HERKULES und andere Privatisierungs-Projekte Sackgasse für die Bundeswehr?
von Christopher Steinmetz
Die Unkenrufe hatten sich bereits im vergangenen Jahr bewahrheitet.
HERKULES, das mit 6,65 Mrd. teuerste Privatisierungsvorhaben der Bundeswehr zur
Modernisierung der nicht-militärischen Informationstechnik, kam nicht aus den
Startlöchern. Anfang Juli 2004 beendete das Verteidigungsministerium folgerichtig die
Verhandlungen mit der Bietergemeinschaft ISIC 21. Beide Seiten konnten über neun Monate
hinweg keine Einigung über das Preis-Leistungsverhältnis erreichen.
Auch heute ist Optimismus fehl am Platz. Mit Mühe und Not ist das
Verteidigungsministerium gerade mal so weit wie vor einem Jahr. Zwar liegt nach
sechsmonatiger Sondierung durch die damals zweitplatzierte Bietergemeinschaft TIS seit
Ende März ein überarbeitetes Angebot vor. Aber mit der Telekom hat sich bereits eines
der Unternehmen aus dieser Gruppe zurückgezogen. Nun firmiert die Bietergemeinschaft,
bestehend aus Siemens und IBM, unter dem Kürzel SI.
Bis zur Sommerpause wird deren Angebot geprüft und gegebenenfalls
nachverhandelt. Das erneute Feilschen um das Preis-Leistungsverhältnis beginnt also
gerade erst. Gleichzeitig hat sich das Verteidigungsministerium mit dem eingeschlagenen
Privatisierungskurs jeglicher Flexibilität beraubt. Verteidigungsminister Struck darf das
geforderte Leistungspaket nur unwesentlich anpassen, da ansonsten die Bietergemeinschaft
ISIC 21 eine Neuausschreibung einklagen wird.
Umso spannender ist die Frage, wie es den Verhandlungsparteien gelingen
wird, die von TIS ursprünglich veranschlagten höheren Kosten für HERKULES bis zum
Sommer wegzurechnen. Damals wurde das Angebot vor allem wegen des Kostenvoranschlags von
der Bundeswehr auf Platz 2 gesetzt.
Ob das Vorhaben HERKULES tatsächlich im Herbst dem Bundestag zur
Abstimmung vorgelegt werden kann, steht noch in den Sternen. Im Idealfall würde dann eine
extra dafür gegründete IT-Gesellschaft Anfang 2006 ihre Arbeit aufnehmen fast
vier Jahre nach dem ursprünglich geplanten Termin.
Mit ihrem Festhalten an Rudolf Scharpings Privatisierungskonzept nimmt
die Führung im Verteidigungsministerium in Kauf, dass notwendige
Modernisierungsmaßnahmen weiterhin unterbleiben. Beeinträchtigt ist inzwischen auch die
Zeitplanung für andere Teile der IT-Modernisierung der Bundeswehr, wie z.B. die geplante
flächendeckende Einführung der SAP-Softwarearchitektur. Diese wurde bis zur Einführung
von HERKULES auf Eis gelegt. Auch Vorhaben zur Modernisierung der einsatzbezogenen
IT-Systeme werden beeinflusst. Letzten Endes müssen sie an das zivile IT-System
anknüpfen, um die Führungsfähigkeit im Einsatz zu gewährleisten.
Ingesamt rächt sich die Gigantomanie der ministerialen
Privatisierungsplaner. Denn die im Jahr 2001 verfügte Zusammenlegung von drei getrennten
großen Modernisierungsvorhaben des IT-Sektors innerhalb der Bundeswehr überforderte
aufgrund der Rahmenvorgaben sowohl das Verteidigungsministerium als auch die Industrie.
Der Bundesrechnungshof appellierte wiederholt, bei Privatisierungen Maß zu halten. Gerade
im IT-Bereich, so der Rechnungshof, sei bei Privatisierungsvorhaben der öffentlichen Hand
in der Regel der Wurm drin.
Eine sinnvolle Alternative wäre die erneute Untergliederung von
HERKULES in kleinere Teilvorhaben, die mit den herkömmlichen Instrumenten des
Ministeriums und der Industrie beherrschbar wären. Schließlich hat die Bundeswehr unter
dem Stichwort "optimierte Eigenlösung" auch während der laufenden
Ausschreibung an eigenen effizienten Konzepten gearbeitet. Eine solche Entscheidung würde
auch Signalwirkung für andere Privatisierungsprojekte haben. Denn HERKULES gilt
als Musterbeispiel der derzeit vorherrschenden Privatisierungslehre: "Je größer,
desto besser".
Diese Strategie wird seit vier Jahren mit schöner Regelmäßigkeit vom
Bundesrechnungshof kritisiert. Die bereits angelaufenen Privatisierungsprojekte
"Neues Bekleidungsmanagement" und "Neues Flottenmanagement" für
Bundeswehrfahrzeuge haben weder die Kosten reduziert, noch die Leistungen verbessert oder
dauerhafte Arbeitsplätze für die zivilen Angestellten der Bundeswehr geschaffen. In
beiden Fällen wird mittlerweile sogar mit einem erheblichen Kostenanstieg gerechnet. Das
Paradoxon dabei: Die bisherige Unfähigkeit der Industrie zu effizienter Bewirtschaftung
wird aller Voraussicht nach mit der Übertragung weiterer Aufgaben belohnt, um über die
Menge zur Rentabilität zu kommen. Von Lernbereitschaft zeugt das nicht.
Wichtiger noch als die Kostenfrage sind die Risiken, die durch diese
Privatisierungsstrategie entstehen können. Langfristig droht eine Beeinträchtigung des
Planungs- und Handlungsspielraums der Bundeswehr. Jüngstes Beispiel dafür ist die im
Februar gegründete Heeresinstandsetzungslogistik GmbH - kurz HIL. An dieser halten die
Rüstungsunternehmen Industriewerke Saar, Krauss-MaffeiWegmann und Rheinmetall DeTec die
Mehrheit. Sie versprechen, für die nächsten acht Jahre die Verfügbarkeit militärischen
Geräts in Deutschland um 20 Prozent zu erhöhen. Dafür werden ihnen kostenlos drei der
fünf bundeswehreigenen Systeminstandsetzungszentren übertragen - inklusive des zivilen
Personals. Die Übertragung der restlichen Zentren und einiger regionaler
Instandsetzungsgruppen wird bereits diskutiert. Die notwendigen Ersatzteile werden
vorläufig - soweit dort vorhanden - aus den Lagerbeständen der Bundeswehr zur Verfügung
gestellt oder über die Bundeswehr beschafft. Auch hier wird bereits überlegt, der
Heeresinstandsetzungslogistik GmbH auch die Zuständigkeit für die Beschaffung der
Ersatzteile zu übertragen.
Die Auslagerung dieser Aufgaben der Bundeswehr in Privathand führt zu
einer Einschränkung des Wettbewerbs und der Kostenkontrolle. Die Firmen für die
Materialerhaltung sind die gleichen, die die Geräte bereits hergestellt haben und auch
künftig produzieren werden. Sie übernehmen damit die gesamte Lebenswegbetreuung und
können in jeder Phase mit Umsatz rechnen, vor allem wenn sie auch die
Ersatzteilbeschaffung übernehmen. Dies wird den Wettbewerb einschränken und vor allem
die Chancen kleinerer Zulieferbetriebe und ausländischer Anbieter verringern. Nicht ohne
Grund betonte der Pressesprecher von Rheinmetall, Oliver Hoffmann, dies sei ein wichtiger
Schritt zur Aufrechterhaltung privatwirtschaftlicher Instandhaltungskapazitäten. Er meint
damit vor allem die Auslastung eigener Kapazitäten.
Ein zweites Problem - nicht nur in Bezug auf den Instandsetzungsbereich
- ist der schleichende Verzicht der Bundeswehr auf eigene technische Expertise. Gut
ausgebildete qualifizierte Techniker werden den Unternehmen kostenlos zur Verfügung
gestellt. Bundeswehreigene Ausbildungs- und Wartungskapazitäten werden abgebaut. Der
Bundeswehr droht somit die Gefahr, das notwendige Wissen und Know-how später teuer wieder
einkaufen zu müssen.
Bisher hat die Bundeswehr keine Erfahrungen mit der Eigendynamik, die eine weitgehende
Privatisierung großer Aufgabenbereiche entfalten kann. Der Blick über den Atlantischen
Ozean kann vielleicht helfen. Heute sind Einsätze der US-Streitkräfte ohne einen
riesigen Tross privater Dienstleister, u.a. zur Wartung militärischen Geräts, kaum noch
denkbar. Die Erfahrungen der USA zeigen aber auch, wie groß die politischen und
rechtlichen Risiken dieser Zusammenarbeit sein können. Der Bundeswehr kann deshalb nur
geraten werden, bei allen gegebenen Privatisierungsvorhaben den Blick für deren
langfristige Folgewirkungen nicht zu verschließen.
ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter bei BITS und als freier Journalist tätig.
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