Das neue sicherheitspolitische Interesse an Afrika - Europa und Amerika
als Konkurrenten statt als Partner?
Otfried Nassauer
Erinnern wir uns: Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen
Amt, deutete Ende Dezember 2003 in der BERLINER ZEITUNG die Möglichkeit eines
Bundeswehreinsatzes im Sudan an. Sie erntete einen Sturm der Entrüstung. Kaum Beachtung
fand dagegen der Oberbefehlshaber der NATO, US-General James Jones, als er
ebenfalls im vergangenen Jahr deutlich machte, dass die Terrorismusbekämpfung in
Afrika immer wichtiger für das Bündnis werde. Genauso wenig Beachtung fand seine
Bemerkung, die NATO solle sich in Afrika kleine Stützpunkte, sogenannte "lilly
pads" zulegen, von denen aus schneller interveniert werden könnte.
Afrika gerät immer deutlicher in den Blick der Sicherheits- und
Militärpolitik. Nicht nur das Horn von Afrika, das schon länger als Gegenküste des
Mittleren Ostens und der Arabischen Halbinsel Beachtung findet, sondern der ganze
Kontinent.
Für dieses neue militärische Interesse des Westens an Afrika gibt es
mehrere Gründe Gründe, die miteinander verbunden sind:
Erstens bedrohen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung
und die Selbstbereicherung so mancher afrikanischen Regierung die Aufrechterhaltung der
staatlichen Ordnung in vielen afrikanischen Staaten. Staatszerfall, die Privatisierung des
staatlichen Gewaltmonopols und immer wieder blutigste lokale und regionale Kriege gehören
zu den Konsequenzen. Die Forderung nach verbesserten militärischen
Krisenmanagement-Strukturen und Interventionsfähigkeiten für Afrika wird unter anderem
damit begründet, größere Migrationsströme zu verhindern, humanitäre Katastrophen
abzuwenden und gegen den Terrorismus präventiv vorgehen zu können.
Zweitens sehen vor allem die USA in großen Teilen Afrikas die
Gefahr, dass islamistische Terroristen in von den Regierungen nicht kontrollierten
Gebieten Fuß fassen und sich dort dauerhaft festsetzen könnten. Schon bald nach den
Terroranschlägen vom 11. September begann Washington, verstärkt über den
Anti-Terrorkrieg in Afrika nachzudenken. Gefahren-Schwerpunkte sieht man am Horn von
Afrika, in einigen islamischen Staaten Nordafrikas, in Ostafrika, den unwirtlichen
Gebieten am südlichen Rand der Sahara, der Sahelzone und überall dort, wo viele Moslems
leben.
Drittens gewinnt Afrika angesichts der Destabilisierung des Nahen und
Mittleren Ostens als Rohstoff- und vor allem Energielieferant erheblich an Bedeutung.
Massive Begehrlichkeiten wecken substantielle Ölvorkommen im Golf von Guinea, im Süden
des Sudans und vor der nordwestafrikanischen Küste. Nach Einschätzung der
US-Geheim-dienste wird der Anteil des Öls, das Amerika aus Afrika einführt, von heute 15
Prozent bis 2015 auf 25 Prozent ansteigen ein Anteil, der höher ist als der, den
die USA heute aus der Golfregion beziehen. Da diese Ressourcen aus potentiell instabilen
Staaten wie Nigeria oder Angola kommen, sei eine präventive militärische Absicherung der
Ressourcen und der Investitionen für deren Ausbeutung geboten. Allein Chevron-Texaco will
in den kommenden fünf Jahren 20 Mrd. US-Dollar in Afrika investieren. Und wie schon in
der Golfregion hofft man, auf diese Weise auch eine Absicherung des Rückflusses
möglichst vieler Petrodollars zu erreichen.
Doch es ist nicht bei bloßen sicherheitspolitischen Forderungen für
Afrika geblieben. In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl von Initiativen ergriffen,
die die militärischen Handlungsmöglichkeiten des Westens in Afrika verbessern sollen.
Sie erfolgten vor dem Hintergrund der eben angeführten Interessenlage.
Angestrebt wird beispielsweise eine verbesserte Fähigkeit zum
militärischen Krisenmanagement und zur Stabilisierung afrikanischer Staaten. Dazu gehört
ein bis 2010 reichender Aktionsplan der G-8- Staaten zur Förderung afrikanischer
Fähigkeiten zur Konfliktbewältigung und Krisenintervention. Dieser wird in
Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union und regionalen Organisationen umgesetzt. Er
soll die Staaten Afrikas besser befähigen, humanitäre Hilfe zu leisten, regionale
Konfliktfrühwarnsysteme aufzubauen sowie regionale Ausbildungszentren für
Friedensmissionen schaffen und Ausbildungsmanöver und Friedenseinsätze unterstützen.
Hilfe zur Selbsthilfe beim Krisenmanagement. So hat die Bundesrepublik den Aufbau des
"Kofi Annan Zentrums für Internationale Ausbildung für Friedensmissionen" in
Ghana übernommen. Die USA kündigten während des G-8-Gipfels auf Sea Island an, dass sie
mit einer "Global Peace Operations Initiative" in den kommenden fünf Jahren
Soldaten, vorrangig aus afrikanischen Staaten, für Friedensmissionen ausbilden wollen.
660 Millionen Dollar sollen bereit gestellt werden, 100 Millionen bereits 2005. Auch
Staaten außerhalb der G-8 wollen sich beteiligen. China beispielsweise hat 300 Millionen
US-Dollar zugesagt.
Zugleich wird die Terrorismusbekämpfung in Afrika vorrangig von den
USA vorangetrieben. Mittels der "Pan-Sahel-Initiative" bemüht sich Washington
seit 2003 um eine verbesserte Zusammenarbeit mit den Staaten des Maghreb und der
Sahelzone. Das 125 Millionen Dollar-Programm soll in den nächsten fünf Jahren die
Fähigkeit in der Region zur Terrorbekämpfung durch Ausbildungsprogramme für
Spezialkräfte, verbesserten Informationsaustausch und modernere Technik stärken. Mit der
East African Counter-Terrorism-Initiative besteht ein ähnliches Projekt für Kenia und
Tansania. Die ostafrikanischen Länder erhalten zudem Hilfe aus dem
Anti-Terror-Hilfsprogramm ATA und dem Terroristen-Abfang-Programm TIP. Auf bilateraler
Basis bemühen sich die USA um bessere Interventionsmöglichkeiten. Schon heute nutzen sie
Truppenübungsplätze in Tunesien. Sie bemühen sich um Zugang zu Stützpunkten in
Marokko, Mauretanien oder Gabun. Immer wieder betonen zudem hohe US-Offiziere in der NATO,
dass sie in der Terrorismusbekämpfung in Afrika eine wesentliche Zukunftsaufgabe
insbesondere der neuen NATO-Response Force sehen.
Manche amerikanische Planung hat ihren Ursprung aber auch schon in
der wachsenden Bedeutung der afrikanischen Energie-Ressourcen. Noch in diesem Jahr soll
erstmals ein US-Flugzeugträgerverband im Golf von Guinea kreuzen. Und wieder war es James
Jones, der NATO-Oberbefehlshaber, der den Gedanken gleich weiterführte Zitat:
"Ich möchte fast wetten, dass die Flugzeugträgergruppen und Gefechtsgruppen für
Interventionsoperationen der Zukunft nicht mehr sechs Monate im Mittelmeer eingesetzt
werden, sondern die Hälfte der Zeit vor der Westküste Afrikas verbringen werden."
Manche Vorhaben gehen noch weiter: So wird unter anderem diskutiert, ob der See- und der
Flughafen des kleinen ölreichen Inselstaates Sao Tomé und Principe so ausgebaut werden
können, dass die US-Streitkräfte dort einen vorgeschobenen Militär-Stützpunkt für
Interventionen aufbauen können, eine Forward Operations Location.
Auch wenn die Beteiligten es weit von sich weisen werden: Spätestens
mit der kurzen Friedensmission der EU im Kongo 2003 hat eine verdeckte Konkurrenz
eingesetzt, wer die Zuständigkeit für Interventionen in Afrika haben sollte: Die NATO
oder die EU. Washington sieht in Zukunft den Schwerpunkt bei der Terrorbekämpfung - mit
Hilfe der NATO und ihrer NATO-Response Force. Die EU stellt parallel sogenannte
"European Battlegroups" auf. Deren Aufgabe in Afrika soll es vorrangig sein, bei
akuten Krisen die gefährliche Anfangsphase einer Intervention zu übernehmen bis
Friedenstruppen der UNO oder Afrikas als Ersatz bereitstehen.
Und auch die Bundeswehr ist offenbar nicht ganz so weit von neuen
Afrika-Einsätzen entfernt, wie dies auf den ersten Blick scheint. Zumindest übt sie
bereits: Im Juli probten 80 Kommandeure und Stabsoffiziere die logistische Unterstützung
eines Einsatzes der NATO-Response-Force auf der fiktiven Insel "Merango" vor der
Westküste Afrikas. Im selben Monat bereitete sich das Deutsch-Niederländische Korps auf
eine große Übung in Afrika vor. Doch der Plan der NATO, bereits 2005 in Nordafrika mit
einem Manöver Präsenz zu zeigen, ist mittlerweile wieder in der Schublade verschwunden.
Aufgeschoben heißt aber nicht unbedingt aufgehoben.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
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