Noch effektiver durch Nano-Technologie?
Die großen Erwartungen der Streitkräfte
von Susanne Härpfer
Professor Ignaz Eisele von der Universität der Bundeswehr München
entwickelt neue Bauelemente für Hochfrequenzkommunikation. Seine Arbeit soll die
Übertragungsgeschwindigkeit beschleunigen und die Packungsdichte erhöhen. Prof. Eisele,
ein weiterer Professor, 35 Wissenschaftler sowie Diplomanden arbeiten mit Silicium im
Nanotechnikbereich. Ihr Arbeitsplatz hat Weltklasseniveau. Sie haben vom
Bundesverteidigungsministerium einen Reinraum der Güteklasse 1 bekommen. Das ist die
höchste technisch erreichbare Reinheitsstufe und damit bundesweit in der
Hochschullandschaft einmalig. Doch die Transistoren der übernächsten Generation sind
nicht für die Bundeswehr. Die Forschungsergebnisse gehen nach Amerika. Die Bundeswehr-Uni
arbeitet für das "Naval Research Laboratory" in der Nähe von Washington. Die
Bundeswehr-Wissenschaftler entwickeln auch neue Isolatoren, Gassensoren und
Röntgendetektoren auf Nano-Basis. Allerdings sind die für Infineon, Siemens oder die
Motorola-Tochter Freescale. Das Bundesverteidigungsministerium glaubt, Nanotechnik sei
zwar spannend, aber reine Zukunftsmusik.
Damit unterliegt das Ministerium einem weit verbreiteten Irrtum. Denn
Nanotechnik hat längst in den Alltag Einzug gehalten: Wenn ein Soldat die Uniform aus-
und einen Anzug anzieht, so ist der oft aus einem neuen Stoff oder mit Nano-Partikeln
beschichtet. Schmutz bleibt nicht haften und auch bei langem Tragen muffelt´s nicht so
schnell. Längst erhältlich in jedem deutschen Katalog. Kuchen zur Jubiläumsfeier wird
in Formen mit Nanobeschichtung gebacken, damit nichts kleben bleibt. In der Freizeit
Skifahren: eine Nanobeschichtung macht die Ski widerstandsfähiger und schneller. Auch die
Creme gegen Sonnenbrand enthält bereits Nanopartikel. Doch die gibt es nicht im Bestand
der Bundeswehr.
Prof. Jens Wulfsberg, Dekan an der Universität der Bundeswehr in
Hamburg, kennt dieses Problem auch. Es ist, als ob Forscher, die sich mit Nanotechnik
beschäftigen, in den Augen des Verteidigungsministeriums eine Tarnkappe aufgesetzt
hätten. "Wir haben den kleinsten Scheibenfräser der Welt ent- wickelt",
berichtet der Professor für Maschinenbau und Fertigungstechnik stolz. Doch das
Ministerium, das die Bundeswehruni und seine Wissenschaftler finanziert, nutzt auch diese
Ergebnisse nicht. Die Forscher vermuten: Es könnte einerseits an mangelnder Fantasie in
der Zentralverwaltung liegen. Andererseits an Kommunikationsfehlern der Tüftler, die
nicht vermitteln können, wozu ihre Ergebnisse nützlich sind.
Dabei gelten deutsche Forscher im Bereich der Nanotechnik als weltweit
führend. Deshalb arbeiten amerikanische Militärlabors gerne mit ihnen zusammen. Jeff
Brinker entwickelt für das US-Atomforschungslabor Sandia Nanodetektoren für Kampfstoffe.
Zusammengearbeitet hat er mit Helmut Schmidt, der bakterienabweisende Beschichtungen
erfand. Denn was das Bad sauber hält, lässt auch Biokampfstoffe vom Schutzanzug
abperlen. Nanotechnik ist eine klassische dual-use Technik, die also sowohl militärisch
als auch zivil nutzbar ist. Zivile und militärische Anwendung sind im Bereich der
Nanotechnik kaum unterscheidbar.
276 Millionen Dollar gibt das US-Verteidigungsministerium 2005 für
Nanotechnologie aus. Dagegen mögen auf den ersten Blick die 112 Millionen Euro allein des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung für Nanotechnik niedrig erscheinen. Doch
die absoluten Zahlen sagen wenig aus, denn erst das Verhältnis der Größe der beiden
Länder zur Höhe des Gesamtbudgets der Forschungseinrichtungen zeigt, wie hoch die
Förderung der Nanotechnik in Deutschland wirklich ist. Dazu kommt noch die Unterstützung
des Verteidigungsministeriums für die Universitäten der Bundeswehr und des
Bundeswehrkrankenhauses in Berlin, das medizinische Nano-Forschung betreibt. Dort bekommen
bereits die ersten Patienten nanotechnisch veränderte Eisenoxydteilchen gegen
Gehirntumore gespritzt. Hinzu kommt die Arbeit der Fraunhofer-Institute, die zu etwa 40
Prozent vom Bund und den Ländern finanziert werden.
