Zu große Erwartungen?
Was die deutsche EU- und G-8-Präsidentschaft auf sicherheitspolitischem Gebiet
bewirken kann
von Otfried Nassauer
Deutschland hatte schon einmal eine Doppelpräsidentschaft inne: Im ersten Halbjahr
1999. Damals wurden in sechs Monaten die wesentlichen Grundzüge der Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik ESVP entwickelt. Auf dem Kölner EU-Gipfel im Juni
1999 wurden sie beschlossen. In dieser Zeit entstand auch eine neue NATO-Strategie.
Zeitgleich führte die Allianz ohne UN-Mandat den Kosovo-Krieg. Der deutschen
Doppelpräsidentschaft fiel die Aufgabe zu, diesen Krieg ohne Gesichtsverlust für die
NATO zu beenden. Dies glückte, weil es gelang, Russland konstruktiv einzubinden und
Belgrad danach letztlich doch noch einlenkte. Dabei zeigte sich, dass der damaligen G-7
und heutigen G-8-Struktur potenziell eine konstruktive Bedeutung für die Außen- und
Sicherheitspolitik zukommen kann.
Nun also steht erneut eine solche Doppelpräsidentschaft bevor. Sie ist Chance und
Risiko zugleich. Sie kann genutzt werden, strategische Neuansätze oder Korrekturen
politisch auf den Weg zu bringen. Es besteht aber auch das Risiko, an dieser Aufgabe zu
scheitern. Das wirft die Frage auf, ob Deutschland seinen Vorsitz in EU und G-8 gestaltend
nutzen oder lediglich verwalten wird.
Es gibt viele außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen, die es zu
bewältigen gilt. Zu den wichtigsten gehören:
Erstens, die Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
ESVP. Seit dem Scheitern des EU-Verfassungsvertrages ist die Einführung einer erweiterten
Rechtsgrundlage für die ESVP ins Stocken geraten. Manch neues Element der ESVP zum
Beispiel die Europäische Verteidigungsagentur wurde im Vorgriff auf eine
erweiterte Rechtsgrundlage gegründet. Allen diesen Neuerungen fehlt aber bis heute eine
echte rechtliche Basis. Die Erweiterung der EU um viele neue Mitglieder, die in der ESVP
eine potenzielle Konkurrenz zur NATO sehen und sie deswegen skeptisch betrachten, macht
die Erweiterung der Rechtsbasis für die ESVP nicht leichter.
Zweitens will die EU ihre stabilisierende Rolle auf dem Balkan ausweiten. Die Aufgaben
der EU in Bosnien sollen zunehmend mit zivilen und polizeilichen Kräften erfüllt werden.
Die Übernahme weiterer Aufgaben im Kosovo und die Ablösung der NATO-geführten
KFOR-Mission durch EU-Missionen sind in Vorbereitung. Allerdings ist die derzeit wohl
wichtigste Frage für die Zukunft der Balkanmissionen weiter ungeklärt: Soll die
serbische Provinz ein unabhängiger Staat werden? Die Verhandlungen über den künftigen
Status des Kosovo sind festgefahren. Sollen die westlichen Vermittler um den ehemaligen
finnischen Präsidenten Ahtisaari auch gegen den Widerstand Serbiens einfach einen neuen
Staat dekretieren? Das Risiko ist offensichtlich: Wird das Kosovo unabhängig, so würden
die westlichen Staaten zugleich signalisieren, dass sie zu Grenzveränderungen auf dem
Balkan bereit sind. Schnell könnte ein anderer alter Streit wieder neu aufflammen: Die zu
Bosnien-Herzegowina gehörige Republika Srpska könnte fordern, einen gemeinsamen Staat
mit Serbien zu bilden. Klar ist: Die Kosovo-Frage kann schnell zu einer zentralen Frage
der deutschen Ratspräsidentschaft werden.
Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der Existenz europäischer
Eingreifverbände. Mit Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft stehen der EU erstmals
zwei einsatzbereite European Battlegroups zur Verfügung. Vorhandene militärische
Kapazitäten aber rufen oft auch Politiker auf den Plan, die fordern, diese Fähigkeiten
einzusetzen. Der Ruf nach einem europäischen Militärengagement in Afrika wird immer
lauter. Diskutiert wird insbesondere über einen möglichen Beitrag Europas in der
sudanesischen Krisenprovinz Darfur.
