U-Boote zu verkaufen und drei bereits gelieferte zu modernisieren. Verteidigungsminister Struck möchte Hunderte von gebrauchten Leopard-Panzern an die Türkei und an Griechenland verkaufen. Tunesien soll gebrauchte Schnellboote von der Bundeswehr erhalten. Die Europäische Union hebt das Waffenembargo gegen Libyen auf und der Bundeskanzler persönlich macht sich für deutsche U-Boot-Lieferungen nach Indien und die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen die Volksrepublik China stark, denn Rüstungsexporte in das Reich der Mitte sind bislang untersagt.

Läutet Rot-Grün also das Ende der Zurückhaltung beim Rüstungsexport ein? Werden die Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung zur Makulatur, weil in der Genehmigungspraxis Kriterien wie Menschenrechte, Gewaltprävention und Nachhaltige Entwicklung den wirtschaftlichen und industriepolitischen Interessen geopfert werden? Man muss fast diesen Eindruck haben. Denn selbst Politiker von Bündnis 90/Die Grünen hatten an der neuen Exportoffensive kaum etwas auszusetzen. Niemand warf die Frage auf, ob die Menschenrechtslage in der Türkei sich so unumkehrbar verbessert habe, dass eine Panzerlieferung zu verantworten wäre. Niemand fragte, ob nicht ein wichtiges Druckmittel aus der Hand gegeben würde, um positive Entwicklungen in der Türkei dauerhaft abzusichern. Niemand fragte, ob U-Boot-Lieferungen an Israel angesichts der gespannten Lage im Nahen oder Mittleren Osten wirklich zu verantworten sind. Niemand äußerte Bedenken angesichts von Meldungen, dass Israel seine aus Deutschland gelieferten U-Boote zu Trägersystemen für die eignen Nuklearwaffen umbaut.

Zwei Gründe für verstärkte deutsche Rüstungsexporte sind deutlich erkennbar: Erstens: Die Bundeswehr wird verkleinert. Sie hat viele Waffensysteme, die sie künftig nicht mehr benötigt. Sie braucht aber Geld. Und zweitens: Rüstungsexporte werden verstärkt als industriepolitisches Instrument wiederentdeckt und eingesetzt.

Stichwort Verkleinerung der Bundeswehr: Not macht erfinderisch. An dieses Sprichwort haben sich wohl Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums erinnert, als sie einen Blick auf ihre leeren Kassen warfen und einen zweiten auf die Panzerbestände der Bundeswehr. Das eindeutige Ergebnis: Zu wenig Geld, zu viele Panzer. Jetzt versucht man mit Macht, Hunderte von schweren Leopard-Panzern loszuschlagen. Noch besitzt die Bundeswehr nach offiziellen Angaben 2.124 schwere Kampfpanzer - 1.552 sind vom Typ Leopard-2, der Rest sind ältere Leopard 1. Künftig sollen es zunächst nur noch 850 Leopard-2 sein, später vielleicht noch weniger. Mehrere hundert Kampfpanzer sind damit überflüssig. Deren Einlagerung oder Verschrottung würde Geld kosten. Sie zu verkaufen bringt dagegen frisches Geld, mit dem die Bundeswehr modernisiert werden kann. So haben es Verteidigungsminister Struck und sein Kollege, Finanzminister Hans Eichel, vereinbart. Die Bundeshaushaltsordnung begünstigt die Exportbemühungen der Bundeswehr. Sie schreibt vor, dass der Bund sein überschüssiges Eigentum so geldbringend wie möglich losschlagen muss. Das gilt auch für Waffen. Sie zu verkaufen oder zu verschenken ist oft günstiger als sie zu verschrotten.

Für Kampfpanzer interessiert sich Griechenland. Es will bis zu 183 Leopard 2A4 Panzer, 150 Panzer vom Typ Leopard 1A5, 20 Bergepanzer und 10 Brückenlegepanzer vom Typ Biber übernehmen. Das berichtete jüngst das britische Fachblatt Jane's Defense Weekly. Bereits bestellt haben die griechischen Streitkräfte 170 fabrikneue Leopard 2A6 Panzer sowie 12 Bergepanzer Büffel und 8 Brückenlegepanzer, die bis 2009 zulaufen sollen. Diese werden teils in Deutschland teils in Griechenland montiert. Mehrere Hundert Leopard-2-Panzer werden darüber hinaus der Türkei offeriert. Bis zu 350 könne sie sofort haben, weitere später, signalisiert die Bundeswehr. Aber auch die Türkei spielt mit dem Gedanken, Panzer im eigenen Land zu bauen und dabei wesentliche Komponenten aus Deutschland zu beziehen. Sie versucht, ein vor Jahren mangels Geld aufgegebenes Programm zur Beschaffung von rund 1.000 modernen Kampfpanzern wiederzubeleben.