Vor zwei Jahren hat Dr. Matthias Grüne vom Institut für
Naturwissenschaftlich-technische Trendanalysen der Fraunhofer Gesellschaft die
wehrtechnische Bedeutung der Nanotechnologie vorgestellt: Nano erfasst alle Bereiche,
führt Biologie, Medizin, Chemie, Werkstoffkunde und Elektronik zusammen. Damit können
neue Spreng- und Festtreibstoffe entstehen, nanoskalige Wolframlegierungen für
Wuchtgeschosse und Agenzien gegen B- und C-Waffen in Nanokapseln und Trägerpartikeln.
Strukturwerkstoffe auf Nanobasis machen Panzer und Flugzeuge leichter, sind
thermomechanisch belastbarer, und die Treibstofftanks lecken nicht so leicht.
Multifunktionale Nano-Werkstoffe können sich selbst reparieren, sind schwerer entflammbar
und haben besondere stealth-Eigenschaften. So wird die Armee der Zukunft quasi unsichtbar.
Detlef Müller-Wiesner vom Europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern
EADS hat ebenfalls 2003 bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin
die wehrtechnische und sicherheitspolitische Bedeutung der Nanotechnik aufgezeigt. Das
US-Militär hat in der "Joint Vision 2020" auch für den Bereich der Nanotechnik
den Anspruch auf Dominanz angemeldet, auf Überlegenheit in jeder Situation, vom
humanitären Einsatz bis zur Kriegsführung. So entwickelt das "Institute for Soldier
Nanotechnology" in Massachusetts die Uniform der Zukunft. Die soll sich in eine
schusshemmende Weste verwandeln, aber erst, wenn sie von einem Geschoss getroffen wurde.
Wird der Soldat dennoch verletzt, soll die Uniform die Knochen des Verwundeten
stabilisieren. Künstliche Muskeln sollen die Kräfte des Kämpfers vervielfachen. Doch
das sind Visionen, anwendungsnäher sind hingegen leichtere Ausrüstung sowie Textilien,
die besser Wasser und Bakterien abweisen.
Oliver Dahms, Sprecher des Bereichs Reform und Wirtschaft des
Verteidigungsministeriums, teilt "Streitkräfte und Strategien" auf Anfrage mit,
dass es bereits Erfahrungen mit Nanotechnik in folgenden Bereichen gebe: kratzfeste
Beschichtungen von Flugzeugverglasungen, schmutzabweisende Beschichtungen,
Korrosionsschutz, Antifoulingbeschichtungen bei Schiffen und Booten und neue Textilien.
Doch spezifische militärische Anwendungen gebe es noch nicht.
Dies kann auch ein Vorteil sein, Zeit für Technikfolgeabschätzung und
Risikoanalyse bieten. Denn die Nanotechnik birgt auch Gefahren. Im Nanobereich zeigen
Materialien neue, physikalisch und chemisch bislang unbekannte Eigenschaften. So, wie es
beim Fahren auf der Autobahn ausreicht, das Lenkrad um einige Zentimeter zu verziehen, um
in den Leitplanken zu landen, so kann die kleinste Verunreinigung bereits zu drastischen
Änderungen des Produkts führen.
Nanopartikel überwinden die Blut-Hirn-Schranke im menschlichen
Körper. Doch wer sagt den Teilchen, ob sie als Medizin oder als Gift wirken? Wir führen
heute eine Debatte über die Gefahr durch Feinstäube, doch Nanoteilchen sind um ein
Vielfaches kleiner und dringen deshalb durch die Haut und in die Lungen.
Für Nano-Produkte gibt es keine Normen; und das, obwohl sie bereits in
der industriellen Fertigung sind. Für die neuen Stoffe gelten weder TÜV-, noch DIN- oder
ISO-Normen. Ohne verbindliche Standards keine einheitlichen Messverfahren, und ohne die
gibt's keine Arbeitsschutzbestimmungen, keine Grenzwerte für die Bevölkerung, keinen
Umweltschutz, keine Richtlinien zur Müllbeseitigung und das bei Materialien, die
teilweise als unzerstörbar gelten. Darauf hat die Frankfurter Rundschau 2001 als erste
hingewiesen, es folgten zwei Jahre später auf Anregung von Prinz Charles die Royal
Society, 2004 das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags und in
diesem Jahr die Allianz Versicherung mit einer kritischen Studie. Auch das Komitee für
Proliferation von Militärtechnik der Parlamentarischen Versammlung der Nato schreibt in
einem Papier vom April dieses Jahres über die Folgen der Nanotechnik. Andy Oppenheimer
von dem britischen Fachverlag Jane´s warnt seit zwei Jahren vor dem Missbrauch der
Nanotechnik für die Entwicklung neuer Massenvernichtungswaffen. Denn so wie Molekül für
Molekül neue Impfstoffe zusammengesetzt werden können, so können auch neue Bio- und
Chemiewaffen entwickelt werden. Seuchen können miteinander kombiniert, eine Resistenz
gegen bekannte Medikamente eingebaut werden. Und so käme der Bumerang zurück. Auch wenn
er dann aus Nanomaterial ist, seine Wirkung bliebe und wäre wahrscheinlich umgekehrt
proportional zur Größe umwerfend.
Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.
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