Streitkräfte und Strategien - NDR info
02. Mai 2004


Veto-Recht gegen Verkauf von Rüstungsfirmen – Wie sinnvoll ist die Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes?

Otfried Nassauer

Im Frühjahr 2002 kaufte One Equity Partners, eine amerikanische Beteiligungsgesellschaft, den erfolgreichsten Hersteller konventioneller UBoote - die Kieler Howaldts Deutsche Werft AG. Urplötzlich kam ein Unternehmen unter US-Kontrolle, dessen geistiges Eigentum und Know-How aus dem Inhalt der deutschen Hochtechnologie-Schatztruhe nicht wegzudenken schien. Als Joker im Poker um die Entstehung einer europäischen Rüstungsindustrie war HDW nicht mehr tauglich. Im Sommer 2002 war auch das Verteidigungsministerium aufgewacht. Der Vorgang müsse, so damals Staatssekretärin Brigitte Schulte wörtlich - als "bedenklich gewertet" werden. Der "Fall HDW" löste bei Politikern und in deutschen Behördenstuben ein langes, grundsätzliches Nachdenken aus. Sollte sich Deutschland - so wie andere große Rüstungsnationen - die Möglichkeit schaffen, den Verkauf von High-Tech-Firmen durch ein staatliches Veto zu unterbinden? Würde das ein Weg sein, um beim Entstehen einer europäischen Rüstungsindustrie gewichtiger mitzureden?

Zwei Jahre später hatte der Berg gekreist und geboren war der "Entwurf eines elften Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV)".

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass ausländische Firmen, die direkt oder indirekt - z.B. über eine Beteiligungsfirma - mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an einem deutschen Unternehmen erwerben wollen, eine Genehmigung brauchen - vorausgesetzt, die deutsche Firma entwickelt oder produziert Kriegswaffen, andere Rüstungsgüter oder bestimmte Verschlüsselungssysteme. Damit will man sicherstellen, dass Deutschlands "Sicherheitsinteressen" gewahrt und die "sicherheitspolitischen Interessen" sowie die "militärische Sicherheitsvorsorge" gewährleistet bleiben.

In der Außenwirtschaftsverordnung finden sich neue Durchführungsbestimmungen. Zunächst soll das Gesetz nur auf die Entwickler und Hersteller von Kriegswaffen und Kryptosystemen angewandt werden. Falls erforderlich kann es durch einen Verwaltungsakt ohne Parlamentsbeteiligung jederzeit auf andere Rüstungsgüter ausgedehnt werden. Wer eine Genehmigung haben will, muss diese rechtzeitig beim Wirtschaftsministerium beantragen und vollständige Unterlagen einreichen. Wird dagegen binnen eines Monats kein Einspruch erhoben, gilt der Verkauf als genehmigt. Genehmigungsauflagen sind möglich. Wer ohne Genehmigung verkauft, begeht eine Ordnungswidrigkeit, macht sich also strafbar. Das Geschäft gilt als unwirksam.

Die Genehmigungsbehörde trifft also eine Ermessensentscheidung. Abgewogen werden staatliche Sicherheitsinteressen, die Versorgungssicherheit für die Bundeswehr sowie die Verfügung über rüstungsindustrielle Kernfähigkeiten gegen die Interessen des Unternehmens am freien Kapitalverkehr und dessen wirtschaftliche Existenz.

Soweit, so gut? Nein. Kaum war der Vorschlag öffentlich, signalisierte die Industrie Widerspruch. Er könne die europäische Integration behindern, das Einwerben ausländischen Kapitals verhindern, die Existenz von Firmen gefährden und sei damit eher eine Gefahr als ein Schutz. Wenn schon ein Eingriff, dann - so die taktische Rückzugsposition - genüge eine Meldepflicht. Die Industrie müsse im eigenen Interesse auch die Kerninteressen ihres wichtigsten Kunden schützen.

Doch das eigentliche Problem lauert jenseits der Frage, ob die Wirtschaftslobby pflichtgemäß protestiert und das Hohe Lied der sich selbst regelnden freien Marktwirtschaft singt.

Es ist das gute Recht des Staates, ordnungspolitisch regelnd einzugreifen. Das gilt gerade für die Rüstungsindustrie, die für den Kernbereich staatlicher Souveränität arbeitet. Eingriffe sind jedoch nur zu rechtfertigen, wenn ein ausreichend strategisches, klar definiertes Ziel verfolgt wird und wenn die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleibt. Beides ist bei diesem Gesetzentwurf kaum der Fall. Der folgt eher dem alten Sprichwort, dass "gut gemeint nicht immer gut gemacht" sein muss.

Die Zielsetzung ist weder strategisch noch klar definiert. Das wird gleich mehrfach deutlich. Die den staatlichen Eingriff rechtfertigenden Begriffe "wesentliche Sicherheitsinteressen", "sicherheitspolitische Interessen" und "militärische Sicherheitsvorsorge" werden nicht definiert. Auch die Begründung hilft nicht weiter, wenn zur Erläuterung Worte benutzt werden wie "militärische Versorgungssicherheit" oder "Kernfähigkeiten" der Rüstungswirtschaft. Diese Begriffe sind politisch interpretierbar. Denn ihre Bedeutung ist von der Frage abhängig, für welche Sicherheitsinteressen, welche Risiken und mit welchen Mitteln Sicherheitsvorsorge betrieben werden soll. Mit dem Terminus der "militärischen Sicherheitsvorsorge" aber zeigt der Gesetzgeber, das dem Gesetz trotz veränderter sicherheitspolitischer Risiken weiter ein ausschließlich militärisch orientierter Sicherheitsbegriff zugrunde liegt. Das hat Folgen: Die zu sichernden Kernfähigkeiten sind praktisch ausschließlich rüstungswirtschaftliche. Nicht gestellt wird die Frage, ob der Zugriff auf Patente und Produktionskapazitäten für Impfstoffe gegen Biowaffen heute nicht wichtiger ist als die Fähigkeit, große Mengen Panzermunition zu produzieren. Sie wird per Gesetz zugunsten der Munition entschieden. Was für eine Verengung.

Doch selbst wenn man sie akzeptiert, zeigt sich, dass das Gesetz keine strategisch durchdachte Zielsetzung hat. Wirkung kann es nur in rüstungswirtschaftlichen Sektoren entfalten, die national kontrolliert sind, - also bei Heeresausrüstern, Teilen des Marinesektors und kleinen Teilen der Luft- und Raumfahrtindustrie. Wichtige Firmen sind ja bereits längst internationalisiert, so die EADS, HDW, STN Atlas oder jüngst MTU. Es geht also allenfalls um Schutz und Kontrolle von Rest-Kernfähigkeiten.

Diesen Resten soll es ermöglicht werden, geschützt durch das potentielle staatliche Veto, auf gleicher Augenhöhe über nächste Schritte auf dem Weg zu einer europäischen Rüstungsindustrie zu verhandeln. Das verspreche bessere Verhandlungsergebnisse.

Aber selbst das muss nicht so sein. Würden Anträge aus europäischen Staaten in der Regel einfach durchgewunken, solche aus den USA aber genau geprüft werden, dann entstünde schnell der Eindruck einer "Lex Anti-Americana". Würden dagegen auch die Anträge aus Europa penibel geprüft, dann könnte das Gesetz sogar ein neues Hindernis auf dem Weg zu einer europäischen Rüstungsindustrie werden - also genau das Gegenteil dessen bewirken, was es vorgeblich bewirken soll. Auch die Möglichkeit, dass manche wesentlichen Sicherheitsinteressen schon heute auf europäischer Ebene besser gewahrt werden könnten, kommt nicht in den Blick.

Doch nicht nur die unklare strategische Ausrichtung ist zu kritisieren. Auch die Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Mittel wirft Probleme auf. Sie ergeben sich daraus, dass vage formulierte Ziele mit maximalen Ermessensspielräumen für die Genehmigungsbehörde verknüpft werden.

Diese kann entscheiden, auf welche Firmen und welche Technologien die Genehmigungspflicht angewandt wird. Sie kann die Entwicklung und Herstellung "anderer Rüstungsgüter" ohne erneute parlamentarische Behandlung in die Genehmigungspflicht einbeziehen. Das würde die Zahl der betroffenen Firmen und Technologien schlagartig deutlich vergrößern. Sie kann entscheiden, ob sie das Gesetz nur auf größere Betriebe anwendet oder auch auf kleinere und "Ein-Mann-Firmen". Sie entscheidet, ab wann die Genehmigungspflicht greift, - von welchem Punkt an man in einem Unternehmen von Rüstungsproduktion sprechen kann, und zwar in quantitativer wie qualitativer Hinsicht. Theoretisch könnte schon ein einziges Produkt, Entwicklungsvorhaben oder Patent reichen. Und die Genehmigungsbehörde entscheidet auch, welche Technologien oder Produkte zu den schützenswerten Kernfähigkeiten gehören. Zwar soll die Prüfung gemeinsam durch Wirtschafts-, Verteidigungs- und Außenministerium und bei Kryptotechnik unter Hinzuziehung des Innenministeriums erfolgen. Doch das garantiert weder eine problemlose und unstrittige noch eine schnelle Klärung. Unklar ist auch, wann Antragsunterlagen als vollständig und rechtzeitig eingereicht gelten - mithin, wann die 30-Tage-Frist für behördliche Einsprüche beginnt.

Juristen müssen schon wegen der potentiellen Strafbarkeit dazu raten, auf Verdacht Genehmigungsanträge zu stellen und möglichst umfangreiche wirtschaftliche und technische Unterlagen abzugeben. Sie müssen das Wirtschaftsministerium - notfalls bis hin zum Mittel der Untätigkeitsklage - unter Druck setzen, damit es den Eingang vollständiger Unterlagen und den Beginn der 30-Tage-First bestätigt. Mit anderen Worten: Vage Formulierungen, große Ermessensspielräume und der Umfang der Prüfungen lassen erwarten, dass bald die Entscheidungsfristen verlängert oder gar der Ruf nach einem eigenen Amt für diese Genehmigungen laut wird. Ist das politisch gewollt?

Was also tun? Die Bundesregierung sollte diesen Entwurf zurückziehen und einen neuen Versuch unternehmen, eine strategisch ausgerichtete, ordnungspolitische Eingriffsmöglichkeit zu schaffen. Die kann sie noch in dieser Legislaturperiode einbringen. Denn laut rot-grünem Koalitionsvertrag sollen ja Außenwirtschaftsgesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz noch einmal auf die Tagesordnung. Und zwar wenn - Zitat - "Notwendigkeit und Möglichkeit einer Harmonisierung der Genehmigungsvoraussetzungen in den einschlägigen Exportvorschriften" geprüft werden. Im Klartext: Wenn geprüft wird, ob alle Rüstungsexporte den strengeren Regeln des Kriegswaffenkontrollgesetzes unterworfen werden.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).