Eine vierte sicherheitspolitische Herausforderung ist Afghanistan: Europäische Länder
stellen einen wesentlichen Teil der NATO-geführten ISAF-Truppen. Diese Stabilisierungs-
und Wiederaufbaumission wurde in diesem Jahr eng mit der amerikanischen Kampfmission
"Operation Enduring Freedom" OEF verzahnt. Die NATO hat schrittweise die Aufgabe
übernommen, in ganz Afghanistan für Sicherheit zu sorgen. Ein wachsender Anteil der
ISAF-Truppen wird nun im Süden und Osten Afghanistans zur Bekämpfung aufständischer
Taliban herangezogen. Zugleich hat sich die Sicherheitslage inzwischen deutlich
verschlechtert. Die Unterschiede zwischen der ISAF-Mission und der Anti-Terror-Operation
Enduring Freedom werden kleiner. Die NATO-Truppen im Süden und Osten werden zunehmend wie
die OEF als Kampf- und Besatzungstruppen und nicht als Wiederaufbauhelfer wahrgenommen.
Wenn im Februar die USA für ein Jahr auch die ISAF-Mission übernehmen, besteht die
Gefahr, dass sich diese Entwicklung weiter verschärft und die Taliban noch größeren
Zulauf bekommen. Damit aber besteht die Möglichkeit, dass die Mission am Hindukusch
letztlich scheitert. Allen Beteiligten ist klar, dass für Afghanistan bald eine neue
Strategie benötigt wird. Eine Strategie, die auch den Menschen in den Paschtunen-Gebieten
wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigt. Unklar ist, wer diese Strategie
entwickeln soll. Während der deutschen Präsidentschaft wird sich entscheiden, ob und
welche Rolle die EU dabei einnimmt.
Ein weiteres Problemfeld ist der Nahe Osten. Die EU-Staaten stellen den Kern der neuen
UN-Friedenstruppe für den Libanon. Diese wurde stationiert, ohne dass Ansätze
politischer Lösungsmöglichkeiten vereinbart wurden. Diese müssen nun dringend gefunden
werden. Dabei wird der EU eine wichtige Rolle zukommen, nicht zuletzt, weil die Europäer
Truppen in die Region entsandt haben. Die Rahmenbedingungen sind allerdings äußerst
fragil. Sie können sich rasch weiter verschlechtern trotz der jüngsten
Gesprächsinitiativen Israels. Der Libanon steht am Rande eines erneuten Bürgerkrieges.
Das gleiche gilt für die Palästinenser-Gebiete. Zudem hängt über dem Nahen und
Mittleren Osten weiter das Damoklesschwert einer militärischen Eskalation des Streites um
das iranische Atomprogramm. EU-Länder sind federführend bei dem Versuch, eine
Verhandlungslösung zu finden.
All diese Themen spiegeln sich im Arbeitsplan für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft
wider. Wird die Bundesregierung die Chance der Doppelpräsidentschaft nutzen und in der
Außen- und Sicherheitspolitik strategische Initiativen ergreifen? Derzeit sind Zweifel
angebracht: Denn in ihrem Arbeitsplan für die EU-Ratspräsidentschaft hat die
Bundesregierung zwar all diese Themen aufgelistet. Sie hat aber nicht angegeben, welche
Themen sie vorrangig angehen will wenn man mal von der der Herkulesaufgabe absieht,
den EU-Verfassungsvertrag wiederzubeleben. Unklar bleibt, ob all die anderen Themen nur
nach Lage aufgegriffen werden sollen. Wäre das der Fall, so würde die deutsche
EU-Präsidentschaft eher verwaltet denn gestaltet. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung
in ihrem Kabinettsbeschluss zur G-8-Präsidentschaft praktisch gänzlich auf
sicherheitspolitische Akzente verzichtet hat. Denn die USA wollen, dass die G-8-Struktur
möglichst wenig sicherheitspolitische Aufgaben wahrnimmt. Das ist falsch. Denn ganz
gleich, ob es um die Zukunft des Balkans, um den Nahen Osten oder den Iran oder aber um
Afghanistan geht: eine verstärkte Einbindung Russlands erweitert die politischen
Lösungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt, weil auch Russland wieder größere
Handlungsmöglichkeiten hat. Die G-8-Struktur bietet dafür einen Rahmen. Dass Russland zu
Kooperation bereit ist, wenn es seine Interessen wahren kann, zeigte sich vor acht Jahren
bei der ersten deutschen Doppelpräsidentschaft 1999. Sich daran zu erinnern, kann
hilfreich sein, wenn man den EU- und G-8-Vorsitz wirklich gestaltend nutzen will.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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