Streitkräfte und Strategien - NDR info
08. Oktober 2005


Noch effektiver durch Nano-Technologie?
Die großen Erwartungen der Streitkräfte

von Susanne Härpfer

Professor Ignaz Eisele von der Universität der Bundeswehr München entwickelt neue Bauelemente für Hochfrequenzkommunikation. Seine Arbeit soll die Übertragungsgeschwindigkeit beschleunigen und die Packungsdichte erhöhen. Prof. Eisele, ein weiterer Professor, 35 Wissenschaftler sowie Diplomanden arbeiten mit Silicium im Nanotechnikbereich. Ihr Arbeitsplatz hat Weltklasseniveau. Sie haben vom Bundesverteidigungsministerium einen Reinraum der Güteklasse 1 bekommen. Das ist die höchste technisch erreichbare Reinheitsstufe und damit bundesweit in der Hochschullandschaft einmalig. Doch die Transistoren der übernächsten Generation sind nicht für die Bundeswehr. Die Forschungsergebnisse gehen nach Amerika. Die Bundeswehr-Uni arbeitet für das "Naval Research Laboratory" in der Nähe von Washington. Die Bundeswehr-Wissenschaftler entwickeln auch neue Isolatoren, Gassensoren und Röntgendetektoren auf Nano-Basis. Allerdings sind die für Infineon, Siemens oder die Motorola-Tochter Freescale. Das Bundesverteidigungsministerium glaubt, Nanotechnik sei zwar spannend, aber reine Zukunftsmusik.

Damit unterliegt das Ministerium einem weit verbreiteten Irrtum. Denn Nanotechnik hat längst in den Alltag Einzug gehalten: Wenn ein Soldat die Uniform aus- und einen Anzug anzieht, so ist der oft aus einem neuen Stoff oder mit Nano-Partikeln beschichtet. Schmutz bleibt nicht haften und auch bei langem Tragen muffelt´s nicht so schnell. Längst erhältlich in jedem deutschen Katalog. Kuchen zur Jubiläumsfeier wird in Formen mit Nanobeschichtung gebacken, damit nichts kleben bleibt. In der Freizeit Skifahren: eine Nanobeschichtung macht die Ski widerstandsfähiger und schneller. Auch die Creme gegen Sonnenbrand enthält bereits Nanopartikel. Doch die gibt es nicht im Bestand der Bundeswehr.

Prof. Jens Wulfsberg, Dekan an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, kennt dieses Problem auch. Es ist, als ob Forscher, die sich mit Nanotechnik beschäftigen, in den Augen des Verteidigungsministeriums eine Tarnkappe aufgesetzt hätten. "Wir haben den kleinsten Scheibenfräser der Welt ent- wickelt", berichtet der Professor für Maschinenbau und Fertigungstechnik stolz. Doch das Ministerium, das die Bundeswehruni und seine Wissenschaftler finanziert, nutzt auch diese Ergebnisse nicht. Die Forscher vermuten: Es könnte einerseits an mangelnder Fantasie in der Zentralverwaltung liegen. Andererseits an Kommunikationsfehlern der Tüftler, die nicht vermitteln können, wozu ihre Ergebnisse nützlich sind.

Dabei gelten deutsche Forscher im Bereich der Nanotechnik als weltweit führend. Deshalb arbeiten amerikanische Militärlabors gerne mit ihnen zusammen. Jeff Brinker entwickelt für das US-Atomforschungslabor Sandia Nanodetektoren für Kampfstoffe. Zusammengearbeitet hat er mit Helmut Schmidt, der bakterienabweisende Beschichtungen erfand. Denn was das Bad sauber hält, lässt auch Biokampfstoffe vom Schutzanzug abperlen. Nanotechnik ist eine klassische dual-use Technik, die also sowohl militärisch als auch zivil nutzbar ist. Zivile und militärische Anwendung sind im Bereich der Nanotechnik kaum unterscheidbar.

276 Millionen Dollar gibt das US-Verteidigungsministerium 2005 für Nanotechnologie aus. Dagegen mögen auf den ersten Blick die 112 Millionen Euro allein des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für Nanotechnik niedrig erscheinen. Doch die absoluten Zahlen sagen wenig aus, denn erst das Verhältnis der Größe der beiden Länder zur Höhe des Gesamtbudgets der Forschungseinrichtungen zeigt, wie hoch die Förderung der Nanotechnik in Deutschland wirklich ist. Dazu kommt noch die Unterstützung des Verteidigungsministeriums für die Universitäten der Bundeswehr und des Bundeswehrkrankenhauses in Berlin, das medizinische Nano-Forschung betreibt. Dort bekommen bereits die ersten Patienten nanotechnisch veränderte Eisenoxydteilchen gegen Gehirntumore gespritzt. Hinzu kommt die Arbeit der Fraunhofer-Institute, die zu etwa 40 Prozent vom Bund und den Ländern finanziert werden.

Vor zwei Jahren hat Dr. Matthias Grüne vom Institut für Naturwissenschaftlich-technische Trendanalysen der Fraunhofer Gesellschaft die wehrtechnische Bedeutung der Nanotechnologie vorgestellt: Nano erfasst alle Bereiche, führt Biologie, Medizin, Chemie, Werkstoffkunde und Elektronik zusammen. Damit können neue Spreng- und Festtreibstoffe entstehen, nanoskalige Wolframlegierungen für Wuchtgeschosse und Agenzien gegen B- und C-Waffen in Nanokapseln und Trägerpartikeln. Strukturwerkstoffe auf Nanobasis machen Panzer und Flugzeuge leichter, sind thermomechanisch belastbarer, und die Treibstofftanks lecken nicht so leicht. Multifunktionale Nano-Werkstoffe können sich selbst reparieren, sind schwerer entflammbar und haben besondere stealth-Eigenschaften. So wird die Armee der Zukunft quasi unsichtbar.

Detlef Müller-Wiesner vom Europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS hat ebenfalls 2003 bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin die wehrtechnische und sicherheitspolitische Bedeutung der Nanotechnik aufgezeigt. Das US-Militär hat in der "Joint Vision 2020" auch für den Bereich der Nanotechnik den Anspruch auf Dominanz angemeldet, auf Überlegenheit in jeder Situation, vom humanitären Einsatz bis zur Kriegsführung. So entwickelt das "Institute for Soldier Nanotechnology" in Massachusetts die Uniform der Zukunft. Die soll sich in eine schusshemmende Weste verwandeln, aber erst, wenn sie von einem Geschoss getroffen wurde. Wird der Soldat dennoch verletzt, soll die Uniform die Knochen des Verwundeten stabilisieren. Künstliche Muskeln sollen die Kräfte des Kämpfers vervielfachen. Doch das sind Visionen, anwendungsnäher sind hingegen leichtere Ausrüstung sowie Textilien, die besser Wasser und Bakterien abweisen.

Oliver Dahms, Sprecher des Bereichs Reform und Wirtschaft des Verteidigungsministeriums, teilt "Streitkräfte und Strategien" auf Anfrage mit, dass es bereits Erfahrungen mit Nanotechnik in folgenden Bereichen gebe: kratzfeste Beschichtungen von Flugzeugverglasungen, schmutzabweisende Beschichtungen, Korrosionsschutz, Antifoulingbeschichtungen bei Schiffen und Booten und neue Textilien. Doch spezifische militärische Anwendungen gebe es noch nicht.

Dies kann auch ein Vorteil sein, Zeit für Technikfolgeabschätzung und Risikoanalyse bieten. Denn die Nanotechnik birgt auch Gefahren. Im Nanobereich zeigen Materialien neue, physikalisch und chemisch bislang unbekannte Eigenschaften. So, wie es beim Fahren auf der Autobahn ausreicht, das Lenkrad um einige Zentimeter zu verziehen, um in den Leitplanken zu landen, so kann die kleinste Verunreinigung bereits zu drastischen Änderungen des Produkts führen.

Nanopartikel überwinden die Blut-Hirn-Schranke im menschlichen Körper. Doch wer sagt den Teilchen, ob sie als Medizin oder als Gift wirken? Wir führen heute eine Debatte über die Gefahr durch Feinstäube, doch Nanoteilchen sind um ein Vielfaches kleiner und dringen deshalb durch die Haut und in die Lungen.

Für Nano-Produkte gibt es keine Normen; und das, obwohl sie bereits in der industriellen Fertigung sind. Für die neuen Stoffe gelten weder TÜV-, noch DIN- oder ISO-Normen. Ohne verbindliche Standards keine einheitlichen Messverfahren, und ohne die gibt's keine Arbeitsschutzbestimmungen, keine Grenzwerte für die Bevölkerung, keinen Umweltschutz, keine Richtlinien zur Müllbeseitigung – und das bei Materialien, die teilweise als unzerstörbar gelten. Darauf hat die Frankfurter Rundschau 2001 als erste hingewiesen, es folgten zwei Jahre später auf Anregung von Prinz Charles die Royal Society, 2004 das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags und in diesem Jahr die Allianz Versicherung mit einer kritischen Studie. Auch das Komitee für Proliferation von Militärtechnik der Parlamentarischen Versammlung der Nato schreibt in einem Papier vom April dieses Jahres über die Folgen der Nanotechnik. Andy Oppenheimer von dem britischen Fachverlag Jane´s warnt seit zwei Jahren vor dem Missbrauch der Nanotechnik für die Entwicklung neuer Massenvernichtungswaffen. Denn so wie Molekül für Molekül neue Impfstoffe zusammengesetzt werden können, so können auch neue Bio- und Chemiewaffen entwickelt werden. Seuchen können miteinander kombiniert, eine Resistenz gegen bekannte Medikamente eingebaut werden. Und so käme der Bumerang zurück. Auch wenn er dann aus Nanomaterial ist, seine Wirkung bliebe und wäre wahrscheinlich umgekehrt proportional zur Größe umwerfend.


 

Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.