Und da sind wir auch schon beim Stichwort Industriepolitik: Bundeskanzler Schröder plant offensichtlich in deutsch-französischer Zusammenarbeit neue rüstungswirtschaftliche Initiativen in der Europäischen Union. Der Kanzler diese Woche im HANDELSBLATT wörtlich: "Wir sollten unsere Bemühungen intensivieren, Rüstungsgüter zu standardisieren, ihren innergemeinschaftlichen Handel zu erleichtern, sie den EU-Wettbewerbsvorschriften zu unterziehen, ihre Beschaffung zu optimieren, Forschungsaktivitäten zu koordinieren und eine gemeinsame Exportkontrolle vorzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Rüstungsmarkt zu schaffen."

Sowohl die Heeres- als auch die Marineindustrie aber sollen offensichtlich für die kommende Europäisierung der wehrtechnischen Industrie und ihrer Märkte erst fit gemacht werden. Dies beginnt mit Schritten zur Integration auf nationaler Ebene. Rüstungsexporte können dabei als Alternative zu neuen Beschaffungen der Bundeswehr industriepolitisch genutzt werden - als Anreiz zur Integration und zur Stärkung der nationalen Unternehmen vor der europäischen Integration. Rüstungsunternehmen aber sind keine Wohltätigkeitsvereine. Sie lassen es sich bezahlen, wenn sie etwas tun. Fusionen auf nationaler und internationaler Ebene sind wirtschaftliche Tätigkeiten. Sie sollen bezahlt werden - so die Auffassung der Industrie. Gegebenenfalls also durch Rüstungsaufträge oder auch Rüstungsexporte. An diese Logik scheint sich vor allem die SPD jetzt verstärkt zu erinnern.

Am deutschen Werftenverbund wird bereits eifrig gebastelt. Thyssen-Nordseewerke, Blohm & Voss und HDW sollen unter einem Dach zusammengefasst werden. Dafür kauft Thyssen dem amerikanischen Finanzinvestor OEP 75 Prozent der HDW-Anteile ab. Für den Rest interessiert sich unter anderem der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern EADS. Nach der Konsolidierung in Deutschland aber soll der europäische Werftenverbund folgen - zum Beispiel mit der in Frankreich entstehenden Gruppierung um die noch staatlichen Werften der DCN und den Elektronikkonzern Thales. Dann wird es darum gehen, wer künftig in Europa das Sagen haben wird. Entscheidend wird also sein, wie die nationalen Anteile, die europäisch integriert werden sollen, zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Integration aufgestellt sind. Zuvor werden sie also gestärkt. Die Bundeswehr überlegt, vier Fregatten vom Typ F125 vorzeitig in Auftrag zu geben. Die Bundespolitik bemüht sich intensiv um neue U-Boot-Aufträge - z.B. in Israel und Indien.

Ganz ähnlich ist die Lage bei der Heeresindustrie: Zunächst sollen die deutschen Panzerhersteller Krauss-Maffay-Wegmann und Rheinmetall-Detec enger zusammenrücken. Denn später steht die Auseinandersetzung um die Führung in Europa an - die britische Firma Alvis und der mit einer staatlichen Milliardenspritze sanierte französische Panzerhersteller GIAT lauern als Konkurrenten. Auch hier sollen nationale Beschaffungsvorhaben wie der rasche Einstieg in den Schützenpanzer Puma und Exportverträge einander ergänzen. Bei der Lieferung deutscher "Überschuss"-Panzer an Griechenland und die Türkei darf die Industrie hoffen, dass diese Panzer zunächst modernisiert werden. Im Fall der Türkei hegt die Industrie sogar wieder Hoffnungen auf ein lukratives Nachfolgegeschäft: Vielleicht - so wird spekuliert - öffnen billige gebrauchte Panzer ja auch den Weg für den späteren Verkauf neuer Panzer oder zumindest wichtiger Komponenten, die die Türkei benötigt, wenn sie beginnen sollte, selbst Panzer zu fertigen.

Der neue Vorrang der Industriepolitik erklärt aber vielleicht auch ein weiteres Phänomen: Weltweit gehen die Rüstungsexporte zurück. Der Trend in Deutschland verläuft genau umgekehrt. 2003 hat die Bundesrepublik bereits ohne jedes öffentliche Aufsehen wieder deutlich mehr genehmigungspflichtige Rüstungsgüter exportiert als im Vorjahr.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS