Streitkräfte und Strategien - NDR info
09. April 2005


HERKULES und andere Privatisierungs-Projekte – Sackgasse für die Bundeswehr?

von Christopher Steinmetz

Die Unkenrufe hatten sich bereits im vergangenen Jahr bewahrheitet. HERKULES, das mit 6,65 Mrd. € teuerste Privatisierungsvorhaben der Bundeswehr zur Modernisierung der nicht-militärischen Informationstechnik, kam nicht aus den Startlöchern. Anfang Juli 2004 beendete das Verteidigungsministerium folgerichtig die Verhandlungen mit der Bietergemeinschaft ISIC 21. Beide Seiten konnten über neun Monate hinweg keine Einigung über das Preis-Leistungsverhältnis erreichen.

Auch heute ist Optimismus fehl am Platz. Mit Mühe und Not ist das Verteidigungsministerium gerade mal so weit wie vor einem Jahr. Zwar liegt nach sechsmonatiger Sondierung durch die damals zweitplatzierte Bietergemeinschaft TIS seit Ende März ein überarbeitetes Angebot vor. Aber mit der Telekom hat sich bereits eines der Unternehmen aus dieser Gruppe zurückgezogen. Nun firmiert die Bietergemeinschaft, bestehend aus Siemens und IBM, unter dem Kürzel SI.

Bis zur Sommerpause wird deren Angebot geprüft und gegebenenfalls nachverhandelt. Das erneute Feilschen um das Preis-Leistungsverhältnis beginnt also gerade erst. Gleichzeitig hat sich das Verteidigungsministerium mit dem eingeschlagenen Privatisierungskurs jeglicher Flexibilität beraubt. Verteidigungsminister Struck darf das geforderte Leistungspaket nur unwesentlich anpassen, da ansonsten die Bietergemeinschaft ISIC 21 eine Neuausschreibung einklagen wird.

Umso spannender ist die Frage, wie es den Verhandlungsparteien gelingen wird, die von TIS ursprünglich veranschlagten höheren Kosten für HERKULES bis zum Sommer wegzurechnen. Damals wurde das Angebot vor allem wegen des Kostenvoranschlags von der Bundeswehr auf Platz 2 gesetzt.

Ob das Vorhaben HERKULES tatsächlich im Herbst dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden kann, steht noch in den Sternen. Im Idealfall würde dann eine extra dafür gegründete IT-Gesellschaft Anfang 2006 ihre Arbeit aufnehmen – fast vier Jahre nach dem ursprünglich geplanten Termin.

Mit ihrem Festhalten an Rudolf Scharpings Privatisierungskonzept nimmt die Führung im Verteidigungsministerium in Kauf, dass notwendige Modernisierungsmaßnahmen weiterhin unterbleiben. Beeinträchtigt ist inzwischen auch die Zeitplanung für andere Teile der IT-Modernisierung der Bundeswehr, wie z.B. die geplante flächendeckende Einführung der SAP-Softwarearchitektur. Diese wurde bis zur Einführung von HERKULES auf Eis gelegt. Auch Vorhaben zur Modernisierung der einsatzbezogenen IT-Systeme werden beeinflusst. Letzten Endes müssen sie an das zivile IT-System anknüpfen, um die Führungsfähigkeit im Einsatz zu gewährleisten.

Ingesamt rächt sich die Gigantomanie der ministerialen Privatisierungsplaner. Denn die im Jahr 2001 verfügte Zusammenlegung von drei getrennten großen Modernisierungsvorhaben des IT-Sektors innerhalb der Bundeswehr überforderte aufgrund der Rahmenvorgaben sowohl das Verteidigungsministerium als auch die Industrie. Der Bundesrechnungshof appellierte wiederholt, bei Privatisierungen Maß zu halten. Gerade im IT-Bereich, so der Rechnungshof, sei bei Privatisierungsvorhaben der öffentlichen Hand in der Regel der Wurm drin.

Eine sinnvolle Alternative wäre die erneute Untergliederung von HERKULES in kleinere Teilvorhaben, die mit den herkömmlichen Instrumenten des Ministeriums und der Industrie beherrschbar wären. Schließlich hat die Bundeswehr unter dem Stichwort "optimierte Eigenlösung" auch während der laufenden Ausschreibung an eigenen effizienten Konzepten gearbeitet. Eine solche Entscheidung würde auch Signalwirkung für andere Privatisierungsprojekte haben. Denn HERKULES gilt als Musterbeispiel der derzeit vorherrschenden Privatisierungslehre: "Je größer, desto besser".

Diese Strategie wird seit vier Jahren mit schöner Regelmäßigkeit vom Bundesrechnungshof kritisiert. Die bereits angelaufenen Privatisierungsprojekte "Neues Bekleidungsmanagement" und "Neues Flottenmanagement" für Bundeswehrfahrzeuge haben weder die Kosten reduziert, noch die Leistungen verbessert oder dauerhafte Arbeitsplätze für die zivilen Angestellten der Bundeswehr geschaffen. In beiden Fällen wird mittlerweile sogar mit einem erheblichen Kostenanstieg gerechnet. Das Paradoxon dabei: Die bisherige Unfähigkeit der Industrie zu effizienter Bewirtschaftung wird aller Voraussicht nach mit der Übertragung weiterer Aufgaben belohnt, um über die Menge zur Rentabilität zu kommen. Von Lernbereitschaft zeugt das nicht.

Wichtiger noch als die Kostenfrage sind die Risiken, die durch diese Privatisierungsstrategie entstehen können. Langfristig droht eine Beeinträchtigung des Planungs- und Handlungsspielraums der Bundeswehr. Jüngstes Beispiel dafür ist die im Februar gegründete Heeresinstandsetzungslogistik GmbH - kurz HIL. An dieser halten die Rüstungsunternehmen Industriewerke Saar, Krauss-MaffeiWegmann und Rheinmetall DeTec die Mehrheit. Sie versprechen, für die nächsten acht Jahre die Verfügbarkeit militärischen Geräts in Deutschland um 20 Prozent zu erhöhen. Dafür werden ihnen kostenlos drei der fünf bundeswehreigenen Systeminstandsetzungszentren übertragen - inklusive des zivilen Personals. Die Übertragung der restlichen Zentren und einiger regionaler Instandsetzungsgruppen wird bereits diskutiert. Die notwendigen Ersatzteile werden vorläufig - soweit dort vorhanden - aus den Lagerbeständen der Bundeswehr zur Verfügung gestellt oder über die Bundeswehr beschafft. Auch hier wird bereits überlegt, der Heeresinstandsetzungslogistik GmbH auch die Zuständigkeit für die Beschaffung der Ersatzteile zu übertragen.

Die Auslagerung dieser Aufgaben der Bundeswehr in Privathand führt zu einer Einschränkung des Wettbewerbs und der Kostenkontrolle. Die Firmen für die Materialerhaltung sind die gleichen, die die Geräte bereits hergestellt haben und auch künftig produzieren werden. Sie übernehmen damit die gesamte Lebenswegbetreuung und können in jeder Phase mit Umsatz rechnen, vor allem wenn sie auch die Ersatzteilbeschaffung übernehmen. Dies wird den Wettbewerb einschränken und vor allem die Chancen kleinerer Zulieferbetriebe und ausländischer Anbieter verringern. Nicht ohne Grund betonte der Pressesprecher von Rheinmetall, Oliver Hoffmann, dies sei ein wichtiger Schritt zur Aufrechterhaltung privatwirtschaftlicher Instandhaltungskapazitäten. Er meint damit vor allem die Auslastung eigener Kapazitäten.

Ein zweites Problem - nicht nur in Bezug auf den Instandsetzungsbereich - ist der schleichende Verzicht der Bundeswehr auf eigene technische Expertise. Gut ausgebildete qualifizierte Techniker werden den Unternehmen kostenlos zur Verfügung gestellt. Bundeswehreigene Ausbildungs- und Wartungskapazitäten werden abgebaut. Der Bundeswehr droht somit die Gefahr, das notwendige Wissen und Know-how später teuer wieder einkaufen zu müssen.

Bisher hat die Bundeswehr keine Erfahrungen mit der Eigendynamik, die eine weitgehende Privatisierung großer Aufgabenbereiche entfalten kann. Der Blick über den Atlantischen Ozean kann vielleicht helfen. Heute sind Einsätze der US-Streitkräfte ohne einen riesigen Tross privater Dienstleister, u.a. zur Wartung militärischen Geräts, kaum noch denkbar. Die Erfahrungen der USA zeigen aber auch, wie groß die politischen und rechtlichen Risiken dieser Zusammenarbeit sein können. Der Bundeswehr kann deshalb nur geraten werden, bei allen gegebenen Privatisierungsvorhaben den Blick für deren langfristige Folgewirkungen nicht zu verschließen.


 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS und als freier Journalist tätig.