Streitkräfte und Strategien - NDR info
21. August 2004


Das neue sicherheitspolitische Interesse an Afrika - Europa und Amerika als Konkurrenten statt als Partner?

Otfried Nassauer

Erinnern wir uns: Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, deutete Ende Dezember 2003 in der BERLINER ZEITUNG die Möglichkeit eines Bundeswehreinsatzes im Sudan an. Sie erntete einen Sturm der Entrüstung. Kaum Beachtung fand dagegen der Oberbefehlshaber der NATO, US-General James Jones, als er – ebenfalls im vergangenen Jahr – deutlich machte, dass die Terrorismusbekämpfung in Afrika immer wichtiger für das Bündnis werde. Genauso wenig Beachtung fand seine Bemerkung, die NATO solle sich in Afrika kleine Stützpunkte, sogenannte "lilly pads" zulegen, von denen aus schneller interveniert werden könnte.

Afrika gerät immer deutlicher in den Blick der Sicherheits- und Militärpolitik. Nicht nur das Horn von Afrika, das schon länger als Gegenküste des Mittleren Ostens und der Arabischen Halbinsel Beachtung findet, sondern der ganze Kontinent.

Für dieses neue militärische Interesse des Westens an Afrika gibt es mehrere Gründe – Gründe, die miteinander verbunden sind:

  • Erstens bedrohen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung und die Selbstbereicherung so mancher afrikanischen Regierung die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung in vielen afrikanischen Staaten. Staatszerfall, die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols und immer wieder blutigste lokale und regionale Kriege gehören zu den Konsequenzen. Die Forderung nach verbesserten militärischen Krisenmanagement-Strukturen und Interventionsfähigkeiten für Afrika wird unter anderem damit begründet, größere Migrationsströme zu verhindern, humanitäre Katastrophen abzuwenden und gegen den Terrorismus präventiv vorgehen zu können.

  • Zweitens sehen vor allem die USA in großen Teilen Afrikas die Gefahr, dass islamistische Terroristen in von den Regierungen nicht kontrollierten Gebieten Fuß fassen und sich dort dauerhaft festsetzen könnten. Schon bald nach den Terroranschlägen vom 11. September begann Washington, verstärkt über den Anti-Terrorkrieg in Afrika nachzudenken. Gefahren-Schwerpunkte sieht man am Horn von Afrika, in einigen islamischen Staaten Nordafrikas, in Ostafrika, den unwirtlichen Gebieten am südlichen Rand der Sahara, der Sahelzone und überall dort, wo viele Moslems leben.

  • Drittens gewinnt Afrika angesichts der Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens als Rohstoff- und vor allem Energielieferant erheblich an Bedeutung. Massive Begehrlichkeiten wecken substantielle Ölvorkommen im Golf von Guinea, im Süden des Sudans und vor der nordwestafrikanischen Küste. Nach Einschätzung der US-Geheim-dienste wird der Anteil des Öls, das Amerika aus Afrika einführt, von heute 15 Prozent bis 2015 auf 25 Prozent ansteigen – ein Anteil, der höher ist als der, den die USA heute aus der Golfregion beziehen. Da diese Ressourcen aus potentiell instabilen Staaten wie Nigeria oder Angola kommen, sei eine präventive militärische Absicherung der Ressourcen und der Investitionen für deren Ausbeutung geboten. Allein Chevron-Texaco will in den kommenden fünf Jahren 20 Mrd. US-Dollar in Afrika investieren. Und wie schon in der Golfregion hofft man, auf diese Weise auch eine Absicherung des Rückflusses möglichst vieler Petrodollars zu erreichen.

Doch es ist nicht bei bloßen sicherheitspolitischen Forderungen für Afrika geblieben. In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl von Initiativen ergriffen, die die militärischen Handlungsmöglichkeiten des Westens in Afrika verbessern sollen. Sie erfolgten vor dem Hintergrund der eben angeführten Interessenlage.

  • Angestrebt wird beispielsweise eine verbesserte Fähigkeit zum militärischen Krisenmanagement und zur Stabilisierung afrikanischer Staaten. Dazu gehört ein bis 2010 reichender Aktionsplan der G-8- Staaten zur Förderung afrikanischer Fähigkeiten zur Konfliktbewältigung und Krisenintervention. Dieser wird in Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union und regionalen Organisationen umgesetzt. Er soll die Staaten Afrikas besser befähigen, humanitäre Hilfe zu leisten, regionale Konfliktfrühwarnsysteme aufzubauen sowie regionale Ausbildungszentren für Friedensmissionen schaffen und Ausbildungsmanöver und Friedenseinsätze unterstützen. Hilfe zur Selbsthilfe beim Krisenmanagement. So hat die Bundesrepublik den Aufbau des "Kofi Annan Zentrums für Internationale Ausbildung für Friedensmissionen" in Ghana übernommen. Die USA kündigten während des G-8-Gipfels auf Sea Island an, dass sie mit einer "Global Peace Operations Initiative" in den kommenden fünf Jahren Soldaten, vorrangig aus afrikanischen Staaten, für Friedensmissionen ausbilden wollen. 660 Millionen Dollar sollen bereit gestellt werden, 100 Millionen bereits 2005. Auch Staaten außerhalb der G-8 wollen sich beteiligen. China beispielsweise hat 300 Millionen US-Dollar zugesagt.

  • Zugleich wird die Terrorismusbekämpfung in Afrika vorrangig von den USA vorangetrieben. Mittels der "Pan-Sahel-Initiative" bemüht sich Washington seit 2003 um eine verbesserte Zusammenarbeit mit den Staaten des Maghreb und der Sahelzone. Das 125 Millionen Dollar-Programm soll in den nächsten fünf Jahren die Fähigkeit in der Region zur Terrorbekämpfung durch Ausbildungsprogramme für Spezialkräfte, verbesserten Informationsaustausch und modernere Technik stärken. Mit der East African Counter-Terrorism-Initiative besteht ein ähnliches Projekt für Kenia und Tansania. Die ostafrikanischen Länder erhalten zudem Hilfe aus dem Anti-Terror-Hilfsprogramm ATA und dem Terroristen-Abfang-Programm TIP. Auf bilateraler Basis bemühen sich die USA um bessere Interventionsmöglichkeiten. Schon heute nutzen sie Truppenübungsplätze in Tunesien. Sie bemühen sich um Zugang zu Stützpunkten in Marokko, Mauretanien oder Gabun. Immer wieder betonen zudem hohe US-Offiziere in der NATO, dass sie in der Terrorismusbekämpfung in Afrika eine wesentliche Zukunftsaufgabe insbesondere der neuen NATO-Response Force sehen.

  • Manche amerikanische Planung hat ihren Ursprung aber auch schon in der wachsenden Bedeutung der afrikanischen Energie-Ressourcen. Noch in diesem Jahr soll erstmals ein US-Flugzeugträgerverband im Golf von Guinea kreuzen. Und wieder war es James Jones, der NATO-Oberbefehlshaber, der den Gedanken gleich weiterführte – Zitat: "Ich möchte fast wetten, dass die Flugzeugträgergruppen und Gefechtsgruppen für Interventionsoperationen der Zukunft nicht mehr sechs Monate im Mittelmeer eingesetzt werden, sondern die Hälfte der Zeit vor der Westküste Afrikas verbringen werden." Manche Vorhaben gehen noch weiter: So wird unter anderem diskutiert, ob der See- und der Flughafen des kleinen ölreichen Inselstaates Sao Tomé und Principe so ausgebaut werden können, dass die US-Streitkräfte dort einen vorgeschobenen Militär-Stützpunkt für Interventionen aufbauen können, eine Forward Operations Location.

Auch wenn die Beteiligten es weit von sich weisen werden: Spätestens mit der kurzen Friedensmission der EU im Kongo 2003 hat eine verdeckte Konkurrenz eingesetzt, wer die Zuständigkeit für Interventionen in Afrika haben sollte: Die NATO oder die EU. Washington sieht in Zukunft den Schwerpunkt bei der Terrorbekämpfung - mit Hilfe der NATO und ihrer NATO-Response Force. Die EU stellt parallel sogenannte "European Battlegroups" auf. Deren Aufgabe in Afrika soll es vorrangig sein, bei akuten Krisen die gefährliche Anfangsphase einer Intervention zu übernehmen bis Friedenstruppen der UNO oder Afrikas als Ersatz bereitstehen.

Und auch die Bundeswehr ist offenbar nicht ganz so weit von neuen Afrika-Einsätzen entfernt, wie dies auf den ersten Blick scheint. Zumindest übt sie bereits: Im Juli probten 80 Kommandeure und Stabsoffiziere die logistische Unterstützung eines Einsatzes der NATO-Response-Force auf der fiktiven Insel "Merango" vor der Westküste Afrikas. Im selben Monat bereitete sich das Deutsch-Niederländische Korps auf eine große Übung in Afrika vor. Doch der Plan der NATO, bereits 2005 in Nordafrika mit einem Manöver Präsenz zu zeigen, ist mittlerweile wieder in der Schublade verschwunden. Aufgeschoben heißt aber nicht unbedingt aufgehoben.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).