Streitkräfte und Strategien - NDR info
11. Januar 2003


Aktive Unterstützung der USA? - Israels Rolle bei einem möglichen Krieg gegen den Irak

Christopher Steinmetz

Premierminister Sharon hat bei seinem Besuch in Washington Mitte Oktober klar gestellt, dass Israel, anders als beim Golfkrieg 1991, diesmal aktiv auf irakische Angriffe reagieren werde. Außerdem hat die israelische Regierung den USA die Nutzung israelischer Militäreinrichtungen und den gemeinsamen Einsatz von Spezialeinheiten im Westirak angeboten.

Die US-Regierung ist dadurch in Zugzwang geraten, ohne wirklich abschätzen zu können, in welche Richtung sich Sharons Vorschläge bewegen: Geht es dem Regierungschef ausschließlich um die Demonstration von Handlungsfähigkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung oder darum, durch ein verstärktes israelisches Engagement zusätzliche politische und finanzielle Unterstützung von Washington zu erhalten?

Allerdings: Ganz unvorbereitet kann das israelische Angebot für die US-Regierung damals nicht gekommen sein. In den Monaten zuvor hatte die US-Regierung wiederholt Israels Rolle im Rahmen der Terrorismusbekämpfung gegenüber den arabischen Staaten aufgewertet. Die USA haben ihre Vermittlerrolle im israelisch-palästinensischen Konflikt aufgegeben und unterstützen deutlich die israelische Position.

Außerdem ist Sharons Offerte die logische Konsequenz der bisherigen Militär-Kooperation der beiden Länder. Regelmäßig finden gemeinsame Manöver statt. Geübt werden u.a. Luftverteidigung, Luftbetankung, Bombenabwürfe, die Anlandung amphibischer Einheiten oder gemeinsame Operationen von Spezialeinheiten.

Das israelische Angebot vom Oktober ist in zweierlei Hinsicht für die USA attraktiv: Erstens kann mit einer gemeinsamen Luftverteidigung ein – möglicherweise nuklearer - Vergeltungsschlag Israels aufgrund irakischer Angriffe mit Scud-Raketen verhindert werden. Ein Anliegen von höchster Priorität für die USA. Zweitens eröffnet die Nutzung der israelischer Militär-Anlagen den USA weitere Optionen für die Kriegsführung. Die USA könnten von Israel aus – via Jordanien, wo bereits mehrere tausend amerikanische Soldaten stationiert sein sollen - verstärkt Luftangriffe auf Stellungen im Westirak fliegen und Spezialeinheiten absetzen.

Entsprechend zeichnet sich eine Kooperation in drei Bereichen ab:

  • bei der Luftverteidigung Israels
  • bei der Nutzung der militärischen Infrastruktur für Luftangriffe
  • und beim Einsatz von Spezialeinheiten im Westirak

Im Rahmen der Luftverteidigung geht es vor allem um die Abwehr irakischer Scud-Raketen und möglicherweise auch von einfachen Sprühflugzeugen – bestückt mit biologischen und chemischen Kampfstoffen. Für die Abwehr von solchen unbemannten Flugzeugen reichen herkömmliche Luft-Luft Raketen, die den Abschuss der Flugzeuge schon über Jordanien erlauben.

Die Raketenabwehr ist das größere Problem: Mit amerikanischen Geldern und Know-how hat Israel das Raketenabwehrsystem Arrow-2 bzw. Chetz-2 entwickelt. Es gilt als derzeit modernstes und funktionsfähigstes System seiner Art. Allerdings konnte bislang erst eine Batterie, bestehend aus vier Werferfahrzeugen, in Dienst gestellt werden. Als Alternative stehen bei den landgestützten Systemen noch die Patriot-Flugabwehrsysteme mit PAC-2 Raketen zur Verfügung. Israel verfügt über vier Batterien, drei weitere wurden im September von USA dort stationiert.

Allerdings würde aufgrund der Erfahrungen mit dem Einsatz der Patriot-Systeme im Golfkrieg 1991 und der immer noch nicht beseitigten technischen Probleme das alleinige Vertrauen auf die Patriots einem "Va Banque" Spiel gleichen.

Im Fall einer Stationierung amerikanischer Einheiten in Israel, können diese auch auf sechs vorhandene amerikanischen Materialdepots in Israel zurückgreifen. In diesen Depots der sogenannten "War Reserve Stocks for Allies – Israel" soll Munition im Wert von 500 Millionen Dollar lagern. Hinzu kommen wenigstens ein mobiles Lazarett, Fahrzeuge, Ausrüstung für Spezialeinheiten und Ersatzteile für Flugzeuge.

Die Bereitstellung israelischer Militärflughäfen würde es den USA erlauben, verstärkt aus westlicher Richtung über Jordanien Angriffe gegen den Irak zu fliegen. Gleichzeitig wäre mit den vorhandenen Depots die Instandhaltung und Wartung der dort stationierten Kampfflugzeuge gewährleistet.

Außerdem verfügt die israelische Armee durch die Einsätze in den palästinensischen Autonomiegebieten über wichtige Erfahrung im Häuserkampf und der Nutzung von unbemannten, mobilen Aufklärungssystemen in diesem Umfeld. Israel hat den USA bereits Trainings-Stätten für den Häuserkampf zur Verfügung gestellt. Sie sollen eine große Ähnlichkeit mit den realen Bedingungen in arabischen Städten wie Bagdad haben.

Wesentlich brisanter ist das dritte Kooperationsszenario eines gemeinsamen Einsatzes im Westirak. Unter Nutzung israelischer Aufklärungsergebnisse und amerikanischer Satellitenbilder sollen noch vor Beginn der eigentlichen Militäraktion gegen Bagdad gemeinsame Operationen im Westirak durchgeführt werden. Ihr Ziel ist die Lokalisierung und Zerstörung potentieller irakischer Raketenstellungen. Seit Wochen soll bereits die israelische Spezialeinheit Sayeret Matkal im Westirak sein.

Auch wenn es hierzu bislang keine offizielle Stellungnahme der US-Regierung gibt. Aus Sicht der USA hätte eine solches Vorgehen durchaus Vorteile. Denn einen solcher Einsatz würde das Risiko eines – möglicherweise nuklearen - israelischen Vergeltungsschlages mindern.

Sharon hat sich mit seinem Angebot vor allem der amerikanischen Sorgen um den Einsatz israelischer Atomwaffen bedient. Dies könnte sich in zweifacher Hinsicht bezahlt machen:

Erstens bei den Neuwahlen im Frühjahr. Denn um sich gegen seinen parteiinternen Konkurrenten Netanjahu durchzusetzen, muss Sharon sich noch deutlicher als kompromissloser Verfechter israelischer Interessen präsentieren.

Zweitens hat die Offerte des Regierungschefs Auswirkungen auf die Israel-Politik der USA. Jerusalems Sicherheitsbedürfnisse dürften in Washington mehr Verständnis und Berücksichtigung finden. Sharons Überlegungen könnten darauf hinauslaufen, durch eine größere strategische Rolle Israels in den amerikanischen Einsatzplanungen den Handlungsspielraum gegenüber der Palästinensischen Autonomie- behörde zu erweitern - gerade mit Blick auf die künftigen Verhandlungen über einen Palästinenser-Staat.

Die gegenwärtige Fokussierung der USA auf die Terrorismusbekämpfung und den Irak wird sich für Israel auch in finanzieller Hinsicht bezahlt machen. Bislang erhielt Israel jährlich zwei Milliarden US-Dollar an Militärhilfe, von denen sogar ein Teil für eigene Rüstungsgüter ausgegeben werden durfte. Ende November hat sich Sharon nun an die US-Regierung gewandt und um weitere Militärhilfe im Wert von vier Milliarden US-Dollar gebeten sowie um zehn Milliarden US-Dollar Wirtschaftshilfe. Sharon führt als Begründung an, die finanziellen Belastungen durch den Kampf gegen die Intifada, den drohenden Krieg gegen den Irak sowie die allgemein schlechte Wirtschaftslage.

Man kann Sharon's Anfrage aber auch als ein erstes Preisetikett für das israelische Stillhalten im Irak-Krieg verstehen bzw. als Vorgeschmack auf weitere israelische Hilfe-Ersuchen, die auch an andere Bündnispartner der USA, wie z.B. auch Deutschland, gerichtet werden. Für Washington könnte dies allerdings ein durchaus vernünftiger Preis sein, vergleicht man ihn mit den erwarteten politischen Kosten und Konsequenzen im Falle eines nuklearen Vergeltungsschlages Israels.

Sharon legt zugleich den Finger in die eigentliche Wunde der US-Politik: Ohne ein politisches Gesamtkonzept für diese Region wird Washington zum Gefangenen der eigenen Ad-hoc-Politik. Versagt diese auch nur an einem Punkt, kann bereits ein Funke ausreichen, um die gesamte Region in Brand zu stecken.

 

   ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS..